Am 22. August 2022 fand die erste öffentliche Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern statt, der sich bereits im Januar 2022 konstituiert hatte. Für diese Sitzung war nur ein Zeuge geladen, der Polizeibeamte Michael Ta., der zwischen November 2011 und Mai 2012 einige Aufträge der „BAO Trio MV“ bearbeitete, die nach der Selbstenttarnung des NSU eingesetzt wurde und beim LKA Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt war. Bei den Aufträgen handelte es sich um zwei Ausschnitte des Kartenmaterials des NSU zu Greifswald, Personenüberprüfungen und -befragungen, sowie die Recherche zu einem Verfahren gegen David Petereit.
Der einzige Zeuge des Tages, der Ermittler Michael Ta., erscheint mit dem Zeugenbeistand Butz Peters. Er sagt, zur Vorbereitung habe er Akteneinsicht genommen und seine eigenen Aufzeichnungen gelesen. Er beginnt mit einem Bericht zu seiner Rolle in den Ermittlungen zum NSU-Komplex. Ta. stellt dar, dass er von November 2011 bis Mai 2012 Mitarbeiter der „BAO Trio MV“ im Einsatzabschnitt Stralsund gewesen sei. Er habe den Auftrag gehabt, Ermittlungsaufträge der „BAO Trio MV“ durchzuführen. Als der Generalbundesanwalt (GBA) die Ermittlungen übernahm, sei der Abschnitt aufgelöst worden. Er habe in der Zeit drei Aufträge und drei Hinweise bearbeitet.
Es sei in den nachfolgenden Ermittlungen auch darum gegangen, ob der NSU Unterstützer in Mecklenburg-Vorpommern gehabt habe. Sein erster Auftrag habe sich um zwei Ausschnitte von Karten von Greifswald gedreht. Diese Kartenausschnitte wurden in der Frühlingsstraße, also im letzten bekannten Versteck des NSU, gefunden. Darauf seien blaue Kugelschreibermarkierungen gewesen: Pfeile und Kreuze. Er habe Fotos der Kartenausschnitte bekommen. Sein Auftrag sei gewesen, herauszufinden, welche Objekte markiert wurden und ob es dort Straftaten gegeben habe. Während seines Statements wird einer der beiden Kartenausschnitte mit dem Beamer an die Wand geworfen.
Zum ersten Kartenausschnitt sagt der Zeuge, eines der Kreuze darauf sei nur ein Abdruck, daher habe er das andere schwerpunktmäßig bearbeitet. Bei dieser Markierung stehe ein zweieinhalbstöckiges Wohnhaus. Er habe sich alle Bewohner auf dem Klingelschild notiert und habe dann beim Einwohnermeldeamt diese und auch alte Bewohner überprüft – ohne Ergebnis, so der Zeuge. Bei dem lediglich abgedrückten Kreuz handele es sich um ein vierstöckiges Haus. Auch hier habe er alte und neue Bewohner überprüft und keine Zusammenhänge mit politisch motivierter Gewalt oder dem NSU gefunden. Es sei auch kein Objekt in der Nähe, das zum NSU-Komplex passe.
Der zweite Abschnitt zeige drei Orte im „Ostsee-Viertel“ in Greifswald: Den Hinterhof eines Plattenbaus, das Einkaufszentrum „OEZ“, in dem sich eine Sparkassenfiliale befunden habe sowie einen Imbiss. Ein Pfeil markiere die Hauptzufahrt über die Wolgaster Straße. Von einem markierten Punkt haben man die Sparkasse direkt sehen können. Auch den Imbiss habe man von dort im Blick gehabt. Es habe dort keine Straftaten gegeben, aber vielleicht sei das interessant für den NSU gewesen. Die Frage sei, ob der NSU hier weitere Straftaten geplant habe. Auf dem Beamer wurden Fotos der jeweiligen Orte gezeigt, die Ta. vor Ort in Greifswald gefertigt hatte.
Ta.‘s zweiter Auftrag sei gewesen, 38 Personen auf einer Liste zu überprüfen. Bei diesen Personen habe eine Unterstützertätigkeit für den NSU im Raum gestanden. Er sollte überprüfen, ob die Namen in Polizeidatenbanken von Mecklenburg-Vorpommern vorhanden sind. Seine Recherche habe ergeben, dass dies auf zwei Personen zutraf: Maik und André Eminger. Sie wurden am 7. Mai 2011 in einer Kontrolle der Polizei anlässlich der 15. Jahres-Feier des Kameradschaftsbundes Anklam (KBA) erfasst. Das Fahrzeug habe ein Kennzeichen aus dem Erzgebirge gehabt. Der Ausrichter sei Alexander We. aus Salchow gewesen. Feierlichkeiten mit bundesweiter Anreise zu dessen Anwesen seien nichts Ungewöhnliches gewesen. Diese fanden immer in der Scheune auf dessen Privatanwesen statt.
Der dritte Auftrag drehte sich um den Herausgeber des Neonazi-Fanzines „Der Weisse Wolf“, David Petereit. Das antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) habe im März 2012 veröffentlicht, dass im „Weissen Wolf“ ein „Gruß an den NSU“ veröffentlicht wurde. Er sollte nun zu einem Aktenzeichen eines Verfahrens gegen David Petereit recherchieren. Das habe absolute Priorität gehabt. Insgesamt sollten die Ermittlungen prüfen, welche Verbindungen der NSU zu David Petereit gehabt habe. Seine Recherche habe ergeben, dass das Verfahren hinter dem Aktenzeichen am 16. Juni 2005 eingestellt, die Akte sei vernichtet worden sei. Bei der Staatsanwaltschaft wurde elektronisch nur der Ausgang hinterlegt: Strafbefehl ohne Freiheitsstrafe.
Ta. fährt in seinem Statement fort und sagt, neben den Aufträgen sei er noch Hinweisen nachgegangen. Der erste sei ein Hinweis von einer Person aus Kargow gewesen, die beobachtet haben wollte, wie einer der männlichen Haupttäter bei einem Gerichtsverfahren anwesend gewesen sei. Er habe dem Anwalt des dort Angeklagten etwas ins Ohr geflüstert. Die Befragung des Zeugen sei schwierig gewesen gewesen, er sei schon als unzuverlässiger Tippgeber bekannt gewesen. Ta. habe zudem Kontakt zu dem Anwalt aus dem Gerichtsverfahren aufgenommen, aber schlussendlich sei der Hinweis als nicht relevant bewertet worden. Der zweite Hinweis sei im Dezember 2011 aus Stralsund eingegangen. Eine Frau gab an, dass ihr Ehemann von zwei Männern besucht worden sei, wobei einer Ähnlichkeit mit Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gehabt habe. Die Befragung habe aber ergeben, dass es sich nicht um einen der beiden gehandelt habe, die Ähnlichkeit habe lediglich in den Segelohren bestanden. Letztlich habe die Berichterstattung die Erinnerung beeinflusst. Außerdem habe er eine Liste von 20 Personen überprüft. Vier Personen seien nur allgemein polizeibekannt gewesen, nicht wegen politischen Delikten.
Im Anschluss an sein Statement wird der Zeuge von den Abgeordneten mehrfach zu den Banküberfällen des NSU in Stralsund gefragt. Allerdings war er zwar im „Abschnitt Stralsund“ der „BAO Trio MV“ tätig, arbeitete aber nicht zu den Banküberfällen und war auch vor 2011 damit nicht befasst. Zur Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen oder Behörden könne er ebenfalls nichts sagen, er habe nur seine Aufträge der „BAO Trio MV“ erledigt. Er sei nicht bei Treffen dabei gewesen und habe keinen Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt. Weitere Erkenntnisse zum Netzwerk des NSU habe er ebenfalls nicht. Es sei aber davon ausgegangen worden, dass die Mord- und Überfallserie nicht ohne ein Netzwerk möglich gewesen sei. Das sei nicht seine These gewesen, so Ta. auf Nachfrage, das sei die These des GBA gewesen, „von Ermittlern, die tiefer drin waren“. „Wenn man bundesweit Banküberfälle und auch Tötungsdelikte begeht“, das sei logistisch viel, „da braucht man in der Regel Unterstützung“.
Der Abgeordnete Michael Noetzel von der Linksfraktion fragt erneut nach dem Kartenausschnitt, der auf ein Wohnhaus in Greifswald verweist. Er sagt, er folge der Idee, dass es sich bei den markierten Orten nicht zwangsläufig um Angriffsziele sondern Ausspähpunkte handeln könnte und dass gegenüber der Markierung ein von Linken bewohntes Haus gelegen habe. Der Zeuge antwortet, das sei ihm nicht bekannt. Außerdem weist Noetzel auf eine Linie auf der anderen Karte, die das „Ostsee-Viertel“ zeigt, hin, die eine Fluchtroute durch einen Wohnblock markieren könnte. Ta.: „Ich kann mich nur an einen Pfeil und zwei Kreuze erinnern.“
Noetzel fragt den Zeugen außerdem nach verschiedenen Neonazis, da Ta. immer wieder im Bereich Staatsschutz tätig war. So sei er als Zeuge in einem Verfahren gegen Alexander Wendt und Enrico Ham. aufgeführt. Beide Personen seien der rechten Szene zuzuordnen. We., der Inhaber des Grundstücks in Salchow, sei Mitglied der NPD, außerdem könne man ihn Blood&Honour (B&H) und den Hammerskins zurechnen. Ob Enrico Ha. B&H zuzuordnen ist, wisse der Zeuge nicht. B&H sei ohnehin unbedeutend in der Region. Hamisch sei jedoch Mitglied im KBA, gehöre zur Volksbücherei in Anklam und sei regelmäßig auf den Feiern in Salchow anwesend. Noetzel hält dem Zeugen vor, dass er eine Hausdurchsuchung bei Markus Thi. durchgeführt und diesen in seinem PKW auf der Fahrt zu verschiedenen Durchsuchungsobjekten begleitet habe. Laut Ta. sei Thi. der Betreiber des Szene-Ladens „New Dawn Streetwear“ in Anklam. Er habe Thi. in seinem privaten PKW begleitet, weil dieser sich weigerte, in den Streifenwagen einzusteigen. Dies sollte die Situation entspannen. Thi. sei ebenfalls Mitglied im KBA, verdiene sein Geld mit dem Laden und versorge die rechte Szene bundesweit mit Musik. Auf die Frage des Abgeordneten Noetzel, warum Thi. laut einer Erkenntniszusammenstellung auch für die „BAO Trio MV“ von Interesse war, konnte der Zeuge nicht antworten. Auch Nachfragen zu Malte Redeker, einer bedeutenden Figur der Hammerskins, der im Zeitraum der Raubüberfälle ein Ladengeschäft in Stralsund eröffnete, konnte der Zeuge nicht beantworten. Er kenne Redeker zwar, habe aber keine Details zu ihm.
Die Abgeordnete der Grünen, Constanze Oehlrich, fragt danach, ob sich auf dem Kartenmaterial allgemeine Schlüsse ziehen ließen, wie der NSU sich vorbereitet habe, ob sich seine Erkenntnisse verallgemeinern ließen. Ta.: „Das war nicht mein Auftrag, ich kann nicht schlussfolgern, was die vorhatten.“ Oehlrich: „Was bedeutet es für ein Objekt, in der Karte markiert zu sein?“ Ta. antwortet, es hätte sein können, dass der Ort im Visier der Täter sei, vielleicht sei dort ein nächster Mord oder Banküberfall geplant gewesen.
Nach der Befragung des Zeugen Ta. endet die erste öffentliche Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern.