Vor 40 Jahren, am 7. Januar 1984, verübte die neonazistische „Gruppe Ludwig“ einen Brandanschlag auf den Club „Liverpool“ in der Münchner Schillerstraße. Corinna Tartarotti erlitt dabei schwere Brandverletzungen, am 27. April 1984 verstarb sie an den Folgen dieser Verletzungen.
„In der rechten bis nationalsozialistischen Ideologie galten und gelten Männer als Elite der Gesellschaft, männerbündische Strukturen und exklusive Männerfreundschaften, wie auch [die Täter]Abel und Furlan sie lebten, als Ideal einer Gemeinschaft, die zu etwas Höherem berufen sei. Diese höheren Ziele seien durch profane, lebensweltliche Dinge und die Moderne bedroht: Sexualität, freizügige Körperlichkeit und Dekadenz würden den Geist korrumpieren. Moralischer Verfall und Unreinheit hätten die Welt ergriffen und müssten nicht nur abstrakt bekämpft, sondern vernichtet werden. Dabei sind die Bedrohungen nicht nur ideell, sondern in anderen Menschen verkörpert: Die ‚Untermenschen‘ und sogenannten Asoziale werden nicht nur aus der ‚Volksgemeinschaft‘ hinausdefiniert, sondern auch als Gefahr für die angebliche natürliche Ordnung und das Streben der Mehrheit angesehen. Durch ihre Ermordung lasse sich die Gesellschaft reinigen und man sende gleichzeitig ein disziplinierendes Signal an die (Noch-)Nicht-Ausgeschlossenen, man erteilt ihnen eine Lehre.“
Eike Sanders sprach dazu auch in unserem Podcast NSU-Watch: Aufklären & Einmischen #60 – Die Geschichte des rechten Terrors: Die „Gruppe Ludwig“.
In München war der Anschlag auf das „Liverpool“ lange kein Thema. Dies hat sich in den letzten Jahren aufgrund feministischer und antifaschistischer Intervention geändert. Seit 2019 organisiert die Antisexistische Aktion München (asam) jedes Jahr eine Gedenkkundgebung im Bahnhofsviertel. Zum 40. Jahrestag hat die Stadt München die Organisation des Gedenkens übernommen.
Robert Andreasch und Lina Dahm schreiben in einem Artikel für a.i.d.a.: „Dass bis heute so wenig über die Opfer der ‚Gruppe Ludwig‘ bekannt ist, liegt mit Sicherheit auch daran, dass es sich bei bei den von ihnen Ermordeten um Menschen handelte, die in der Gesellschaft bis heute keine Lobby haben. Es waren Sexarbeiter_innen, Drogennutzer_innen, Sinti und Roma oder wohnungslose Menschen, die bis heute ausgrenzt und diskriminiert werden. (…) An einem sonnigen Februartag 2021 machten wir uns auf Spurensuche und wollten den Ort des eigentlich längst aufgelösten Grabes auf dem Friedhof Sendling dokumentieren. Wider Erwarten entdeckten wir unter dem tiefen Schnee jedoch die noch vorhandene Grabplatte – ein sehr berührender Moment.“
a.i.d.a e.V. hat im Dezember 2021 Corinna Tartarottis Grabstelle übernommen und deren Erhalt bis mindestens zum Jahr 2032 gesichert. In diesem Zusammenhang gelang es erstmals auch, Kontakt zu der Familie von Corinna Tartarotti aufzunehmen. Eine Schulkameradin erinnerte sich an Corinna und konnte ein Foto zur Verfügung stellen. Seit Ende 2021 gibt es also ein Gesicht zum Namen.
Die Geschichte des rechten Terrors ist noch nicht vollständig geschrieben, es fehlen uns immer noch viele Teile des Bildes. Und es gibt noch viel zu tun. Das zeigen die späte Aufarbeitung der Anschläge der „Gruppe Ludwig“ und das Gedenken an Corinna Tartarotti. Sie zeigen auch, dass Erinnern und aktives Gedenken an Opfer rechten Terrors kein Selbstzweck sind. Es geht darum, die Opfer dem Vergessen zu entreißen. Und es geht darum, Kontinuität und Aktualität rechten Terrors und des dahinter stehenden Denkens aufzuzeigen. Bei einer Veranstaltung in München im Dezember 2021 stellte Eike Sanders fest: „Die Aufarbeitung der Geschichte der ‚Gruppe Ludwig‘ ist ein Anlass, der vergessenen Toten zu gedenken und es ist auch ein Aufruf hinter die Taten und ihre politische Einbettung zu schauen und sich zu fragen, warum oder ob sie wirklich aus dem Bild fielen.“
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Spendenaktion von a.i.d.a. e.V. zum Erhalt der Grabstelle von Corinna Tartarotti:
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