„Das war einschlägig bekannt, dass die dauerhaft in Sachsen waren.“ – Die Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 06. März 2023

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In einer kurzen Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-UA Mecklenburg-Vorpommern sagt der ehemalige V-Mann-Führer von Tino Brandt, Norbert Wießner, zu einer Observation 1999 in Mecklenburg-Vorpommern aus. Wießner sagte bereits in anderen NSUUA sowie im Prozess aus. Tino Brandt habe gemeldet, dass sich zwei Unterstützer der untergetauchten drei Neonazis mit dem Szene-Anwalt Hans Günter Eisenecker in Goldenbow treffen wollen. Laut Aussage von Wießner bat der VS Thüringen den VS Mecklenburg-Vorpommern um Observation, um den Wahrheitsgehalt der Meldung zu überprüfen. Er selbst sei nach Mecklenburg-Vorpommern gereist und habe dem Observationsteam Fotos von THS-Mitgliedern gezeigt und deren bekannte Autos geteilt. Wießner sagt, er habe vor der Observation auch gedacht, dass der untergetauchte Uwe Böhnhardt zum Treffen kommen könnte. Fotos von Böhnhardt habe er aber nicht mit dem Observationsteam besprochen. Wießner geht heute trotzdem davon aus, dass das Observationsteam Böhnhardt erkannt und die Polizei gerufen hätte, da nach diesem ja gefahndet wurde.

Zu Beginn der Sitzung sagt die Vorsitzende Martina Tegtmeier (SPD), dass die Aussagegenehmigung für Norbert Wießner sowie die Herabstufung von der Akte zur „Operation Drilling“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen angekommen seien. Dann erscheint der einzige Zeuge des Tages, Norbert Wießner, ohne Zeugenbeistand. Wießner war bis 2001 beim Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen und dort unter anderem V-Mann-Führer von Tino Brandt. Wießner fuhr vor der Observation des Treffens zwischen Rechtsanwalt Hans Günter Eisenecker sowie Carsten Schultze und Ralf Wohlleben nach Mecklenburg-Vorpommern und bereitete die Observation mit vor. Der Zeuge sagt zu seiner Vorbereitung, er habe keine Akteneinsicht genommen, er habe seit 20 Jahren keinen Zugang mehr zu irgendwelchen Akten. Er kenne Informationen aber durch seine Aussagen in anderen Untersuchungsausschüssen und im NSU-Prozess.

Auf die Aufforderung der Vorsitzenden, er solle zunächst zusammenhängend berichten, sagt Wießner, die Observation sei ja schon angesprochen worden. Der Beschaffungsleiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen habe den Beschaffungsleiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern in Amtshilfe um Unterstützung gebeten. Von ihrer Seite habe man feststellen wollen, ob die Quellenmeldung von Tino Brandt zu dem anstehenden Treffen stimme. Aufgrund dieses Auftrages habe er den Auftrag von der Beschaffungsebene bekommen, nach Mecklenburg-Vorpommern mitzufahren. Er habe dort Bilder von von THS-Mitgliedern gezeigt und sei danach zurück nach Thüringen gefahren.

Die Vorsitzende fragt, wie man sich die Vorbereitung der Observation vorstellen könne, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in Thüringen. Der Zeuge wiederholt, nach seiner Erinnerung sei der Auftrag vom Beschaffungsleiter gekommen, der habe sich mit dem Beschaffungsleiter Mecklenburg-Vorpommern abgestimmt. Er sei danach nach „MeckPomm“ gefahren und habe Lichtbilder vom THS vorgelegt. Er habe nicht selbst observiert, sondern nur warten können, bis die Leute zurück waren. Dann sei er zurück nach Thüringen gefahren. Es habe dann die Quellenmeldung gegeben, dass das Treffen stattgefunden habe und durch die Observation sei das Treffen ebenfalls bestätigt worden. Tegtmeier fragt, inwiefern er am Abschlussbericht der „Operation Drilling“ mitgewirkt, oder davon Kenntnis habe. Wießner antwortet, er habe daran nicht einmal gearbeitet und ihn auch nicht gelesen. Das sei eine Besonderheit und die habe er auch in anderen Untersuchungsausschüssen erklärt: Das sei nicht wie bei der Polizei, beim Verfassungsschutz sei eine Seite die Beschaffung, die andere die Auswertung. Der Bericht sei von der Auswertung gekommen, dazu könne er nichts sagen. Auf Frage von Bernd Lange (SPD) sagt der Zeuge, sie hätten noch andere Observationen zur Quellenüberprüfung durchgeführt, vor allem in Bayern, aber das sei die einzige in Mecklenburg-Vorpommern gewesen.

Auf Frage sagt der Zeuge, er habe Goldenbow mit dem Observationsführer besichtigt, an der Observation habe er nicht teilgenommen. Er könne nicht sagen, wie lange die Observation gedauert habe. Er habe mehrere Quellen geführt und diese mit Decknamen angesprochen, jeder V-Mann habe zwei V-Mann-Führer gehabt, „wegen Vertretungsgeschichten“, sagt der Zeuge auf Nachfragen.

Der Zeuge verneint auf Frage von Ann Christin von Allwörden (CDU), ob ihm besondere Erkenntnisse aus der Observation bekannt seien. „Es ist normal gelaufen“, der Observationsbericht sei an die Auswertung gegangen.

Michael Noetzel (Die Linke) fragt, ob Eisenecker nur die Vertretung von Beate Zschäpe übernommen habe. Der Zeuge sagt, Eisenecker habe Mitglieder des THS vertreten. Er könne nicht sagen, ob er Mitglieder des Kerntrios mehrfach vertreten habe, es sei nur um die Vollmacht gegangen. Bis heute sei ungeklärt, wie die Vollmacht von Zschäpe zu Eisenecker gekommen sei. Brandt sei danach gefragt worden, es habe keine Erkenntnisse dazu gegeben, es sei nichts notiert worden. Auf die Frage, seit wann Eisenecker Mitglieder des THS vertreten habe, antwortet Wießner, das sei alles in dem Zusammenhang gewesen, als die NPD Thüringen vom THS unterwandert worden sei und u.a. Wohlleben in den Vorstand gegangen, so sei der Kontakt zustande gekommen. Eisenecker sei ja auch im NPD-Vorstand gewesen. Noetzel fragt, wie lange Eisenecker Kontakt zu den Flüchtigen oder ihrem Umfeld gehabt habe. Der Zeuge antwortet, das könne er nicht sagen. Der Abgeordnete hakt nach, wen Eisenecker vom THS vertreten habe. Wießner sagt, Leute aus der Kameradschaft, aber wen genau, könne er nicht sagen. Auf Nachfrage sagt er, Eisenecker habe Tino Brandt mindestens einmal anwaltlich vertreten, aber das sei vor seiner Zeit als V-Mann-Führer gewesen. Er sei überrascht gewesen, dass Eisenecker Wohlleben und Schultze in seinem Heimatort empfangen habe. Eisenecker sei im NPD-Vorstand gewesen, zur konkreten Tätigkeit sei ihm aber nicht berichtet worden, die kenne er nur aus der Aktenlage. Er wisse nur von Gerichtsverhandlungen, bei denen Eisenecker in Thüringen gewesen sei, von anderen Aufenthalten wisse er nichts. Noetzel fragt weiter nach einer Demonstration 1998 in Rostock/Dierkow, an der Wohlleben teilgenommen habe und ob Brandt auch auf der Demonstration gewesen sei. Wießner sagt, er könne sich nicht erinnern. Es sei jedoch möglich, da Brandt 2. Vorsitzender der NPD gewesen sei. Wießner bejaht, Mario Brehme zu kennen, er wisse aber nicht, ob er Kontakt zu Eisenecker gehabt habe. Auf die Frage Noetzels, wer Brehme sei, sagt der Zeuge, das sei der Mitbegründer des Thüringer Heimatschutzes. Er sei zusammen mit Brandt aus Rudolstadt nach Bayern gegangen, habe offiziell dort studiert und nach außen nichts mehr mit dem THS zu tun gehabt. Er habe Jura studiert und habe beim THS rechtliche Schulungen gegeben. Noetzel sagt, dass Brehme bei Eisenecker ein Praktikum gemacht habe. Wießner sagt, das sei möglich, dazu wisse er aber nichts.

Constanze Oehrlich (Die Grünen) fragt, welche Informationen vor der Observation vorgelegen hätten. Wießner sagt, die Quellenmeldung sei gewesen, dass zwei vom THS zu Eisenecker in die Wohnung fahren wollen, um die Vollmacht für Beate Zschäpe zu holen. Der Auftrag sei gewesen, zu überprüfen, wer da fährt und ob sich das bestätige oder nicht. Er wisse nicht, ob alle Beteiligten in Mecklenburg-Vorpommern über diese Informationen verfügt hätten, sagt der Zeuge auf Nachfrage. Er habe nur Material übergeben, Fotos der Fahrzeuge, die Personen vom THS gehörten, „und das wars dann“.

René Domke (FDP) fragt, von welchen Personen Wießner Fotos gezeigt hätte. Wießner: „Die, von denen Brandt gesagt hat, dass sie kommen wollen: Wohlleben und Schultze.“ Er bejaht, dass er nur Fotos dieser beiden Personen gezeigt habe. Wie es dann ausgegangen sei, kenne er nur aus dem Observationsbericht. Er habe nicht im Observationswagen gesessen, sagt Wießner auf Nachfrage.

Michael Noetzel fragt nach André Kapke. Wießner sagt, Kapke sei Kameradschaftsführer in Jena gewesen, sei mit den dreien persönlich bekannt gewesen und auch mit Wohlleben, er sei eine der sogenannte Führungsfigur gewesen. Er wisse nicht, ob Kapke Kontakte nach Mecklenburg-Vorpommern gehabt habe, sagt der Zeuge auf Nachfrage. Noetzel fragt nach der Zeit nach dem Untertauchen der drei. Wießner sagt, die seien mindestens noch zwei Jahre gesucht worden, „aber innerhalb von Thüringen“. Es sei alles möglich gemacht worden, „aber alle Spuren verliefen im Sand“. Der Abgeordnete fragt, ob der Bombenfund in der Garage etwas besonderes gewesen sei. Das bejaht der Zeuge, dafür sei aber das LKA zuständig gewesen. Noetzel fragt nach weiteren Kontakten des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern, aber dazu gibt der Zeuge an, er wisse dazu nichts. Noetzel fragt, ob er wisse, ob Personen aus Mecklenburg-Vorpommern in Sachsen gewesen seien. Wießner: „Das war einschlägig bekannt, dass die dauerhaft in Sachsen waren.“ Noetzel fragt zur Rolle von Blood & Honour und der Zeuge sagt, die seien nach Aufnahme und Finanzierung gefragt worden.

Oehrlich fragt nach weiteren Zielen der Observation. Der Zeuge sagt, es sei um das Überprüfen der Quellenmeldung gegangen. Aber es wäre ja möglich gewesen, dass einer der drei dort hinkommt. „Aber der Auftrag war: überprüfen, kommt der zu dieser Uhrzeit an dem Tag.“ Oehrlich fragt, warum die Hoffnung bestanden habe, dass eine Person aus dem Trio kommt. Wießner: „Die hatten ja ständig Kontakt mit Böhnhart“, Kapke, Wohlleben und Schultze. Sie hätten nicht gewusst, ob sie noch Kontakt hätten, oder ob Wohlleben noch eine dritte Person hinzu bestelle. Auf Frage sagt Wießner, Wohlleben und Schultze seien nach der Observation identifiziert worden.

Domke fragt, ob das Thema der Vertretungsvollmacht für Beate Zschäpe mit den Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern geteilt worden sei, das verneint der Zeuge. Noetzel fragt, ob das Ziel der Observation gewesen sei, den Aufenthalt der drei zu ermitteln. Auch das verneint Wießner. Noetzel hakt nach, was passiert wäre, wenn Böhnhardt während der Observation in Goldenbow aufgetaucht wäre. Wießner sagt, das sei eine hypothetische Frage, aber dann wäre sofort die Polizei unterrichtet worden, da hätte es keine andere Möglichkeit gegeben. Noetzel fragt, ob das Observationsteam Böhnhardt erkannt hätte. Wießner: „Böhnhardt war öffentlich ausgeschrieben.“ Wießner verneint, dass die Fotos der drei Gesuchten noch einmal dem Observationsteam gezeigt wurden. Noetzel fragt, ob es Zusagen der Behörden an die Familien der Gesuchten gegeben habe. Der Zeuge sagt, es sollte mit dem Anwalt versucht werden, die drei zum „vorzeitigen Aufgeben“ zu bewegen. Daher hätten sie als Verfassungsschutz versucht, einen Anwalt zu stellen. Das sei daran gescheitert, dass die Familie wollte, dass alle Maßnahmen eingestellt werden, aber das habe man nicht machen können, „weil das geht nicht“. Dieser Anwalt wäre nicht Eisenecker gewesen, das LfV Thüringen hätte den bezahlt, so der Zeuge auf Nachfragen.

Oehrlich hakt zur Rolle von André Kapke nach. Wießner sagt, Kapke sei Spendensammler für das Kerntrio aber unzuverlässig gewesen. Es sei vermutet worden, dass er Spenden gesammelt aber nicht weitergegeben habe. Oehlrich sagt, am 4. April 1998 habe es in Rom bei Parchim ein Konzert von Blood & Honour Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gegeben und fragt, welche Rolle das gespielt habe. Wießner sagt, Konzerte seien Treff- und Anlaufpunkt gewesen, wenn Neonazis nichts politisch vorhatten, dann hätten sie ein Konzert besucht. „Auf Konzerten wurden natürlich auch Kontakte geknüpft“. Oehlrich hält dem Zeugen vor, dass Marcel Degner in seiner Funktion als V-Mann berichtet habe, dass dort Spenden gesammelt wurden für die drei. Wießner: „Sie lesen mir das vor, aber Kenntnis habe ich nicht.“ Noetzel sagt, Wießner sei ja auch der V-Mann-Führer von Marcel Degner gewesen. Der Zeuge sagt, nur in Vertretung. Noetzel fragt, ob Degner Kontakt nach Mecklenburg-Vorpommern gehabt habe. Wießner sagt, dessen Schwerpunkt seien Sachsen und Bayern gewesen. Noetzel hält ein Konzert am 27. Juni 1998 in der Nähe von Rostock vor, welches dieser mitorganisert haben soll. Der Zeuge sagt, davon wisse er nichts.