Der 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern hat sich am 15. April dem Nordkreuz-Komplex zugewandt. Um sich einen Überblick zu verschaffen, lud der Ausschuss zunächst zwei Sachverständige: den Journalisten Dirk Laabs und den Wissenschaftler Prof. Dr. Matthias Quent. Die Sachverständigen verdeutlichten, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand eigentlich um ein bundesweites Netzwerk handelt, das von Behörden und Justiz nicht angemessen aufgedeckt und aufgearbeitet wurde. Im Nordkreuz-Komplex finden sich bekannte ideologische Versatzstücke der extremen Rechten und des rechten Terrors, er gehört also zur Kontinuität rechten Terrors in Deutschland.
Dirk Laabs rief in Erinnerung, dass man nach der Festnahme des Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht 2017 auf ein „ganzes Wespennest“ gestoßen sei. [Dokumentation der Beobachtung des Prozesses gegen Franco Albrecht durch NSU-Watch Hessen] Denn schnell zeigte sich, dass der rechte Soldat, der plante, mit der falschen Identität eines syrischen Geflüchteten einen Anschlag zu begehen, Teil einer Chatgruppe namens „Südkreuz“ war. Diese verwies wiederum über ihren Organisator André Schmitt alias „Hannibal“ auf weitere Chatgruppen, darunter „Nordkreuz“.
„Nordkreuz“ ist diejenige Chatgruppe aus diesem Geflecht, über die bisher am meisten bekannt ist. Deutlich wurde bei der Auswertung, dass sich hier unter anderem (ehemalige) Soldate*innen, Polizist*innen und Anwält*innen– zum Teil mit guten Kontakten zur AfD oder selbst Mitglied der Partei – sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten. Ob dieser „Tag X“ an einem Ereignis festgemacht oder gewaltsam herbeigeführt werden sollte, ist nicht ganz klar. Aber an diesem Tag sollten vermutlich die auf Listen vermerkten politischen Feind*innen abgeholt, in zuvor festgelegte „Safe Houses“ gebracht und dort mit den zuvor gehorteten Waffen exekutiert werden. Geplant war war also anscheinend ein gewaltsamer rechter Umsturz.
Kurz nach den Durchsuchungen bei Nordkreuz-Mitgliedern inszenierten sich diese medial als „besorgte Prepper“, die sich mit Konserven auf Stromausfälle und Naturkatastrophen vorbereiten. Dieses Narrativ wurde in Mecklenburg-Vorpommern medial, behördlich und parlamentarisch zumindest teilweise übernommen. Eine fatale Verharmlosung mit Langzeitfolgen.
Was sich ideologisch im Nordkreuz-Komplex abspielt, stellte Prof. Dr. Matthias Quent klar. Wichtig seien nicht nur Bezüge zum Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus, tragend sei auch die Vorstellung, dass sich die Gesellschaft im Niedergang befinde. Um diesen zu verhindern, sei ein großer Gewaltschlag und ein darauffolgender Neuaufbau notwendig. Es handele sich um Strukturen, die sich selbst unter Handlungsdruck sehen.
Trotz der engen Zusammenhänge trennte die Bundesanwaltschaft, so betonte es Laabs vor dem Untersuchungsausschuss, die Themenkomplexe Franco Albrecht, Hannibal und Nordkreuz voneinander und gab Teile des zuletzt genannten Verfahrens an die Ermittlungsbehörden Mecklenburg-Vorpommern ab. Übrig blieben Ermittlungen gegen zwei Nordkreuz-Mitglieder wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat unter Federführung der Bundesanwaltschaft, die längst eingestellt sind, und ein Verfahren der Schweriner Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen das Waffen- Kriegswaffen- und Sprengstoffgesetz gegen den Administrator der Chatgruppe Marco Groß. Dieses endete vor dem Landgericht Schwerin mit einem Urteil auf Bewährung gegen den ehemaligen Elitepolizisten. [Dokumentation der Prozessbeobachtung]
Obwohl die mecklenburg-vorpommerschen Behörden immer wieder versuchten, die Bundesbehörden zu einer Gesamtübernahme zu überreden, blieb es dabei. Landesbehörden können nicht wegen Terrorismus ermitteln und sie bekamen auch keinen Einblick in die benachbarten Verfahren wie das gegen Franco Albrecht.
Da die Ermittlungen im Nordkreuz-Komplex erst verschleppt und dann eingestellt wurden, ist dieser bis heute nicht aufgeklärt und bleibt ohne wesentliche Konsequenzen. Die Aufgabe dies zu ändern fällt nun dem 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss zu.
Dieser Kurzbericht erschien zuerst in unserem monatlichen Newsletter „Aufklären und Einmischen“. Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Hier den Newsletter abonnieren!
(Text: ck / Redaktion: scs)