Der Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex im Berliner Abgeordnetenausschuss hat in den vergangenen Monaten diverse Polizeibeamt*innen als Zeug*innen vernommen – vom örtlichen Schutzpolizisten über alle Hierarchiestufen hinweg bis zur Polizeipräsidentin. Die im Ausschuss gehörten Beamt*innen zeigten sich selbst weitgehend zufrieden mit ihrer Arbeit. Der Erkenntnisgewinn blieb insgesamt eher gering, dennoch gab es Überraschungen.
In diesem Artikel gehen wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – auf einige auffällige oder wiederkehrende Punkte in den Aussagen von Polizeibeamt*innen ein.
Inhalt
Untersuchungsgegenstand
Zeug*innen aus dem LKA
Serie oder nicht?
Zu viel „Einmischung“
Durchgesteckte Informationen?
NW-Berlin
Verfassungsschutz
Vertrauensperson?
EG Rex, OG Rex, RApRex
Stefan K.
Umgang mit Betroffenen
Merkwürdigkeiten
Arbeit des Ausschusses
Und die AfD?
Ausblick
Untersuchungsgegenstand
Der Neukölln-Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus soll unter anderem die Arbeit von Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz angesichts einer jahrelangen neonazistischen Straftatenserie – vor allem im Süden des Berliner Bezirks Neukölln, teilweise aber auch in Nordneukölln und anderen Bezirken – untersuchen. Im Kern handelt es sich um eine militante Anti-Antifa-Kampagne einer relativ kleinen, gut vernetzten Neonaziszene. Obwohl die mutmaßlichen Täter lange bekannt sind, waren die Behörden anscheinend nicht in der Lage, sie zu überführen. In Bezug auf den Neukölln-Komplex insgesamt steht die Frage im Raum, ob die fehlenden Ermittlungserfolge strukturelle Gründe in den Behörden haben oder auch an einer Form politischer Deckung der Taten durch Mitarbeitende liegen. Zum Neukölln-Komplex gehören auch der unaufgeklärte Mord an Burak Bektaş am 5. April 2012 und der rechte Mord an Luke Holland am 20. September 2015. Insbesondere geht es hier um die Frage, warum die Behörden auch nach mehr als zwölf Jahren keine Ermittlungserfolge bei dem wahrscheinlich rassistisch motivierten Mord an Burak Bektaş vorzuweisen haben.
Zeug*innen aus dem LKA
Seit seiner Neukonstituierung aufgrund der Wahlwiederholung 2023 beschäftigte sich der Ausschuss mit der Arbeit der Berliner Polizei im Zusammenhang mit der Straftatenserie. Vorher hatten Betroffene und Sachverständige ausgesagt. Seit Juni 2023 wurden in 14 Sitzungen 26 Zeug*innen aus der Berliner Polizei gehört. Die meisten gehörten dem Polizeilichen Staatsschutz im Landeskriminalamt (LKA) an. Zu der Straftatenserie, die der Ausschuss untersucht, wurden im LKA mehrfach andere Organisationseinheiten installiert, die mehr oder weniger außerhalb der eigentlichen Strukturen standen. Zunächst gab es 2015 die Ermittlungsgruppe (EG) Südost, ab 2017 die EG Resin und ab 2019 die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Fokus.
Die im Ausschuss gehörten Beamt*innen aus dem Staatsschutz zeigten sich selbst weitgehend zufrieden mit ihrer Arbeit und verorteten die Verantwortung für ausbleibende Erfolge meist an anderer Stelle. Der Sachbearbeiter im Staatsschutz Lars M., der sich von 2012 bis 2016 auch mit der Tatserie befasste, befand gar: „Also wir waren alle toll.“ Auffällig war, dass sich vor allem einige Beamte aus dem Höheren Dienst auf Erinnerungslücken beriefen. Verwiesen wurde dann gerne darauf, dass es nun mal nicht Aufgabe von Führungskräften sei, in den Details von Ermittlungen bewandert zu sein. Überhaupt bietet die Komplexität der Organisation Polizei einzelnen Beamt*innen auch hier die Möglichkeit, sich auf die vorgesehene Arbeitsteilung zu berufen und die Verantwortung zu verschieben. Insgesamt zeichneten die Aussagen das Bild einer Art Verantwortungsdiffusion.
Serie oder nicht?
Eine wesentliche Frage in Bezug auf die Straftatenserie in Neukölln ist, ob diese bei der Polizei auch als Serie erkannt wurde. Der Untersuchungsauftrag des Ausschusses umfasst den Zeitraum von 2009 bis 2021. Bei der Polizei wurden jedoch deutlich kürzere Zeiträume angelegt. Insgesamt blieben die Fälle aus den Jahren 2009 bis 2012 in der Polizeiarbeit unterbelichtet. In ihrem Gutachten (Bericht zur 8. Sitzung) zählt die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR) für diesen Zeitraum mehr als 80 „rechtsextreme Angriffe mit Bezug zu Neukölln und dem ‚NW-Berlin‘-Netzwerk“ [NW-Berlin = „Nationaler Widerstand Berlin“] auf.
Der Tenor der Aussagen von LKA-Beamt*innen im Ausschuss war, dass sie diese rechten Taten bereits früh als Serie erkannt und konsequent in diese Richtung ermittelt hätten. Bei der Staatsanwaltschaft sei man der Einschätzung, dass es sich um eine Serie handelt, jedoch nicht oder nicht ausreichend gefolgt. Dort seien zusammenhängende Taten teilweise wieder auseinandergerissen worden. Diese Einschätzung ist auch deshalb relevant, weil der damalige Leiter der für Staatsschutz zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft in Verdacht steht, parteiisch zu sein. Hintergrund ist ein Telegram-Chat des Tatverdächtigen Tilo P. mit einem Neuköllner AfD-Mitglied. P. hatte diesem nach einer Zeugenvernehmung in einer anderen Sache geschrieben, der ihn vernehmende Oberstaatsanwalt habe angedeutet, auf ihrer Seite zu sein. Zeuge Michael E., Leiter der EG Resin bis 2019, sagte auf Frage zu dem betreffenden Oberstaatsanwalt: „Salopp fiel auch mal zwischen uns: ‚Was ist denn mit dem nicht in Ordnung? Ist das ein AfD-Typ oder was? Warum kriege ich die Beschlüsse nicht, da stimmt doch was nicht?‘“ Als später die Generalstaatsanwaltschaft übernahm, lief die Zusammenarbeit der beiden Behörden anscheinend besser. Dem Bereich der Staatsanwaltschaft wird sich der Ausschuss separat widmen.
Zu viel „Einmischung“
Als weitere Begründung für ausbleibende Ermittlungserfolge nannten die als Zeug*innen gehörten Beamt*innen strukturelle Änderungen. Hier wurde etwa auf die Folgen der Aufarbeitung des NSU-Komplexes verwiesen. Im Bereich PMK Rechts [PMK = Politisch Motivierte Kriminalität] im LKA wurde ab 2013 innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums die Hälfte des Personals ausgetauscht, um „frisches Blut“ (LKA-Chef Christian Steiof) hineinzubringen. Steiof gab in seiner Aussage vor dem Ausschuss an, dass er eine „Aktion wie 2013“ nicht noch einmal machen würde. Der bloße Austausch eines bestimmten Anteils von Personal lässt sich aus den Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages von 2013 ohnehin nur schwer ableiten. Außerdem kritisierten mehrere Polizeibeamte Anfragen aus dem parlamentarischen und medialen Raum. Lars M. etwa sprach davon, dass manche Ermittlung erfolgversprechender gewesen wäre, wenn es keine „Einmischung“ der Politik gegeben hätte. Obwohl die Zeug*innen derartige Äußerungen mit dem Disclaimer versahen, dass Anfragen die legitime Aufgabe des Parlamentes oder der Presse seien, wurde deutlich, dass sie lieber nicht von zu viel Öffentlichkeit und parlamentarischer Kontrolle gestört werden möchten.
Durchgesteckte Informationen?
Die EG Resin wollte, so berichtete Zeuge Michael E., die Täter auf frischer Tat bei der Begehung einer Straftat erwischen. Diese operativen Einsätzen hätten aber nicht zum Ergebnis geführt, es habe nie eine Brandstiftung in der Zeit ihres Einsatzes gegeben. E.: „Warum ist das so? Warum ist dieser Mensch nie unterwegs, wenn wir da sind? Dann zählt man 1 und 1 zusammen und kommt zu einem Schluss und geht noch sensibler mit Planung und Umsetzung um.“ Aber selbst dann, so E., habe es nicht funktioniert. Das sei erstaunlich angesichts der vielen Einsätze. Auf Nachfrage sagte E.: „Ich hatte die Befürchtung, dass meine Einsätze durchgesteckt werden, dass sie an die Ohren von Personen kommen, die sie nicht hören sollen. Deswegen waren wir dann auch extrem sensibel mit dem Personenkreis, den wir informieren.“ Irgendwann hätten sie die Polizeiabschnitte im Einsatzgebiet oder in der Nähe des Einsatzgebietes nicht mehr informiert. E.: „Wir haben teilweise Einsätze auch nur mit Staatsschutzbeamten gemacht, ohne irgendwelche anderen Kräfte.“ Konkret formulierte E. einen Verdacht in Richtung eines Neonazis, der familiäre Kontakte in die Polizei habe. Diese Personen hätten allerdings in Polizeidatenbanken niemanden abgefragt, der auch nur ansatzweise in den Themenkomplex passte, und es habe daher keine weiteren Maßnahmen gegen sie gegeben.
NW-Berlin
NW-Berlin war über mehrere Jahre hinweg das zentrale Netzwerk Berliner Neonazis. Zum Verständnis der Serie rechter Angriffe, die der Ausschuss untersucht, ist ein Blick auf NW-Berlin unerlässlich. Vielen Polizeibeamt*innen galt NW-Berlin vor allem als Webseite, tatsächlich handelte es sich aber um ein berlinweites Netzwerk militanter Neonazis, zu dem auch die Neuköllner Szene gehörte. Auf der Webseite „NW-Berlin“ wurden Feindeslisten veröffentlicht. Die darin aufgeführten Adressen deckten sich oft mit den Angriffszielen der Neuköllner Serie. Nicht umsonst fanden sich bei Neonazi-Schmierereien immer wieder auch Hinweise auf die Webseite. In ihrem Gutachten stellt die MBR „die Frage, ob die Serie rechtsextremer Angriffe seit Mai 2016 bei konsequenterem Vorgehen gegen die Personen, die bei ‚NW-Berlin‘ aktiv waren, frühzeitiger hätte beendet werden können – oder gar nicht erst möglich gewesen wäre“. BAO-Fokus-Chef Andreas Majewski, der sich bei seiner Aussage vor dem Ausschuss – zumindest in Bezug auf die Arbeit der Polizei vor der Einsetzung der BAO – erstaunlich selbstkritisch zeigte, gab an, er sei auf NW-Berlin erst „von Frau Helm gestoßen worden“. (Bericht zur 14. Sitzung) Gemeint ist Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linken im Abgeordnetenhaus. Dass dieses Wissen nicht zu einem Staatsschutzbeamten wie Majewski durchdringt, ist ein Armutszeugnis für die Polizei.
Verfassungsschutz
Dem Berliner Verfassungsschutz warfen Zeug*innen aus der Polizei vor, der Informationsfluss zwischen den beiden Behörden sei meist eine „Einbahnstraße“ in Richtung des Inlandsgeheimdienstes gewesen. Vor allem im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den heutigen Linken-Abgeordneten Ferat Koçak 2018 habe der Verfassungsschutz Erkenntnisse aus einer Telekommunikationsüberwachung nicht angemessen mit dem LKA geteilt. Ein entsprechendes Behördenzeugnis des Geheimdienstes sei für die Polizei nicht nutzbar gewesen. Bei dem Anschlag drohten die Flammen des brennenden Fahrzeugs auf das Wohnhaus der Familie Koçak überzugreifen, in dem zum Tatzeitpunkt mehrere Personen schliefen. In einer Pressekonferenz am vorläufig letzten Tag der Vernehmungen von Personen aus der Polizei sagte Linken-Abgeordneter Niklas Schrader, der Verweis auf angeblich nicht nutzbare Behördenzeugnisse des Verfassungsschutzes mache für ihn den Eindruck, als versuche sich die Polizei damit auch zu entlasten.
Ein weiteres Thema, wenn es um die Rolle des Verfassungsschutzes geht, ist das vermeintliche Zusammentreffen des Neonazis Sebastian Thom mit einem LKA-Beamten in der Kneipe „Ostburger Eck“ in Rudow. Dieses Zusammentreffen wollte der Geheimdienst an einem Abend im März 2018 beobachtet haben. Laut späteren Ermittlungen der BAO Fokus handelte es sich jedoch um eine Verwechslung. Zwar sei der Beamte mit zwei Freunden zur gleichen Zeit in der Kneipe gewesen wie Thom und andere Neonazis, ein Gespräch zwischen den beiden Gruppen habe es aber nicht gegeben. Auch Zeuge Michael E. hält das Zusammentreffen für eine Verwechslung: einer der Freunde des Beamten sehe aus wie Thom, sei nur kleiner. Warum der Geheimdienst die Kneipe an diesem Abend überhaupt observierte, war lange nicht klar. Aus einem Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes gehe jedoch, so etwa der Abgeordnete Schrader, hervor, dass es bei der Observation um den Neonazi Samuel B. ging. Dieser Samuel B., so der Zeuge E., sei eine obskure Person, die aus dem Nichts aufgetaucht sei. E. weiter: „Ich habe zu diesem Herrn eine ganz eigene Einschätzung, die ich hier nicht öffentlich sagen werde.“ Unklar bleibt auch, warum die Presse von dieser Beobachtung überhaupt erfahren hat und ob dies vielleicht auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Behörden zurückgeht.
Vertrauensperson?
Eine wichtige Frage ist, ob es in der Neuköllner Neonazi-Szene eine Vertrauensperson (VP) der Polizei oder eines Geheimdienstes gab. Für die Polizei verneinten Zeug*innen aus dem LKA diese Frage. Auf die Frage nach einer VP im Neukölln-Komplex sagte der Zeuge Lars M. in der 26. Sitzung jedoch: „Es muss was gegeben haben. Reicht Ihnen das?“ Weiter wollte sich der Zeuge zu dem Thema nicht öffentlich äußern. Er gab lediglich an, dass ihm im Oktober 2012 diese Erkenntnis gekommen sei.
EG Rex, OG Rex, RApRex
Kriminalpolizeiliche Ermittlungen werden in Berlin im Wesentlichen vom LKA geführt, in den polizeilichen Direktionen und Abschnitten vor Ort sind vor allem Schutzpolizist*innen tätig. Dennoch wurden im Ausschuss auch Beamt*innen aus dem für Südneukölln zuständigen Polizeiabschnitt 56 (heute 48) gehört. Im Abschnitt war nämlich ab 2009 über Jahre eine Polizeieinheit zum Thema Rechtsextremismus tätig. Diese hieß zunächst EG Rex, obwohl sie keine Ermittlungsgruppe war, wofür EG üblicherweise steht. Im Jahr 2016 wurde die EG Rex zunächst aufgelöst und eine „Regionale Ansprechpartnerin Rechtsextremismus“ bei der Polizeidirektion installiert. Bereits im Jahr 2017 wurde die EG Rex jedoch wieder eingesetzt, diesmal unter dem Namen OG Rex. „OG“ steht dabei für „Operative Gruppe“. Die Aufgabe der EG/OG Rex war laut Selbstdarstellung der Zeugen zunächst vor allem, an Treffpunkten der rechten Szene in Neukölln Präsenz zu zeigen und Szeneangehörige namhaft zu machen. Später habe die Arbeit weitgehend in der Kommunikation mit Betroffenen rechter Straftaten und zivilgesellschaftlichen Initiativen bestanden. Der Leiter der Dienstgruppe, an die die EG Rex angegliedert war, Ricco F., beschrieb bei seiner Aussage die Aufgabe der EG Rex so, dass es um das „Straßenbild“ in Rudow gegangen sei. Die Einheit war anfangs personell gut ausgestattet, verfügte aber im Laufe der Zeit über immer weniger Personal, bestand zuletzt nur noch aus zwei Beamten. Laut dem Zeugen Norbert M. hatte die EG Rex für den Bereich Rudow/Buckow 120 Personen aus der rechten Szene namhaft gemacht. M. sagte weiter aus: „Das ist im Lauf der Jahre immer weniger geworden, auch durch unseren Überwachungsdruck.“
Wahrscheinlich wurde die Neonazi-Szene in Südneukölln aber nicht einfach kleiner, sondern vor allem weniger sichtbar. Schwerpunkt der polizeilichen Repression war der Platz Rudower Spinne. Hier hatten sich über lange Zeit hinweg Neonazis getroffen, vor allem am mittlerweile nicht mehr existierenden Imbiss „Ketchup“. Die Rudower Spinne war für Personen, die nicht ins Weltbild der Neonazis passen, ein Ort mit Gefahrenpotenzial. Überhaupt war die Neuköllner Neonazi-Szene auch schon vor dem Untersuchungszeitraum des Ausschusses für Gewalt bekannt. Im Jahr 2003 etwa beim Volksfest „Britzer Baumblüte“. In einer Ausgabe der Antifa-Broschüre „fight back“ aus 2006 heißt es: „Es sind Berichte wie der vom 4. April 2003, als eine Neonazihorde im Westberliner Stadtteil Britz auf einem Baumblütenfest mit Baseballschlägern und Flaschen drei Nichtdeutsche attackierte, anschließend über zwanzig Neonazis in der U-Bahn rassistische Lieder der Band Landser sangen, Nichtdeutsche aus der U-Bahn heraus mit Flaschen bewarfen und schließlich am Bahnhof Rudow sechs Menschen mit Migrationshintergrund angriffen und noch auf die am Boden liegenden eintraten.“ Damals mit dabei: Tilo P., einer der Angeklagten im 2023 beendeten Prozess zum Neukölln-Komplex.
Die Treffen in der Öffentlichkeit wurden seltener – ob das an der Präsenz der EG Rex lag, kann dahingestellt bleiben. Die Szene suchte jedenfalls Ausweichorte, plante gar die Einrichtung eines „Nationalen Jugendzentrums“. Zeuge Norbert M. nimmt für die EG Rex in Anspruch, diese habe „durch mühselige Aufklärungsarbeit“ einen neuen Treffpunkt der Szene in einem ehemaligen Bunker ausfindig gemacht. Andere Dienststellen hätten sich, so M., dann darauf gestürzt und der Raum sei vom Vermieter gekündigt worden. Auch bei einem weiteren Treffpunkt nahe der Landesgrenze zu Brandenburg wurde den Nazis der Raum gekündigt.
Die Rechtfertigung für die Einstellung der EG Rex war für den Leiter der Polizeidirektion 56, Michael Krömer, vor allem der Rückgang von Straftaten. Dieser Rückgang fiel jedoch mit einer Haftstrafe von Sebastian Thom zusammen. Nach Thoms Haftentlassung im Mai 2016 stieg auch die Zahl an Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und Propagandadelikten wieder an. Auf die Idee, dass es hier einen Zusammenhang geben könnte, kam man bei der Polizei aber anscheinend nicht.
Die Neuköllner Neonazi-Szene zeichnet sich durch einen starken, über Jahre, beinahe Jahrzehnte kontinuierlichen Fokus auf „Anti-Antifa“ aus. In ihrem Kern besteht sie aus einem relativ kleinen, weitgehend gleichbleibenden und über den Bezirk hinaus vernetzten Personenkreis mit Sebastian Thom als einer zentralen Figur. Gerechtfertigt wurde die nachlassende Polizeiarbeit in Südneukölln von den Polizeizeug*innen immer wieder damit, dass Polizeiarbeit eben oft so funktioniere, dass man auf Zahlen schaue. Zudem, so die einhellige Meinung, gebe es bei der Polizei nun einmal begrenzte Ressourcen und man müsse Schwerpunkte setzen.
Die zwischen 2016 und 2017 statt der EG Rex eingesetzte „Regionale Ansprechpartnerin Rechtsextremismus“, kurz „RApRex“, sollte sich nach Darstellung von Krömer unter anderem um die Fortbildung von Streifenbeamt*innen zum Thema Rechtsextremismus kümmern. Nach Darstellung der ehemaligen „RApRex“, Antje M., selbst fanden solche Fortbildungen aber gar nicht statt. Zu Kontakten mit Betroffenen kam es nur in einem Fall. M. hatte außerdem noch eine Aufgabe in einem anderen Themenbereich, auf die sie sich laut ihrer Aussage am Ende auch konzentrierte. Aufgeklärt wurde der offene Widerspruch zwischen den beiden Zeug*innen nicht. Es macht den Anschein, als habe man mit der „RApRex“ vor allem nach außen hin demonstrieren wollen, dass man weiter am Thema bleibt, ohne wirklich personelle Ressourcen dafür zur Verfügung stellen zu müssen. Die Wiedereinsetzung der EG Rex als OG Rex fand, so die Darstellung Krömers, dann deshalb statt, weil Betroffene und Initiativen Druck gemacht hatten. Er habe bei der Einstellung der EG Rex die Wirkung auf die Betroffenen unterschätzt, so Krömer.
Stefan K.: Beamter der EG Rex und rassistischer Gewalttäter
Bisher nicht gehört wurde Stefan K., der bis 2016 in der EG Rex tätig war. K. war zweimal geladen, ließ sich aber wegen Krankheit entschuldigen. Er war im Jahr 2018 außerhalb des Dienstes an einer rassistischen Attacke am S-Bahnhof Karlshorst beteiligt. Seit 2023 ist er rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das bei der Berliner Polizei gegen ihn laufende Disziplinarverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Das Opfer der Attacke, der Geflüchtete Jamil Ahmadi, wurde, obwohl er im Prozess Nebenkläger war, nach zwei Verhandlungstagen im März 2020 nach Afghanistan abgeschoben. (Eine Petition fordert seine Rückkehr und ein generelles Bleiberecht für alle Betroffenen rassistischer Gewalt; externer Link) Die Tatsache, dass ein Beamter der EG Rex, mit dem sie regelmäßig zu tun hatten, an einer rassistischen Gewalttat beteiligt war, hat bei vielen Betroffenen der rechten Tatserie in Neukölln zu dem massiven Vertrauensverlust in die Polizei beigetragen. Vermutlich wird Stefan K. versuchen seine Aussage im Untersuchungsausschuss hinauszuzögern, bis die Beweiserhebung endet.
Umgang mit Betroffenen
Den Darstellungen von Polizist*innen stehen teilweise die Aussagen von Betroffenen und Sachverständigen entgegen. Diese hatten etwa von nicht sachgemäßer Spurensicherung nach Anschlägen berichtet. Den Hinweisen auf den Täterkreis durch Betroffene und Antifaschist*innen sei die Polizei nicht ausreichend nachgegangen. Betroffene fühlten sich von der Polizei nicht ausreichend informiert. Offensichtliche und bereits bekannte Versäumnisse räumten einige Polizei-Zeug*innen im Ausschuss durchaus ein. Genervt zeigten sich Zeug*innen wie der Staatsschutzbeamte Lars M. davon, dass man es im Neukölln-Komplex mit Betroffenen zu tun hatte, die offensiv und öffentlich Aufklärung und Konsequenzen einfordern. Die Frage eines CDU-Abgeordneten, ob M. sagen würde, dass die Presse durch Betroffene „aufgehetzt“ worden sei, bejahte M. Im Weiteren nannte M. ein Beispiel dafür, wie angeblich „Ermittlungsarbeit negiert“ werde, das allerdings mit dem Neukölln-Komplex gar nichts zu tun hat.
Merkwürdigkeiten
Abseits des Ausschusses tauchten weitere Merkwürdigkeiten rund um den Neukölln-Komplex auf. So wurde beim OG-Rex-Beamten Norbert M. zwei Tage vor dessen Aussage im Ausschuss eine Durchsuchung durchgeführt. Hintergrund ist ein Verfahren wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats. Pressemeldungen zufolge geht es dabei um die mutmaßliche Weitergabe polizeilicher Daten an Dritte. M. soll versucht haben auf eigene Faust eine V-Person anzuwerben, um die rechte Szene zu durchleuchten. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren wurde auch bei Stefan K. eine Durchsuchung durchgeführt, jedoch nicht als Beschuldigter, sondern nur als Zeuge. In K.s Spind fanden, wie die B.Z. berichtete, Ermittler*innen die Schlüssel zu einem „privaten Waffenschließfach“. Norbert M. sagte trotz dieses Ermittlungsverfahrens recht umfänglich aus. Sein Rechtsbeistand hatte ihm und dem Ausschuss zuvor mitgeteilt, dass M. die Aussage eigentlich verweigern könne.
Gegen einen Sachbearbeiter im Berliner Staatsschutz und dessen früheren Kommissariatsleiter wiederum wird aktuell ermittelt, weil der Beamte fast 400 Vorgänge zu rechten Taten liegengelassen hatte und sein Chef nicht reagierte. Der Beamte war im Kommissariat 533 tätig, das innerhalb des Dezernates zur PMK Rechts unter anderem für sogenannte Massendelikte wie etwa Volksverhetzung zuständig ist. Die liegengebliebenen Vorgänge waren laut Polizei im Rahmen des Wechsels der Kommissariatsleitung aufgefallen. Mit dem Neukölln-Komplex hat der Sachverhalt mittelbar zu tun, weil der fragliche Kommissariatsleiter zuvor in einer Mordkommission an wichtiger Stelle mit den Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş befasst gewesen war. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte öffentlich zunächst aber behauptet, es gebe überhaupt keinen Zusammenhang.
Diese Ereignisse fügen sich ein in eine ganze Kette von Merkwürdigkeiten ein, die in der Summe ein desaströses Bild der Polizeiarbeit in Berlin zeichnen. Und sie passen zu der Verwirrung, die der Neukölln-Komplex auch bei kritischen Beobachter*innen immer wieder hervorruft.
Arbeit des Ausschusses
Seit der Neukonstituierung – just zu Beginn der Vernehmungen von Beamt*innen also – hat sich im Ausschuss die Praxis durchgesetzt, Nachnamen bei den Befragungen auch mündlich abzukürzen, wenn die gemeinten Personen nicht ohnehin einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Die Zeug*innen sind sogar gehalten, ihre eigenen Namen während ihrer Aussagen abzukürzen. Das driftet bisweilen ins Absurde ab, etwa wenn Zeug*innen aus Versehen ihren eigenen Nachnamen nennen und sich dann korrigieren: „Entschuldigung! Herr M.“ Die volle Nennung von Namen wird auch mal in den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung geschoben, selbst wenn es sich gar nicht um eine eingestufte Information handelt. Vor dem Hintergrund, dass die Beweiserhebung grundsätzlich erst einmal öffentlich ist, eine fragwürdige Praxis. Diese Praxis mag ein zwar nerviges, aber eher unwichtiges Detail sein. Sie fügt sich aber in das Bild ein, dass der Ausschuss nicht mit dem für ein parlamentarisches Aufklärungsgremium nötigen Selbstbewusstsein auftritt. Es fehlt dem Ausschuss offenbar an Geschlossenheit und an Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Exekutive. Diese Einschätzung wird zum Beispiel auch dadurch gestützt, dass die Abgeordneten sehr lange auf Aktenzugang warten mussten und dieser anscheinend bis heute nicht vollständig gewährt wurde. Gegenüber den Zeug*innen aus dem Polizeiapparat traten die Ausschussmitglieder oft eher nachsichtig auf. Auch die Durchsuchung unmittelbar vor der Aussage eines Zeugen passt in dieses Bild.
Politisch scheint die Ausschussmehrheit in Form der CDU-SPD-Koalition auf eine weitgehende Reinwaschung der Berliner Polizei aus zu sein – zumindest wenn man die Äußerungen der CDU betrachtet. Bei der bereits erwähnten Pressekonferenz meinte der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß gar, man habe im Ausschuss „eine Menge engagierter Polizeikräfte im Kampf gegen Rechtsradikale“ erlebt. Immer wieder fragte die CDU danach, ob es mehr Personal bräuchte. Dies wurde allerdings meist so beantwortet, dass man bei der Polizei zwar immer mehr Personal brauchen könne, aber ausbleibende Ermittlungserfolge nicht an Personalmangel gelegen hätten. Die Befragung von Polizeibeamt*innen hat der Ausschuss offiziell nur „vorerst“ abgeschlossen, ob die Beweiserhebung zum Polizeihandeln wirklich noch intensiv fortgeführt wird, ist aber fraglich. Wenn es tatsächlich dabei bleiben sollte, wäre das bisher Geleistete zu wenig. Es braucht mehr Aufklärung, schon im Hinblick auf den selbst von Polizist*innen für wahrscheinlich gehaltenen Informationsabfluss aus dem Polizeiapparat.
Geht es nach der CDU soll der Ausschuss aber bereits Ende des Jahres in eine Phase eintreten, in der man nur noch wenige Termine der Beweisaufnahme hat, wie Standfuß erklärte. Dem widersprachen vor allem die Abgeordneten von Grünen und Linken. Seitens der beiden Oppositionsfraktionen hofft man, im Ausschuss noch mehr aufklären zu können.
Und die AfD?
Die AfD spielt im Ausschuss bisher kaum eine Rolle. Der ursprünglich von der AfD-Fraktion für den neukonstituierten Ausschuss vorgeschlagene Abgeordnete Robert Eschricht wurde vom Plenum des Abgeordnetenhauses nicht gewählt. Gewählt wurde für die AfD zunächst lediglich ein stellvertretendes Ausschussmitglied, nämlich Antonín Brousek. Brousek war schon bei der ersten Auflage Mitglied im Ausschuss. Im August 2023 wurde dann bekannt, dass Brousek seinen Austritt aus der Partei erklärt hat. In der Folge blieb der Platz der AfD im Ausschuss zunächst vakant. Schließlich wurde Karsten Woldeit für die AfD in den Ausschuss gewählt, tauchte aber nur selten wirklich im Ausschuss auf. Die weitgehende Abwesenheit von Woldeit zeigt, dass der Neukölln-Ausschuss für die AfD nicht einmal mehr als Propagandainstrument besonders wichtig ist.
Ausblick
Als nächstes wird sich der Ausschuss mit den Ermittlungen zu den Morden an Burak Bektaş und Luke Holland beschäftigen, danach wird es voraussichtlich um die Rolle der Staatsanwaltschaft im Neukölln-Komplex gehen.
In diesem Text konnten wir nur knapp auf einige Punkte eingehen. Die ausführlicheren Berichte zu einzelnen Sitzungen mit Aussagen von Polizeiangehörigen werden sukzessive auf nsu-watch.info veröffentlicht.
Text: Sebastian Schneider
Redaktion: Caro Keller, Ulli Jentsch