Wurde der Nordkreuz-Komplex von den Behörden klein gehalten? Kurzbericht zum 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss MV Juni/Juli 2024

0

Seit Anfang Juni dreht sich im 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern alles um das Nordkreuz-Netzwerk.

Zur Erinnerung: 2017 wurde bekannt, dass sich in Mecklenburg-Vorpommern unter anderem (ehemalige) Soldate*innen, Polizist*innen und Anwält*innen– zum Teil mit guten Kontakten zur AfD oder selbst Mitglied der Partei – sich in Chatgruppen auf einen „Tag X“ vorbereiteten. Ob dieser „Tag X“ an einem Ereignis festgemacht oder gewaltsam herbeigeführt werden sollte, ist nicht ganz klar. Aber an diesem Tag sollten vermutlich die auf Listen vermerkten politischen Feind*innen abgeholt, in zuvor festgelegte „Safe Houses“ gebracht und dort mit den zuvor gehorteten Waffen exekutiert werden. Geplant war war also anscheinend ein gewaltsamer rechter Umsturz.

Im Ausschuss geht es auch um die Verantwortung der Behörden dafür, dass es für die am Netzwerk Beteiligten kaum Konsequenzen gab, obwohl zwischenzeitlich sogar wegen Terrorverdachts ermittelt worden war. Der damals Beschuldigte Haik Jaeger konnte kürzlich sogar Abgeordneter für die AfD im Kreistag Nordwestmecklenburg werden.

Die zentrale Frage ist, warum die Bundesanwaltschaft (BAW) nach den Funden von Waffen, Munition, einer gemeinsamen Kasse, Feindeslisten und im Wissen um Planungstreffen kein Verfahren nach §129/129a (Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung) gegen Jan Hendrik Hammer, Haik Jaeger, Marko Gr. und weitere Personen eröffnete. Warum sie stattdessen die Ermittlungen gegen Gr., den Administrator der Nord-Chatgruppen an die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern abgab, die nicht wegen Terrorverdachts ermitteln konnten. Und warum sie die Ermittlungen gegen Jaeger und Hammer wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat schließlich einstellte.

Zwei für die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zuständige Staatsanwälte der BAW sagten dazu lediglich aus, dass ihnen ihr zentraler Zeuge eben gesagt habe, dass nur Hammer und Jaeger planten, am „Tag X „politische Gegner*innen zu ermorden (juristisch braucht es drei Menschen, um gegen eine Vereinigung zu ermitteln). Eine mehr als dürftige Antwort, die dem Untersuchungsausschuss die Frage nach dem Warum nur umso mehr aufdrängte.

Am 24. Juni sagte dann Erster Kriminalhauptkommissar U. I. vom BKA aus, er war der Ermittlungsführer des Ermittlungsverfahrens gegen Jan Hendrik Hammer und Haik Jaeger im Auftrag der BAW. Ihr Auftrag sei dabei gewesen, den Tatvorwurf der schweren staatsgefährdenden Straftat zu erhellen. Die juristische Bewertung und damit auch die Entscheidung, ob man das Verfahren erweitern sollte, lag weiterhin bei der BAW.

Nach den ersten Durchsuchungen habe man die Erkenntnisse zusammengefasst und der BAW zur Prüfung vorgelegt. Es habe sich dem BKA so dargestellt, dass Marko Gr. eine Führungsperson innerhalb der Chatgruppen war. Gr. habe auch die persönlichen Treffen der Gruppe organisiert. Er sei der Koordinator gewesen, habe gesagt, was beschafft werden müsse und unter den Mitgliedern der Chatgruppen auch Geld dafür gesammelt. Außerdem konnte er auch das Scharnier ins bundesweite Netzwerk gelten da er mit Schlüsselpersonen in der übergeordneten „Chatgruppe Basis“ organisiert war. Die BAW legte dennoch fest, dass Marko Gr. nicht als Beschuldigter, sondern weiterhin als Zeuge geführt werden solle.

Später fasste der BKA-Zeuge U. I. die Erkenntnisse erneut in einem 37-seitigen Vermerk zusammen. Im Vermerk ging er auf Aktivitäten der einzelnen Personen aber auch auf das offenbare arbeitsteilige Vorgehen des Netzwerks ein. Das Ziel war eine Prüfung, ob weitere Personen Beschuldigte werden sollen. Dies wurde jedoch erneut abgelehnt. Der Zeuge sagte, das habe man auch hinterfragt, es sei aber nie ausführlich oder schriftlich begründet worden, warum.

Die Ermittlungen gegen Marko Gr. blieben also bei den Behörden in Mecklenburg-Vorpommern. Dazu sagte am 1. Juli der ehemalige Chef des LKA Mecklenburg-Vorpommern, Ingolf Mager, aus. Er wurde im Zuge des Nordkreuz-Skandals 2019 versetzt. Mager kannte Marko Gr. bereits seit 2009. Er führte damals ein Gespräch mit dem damaligen SEK-Beamten Gr., weil eine Meldung zu einer Reichskriegsflagge in Gr.s Garage vorlag. Er habe ihm eingeschärft, dass „militärhistorisches Interesse“ nicht in die Nähe von „Extremismus“ kommen dürfe. Als Mager 2017 zu den bevorstehenden Durchsuchungen informiert wurde, war Gr. nicht mehr beim SEK.

Mager bezeichnete die Zusammenarbeit mit dem BKA immer wieder als „bemerkenswert“. So seien ihnen beispielsweise Chatverläufe von Marko Gr. übermittelt worden, die das BKA nicht ausgewertet hatte. Außerdem hätten sie wiederholt um eine Einschätzung der Gefährlichkeit der beteiligten Personen und des Sachverhalts gebeten. Das sei aber nicht ausreichend geschehen.

Er habe die Betroffenen auf den Listen auch persönlich informieren wollen, so Mager. Dies wurde aber im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern anders gesehen, man befürchtete, dem Themenkomplex würde sonst eine „signifikante Bedeutung“ zugemessen. Die Betroffenen erfuhren so erst 2019 bei Vernehmungen durch das BKA davon, dass sie auf den Feindeslisten von Nordkreuz vermerkt waren.

Hier findet ihr unsere Prozessbeobachtung des Verfahrens gegen Marko Gr.

Dieser Kurzbericht erschien zuerst in unserem monatlichen Newsletter „Aufklären und Einmischen“. Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Hier den Newsletter abonnieren!