📨 NSU-Watch – Der Newsletter #6 – 09/24

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Wir melden uns einmal im Monat mit unserem Newsletter „Aufklären & Einmischen“ bei euch. Passend zum Titel des Newsletters findet ihr im ersten Teil – Aufklären – Berichte zu unserer Arbeit. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Ereignisse im Themenfeld rechter Terror und seine Aufarbeitung. Im zweiten Teil des Newsletters wird es praktisch: Einmischen. Wir sammeln für euch aktuelle Termine beispielsweise für Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, an denen ihr euch beteiligen könnt. Hier könnt ihr euch für den Newsletter anmelden.

Wenn ihr genauer wissen wollt, was euch erwartet, könnt ihr hier die September-Ausgabe des Newsletters in der Webversion nachlesen. (Aus technischen Gründen wird der Newsletter hier grafisch abweichend von der Mail-Version dargestellt.)

 

Hallo zur September-Ausgabe unseres monatlichen NSU-Watch-Newsletters: „Aufklären und Einmischen“!

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen können nicht überraschen und dennoch sind sie niederschmetternd. Jeweils etwa ein Drittel der Wähler*innen in den beiden Bundesländern waren bereit dazu, eine offen extrem rechte bis neonazistische Partei zu wählen, und machten sie im Falle von Thüringen sogar zur stärksten Kraft im Landtag.

Das Anbiedern der Parteien der sogenannten Mitte an Positionen der AfD hat ihnen auch bei den aktuellen Landtagswahlen wie zu erwarten nichts genutzt. Für uns stehen aktuell weder die AfD-Vertreter*innen, die nun wohl erneut jedes Talkshow-Studio von innen sehen werden, noch die „Parteien der Mitte“ im Vordergrund.

Für uns stehen die antifaschistisch und zivilgesellschaftlich Engagierten vor Ort und die von rechter Gewalt Betroffenen im Vordergrund. Sie knüpfen trotz allem solidarische Bündnisse und mit ihnen gemeinsam gilt es nun, Auswege aus dem weit verbreiteten – angesichts der Lage durchaus verständlichen – Ohnmachtsgefühl zu finden, dagegenzuhalten und neue politische Perspektiven zu entwickeln.

Eins ist klar: Wir alle müssen und werden uns weiter einmischen. Und dazu gehört auch, die Aufklärung rechter Taten und die Forderung nach Konsequenzen voranzutreiben.

Seit einem halben Jahr gibt es nun unseren monatlichen Newsletter – mit Infos zur extremen Rechten, aus der antifaschistischen Untersuchungsausschuss- und Prozessbeobachtung und dazu, wo man aktiv werden kann. Wir hoffen, dass der Newsletter einen Beitrag dazu leistet, einige Informationen leichter zugänglich zu machen, die hilfreich für die antifaschistische und antirassistische Arbeit sind. In dieser Ausgabe:

  • In Österreich wurde der gut vernetzte und umtriebige Neonazi Manuel E. in Innsbruck zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt
  • Wir blicken zurück auf den Prozess zum Mord an Alex W. durch einen Pandemieleugner in Idar-Oberstein 

Gut zu wissen:

+++ Entpolitisierung im Prozess zur Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen. +++
+++ Die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass der Brandanschlag am 19. September 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, rassistisch war. +++

Im zweiten Teil des Newsletters gedenken wir Enver Şimşek. Er wurde am 9. September 2000 im Alter von 38 Jahren an seinem Blumenstand an der Liegnitzer Straße in Nürnberg vom NSU ermordet. Wir gedenken auch Atilla Özer, Überlebender des rassistischen Nagelbombenanschlags des NSU auf die Keupstraße, der am 23. September 2017 verstarb.

Bleibt aktiv und beteiligt euch – zum Beispiel an den Veranstaltungen, die wir wie immer am Ende des Newsletters zusammengestellt haben.

Unser Newsletter ist kostenlos und wird es auch bleiben. Für unsere Arbeit sind wir aber auf eure Unterstützung angewiesen. Mehr dazu findet ihr auf unserer Spendenseite!

Kein Schlussstrich!
Eure Antifaschist*innen von NSU-Watch

Neun Jahre Haft für Osttiroler Szenegröße

Bereits im März 2024 wurde der gut vernetzte und umtriebige Neonazi Manuel E. in Innsbruck zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Oberlandesgericht bestätigte nun sowohl die Strafhöhe als auch die besondere Gefährlichkeit des Osttirolers.

Über Jahre hinweg betrieb Manuel E. unerkannt einschlägige Musikprojekte wie „Feuernacht“, „Terrorsphära“ und zuletzt „Kombaat“. Zudem prägte er die Neonazi-Kampfsportszene, insbesondere durch die Gründung der Sportgruppe „Wardon 21“. Dank antifaschistischer Recherchen sind viele seiner Tätigkeiten mittlerweile gut dokumentiert.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war dann eine „freiwillige Nachschau“ (Durchsuchung mit Einverständnis) in der Wohnung seines Schwagers, wo E. ein Büro nutzte und einschlägiges Propagandamaterial lagerte. Trotz laufender Ermittlungen und einer späteren Hausdurchsuchung besuchte der Osttiroler den „Gerd Honsik Kongress“, traf sich mehrfach mit dem österreichischen Neonazi Gottfried Küssel und lud den deutschen Neonazi und Musiker Hendrik Möbus nach Wien ein.

Sein unbeirrtes Weitermachen kann als Konsequenz der jahrelangen Nichtverfolgung seiner Aktivitäten in der extrem rechten Kampfsport- und Musikszene gewertet werden.

Letztendlich wurde E. wegen fahrlässigen Waffenbesitzes und nach dem Verbotsgesetz verurteilt, unter anderem wegen der Zurschaustellung von NS-Symbolen, der Indoktrinierung seiner Stieftochter, mehrerer einschlägiger Sprachnachrichten und einzelner musikalischer Aktivitäten.

Die durchaus hohe Haftstrafe begründet sich neben dem langen Tatzeitraum vor allem durch drei einschlägige Vorstrafen und die besondere Gefährlichkeit. Denn auch für das Gericht war klar: Manuel E.s Aktivitäten hatten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Szene.

Mehr dazu bei Prozessreport.

Rückblick auf den Prozess zum Mord an Alex W. in Idar-Oberstein

Wir gedenken: Alex W., der im Alter von 20 Jahren von einem Rechten und Pandemieleugner ermordet wurde.

Am 18. September jährt sich der Mord an Alex W. zum dritten Mal. Der 20-Jährige jobbte in einer Tankstelle im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein, unter anderen, um sich den Führerschein zu finanzieren. Am Abend des 18. September 2021 wurde er dort ermordet.

Der Täter war knapp zwei Stunden zuvor bereits in der Tankstelle gewesen, ohne eine Mund-Nase-Bedeckung zum Schutz vor Corona zu tragen. Alex W. hatte ihm zu diesem Zeitpunkt wegen der fehlenden Maske den Kauf von Bier verweigert.

Später kehrte der Täter mit einer scharfen Waffe im Hosenbund zurück in die Tankstelle. Diesmal trug er eine Maske. Er stellte sich in die Schlange vor der Kasse. Als er an der Reihe war, nahm er die Maske herunter, zog seine Waffe und schoss gezielt. Alex W. war sofort tot. Der Täter – der Rechte und Pandemieleugner Mario N. – stellte sich am Sonntag nach der Tat vormittags bei der Polizei und gestand.

Am 21. März 2022 wurde der Prozess wegen Mordes gegen N. vor dem Landgericht Bad Kreuznach eröffnet. Im Prozess wurden N.s rechte Gesinnung, sein Rassismus, sein verschwörungsideologisches Weltbild, seine Misogynie und seine allgemeine Menschenverachtung deutlich. Klar wurde auch, dass diese Gesinnung bereits deutlich vor der Pandemie vorhanden war.

Nach 24 Verhandlungstagen wurde der Täter am 13. September 2022 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

In ihrer Aussage im Prozess sagte die Mutter von Alex W.: „Es ist nicht nur sein Leben, was verloren ging.“

Die vollständige Prozessdokumentation findet ihr auf unserer Homepage.



Gut zu wissen:
Aktuelles aus dem Themenbereich Rechter Terror und Antifaschismus
+++ Entpolitisierung im Prozess zur Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen +++
von Maurice Uhrhan und Regina Gahbler
Der Prozess zur Aufklärung des Sprengstoffanschlags auf das Parteibüro von Die Linke.Liste Oberhausen in der Nacht zum 5. Juli 2022 wurde in nur zwei Verhandlungstagen abgeschlossen, dabei wurde der rechte Tathintergrund entpolitisiert sowie die Gefahrenlage für die Betroffenen missachtet.
Am 20. August 2024 fällt das Gericht ein niederschmetterndes Urteil: Der Hauptangeklagte, der behauptete den Sprengsatz alleine gezündet zu haben, wurde wegen der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz sowie Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Seine Mittäterin zu zwei Jahren und vier Monaten Haft. Beide Personen sind einschlägig vorbestraft und hatten in ihrer mit Neonazi-Devotionalien ausgestatteten Wohnung Waffen und Utensilien zum Bombenbau gehortet. Dennoch wurde der Haftbefehl gegen Meldeauflagen bis zum Haftantritt außer Kraft gesetzt.

Immerhin wertete das Gericht den Anschlag der nachweislich rechten Täter*innen als Angriff gegen politische Gegner*innen und damit als Angriff gegen die Demokratie. Dass durch die Explosion in der Oberhausener Fußgängerzohne nur durch Zufall kein Mensch verletzt oder getötet wurde, erhielt vor Gericht keine Beachtung.

Die Strategie der Angeklagten und ihres Verteidigers, den Sprengstoffanschlag als Zufallstat zu entpolitisieren und die Angeklagte durch die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm von der rechten Szene zu distanzieren, scheint aufgegangen zu sein. Der nachweislich neonazistische Hintergrund der beiden Täter*innen sowie ein weiterer, erst durch den Prozess öffentlich gewordener Anschlagsversuch auf das Parteibüro, hätten im Prozess stärker thematisiert und aufgearbeitet werden müssen.

Für die Betroffenen ist die Gefahrenlage seit dem Anschlag unübersichtlich, sie beklagen, nur sehr schleppend über den Ermittlungsstand informiert worden seien. „Erst zehn Tage vor dem Prozesstermin erfuhren wir diesen und erhielten Akteneinsicht, unser Antrag auf Nebenklage wurde abgelehnt“, kritisiert Yusuf Karaçelik, Vorsitzender der Stadtratsfraktion Die Linke.Liste die Vorgehensweise des Gerichts.

„Außerdem stellte sich heraus, dass Täter*innen im Jahr 2020 bereits zweimal erfolglos versucht hatten, Sprengsätze an unseren Räumen anzubringen. Dies ist ebenso gerichtlich dokumentiert, wie dass es möglicherweise Mittäter, mindestens aber Mitwisser*innen gab. Wir fordern, dass dem nachgegangen wird, statt den Deckel drauf zu machen.“

Der politisch rechten Tatmotivation sowie einem möglichen Netzwerk aus weiteren Tatbeteiligten wurde vor Gericht nicht konsequent nachgegangen, eine Einordnung in einen größeren rechtsterroristischen Zusammenhang blieb aus und die Gefahrenlage für die Betroffenen wurde im Urteil nicht berücksichtigt. Damit ist die Möglichkeit einer umfassenden Aufklärung einer extrem rechten Straftat und der Schutz für die Betroffenen gescheitert.

Den ausführlichen Prozessbericht der Opferberatung Rheinland (OBR) findet ihr hier.

+++ Die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass der Brandanschlag am 19. September 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, rassistisch war +++
von Sarah Jost, Antifa Saar / Projekt AK

Am 19. September jährt sich der rassistische Brandanschlag in Saarlouis-Fraulautern, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, zum 33. Mal. Anders als 30 Jahre zuvor gibt es seit dem letztem Jahr auch ein offizielles Gedenken der Stadt Saarlouis am Tatort des Verbrechens, da der Brandanschlag jetzt aufgeklärt wurde.

In einem aufwändigen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz wurden in 48 Verhandlungstagen über 80 Zeug*innen gehört, viele davon aus der saarländischen Nazi-Szene, und schließlich wurde ein Neonazi aus Saarlouis, Peter Werner Schlappal (heute Schröder), zu einer relativ milden Jugendstrafe von sechs Jahren und 10 Monaten verurteilt. Der zweite Prozess gegen den damaligen Anführer der Szene, Peter St., wegen Beihilfe zum Mord endete im Juli diesen Jahres mit einem Freispruch. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Die Forderung nach einem würdigen Gedenken an Samuel Kofi Yeboah wurde 30 Jahre lang alleine von antifaschistischen Gruppen wie der Antifa Saar/Projekt AK, dem saarländischen Flüchtlingsrat und der Aktion 3. Welt Saar getragen. In gemeinsamen Bündnissen und Kampagnen seit den 1990er-Jahren wurde entgegen der offiziellen Version immer wieder angeprangert: Es war ein rassistischer Brandanschlag, begangen von organisierten und militanten Naziskins, er war getragen von einer pogromartigen Stimmung in der deutschen Bevölkerung und wurde durch Verleugnen und Verharmlosen der damaligen Behörden gedeckt.

Nun ist die Tat juristisch aufgeklärt und die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass es ein rassistischer Brandanschlag war. Die saarländische Ministerpräsidentin entschuldigte sich bei den Opfern, der saarländische Polizeipräsident entschuldigte sich für „Versäumnisse“ in den damaligen Ermittlungen, ein Entschädigungsfonds für Opfer rassistischer Gewalt ist beschlossen und ein Untersuchungsausschuss im saarländischen Landtag soll jetzt die politische und gesellschaftliche Dimension aufarbeiten. Das ist ein Erfolg, weil es keinen Schlussstrich geben wird.

Über 30 Jahre später ist es aber für viele zu spät. Für die Betroffenen, die nicht mehr leben, die abgeschoben wurden, oder die diese Jahre in Angst und ohne jede Unterstützung ertragen mussten. Auch die Erinnerung der Zeug*innen – selbst wenn sie sich bemühten – ist verblasst.

Aber als Signal, dass Verbrechen auch spät noch aufgeklärt werden können, ist die Entwicklung sehr wichtig. Und als Signal auch an die Täter, niemals sicher sein zu können. Aufgeklärt ist indes vieles eben noch nicht. Eine unfassbare Reihe von über 20 rechten Brand- und Bombenanschlägen zu Beginn der 1990er Jahre will jetzt der Untersuchungsausschuss aufarbeiten, auch das Versagen von Politik und Behörden dabei. Dabei werden Zeitzeug*innen, Betroffene und Szenezeug*innen gehört, und auch die Akten von Polizei- und Verfassungsschutz sollen untersucht werden.

Das Gedenken an Samuel Kofi Yeboah wird uns immer begleiten, mit Trauer und Wut über das Verbrechen, aber auch mit dem Wissen um die Notwendigkeit unabhängiger antifaschistischer Aufklärung.

Informationen zum Prozess aus Sicht der Nebenklage.

Wir gedenken: 

Enver Şimşek

Enver Şimşek wurde im Alter von 38 Jahren an seinem Blumenstand an der Liegnitzer Straße in Nürnberg-Langwasser vom NSU ermordet. Am 9. September 2000 schoss der NSU ihn nieder und verletzte ihn lebensbedrohlich. Enver Şimşek erlag zwei Tage später im Krankenhaus seinen Verletzungen, er war das erste Opfer der rassistischen Mordserie des NSU.

Enver Şimşek wurde am 4. Dezember 1961 in der Türkei geboren. Schon als Jugendlicher lernte er seine spätere Ehefrau Adile kennen. Gemeinsam ließen sie sich 1985 in Hessen nieder und bekamen zwei Kinder, Semiya und Abdulkerim. Mit 31 Jahren machte sich Enver Şimşek als Blumenhändler selbstständig. Sein Unternehmen wuchs auf 30 Mitarbeiter*innen an. Im Jahr 2000 plante Enver Şimşek weniger zu arbeiten. Am 9. September 2000 vertrat er einen Mitarbeiter am Blumenstand in Nürnberg.

Abdulkerim Şimşek sagt, dass am 9. September 2000 seine Kindheit geendet habe: „Können Sie sich vorstellen, wie das ist für ein Kind von 13 Jahren? Für mich war es einfach undenkbar, dass mein Vater nie wiederkommt. Ich glaubte, gleich würde er wieder aufstehen und alles wäre gut. So wie vorher. Dann würde ich wieder mit ihm angeln gehen oder ihm beim Grillen helfen.“

Nach dem Mord an Enver Şimşek begannen die rassistischen Ermittlungen der Behörden gegen Familie und Angehörige, die Unterstellungen, Gerüchte und Verdächtigungen, die sich auch bei den Ermittlungen zu den anderen rassistischen Mordtaten des NSU fortsetzten. Abdulkerim Şimşek: „So wie die Ermittler uns von Anfang an als ‚Ausländer‘ abgestempelt haben, haben sie mir das Gefühl gegeben: Du gehörst nicht hierher. Ich schaute plötzlich mit einer anderen Perspektive auf dieses Land. Je mehr Menschen getötet wurden, und je mehr die Polizei einseitig in Richtung des Umfelds der Opfer ermittelte, desto fremder fühlte ich mich.“

2006, nach den Morden an Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat, demonstrierten Angehörige der Ermordeten in Kassel und in Dortmund unter dem Motto „9 Opfer – Wir wollen kein 10. Opfer. Stoppt die Mörder“. Sie wollten auch auf ein mögliches rechtes Motiv der Mordserie aufmerksam machen. Semiya Şimşek beschreibt in ihrem Buch „Schmerzliche Heimat“, warum sie im Jahr 2006 gemeinsam mit Gamze Kubaşık, der Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık, ein Interview gab: „Als Gamze und ich uns kennenlernten, beschlossen wir, nicht mehr länger zu schweigen, sondern an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir gaben ein Fernsehinterview. Vor Wut, dass nichts passierte, dass die Angehörigen nur mit den ewig gleichen Verdächtigungen traktiert wurden, dass der Möglichkeit der Ausländerfeindlichkeit nie nachgegangen wurde. [… ] Das alles verpuffte ohne Nachhall.“

Die Familie von Enver Şimşek kämpft bis heute um Aufklärung. Der Tatort in Nürnberg erhielt 2021 den Namen Enver-Şimşek-Platz. Auch in Jena, der Herkunftsstadt des NSU-Kerntrios, wurde ein Platz nach Enver Şimşek benannt.

Atilla Özer

Am 23. September 2017 verstarb Atilla Özer, Überlebender des rassistischen Nagelbombenanschlags des NSU auf die Keupstraße in Köln am 9. Juni 2004. Sehr viele Menschen, auch Atilla Özer, wurden zum Teil schwer verletzt, unzählige traumatisiert.

Viele Überlebende des Anschlags gingen von Beginn an davon aus, dass sie einen rechten Anschlag überlebt hatten. „Nach meiner Vermutung waren es die Rechtsextremen“, wird einer von ihnen im Kölner Stadtanzeiger vom 10./11. Juni 2004 zitiert.

Die Ermittlungen richteten sich stattdessen gegen die Bewohner*innen der Keupstraße, gegen die Ladenbesitzer*innen und Besucher*innen der Straße. Rassistische Annahmen prägten die Ermittlungen. Die Überlebenden des Anschlags auf die Keupstraße sprechen von dem „Anschlag nach dem Anschlag“, wenn sie den Umgang der Behörden, der Medien und von Teilen der Öffentlichkeit mit ihnen in den sieben Jahren zwischen dem Anschlag im Sommer 2004 und der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios im November 2011 beschreiben.
„Ich möchte, dass Atilla den nötigen Respekt als Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags bekommt“, sagte Candan Özer, die Witwe von Atilla Özer, in einem Interview im Jahr 2020.


+++ Termine +++
04., 09. und 11. September, Dortmund: Prozess gegen fünf Polizist*innen wegen des Todes von Mouhamed Lamine DraméMahnwachen vor dem Gericht ab 7:30 Uhr. Weitere Infos hier und hier.
05. September, Zwenkau: Film: „Spuren – Die Opfer des NSU„. Rahmenprogramm zur Ausstellung Offener Prozess. 20:00 Uhr, Kulturkino Zwenkau. Mehr Infos hier
05. – 07. September, Kassel: „Nach dem Rechten sehen„. Offenes Festival für politische Bildung, Aufklärung und Sensibilisierung. Mehr Infos hier
05. September, BerlinBrandenburg Abend Reloaded. Podium: Rechte Gewalt in Brandenburg. Mit Prof. Dr. Gideon Botsch, Christin Jänicke und Lukas Pellio. 19:00 Uhr, :// about blank. Mehr Infos hier

06. und 20. September, Berlin: Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex zum Verfassungsschutz im Neukölln-Komplex. Kundgebungen voraussichtlich ab 8:30 Uhr vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Weitere Infos hier.

08. September, Prenzlau: Demonstration „Hinterland heißt Widerstand!14:30 Uhr, Prenzlau Bahnhof. Mehr Infos hier.

08. September, BerlinTag der Erinnerung und Mahnung. Ab 13:00 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1. Mehr Infos hier.

09. September, Nürnberg: Niemand wird vergessen! In Gedenken an Enver Şimşek, der am 09.09.2000 aus rassistischen Motiven in Nürnberg vom NSU ermordet wurdeGedenkkundgebung um 18:30 Uhr am Enver-Şimşek-Platz. Mehr Infos hier
09. und 16. SeptemberSchwerin: Sitzungen des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern zum Nordkreuz-Netwerk. Ab 13 bzw. 10 Uhr im Landtag in SchwerinWeitere Infos hier.

10. September, Berlin: „Solidarische Bündnisse – Fünf Jahre nach dem rechten Terroranschlag von Halle“. Podiumsdiskussion mit Naomi Henkel-Guembel, İsmet Tekin, Nathan Biffio, Paige H. (Überlebende des Anschlags) und Rachel Spicker (Soligruppe 9. Oktober). Einlass 18:30, Beginn 19:00 Uhr, ://about blank. Mehr Infos hier und hier

10. September, München: Opening: WIR SIND HIER –  Installation von Talya Feldman im NS-Dokuzentrum München. Ab dann zu sehen bis zum 1. Dezember. Mehr Infos hier.

11. September, Chemnitz / 12. September, Zwickau / 14. September, Bitterfeld / 20. September, Chemnitz / 20. September, Greiz25. September, Glauchau / 26. September, Leipzig: Info- und Mobi-Vortragstour zur Antifaschistische Gedenkdemonstration in Erinnerung an Patrick T. und alle anderen Opfer rechter Gewalt. Mehr Infos hier
13. – 15. September, ChemnitzErinnern versammeln. Praktiken für die Zukünfte einer Gesellschaft der Vielen. Symposium im Weltecho Chemnitz. Mehr Infos hier
20. September, Berlin: Jahrestag des Mordes an Luke Holland. Achtet auf Ankündigungen der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş!

22. September, Berlin: Stadtrundgang mit Fahrrad, von Treptow nach Mitte: Die Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex und Kämpfe um Aufklärung. 11:0018:00 Uhr. Mehr Infos und Anmeldung hier

Noch bis zum 06. Oktober, Zwenkau: Ausstellung zum NSU-Komplex: „Offener Prozess„. Kulturkino Zwenkau. Mehr Infos hier.

Noch bis zum 03. November, Dresden: Ausstellung zum NSU-Komplex: „Offener Prozess„. Kunsthaus Dresden I robotron-Kantine. Mehr Infos hier


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(Redaktion: ck, scs)