📨 NSU-Watch: Aufklären und Einmischen. Der Newsletter #5

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Wir melden uns einmal im Monat mit unserem Newsletter „Aufklären & Einmischen“ bei euch. Passend zum Titel des Newsletters findet ihr im ersten Teil – Aufklären – Berichte zu unserer Arbeit. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Ereignisse im Themenfeld rechter Terror und seine Aufarbeitung. Im zweiten Teil des Newsletters wird es praktisch: Einmischen. Wir sammeln für euch aktuelle Termine beispielsweise für Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, an denen ihr euch beteiligen könnt. Hier könnt ihr euch für den Newsletter anmelden.

Wenn ihr genauer wissen wollt, was euch erwartet, könnt ihr hier die aktuelle, fünte Ausgabe des Newsletters in der Webversion nachlesen. (Aus technischen Gründen wird der Newsletter hier grafisch abweichend von der Mail-Version dargestellt.)

 

Hallo zur August-Ausgabe unseres monatlichen NSU-Watch-Newsletters: „Aufklären und Einmischen“!
Hallo zur August-Ausgabe unseres monatlichen NSU-Watch-Newsletters: „Aufklären und Einmischen“!
Nur noch wenige Wochen trennen uns von den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Alle drei Bundesländer standen in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt unserer Arbeit. Der NSU hat seinen Ursprung in Thüringen und in Sachsen, wo das NSU-Kerntrio auch Unterschlupf fand. Aus Brandenburg kam Unterstützung für den NSU.
Die Vorwahlumfragen sagen für alle drei Bundesländer hohe Stimmenanteile für die AfD voraus. Für eine Partei also, die immer wieder Thema ist, wenn es um aktuelle rechtsterroristische Phänomene geht. Entsprechend taucht sie auch bei der Arbeit von NSU-Watch auf. So war zum Beispiel einer der Hauptverdächtigen im Neukölln-Komplex AfD-Mitglied. Auch bei der Beschäftigung mit dem Nordkreuz-Komplex oder bei der Beobachtung der Prozesse der Reuß-Gruppe gibt es immer wieder, teils enge Bezüge zur AfD.
Diese Zusammenhänge müssen benannt werden, um der weiteren Normalisierung der AfD und der völkischen Mobilisierung entgegenzutreten. Auch in dieser Ausgabe findet ihr dafür interessante Informationen und auch Möglichkeiten sich zu engagieren.
Die Untersuchungsausschüsse in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind in der Sommerpause, aber Strafprozesse fanden im Juli statt.
  • In München, Frankfurt und Stuttgart wird weiter gegen die Gruppe Patriotische Union, auch bekannt als Reuß-Gruppe verhandelt. 47 weitere Verfahren sind vom GBA an Landgerichte abgegeben worden. 
  • Mit Johannes M. steht ein weiterer Reichsbürger vor dem Landgericht München. Ihm werden unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung vorgeworfen.

Gut zu wissen:

+++ Munitionsskandal: Prozess gegen MEK-Beamte ausgesetzt +++

+++ Revision nach Freispruch im zweiten Prozess wegen des Brandanschlags auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah starb +++

Im zweiten Teil des Newsletters erinnern wir uns:

Wir gedenken Habil Kılıç. Er wurde am 29. August 2001 in München vom NSU ermordet.

Vor zwei Jahren wurde Mouhamed Lamine Dramé von der Dortmunder Polizei erschossen. Daran erinnert der Solidaritätskreis Justice for Mouhamed in einem Gastbeitrag.

Wir gedenken zum 40. Jahrestag in einem Beitrag Ferdane Satır, Zeliha Turhan, Rasim Turhan, Tarık Turhan, Çiğdem Satır, Ümit Satır, Songül Satır und Ramazan Satır. Sie starben durch den rassistischen Brandanschlag in Duisburg am 26. August 1984. Unvergessen.
Nehmt teil an den Veranstaltungen, die ihr auch diesen Monat wieder bei den Terminen findet: Zum NSU-Komplex, zum Gedenken an Delfín Guerra und Raúl G. Paret, Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, oder Ireneusz Szyderski. Sowie Veranstaltungen zum Jahrestag der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen oder Antifa-Camps! Diese sind wie immer am Ende des Newsletters zu finden.

Unser Newsletter ist kostenlos und wird es auch bleiben. Für unsere Arbeit sind wir aber auf eure Unterstützung angewiesen. Mehr dazu findet ihr auf unserer Spendenseite!

Kein Schlussstrich!
Eure Antifaschist*innen von NSU-Watch

Der Münchner Prozess gegen die „Reuß-Truppe“ im Juli 2024

Nach dem Prozessbeginn am 18. Juni 2024 hatten viele Anträge und kleinteiliges Hin und Her mit einigen Verteidiger*innen um Akteneinsicht, Festplatten und die Formalitäten der Verhandlung den Fortgang des Verfahrens zunächst verzögert. Erst am 10. Juli begann das Oberlandesgericht München mit der Beweisaufnahme. Die Angeklagte Ruth L. begann ihre Aussage. Zum Teil sprach sie selber, zum Teil verlasen ihre Rechtsanwälte Jüdt und Ried einen vorbereiteten Text.

L. und ihre Verteidiger nannten die Einlassung nie „Geständnis“, aber was sie im Gerichtssaal erzählten, war schon eine weitgehende Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Anklagesatz der Bundesanwaltschaft.

Die Angeklagte versuchte darin ihre eigene Rolle – wenig überraschend – zu verharmlosen, mit Sätzen wie: „Ich wusste von einem anstehenden Schießtraining, das ist für mich eine ‚Bubensache‘, der ich nichts abringen kann“ Gleichzeitig bestätigte sie aber offen die Richtigkeit von – Stand: Ende Juli 2024 – über einhundert Details, die die Bundesanwaltschaft in ihrer über 800-seitigen Anklageschrift aufgeführt hatte.

Darunter waren bestätigende Angaben auch zu zentralen Punkten wie den „Ratssitzungen“ der Beschuldigten in Bad Lobestein. L. erzählte auch von ihrer Arbeit für die damalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (die in Frankfurt am Main vor Gericht steht). Auch Ruth L. war Mitglied in der AfD und ihren eigenen Angaben zufolge zumindest kurzzeitig Schatzmeisterin der AfD-Ortsgruppe Heppenheim.

L.s Anwalt Jüdt ergänzte am dritten Tag der Einlassung unserer Mitschrift zufolge sinngemäß: „Frau L. sieht es nicht wie Alice Weidel, dass dieses Verfahren ‚maßloß‘ sei und sich die Innenministerin lieber um Ausländerkriminalität kümmern solle. Frau L. sieht das nicht so und auch nicht, dass sie einen Freispruch verdient hätte.“ L., die nach wie vor stark der Esoterik verhaftet ist, distanzierte sich deutlich von den Verschwörungsideologien, denen sie früher angehangen hatte.

Ein Beispiel: „Ich habe damals an die Verschwörungstheorien zu den US-Wahlen geglaubt. Selbst H. G. Maaßen hat spekuliert, Antifa-Provokationen könnten hinter dem Sturm aufs Capitol stecken. Wenn man seine Infos wie ich aus Telegram-Kanälen und Rumble-Videos zieht, wie ich damals, dann hält man das einfach irgendwann für die Wahrheit.“

Wir werden abwarten müssen, ob angesichts dieser Einlassung (und angesichts weiterer Aussagen im Ermittlungsverfahren sowie in den Prozessen in Frankfurt/M. und Stuttgart) eine von einigen Verteidiger*innen sehr selbstbewusst angekündigte „Freispruchsverteidigung“ wirklich Bestand haben kann.

Das Verfahren wird erheblich dauern: Das OLG hat mittlerweile Prozesstermine bis zum 3. Juli 2025 festgelegt.

Die Offenbarung des Johannes M.
Weiterer Reichsbürgerprozess vor dem Landgericht München

Dem Reichsbürger Johannes M. werden unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung vorgeworfen.

Konkret heißt das, dass er Behörden, darunter Jugendämter, Polizei, Gerichte und Ärzt*innen aufs Übelste beschimpfte und sie durch Anrufe entweder selbst terrorisierte oder von seinen Anhänger*innen terrorisieren ließ – er hatte zeitweise bis zu 50.000 Follower*innen auf seinem Telegram-Kanal. Er bedrohte sie mit dem Tod und stellte ganz in Reichsbürger-Manier ihre Legitimation in Frage. Er verkündete, die Bedrohten würden bald von US-amerikanischen Militärs auf Grundlage eines Dekrets von Donald Trump abgeurteilt und hingerichtet.

Seine Ideologie fußt dabei auf kruden Verschwörungsideologien, die stark antisemitisch durchsetzt sind. Er spricht von „Zionisten“, die die Welt beherrschten, leugnet die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und wittert in jeder Behörde „pädo-kriminelle Machenschaften“. Beamt*innen in Deutschland seien nichts weiter als Angestellte einer US-Firma in Delaware. Zudem ist er Anhänger der QAnon-Verschwörungsidee, die besagt, dass „Eliten“ Kinder in unterirdische Tunnelsysteme entführten und missbrauchten, um ihr Blut für Verjüngungssera zu nutzen.

Vielleicht setzte er sich auch deshalb für zwei seiner Anhängerinnen ein. Als diese in Konflikt mit Jugendämtern gerieten, weil sie ihre Kinder aufgrund der Corona-Auflagen nicht in die Schule schickten, kontaktierten sie Johannes M. Dieser begann daraufhin mit seinen „Terror-Telefonaten“ bei Ämtern und Polizei.

Er scheint außerdem ein ziemlich fanatischer Christ zu sein. Jedenfalls hält er im Gerichtssaal ausgedruckte Jesus-Bilder in den Händen, betet mit ihnen und küsst sie sogar. Dabei kehrt er dem Gericht fast durchgehend den Rücken zu und hält stattdessen zwinkernd Augenkontakt mit seinen um die 20 Anhänger*innen im Zuschauer*innenraum.

Der Angeklagte fällt ständig sämtlichen Prozessbeteiligten ins Wort und brüllt die immer gleichen Phrasen. Weil er dabei immer wieder den Senat, die Staatsanwältinnen und anwesende Polizei heftig beleidigt, hagelt es regelmäßig Ordnungsgelder.

So aberwitzig und absurd seine Thesen auch sein mögen – die Zahl seiner Anhänger*innen zeigt, dass er und seine Ideologie durchaus Resonanz finden. Seine „Jünger*innen“ jedenfalls wirken wie eine eingespielte Gruppe. Eine von ihnen äußert auf kritische Nachfragen: „Ja, ich glaube das schon alles, was der Johannes sagt“.

Während der Covid-19-Pandemie rutschten ganze Bevölkerungsgruppen in Verschwörungsglauben und damit auch meist in rechtes Denken ab. Der Prozess von Johannes M. ist nur eines von vier weiteren Verfahren, die aktuell am Oberlandesgericht München verhandelt werden. Mehrere psychiatrische Sachverständige stellten fest, dass M.s Ideologie zwar wahnhafte Züge trage, deshalb aber noch kein klinischer Wahn sei.

Der Prozess dauert an. Ein Urteil wird zu Ende September erwartet.



Gut zu wissen:
Aktuelles aus dem Themenbereich Rechter Terror und Antifaschismus
+++ Revision nach Freispruch im zweiten Prozess wegen des Brandanschlags auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah starb +++
 
Mit einem Freispruch endete am 9. Juli 2024 das zweite Strafverfahren wegen des Brandanschlages auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis. Bei dem Anschlag am 19. September 1991 wurde Samuel Kofi Yeboah ermordet. Der Angeklagte im ersten Prozess zu dem Anschlag, Peter Schröder (früher Schlappal), war erst 2023 wegen Mordes zu einer Haftstrafe verurteilt worden – aufgrund seines Alters zur Tatzeit nach Jugendstrafrecht.

Dem nun angeklagten Peter St. wiederum warf die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vor. St. soll „psychische Beihilfe“ geleistet haben, indem er am Abend vor der Tat in einem Gespräch mit Schlappal und einem weiteren Neonazi über das rassistische Pogrom in Hoyerswerda 1991 sinngemäß gesagt habe, in Saarlouis müsse auch mal was brennen oder passieren. Peter St. war lange Zeit die Führungsfigur der Neonazi-Szene in Saarlouis und gründete die neonazistische „Kameradschaft Horst Wessel Saarlautern“.

Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Koblenz (das auch für das Saarland zuständig ist), kam in seinem Urteil nun jedoch zu der Auffassung, dass sich der Vorwurf gegen St. durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt habe, der Hauptbelastungszeuge habe nicht von „brennen“ gesprochen.

Nebenklageanwalt Dr. Björn Elberling: „Wir denken anders als das Gericht, dass die Beihilfehandlung des Angeklagten nachgewiesen ist. Wenn in einem Gespräch über Brandanschläge der Chef der Neonazi-Gruppierung sagt, „so etwas“ müsse im Saarland „auch passieren“, dann ist das eine Aufforderung zum Brandanschlag, zum Mord.“

Die Bundesanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt; im Zuge dieser Revision wird auch die Nebenklage Gelegenheit haben, ihre Argumente gegen den Freispruch vorzubringen.

Elberling: Trotz des Freispruchs bewerten wir die Verfahren gegen Schlappal und St. insgesamt als erfolgreich. Die Verfahren haben gezeigt, dass bisher unaufgeklärte Taten auch noch Jahrzehnte später aufgeklärt werden können – für bisher nicht bestrafte Täter der Welle rassistischer Gewalt in den 1990ern bedeutet das, dass sie sich zeitlebens nicht sicher sein können, nicht doch noch zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Prozesse hatten auch Einfluss auf die Erinnerungspolitik. Auch wenn insoweit noch einiges weiter im Argen liegt: dass die Überlebenden, wenn auch eben Jahrzehnte später, als Betroffene eines rassistischen Mordanschlags anerkannt wurden, bedeutet schon viel.“

Informationen zum Prozess aus Sicht der Nebenklage.
Weitere Informationen bei der Antifa Saar.

+++ Munitionsskandal: Prozess gegen MEK-Beamte ausgesetzt +++

Am 29. April 2024 begann am Landgericht Dresden der Prozess gegen drei suspendierte Polizeibeamte des Dresdner Mobilen Einsatzkommandos (MEK). Der Vorwurf: „Bestechlichkeit in Tateinheit mit Diebstahl sowie unerlaubtem Erwerb und Besitz von genehmigungspflichtiger Munition“.

Ende Juni dann teilte das Landgericht mit, dass die für 42 Prozesstage geplante Hauptverhandlung nach nur vier Terminen ausgesetzt worden sei. Den Abbruch der Verhandlung begründete das Gericht zunächst nicht. Und die Öffentlichkeit hat bis heute das Nachsehen: Noch vor Anklageverlesung wurde sie auf Antrag zweier Verteidigungen und der Generalstaatsanwaltschaft vom Prozess ausgeschlossen. Der Grund laut Vorsitzendem Richter: Die Öffentliche Ordnung und das Leben der Beschuldigten sei in Gefahr. Auf Nachfrage erklärte das Gericht nun, die Aussetzung der Hauptverhandlung erfolge aus Gründen, „aus denen auch die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist“.

Die drei Beamten des Landeskriminalamtes Sachsen sind die Hauptbeschuldigten im Munitionsskandal bei der in Dresden ansässigen Spezialeinheit. Sie sollen 2018 mindestens 7.000 Schuss Munition entwendet haben und damit ein privates Schiesstraining auf dem Schießplatz „Baltic Shooters“ in Güstrow bezahlt haben.

Der Betreiber dieses Platzes, Frank T., sowie einige seiner Mitarbeiter, sind Mitglieder der extrem rechten Preppergruppe „Nordkreuz“. Um das Training durchzuführen, wurden weitere 7.500 Schuss entwendet. Insgesamt waren 17 MEK-Beamte beteiligt. Während 14 Beamte zu anderen Dienststellen versetzt wurden, müssen sich die Hauptbeschuldigten, darunter der Kommandoführer und der Schießtrainer der Einheit, nun wegen Bestechlichkeit, Diebstahl und unerlaubten Erwerb von Munition verantworten.

Die Vorfälle wurden 2021 durch eine Expertenkommission untersucht. Dabei wurden grobe Mängel bei Organisationsstruktur und Dienstaufsicht im LKA Sachsen aufgedeckt: Die Ausgabe von Waffen und Munition erfolgte weitgehend unkontrolliert. Der Bericht der Kommission ist Verschlusssache, lediglich Handlungsempfehlungen wurden gegenüber der Presse kommuniziert.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit im Gerichtsverfahren knüpft an diese intransparente Praxis an. Die Hauptverhandlung soll am 13. November 2024 neu beginnen. Zumindest über einen Ausschluss der Öffentlichkeit muss dort dann neu entschieden werden.

Wir gedenken:

Habil Kılıç

Habil Kılıç wurde 1963 in der Türkei geboren und lebte mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter in München. Im Jahr 2000 eröffnete die Familie einen Frischwarenladen. Habil Kılıç behielt aber seinen Arbeitsplatz in der Großmarkthalle und arbeitete erst am Feierabend in dem gemeinsamen Geschäft.

Im August 2001, knapp anderthalb Jahre nach dessen Eröffnung, arbeitete Habil Kılıç auch tagsüber im Laden, weil seine Frau und seine Tochter im Türkei-Urlaub waren. Am Vormittag des 29. August 2001 wurde er dort vom NSU erschossen.

Habil Kılıç wurde 38 Jahre alt.

Nach dem Mord ermittelten die Behörden gegen den Ermordeten, seine Familie und das Umfeld. Die Familie von Habil Kılıç musste die Spuren des Mordes selber entfernen. Zuvor hatten sie über dem Laden gewohnt, nun gab seine Frau Wohnung und Laden auf.

Der Mord des NSU, das Verhalten der Behörden und die von ihnen verbreiteten rassistischen Gerüchte über den Ermordeten sorgten letztlich dafür, dass Familie Kılıç neben dem Familienvater auch ihr nachbarschaftliches Umfeld und ihren Lebensunterhalt verlor.

Habil Kılıçs Frau, P. Kılıç, war die erste Angehörige, die im NSU-Prozess als Zeugin befragt wurde. Richter Götzl trat ihr gegenüber autoritär auf. P. Kılıç wollte bei ihrer Vernehmung am 22. Verhandlungstag nicht vor „dieser Frau“ – also der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe – über die Situation nach der Tötung ihres Mannes sprechen: „Wie kann das sein? Können sie sich das nicht vorstellen, wenn man den Mann, dann den Laden verliert? Wie die Leute darüber reden, wenn man wie ein Verdächtiger behandelt wird? Was soll ich hier sagen vor dieser Frau?“

Götzl herrschte sie daraufhin an, dass er eine höfliche Antwort erwarte, wenn er selber höflich frage. P. Kılıç berichtete auf Drängen des Richters: Sie hätten eine große Menge Schaden angerichtet, erst den Mann ermordet, dann den ganzen Freundeskreis kaputtgemacht, das ganze Finanzielle: „Alles haben sie kaputtgemacht, alles.“

An Habil Kılıç erinnert heute eine Gedenktafel am ehemaligen Geschäft der Familie in der Bad-Schachener-Straße.

Vor zwei Jahren wurden Mouhamed Lamine Dramé von der Dortmunder Polizei erschossen.
Am 8. August 2024 ist es zwei Jahre her, dass Mouhamed Lamine Dramé von der Dortmunder Polizei erschossen wurde. Es sind zwei Jahre, in denen Mouhamed fehlt. Als Bruder, als Sohn, als Freund, als BVB-Fan und als Mensch. Es sind auch zwei Jahre, in denen es immer noch keine Gerechtigkeit für seinen Tod gibt.

Wir, der Solidaritätskreis Justice for Mouhamed, möchten ihm am 8. August gedenken und gemeinsam um ihn trauern, aber besonders auch die Person feiern, die er war. Mit Musik, Essen und Getränken, Programm für Kinder, Fußball und vor allem in Gemeinschaft soll es ein Tag werden, an dem Mouhameds Leben gebührend zelebriert wird. Ab 17 Uhr wird es hierfür ein buntes Programm auf dem Kurt-Piehl-Platz geben, der ganz in der Nähe des Tatorts liegt. 

Prozess und Demo:

Am 19.12.2023 startete der Prozess gegen fünf Polizist*innen, die bei dem tödlichen Einsatz, bei dem Mouhamed Lamine Dramé erschossen wurde, involviert waren. Gemeinsam mit anderen Initiativen und Organisationen begleitet der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed den Gerichtsprozess kritisch und dokumentiert jeden Prozesstag.

Am 11. September 2024 ist voraussichtlich der letzte Prozesstermin angesetzt. Anlässlich des Prozesses und der Urteilsverkündung möchten wir zu einer bundesweiten Demo mobilisieren.

Wir wollen mit euch laut sein, gegen die Narrative der Polizei und die systemischen Probleme innerhalb des staatlichen Gewaltapparats. Der exakte Termin für die Demo wird bald veröffentlicht!

Spendenkampagne:

www.betterplace.org/de/projects/131472-prozessteilnahme-der-familie-drame-sowie-solidarische-prozessbegleitung

Dank der Hilfe aller Spender:innen ermöglichen wir seit Januar 2024 zwei Brüdern von Mouhamed, Sidy und Lassana Dramé, die Begleitung des Gerichtsprozesses in Dortmund. Einreise, Unterbringung, Verpflegung und die Prozessteilnahme der beiden Brüder ist nur durch Solidarität möglich –  dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken!

Kein Vergeben, kein Vergessen! Rest in Power, Mouhamed!
Empathie verlangt – 40 Jahre und kein Schlussstrich – zum Gedenken in Duisburg, zum 26. August

Am 26. August 2024 gedenken wir: Ferdane Satır, Zeliha Turhan, Rasim Turhan, Tarık Turhan, Çiğdem Satır, Ümit Satır, Songül Satır und Ramazan Satır. Vor 40 Jahren starben sie nach dem rassistischen Brandanschlag auf das Wohnhaus in Duisburg, in dem ihre Familie lebte.

Jahrzehntelang war der Anschlag vergessen. Erst seit 2023 trägt das Haus in der Wanheimer Staße mit einer Tafel ein sichtbares Zeichen des Gedenkens. Sie zeigt unter anderem die Aufschrift: „Alles hat seine Zeit. Eine Zeit der Stille, eine Zeit des Schmerzes und der Trauer, aber auch eine Zeit der Gerechtigkeit“. Überlebende und Angehörige kämpften über Jahre für ein würdiges Gedenken.

Zum 40. Jahrestag wird es einen Schweigemarsch und eine Kundgebung geben. Die Demonstration beginnt am 26. August um 17.00 Uhr an der Kranichschule (Kranichstraße 21 in Duisburg). Um 17.30 Uhr schließt sich die Kundgebung an in der Wanheimer Straße 301.

In der Woche zuvor lädt das Bündnis „Tag der Solidarität – kein Schlussstrich“ zu einer Diskussionsveranstaltung ein. Am 23. August kommen Überlebende und Angehörige von Betroffenen rechter Gewalt zusammen. In der 2023 eingeweihten Tarık-Turhan-Galerie im Duisburger Zentrum für Erinnerungskultur werden sie miteinander im Gespräch sein darüber, warum es auch 2024 „Kein Schlussstrich“ heißen muss. Sprechen werden Gamze Kubaşık, Fatma Ceylan, Hatice Sibel İşini, Ayfer Şentürk Demir, Orhan Calışır und Aynur Satır. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr in der Tarık-Turhan-Galerie, Karmelplatz 5 in Duisburg.

Bereits eine Woche zuvor wird die Ausstellung „Stopp. Zuhören. Begegnen.“ als Teil des Fests der Vielen im Rheinpark in Duisburg auf Widerstand und Resilienz zu rechter Gewalt in Nordrhein-Westfalen aufmerksam machen. Die Ausstellung wurde erstmals im Juni 2024 auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz in Dortmund gezeigt.

Sie zeichnet auch die Geschichte und Gegenwart des Anschlages vom 26. August 1984 nach – mit den Perspektiven der Überlebenden, dem Erinnerungsschild von Aynur Satır und ihrer Schwester Eylem Satır Özcan. In Duisburg ist sie Teil des „Pavillon der Vielen“ (16. und 17. August 2024), danach während der Veranstaltung zu sehen in der Tarık-Turhan-Galerie.

Ihr könnt das Gedenken mit einer Spende unterstützen unter: www.betterplace.org/de/projects/140050-gedenkveranstaltung-an-die-opfer-des-brandanschlages-1984

Für aktuelle Informationen folgt bitte @bundnistagdersolidaritat.



+++ Termine +++
2. August, Berlin: Kundgebung: Rettet das Mahnmal! Protest für den Erhalt des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. 18:00 Uhr, Simsonweg. Mehr Infos hier.
3. August, Erfurt-Stotternheim: Fahrraddemo in Gedenken an Ireneusz Szyderski. Sie starb einem Angriff von rechten Securities am 03. August 1992. 11:30 Uhr, Erfurt Hauptbahnhof-Vorplatz. Mehr Infos hier.
4. August, Berlin: Podiumsdiskussion: Vor der Landtagswahl in Brandenburg: Wie stoppen wir gemeinsam den Rechtsruck? 19:00 Uhr, Baiz, Schönhauser Straße 26A. Mehr Infos hier.
5.-11. August, bei Erfurt: System Change Camp. Gemeinsam, gegen rechts, für ein Klima der Gerechtigkeit. Mehr Infos hier.
8. August, Dortmund: Gedenkfeier Zwei Jahre nach den Schüssen auf Mouhamed Lamine Dramé. 17:00 Uhr, Kurt-Piehl-Platz. Mehr Infos hier.
11. August, MerseburgGedenken an Delfín Guerra und Raúl G. Paret. 16:00 Uhr, Willi-Sitte-Galerie (Domstr. 15). Mehr Infos hier und hier
14. August, LeipzigÜberall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit? Rechte Hegemonien, zunehmende Überwachung und Militarisierung der Polizei. Veranstaltung mit Jule Nagel und Martina Renner. 18:00 Uhr, Ilses Erika, Bernhard-Göring-Str. 152. Mehr Infos hier.
14.-18. August, LärzAjuca – Alternatives Jugendcamp. Politics, People, Party. Mehr Infos hier.

16. und 17. August, Duisburg: Fest der Vielen. Rheinpark Duisburg. Mehr Infos hier.

22. August – 9. September, Rostock: Veranstaltungen zu den 32. Jahrestagen des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen. Mehr Infos hier.

23. August, Duisburg: Warum kein Schlussstrich. Betroffene rechter Gewalt berichten. Eine Diskussionsveranstaltung mit Aynur Satır, Gamze Kubaşık, Fatma Ceylan, Hatice Sibel İşini, Ayfer Şentürk Demir und Orhan Çalisir. 18:00 Uhr, Tarık-Turhan-Galerie, Karmelplatz 5. Mehr Infos hier.
25. August, Leipzig: Großdemo Rechtsextremismus stoppen. Demokratie verteidigen. 15:00 Uhr, Augustusplatz. Mehr Infos hier.
Bis 25. August, Hamburg-Neuengamme: Wanderausstellung Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute. Mehr Infos hier
Bis 25. August, Wien: Ausstellung ‚Man will uns ans Leben‘ Bomben gegen Minderheiten 1993–1996 und Rahmenprogramm. Im Volkskundemuseum Wien. Weitere Infos hier.
26. August, Duisburg: Schweigemarsch und Kundgebung in Gedenken an Ferdane Satır, Zeliha Turhan, Rasim Turhan, Tarık Turhan, Çiğdem Satır, Ümit Satır, Songül Satır und Ramazan Satır. Demo 17:00 Uhr an der Kranichschule (Kranichstraße 21). Kundgebung 17:30 Uhr in der Wanheimer Straße 301.
1. September, Nürnberg/Hybrid: Darum kein Schlussstrich! Ein Gespräch mit Gamze Kubaşık, Semiya Şimşek und Mehmet O. über den NSU-Komplex. 19:00 Uhr, Gewerkschaftshaus Nürnberg, Kornmarkt 5-7. Mehr Infos und Anmeldung hier.


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(Redaktion: ck, scs)