Interview mit Björn Elberling
Am Donnerstag, den 2. Dezember, verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mündlich die letzte verbliebene Revision gegen das Urteil des Münchener Oberlandesgerichtes (OLG) im NSU-Prozess. Konkret geht es um die Revision der Bundesanwaltschaft gegen das Urteil in Bezug auf den Angeklagten André Eminger. Wir haben mit Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling, Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, über die juristischen Hintergründe und die politische Einordnung des Revisionsverfahrens gesprochen.
Am 2. Dezember steht vor dem BGH in Karlsruhe eine Verhandlung zur Revision gegen das Urteil gegen André Eminger im Münchener NSU-Prozess an. Vielleicht kannst du uns zunächst noch einmal erläutern, was eine Revision ist, worin sie sich etwa von einer Berufung unterscheidet. Käme es, sollte der BGH gegen ihn entscheiden, zu einem ganz neuen Prozess gegen Eminger?
Bei einer Berufung würden die Tatsachen ganz neu ermittelt werden, also noch einmal eine vollständige Beweisaufnahme durchgeführt werden. Gegen Urteile des Oberlandesgerichts ist aber die Berufung gar nicht möglich, sondern eben nur die Revision. Bei der geht es darum, ob das erstinstanzliche Gericht im Verfahren oder im Urteil bestimmte Rechtsfehler gemacht hat. Stellt der BGH solche Fehler fest, hebt er das Urteil auf und es kommt zu einer neuen Hauptverhandlung, wieder vor dem erstinstanzlichen Gericht. Der BGH kann dabei aber anordnen, dass bestimmte Ergebnisse des ersten Durchgangs bestehen bleiben und durch die neue Verhandlung nur ergänzt werden können. Im Falle von Eminger etwa hat die Bundesanwaltschaft ja die Urteilsfeststellungen dazu, dass Eminger Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe mehrfach unterstützt hat, gar nicht angegriffen, die könnten also bestehen bleiben. Die neue Beweisaufnahme würde dann nur noch die Frage klären, ob er dabei von den durchgeführten bzw. geplanten Taten dieser Drei gewusst hat – das hat das OLG im ersten Durchgang ja überraschenderweise nicht angenommen.
Der Angeklagte Schultze hat seine Revision gegen das Urteil bereits früh selbst zurückgezogen. Weitere drei Revisionen gegen Urteile im NSU-Prozess sind vom BGH abgewiesen worden, ohne dass es zu einer mündlichen Verhandlung kam. Warum kommt es dann jetzt beim Angeklagten Eminger zu einer Verhandlung in Karlsruhe?
Weil auch die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt hat und der BGH immer eine Hauptverhandlung durchführt, bevor er über Revisionen der Staatsanwaltschaft entscheidet. Es wird auch über die Revision Emingers gegen seine Verurteilung mitverhandelt, die hat aber keine Erfolgsaussichten.
Der Generalbundesanwalt hat lediglich gegen das Urteil zu Eminger Revision eingelegt. Kannst du etwas zur juristischen Begründung des GBA sagen?
Das OLG hat ja gemeint, Eminger habe bei seinen zahlreichen Unterstützungsleistungen – unter anderem der Anmietung von Wohnmobilen für zwei Raubüberfälle und für den Sprengstoffanschlag in der Probsteigasse in Köln – nicht gewusst, was Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt damit vorhatten, was für Taten die geplant und zum Teil bereits durchgeführt hatten. Dabei hat das OLG selbst im Urteil genau die Tatsachen festgestellt, aufgrund derer sich aufdrängt, dass Eminger nicht bis 2007 durchgängig „gutgläubig“ gewesen ist: Eminger hatte als Unterstützer der ersten Stunde durchgängig Kontakt zum NSU-Kerntrio, wusste, dass die sich schon einmal Sprengstoff besorgt hatten, hatte und hat selbst eine eindeutig neonazistische Einstellung. Das hat das OLG nicht berücksichtigt, daher ist seine Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, wie die Bundesanwaltschaft anhand des OLG-Urteils dargestellt hat.
Wie schätzt du das politisch ein, dass die Bundesanwaltschaft hier – und nur hier – nachgelegt hat?
Positiv. Dass die Bundesanwaltschaft bei den anderen Beschuldigten keine Revision eingelegt hat, ist wenig überraschend, die sind ja alle verurteilt worden. Teilweise hatte die Bundesanwaltschaft höhere Strafen beantragt, als dann verhängt wurden, aber eine solche Abweichung führt auch sonst in aller Regel nicht zu einer Revision der Staatsanwaltschaft.
Ich bin im Gegenteil positiv überrascht, dass die Bundesanwaltschaft die Revision gegen Eminger tatsächlich durchzieht. Denn es war ja die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen und die Anklage von vornherein auf die These des abgeschotteten Trios ausgerichtet hat, und genau diese These wird von der engen Verbindung Emingers zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt deutlich in Frage gestellt. Dass etwa Oberstaatsanwalt Weingarten in seinem Plädoyer die Frage stellte, ob man nicht eigentlich von Eminger als viertem Mitglied des NSU sprechen müsste, ist inhaltlich total richtig, war aber angesichts der Verfahrensführung bis dahin durchaus überraschend.
Kannst du sagen, wie eine solche mündliche Verhandlung üblicherweise verläuft?
In der Regel beginnt sie mit einer kurzen Einführung des Vorsitzenden Richters, der dann nacheinander den Parteien das Wort erteilt zu ihren rechtlichen Ausführungen. Gegebenenfalls stellen auch die Richter*innen rechtliche Fragen, die von den Parteien beantwortet werden. Am Ende stehen die Anträge von Bundesanwaltschaft und Verteidigung und das Gericht teilt mit, wann das Urteil verkündet wird.
Die Verkündung des Urteils ist aktuell für den 15. Dezember angekündigt. Wird das wieder ein mündlicher Termin oder gibt es das Urteil dann schriftlich wie bei den anderen?
Das Urteil wird in einer öffentlichen Sitzung verkündet werden. Bei Urteilsverkündungen des BGH können sogar – anders als bei anderen Gerichten – Bild- und Tonaufnahmen zugelassen werden. Ob das in diesem Fall geschehen soll, hat der BGH noch nicht entschieden, ich vermute, das wird recht kurzfristig vor dem Verkündungstermin geschehen.
Wagst du eine Prognose, was bei diesem Revisionsverfahren herauskommt?
Ich halte das Münchener Urteil in diesem Punkt für grob fehlerhaft und die Revisionsbegründung der Bundesanwaltschaft für zwingend. Ob die Revision aber wirklich erfolgreich sein wird, oder ob der BGH in die allgemeine Schlussstrich-Tendenz zum NSU-Komplex einstimmen wird, das wage ich nicht vorherzusagen. In der Regel ist der BGH sehr zurückhaltend, Urteile nach sehr langen Prozessen aufzuheben und damit für einen neuen langen Prozess zu sorgen – gleichzeitig würde es ja hier aber in einem neuen Durchgang um einen recht begrenzten Prozessstoff gehen …
In Bezug auf die Revision von Beate Zschäpe, die der BGH ja weitgehend abgewiesen hat, gab es zuletzt einige Aufregung. Unter anderem will Zschäpe vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Wie ist das juristisch einzuordnen?
Als Sturm im Wasserglas. Die Verteidigung behauptet, der BGH habe „überraschend“ seine Rechtsprechung zur Frage der Mittäterschaft geändert, der BGH hat dargelegt, warum das nicht stimmt. Natürlich wird die Verteidigung Verfassungsbeschwerde einlegen, Zschäpe hat ja auch nichts zu verlieren. Aber Erfolgsaussichten hat das alles nicht.
Es gibt ja in Sachen NSU nach unserem Kenntnisstand immer noch neun Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Unterstützer*innen und ein Strukturermittlungsverfahren. Wir halten diese Verfahren schon seit einiger Zeit für ein Feigenblatt der Behörden – nach dem Motto: Was wollt ihr denn immer mit der mangelnden Aufklärung, wir ermitteln doch weiter? Kürzlich verkündete die Bundesanwaltschaft, beim Verfahren gegen Susann Eminger, die Ehefrau des Angeklagten André Eminger, komme es frühestens Anfang 2022 zu einer Entscheidung. Müssten diese Verfahren aber juristisch betrachtet nicht längst eingestellt sein? Die laufen ja teils seit einem knappen Jahrzehnt und man kann wohl bezweifeln, dass es da irgendwelche großen Ermittlungstätigkeiten gibt.
Die Frage ist ja eher, ob da nicht schon längst Anklagen hätten erhoben werden müssen. Aber ja, die Befürchtung liegt nahe, dass die Bundesanwaltschaft hier schlicht noch das Urteil des BGH abwartet, um danach auch insoweit den Schlussstrich zu ziehen und die Verfahren einzustellen.
Wir stehen anscheinend kurz vor dem Ende der strafrechtlichen Bearbeitung des NSU-Komplexes. Wie bewertetest du deren Ergebnisse insgesamt politisch?
Es ist ja irgendwann ermüdend, aber letztlich muss man hier die immer wieder gleichen Dinge betonen: auch das Urteil des BGH darf keinen Schlussstrich darstellen, denn der NSU-Komplex ist höchstens teilweise aufgearbeitet. Insbesondere zum Netzwerk um das NSU-Kerntrio, unter dem zahlreiche V-Leute waren, zu Unterstützer_innen an den Tatorten steht die Aufklärung eher noch am Anfang.