In der 7. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex wurde eine Betroffene aus der Hufeisensiedlung als Zeugin gehört. Sie berichtete von wiederholten Attacken von Neonazis auf ihre Familie und sie selbst und äußerte die Vermutung, dass es sich bei einem Neuköllner Neonazi um einen V-Mann handeln könne. In der Pressekonferenz nach der Sitzung wurde deutlich, dass der Ausschuss noch immer auf Akten der Behörden wartet, die bereits vor Monaten angefordert wurden.
Die 6. Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (‚Neukölln‘)“ im Berliner Abgeordnetenhaus fand nicht-öffentlich am 21. Oktober statt, auf der Tagesordnung standen unter anderem Beweisbeschlüsse. Die 7. Sitzung war dann wieder öffentlich. In weiten Teilen wurde sie heute nicht vom Ausschussvorsitzenden Florian Dörstelmann geleitet, sondern in dessen Vertretung vom Grünen-Abgeordneten Vasili Franco. Als Zeugin sagte Christiane Schott aus. Die Vernehmung der ebenfalls geladenen Zeugin Mirjam Blumenthal wurde abgesetzt, da die Zeugin erkrankt war.
Christiane Schott und ihre Familie wurden über 10 Jahre hinweg immer wieder von Neonazis terrorisiert. Schott lebte bis vor kurzem in der Hufeisensiedlung in Berlin-Neukölln. Im Jahr 2011 hatte sie Neonazis verboten, anlässlich der Abgeordnetenhauswahlen Wahlkampfmaterial der NPD in ihren Briefkasten zu werfen. Am selben Abend sei ein NPD-Plakat an der Laterne vor dem Haus angebracht worden, berichtete Schott; so habe der Terror begonnen. Das Haus und die Autos der Familie von Christiane Schott wurden angegriffen und beschmiert, Fenster wurden eingeworfen, der Briefkasten gesprengt.
Insgesamt, so Christiane Schott, habe es zehn Anschläge auf sie und ihre Familie gegeben. Keiner der Anschläge sei aufgeklärt worden. Sie berichtete, wie sie von der Polizei jahrelang nicht ernst genommen wurde, wie ernsthafte Ermittlungen ausblieben: „Ich habe in den zehn Jahren den Glauben an die Polizei verloren.“ So nahm die Polizei die Steine, mit denen die Fenster des Hauses von Christiane Schott eingeworfen worden waren, nicht mit, sondern ließ sie am Tatort im Garten liegen. Nach einiger Zeit nahm Schott die Steine auf und legte sie in ihre Küche. Erst auf Druck der Zeugin wurden die Steine Tage später von der Polizei abgeholt und auf Spuren untersucht. Auch der gesprengte Briefkasten der Familie von Christiane Schott wurde erst auf ihren Druck hin ausgewertet. Es seien, so Schott, Spuren von Sprengstoff gefunden worden. Eine andere Sachbeschädigung sei von der Polizei Schülern zugeschrieben worden.
Das Berliner LKA habe davon gesprochen, berichtete Schott im Untersuchungsausschuss, eine Kamera im Haus gegenüber installiert zu haben. Nach dem nächsten Anschlag habe es dann aber geheißen, die Batterien seien leer und die Kamera kaputt gewesen. Der Kontaktbeamte zum LKA habe immer wieder betont, er verstehe nicht, warum es bei Christiane Schott immer wieder Anschläge gebe, wo es bei ihr doch bloß die eine Auseinandersetzung vor der Tür gegeben habe.
In einer Nacht im Oktober 2012 kam es zu mehreren Anschlägen an unterschiedlichen Orten, u.a. in Zossen (Brandenburg). Das Haus von Christiane Schott in Neukölln wurde mit Bitumen beschmiert. Zwischen den Taten dieser Nacht stellte das LKA eine Verbindung her, Täter*innen konnten aber nicht ermittelt werden, obwohl bei einem bekannten Neuköllner Neonazi Behälter mit Bitumen gefunden wurden. Ein Nachweis sei nicht möglich, hieß es seitens der Staatsanwaltschaft gegenüber
Christiane Schott
Im vergangenen Jahr verkaufte die Familie schließlich ihr Haus und zog aus der Hufeisensiedlung weg. Dies auch, so die Zeugin Schott im Untersuchungsausschuss, weil in direkter Nachbarschaft der Polizist Detlef M. wohnte, der Polizei-Interna zum Anschlag auf den Breitscheidplatz in einer Chat-Gruppe mit Neonazis geteilt haben soll. Sie habe sich vom Auftreten ihres Nachbarn provoziert und bedroht gefühlt.
Christiane Schott berichtete auch davon, dass sie einmal den Neonazi Christian S. vor ihrem Haus getroffen habe und dann mit ihm in ihrem Garten länger gesprochen hätte, da sie unbedingt herausfinden wollte, wer hinter den Anschlägen steckt. Dieser habe ihr gegenüber gestanden, bei der anfänglichen Diskussion am Gartenzaun dabei gewesen zu sein. Er wisse auch, dass „ein Rucksacknazi“ an Steinwürfen auf ihr Haus beteiligt gewesen sei, aber wollte keinen Namen nennen. Da Christian S. behauptete, keine Konsequenzen befürchten zu müssen, vermutet Schott, der Neonazi S. könne damals V-Mann des sogenannten Verfassungsschutzes oder der Polizei gewesen sein.
In jedem Fall ist diese Episode ein weiterer Beleg dafür, dass auch Neuköllner Neonazis nicht mit staatlicher Repression rechnen. Die weitgehende Straf- und Konsequenzlosigkeit, die Neonazis erleben, bestärkt sie darin, gewalttätig vorgehen zu können, sie ist gefährlich.
Die Zeugin Christiane Schott gründete mit Nachbar*innen die Initiative „Hufeisern gegen Rechts“: „Weil die Öffentlichkeit schützen kann; uns hat sie geschützt.“ In der Initiative BASTA kämpft sie weiter für Aufklärung im Neukölln-Komplex, unter anderem mit wöchentlichen Kundgebungen vor dem Berliner LKA (siehe hierzu: 5. Sitzungstag).
In der auf die Sitzung folgenden Pressekonferenz kritisierten Ausschussmitglieder von Grünen, Linkspartei, CDU und FDP, dass dem Ausschuss von den Behörden nur sehr wenige der angeforderten Akten zur Verfügung gestellt worden seien. Dass insbesondere die SPD-geführte Innenbehörde dem Ausschuss offenbar Akten vorenthält, zeigt, wie wenig der Partei von Regierender Bürgermeisterin und Innensenatorin an der Aufklärung des Neukölln-Komplexes liegt.