📨 NSU-Watch – Der Newsletter #6 – 09/24

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Wir melden uns einmal im Monat mit unserem Newsletter „AufklĂ€ren & Einmischen“ bei euch. Passend zum Titel des Newsletters findet ihr im ersten Teil – AufklĂ€ren – Berichte zu unserer Arbeit. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Ereignisse im Themenfeld rechter Terror und seine Aufarbeitung. Im zweiten Teil des Newsletters wird es praktisch: Einmischen. Wir sammeln fĂŒr euch aktuelle Termine beispielsweise fĂŒr Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, an denen ihr euch beteiligen könnt. Hier könnt ihr euch fĂŒr den Newsletter anmelden.

Wenn ihr genauer wissen wollt, was euch erwartet, könnt ihr hier die September-Ausgabe des Newsletters in der Webversion nachlesen. (Aus technischen GrĂŒnden wird der Newsletter hier grafisch abweichend von der Mail-Version dargestellt.)


Hallo zur September-Ausgabe unseres monatlichen NSU-Watch-Newsletters: „AufklĂ€ren und Einmischen“!

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und ThĂŒringen können nicht ĂŒberraschen und dennoch sind sie niederschmetternd. Jeweils etwa ein Drittel der WĂ€hler*innen in den beiden BundeslĂ€ndern waren bereit dazu, eine offen extrem rechte bis neonazistische Partei zu wĂ€hlen, und machten sie im Falle von ThĂŒringen sogar zur stĂ€rksten Kraft im Landtag.

Das Anbiedern der Parteien der sogenannten Mitte an Positionen der AfD hat ihnen auch bei den aktuellen Landtagswahlen wie zu erwarten nichts genutzt. FĂŒr uns stehen aktuell weder die AfD-Vertreter*innen, die nun wohl erneut jedes Talkshow-Studio von innen sehen werden, noch die „Parteien der Mitte“ im Vordergrund.

FĂŒr uns stehen die antifaschistisch und zivilgesellschaftlich Engagierten vor Ort und die von rechter Gewalt Betroffenen im Vordergrund. Sie knĂŒpfen trotz allem solidarische BĂŒndnisse und mit ihnen gemeinsam gilt es nun, Auswege aus dem weit verbreiteten – angesichts der Lage durchaus verstĂ€ndlichen – OhnmachtsgefĂŒhl zu finden, dagegenzuhalten und neue politische Perspektiven zu entwickeln.

Eins ist klar: Wir alle mĂŒssen und werden uns weiter einmischen. Und dazu gehört auch, die AufklĂ€rung rechter Taten und die Forderung nach Konsequenzen voranzutreiben.

Seit einem halben Jahr gibt es nun unseren monatlichen Newsletter – mit Infos zur extremen Rechten, aus der antifaschistischen Untersuchungsausschuss- und Prozessbeobachtung und dazu, wo man aktiv werden kann. Wir hoffen, dass der Newsletter einen Beitrag dazu leistet, einige Informationen leichter zugĂ€nglich zu machen, die hilfreich fĂŒr die antifaschistische und antirassistische Arbeit sind. In dieser Ausgabe:

  • In Österreich wurde der gut vernetzte und umtriebige Neonazi Manuel E. in Innsbruck zu einer neunjĂ€hrigen Haftstrafe verurteilt
  • Wir blicken zurĂŒck auf den Prozess zum Mord an Alex W. durch einen Pandemieleugner in Idar-Oberstein

Gut zu wissen:

+++ Entpolitisierung im Prozess zur AufklĂ€rung des Sprengstoffanschlags auf das ParteibĂŒro von Die Linke.Liste Oberhausen. +++
+++ Die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass der Brandanschlag am 19. September 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, rassistisch war. +++

Im zweiten Teil des Newsletters gedenken wir Enver ƞimƟek. Er wurde am 9. September 2000 im Alter von 38 Jahren an seinem Blumenstand an der Liegnitzer Straße in NĂŒrnberg vom NSU ermordet. Wir gedenken auch Atilla Özer, Überlebender des rassistischen Nagelbombenanschlags des NSU auf die Keupstraße, der am 23. September 2017 verstarb.

Bleibt aktiv und beteiligt euch – zum Beispiel an den Veranstaltungen, die wir wie immer am Ende des Newsletters zusammengestellt haben.

Unser Newsletter ist kostenlos und wird es auch bleiben. FĂŒr unsere Arbeit sind wir aber auf eure UnterstĂŒtzung angewiesen. Mehr dazu findet ihr auf unserer Spendenseite!

Kein Schlussstrich!
Eure Antifaschist*innen von NSU-Watch

Neun Jahre Haft fĂŒr Osttiroler SzenegrĂ¶ĂŸe

Bereits im MĂ€rz 2024 wurde der gut vernetzte und umtriebige Neonazi Manuel E. in Innsbruck zu einer neunjĂ€hrigen Haftstrafe verurteilt. Das Oberlandesgericht bestĂ€tigte nun sowohl die Strafhöhe als auch die besondere GefĂ€hrlichkeit des Osttirolers. Über Jahre hinweg betrieb Manuel E. unerkannt einschlĂ€gige Musikprojekte wie „Feuernacht“, „TerrorsphĂ€ra“ und zuletzt „Kombaat“. Zudem prĂ€gte er die Neonazi-Kampfsportszene, insbesondere durch die GrĂŒndung der Sportgruppe „Wardon 21“. Dank antifaschistischer Recherchen sind viele seiner TĂ€tigkeiten mittlerweile gut dokumentiert.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war dann eine „freiwillige Nachschau“ (Durchsuchung mit EinverstĂ€ndnis) in der Wohnung seines Schwagers, wo E. ein BĂŒro nutzte und einschlĂ€giges Propagandamaterial lagerte. Trotz laufender Ermittlungen und einer spĂ€teren Hausdurchsuchung besuchte der Osttiroler den „Gerd Honsik Kongress“, traf sich mehrfach mit dem österreichischen Neonazi Gottfried KĂŒssel und lud den deutschen Neonazi und Musiker Hendrik Möbus nach Wien ein.

Sein unbeirrtes Weitermachen kann als Konsequenz der jahrelangen Nichtverfolgung seiner AktivitÀten in der extrem rechten Kampfsport- und Musikszene gewertet werden.

Letztendlich wurde E. wegen fahrlÀssigen Waffenbesitzes und nach dem Verbotsgesetz verurteilt, unter anderem wegen der Zurschaustellung von NS-Symbolen, der Indoktrinierung seiner Stieftochter, mehrerer einschlÀgiger Sprachnachrichten und einzelner musikalischer AktivitÀten.

Die durchaus hohe Haftstrafe begrĂŒndet sich neben dem langen Tatzeitraum vor allem durch drei einschlĂ€gige Vorstrafen und die besondere GefĂ€hrlichkeit. Denn auch fĂŒr das Gericht war klar: Manuel E.s AktivitĂ€ten hatten einen nicht zu unterschĂ€tzenden Einfluss auf die Szene.

Mehr dazu bei Prozessreport.


RĂŒckblick auf den Prozess zum Mord an Alex W. in Idar-Oberstein

Wir gedenken: Alex W., der im Alter von 20 Jahren von einem Rechten und Pandemieleugner ermordet wurde.

Am 18. September jĂ€hrt sich der Mord an Alex W. zum dritten Mal. Der 20-JĂ€hrige jobbte in einer Tankstelle im rheinland-pfĂ€lzischen Idar-Oberstein, unter anderen, um sich den FĂŒhrerschein zu finanzieren. Am Abend des 18. September 2021 wurde er dort ermordet.

Der TĂ€ter war knapp zwei Stunden zuvor bereits in der Tankstelle gewesen, ohne eine Mund-Nase-Bedeckung zum Schutz vor Corona zu tragen. Alex W. hatte ihm zu diesem Zeitpunkt wegen der fehlenden Maske den Kauf von Bier verweigert.

SpĂ€ter kehrte der TĂ€ter mit einer scharfen Waffe im Hosenbund zurĂŒck in die Tankstelle. Diesmal trug er eine Maske. Er stellte sich in die Schlange vor der Kasse. Als er an der Reihe war, nahm er die Maske herunter, zog seine Waffe und schoss gezielt. Alex W. war sofort tot. Der TĂ€ter – der Rechte und Pandemieleugner Mario N. – stellte sich am Sonntag nach der Tat vormittags bei der Polizei und gestand.

Am 21. MÀrz 2022 wurde der Prozess wegen Mordes gegen N. vor dem Landgericht Bad Kreuznach eröffnet. Im Prozess wurden N.s rechte Gesinnung, sein Rassismus, sein verschwörungsideologisches Weltbild, seine Misogynie und seine allgemeine Menschenverachtung deutlich. Klar wurde auch, dass diese Gesinnung bereits deutlich vor der Pandemie vorhanden war.

Nach 24 Verhandlungstagen wurde der TĂ€ter am 13. September 2022 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In ihrer Aussage im Prozess sagte die Mutter von Alex W.: „Es ist nicht nur sein Leben, was verloren ging.“

Die vollstÀndige Prozessdokumentation findet ihr auf unserer Homepage.



Gut zu wissen: Aktuelles aus dem Themenbereich Rechter Terror und Antifaschismus

+++ Entpolitisierung im Prozess zur AufklĂ€rung des Sprengstoffanschlags auf das ParteibĂŒro von Die Linke.Liste Oberhausen +++

von Maurice Uhrhan und Regina Gahbler

Der Prozess zur AufklĂ€rung des Sprengstoffanschlags auf das ParteibĂŒro von Die Linke.Liste Oberhausen in der Nacht zum 5. Juli 2022 wurde in nur zwei Verhandlungstagen abgeschlossen, dabei wurde der rechte Tathintergrund entpolitisiert sowie die Gefahrenlage fĂŒr die Betroffenen missachtet.

Am 20. August 2024 fĂ€llt das Gericht ein niederschmetterndes Urteil: Der Hauptangeklagte, der behauptete den Sprengsatz alleine gezĂŒndet zu haben, wurde wegen der HerbeifĂŒhrung einer Sprengstoffexplosion, wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz sowie SachbeschĂ€digung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Seine MittĂ€terin zu zwei Jahren und vier Monaten Haft. Beide Personen sind einschlĂ€gig vorbestraft und hatten in ihrer mit Neonazi-Devotionalien ausgestatteten Wohnung Waffen und Utensilien zum Bombenbau gehortet. Dennoch wurde der Haftbefehl gegen Meldeauflagen bis zum Haftantritt außer Kraft gesetzt.

Immerhin wertete das Gericht den Anschlag der nachweislich rechten TĂ€ter*innen als Angriff gegen politische Gegner*innen und damit als Angriff gegen die Demokratie. Dass durch die Explosion in der Oberhausener FußgĂ€ngerzohne nur durch Zufall kein Mensch verletzt oder getötet wurde, erhielt vor Gericht keine Beachtung.

Die Strategie der Angeklagten und ihres Verteidigers, den Sprengstoffanschlag als Zufallstat zu entpolitisieren und die Angeklagte durch die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm von der rechten Szene zu distanzieren, scheint aufgegangen zu sein. Der nachweislich neonazistische Hintergrund der beiden TĂ€ter*innen sowie ein weiterer, erst durch den Prozess öffentlich gewordener Anschlagsversuch auf das ParteibĂŒro, hĂ€tten im Prozess stĂ€rker thematisiert und aufgearbeitet werden mĂŒssen.

FĂŒr die Betroffenen ist die Gefahrenlage seit dem Anschlag unĂŒbersichtlich, sie beklagen, nur sehr schleppend ĂŒber den Ermittlungsstand informiert worden seien. „Erst zehn Tage vor dem Prozesstermin erfuhren wir diesen und erhielten Akteneinsicht, unser Antrag auf Nebenklage wurde abgelehnt“, kritisiert Yusuf Karaçelik, Vorsitzender der Stadtratsfraktion Die Linke.Liste die Vorgehensweise des Gerichts.

„Außerdem stellte sich heraus, dass TĂ€ter*innen im Jahr 2020 bereits zweimal erfolglos versucht hatten, SprengsĂ€tze an unseren RĂ€umen anzubringen. Dies ist ebenso gerichtlich dokumentiert, wie dass es möglicherweise MittĂ€ter, mindestens aber Mitwisser*innen gab. Wir fordern, dass dem nachgegangen wird, statt den Deckel drauf zu machen.“

Der politisch rechten Tatmotivation sowie einem möglichen Netzwerk aus weiteren Tatbeteiligten wurde vor Gericht nicht konsequent nachgegangen, eine Einordnung in einen grĂ¶ĂŸeren rechtsterroristischen Zusammenhang blieb aus und die Gefahrenlage fĂŒr die Betroffenen wurde im Urteil nicht berĂŒcksichtigt. Damit ist die Möglichkeit einer umfassenden AufklĂ€rung einer extrem rechten Straftat und der Schutz fĂŒr die Betroffenen gescheitert.

Den ausfĂŒhrlichen Prozessbericht der Opferberatung Rheinland (OBR) findet ihr hier.


+++ Die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass der Brandanschlag am 19. September 1991, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, rassistisch war +++

von Sarah Jost, Antifa Saar / Projekt AK

Am 19. September jĂ€hrt sich der rassistische Brandanschlag in Saarlouis-Fraulautern, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde, zum 33. Mal. Anders als 30 Jahre zuvor gibt es seit dem letztem Jahr auch ein offizielles Gedenken der Stadt Saarlouis am Tatort des Verbrechens, da der Brandanschlag jetzt aufgeklĂ€rt wurde. In einem aufwĂ€ndigen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz wurden in 48 Verhandlungstagen ĂŒber 80 Zeug*innen gehört, viele davon aus der saarlĂ€ndischen Nazi-Szene, und schließlich wurde ein Neonazi aus Saarlouis, Peter Werner Schlappal (heute Schröder), zu einer relativ milden Jugendstrafe von sechs Jahren und 10 Monaten verurteilt. Der zweite Prozess gegen den damaligen AnfĂŒhrer der Szene, Peter St., wegen Beihilfe zum Mord endete im Juli diesen Jahres mit einem Freispruch. Beide Urteile sind noch nicht rechtskrĂ€ftig.

Die Forderung nach einem wĂŒrdigen Gedenken an Samuel Kofi Yeboah wurde 30 Jahre lang alleine von antifaschistischen Gruppen wie der Antifa Saar/Projekt AK, dem saarlĂ€ndischen FlĂŒchtlingsrat und der Aktion 3. Welt Saar getragen. In gemeinsamen BĂŒndnissen und Kampagnen seit den 1990er-Jahren wurde entgegen der offiziellen Version immer wieder angeprangert: Es war ein rassistischer Brandanschlag, begangen von organisierten und militanten Naziskins, er war getragen von einer pogromartigen Stimmung in der deutschen Bevölkerung und wurde durch Verleugnen und Verharmlosen der damaligen Behörden gedeckt.

Nun ist die Tat juristisch aufgeklĂ€rt und die Stadt Saarlouis kann nicht mehr leugnen, dass es ein rassistischer Brandanschlag war. Die saarlĂ€ndische MinisterprĂ€sidentin entschuldigte sich bei den Opfern, der saarlĂ€ndische PolizeiprĂ€sident entschuldigte sich fĂŒr „VersĂ€umnisse“ in den damaligen Ermittlungen, ein EntschĂ€digungsfonds fĂŒr Opfer rassistischer Gewalt ist beschlossen und ein Untersuchungsausschuss im saarlĂ€ndischen Landtag soll jetzt die politische und gesellschaftliche Dimension aufarbeiten. Das ist ein Erfolg, weil es keinen Schlussstrich geben wird.

Über 30 Jahre spĂ€ter ist es aber fĂŒr viele zu spĂ€t. FĂŒr die Betroffenen, die nicht mehr leben, die abgeschoben wurden, oder die diese Jahre in Angst und ohne jede UnterstĂŒtzung ertragen mussten. Auch die Erinnerung der Zeug*innen – selbst wenn sie sich bemĂŒhten – ist verblasst. Aber als Signal, dass Verbrechen auch spĂ€t noch aufgeklĂ€rt werden können, ist die Entwicklung sehr wichtig.

Und als Signal auch an die TĂ€ter, niemals sicher sein zu können. AufgeklĂ€rt ist indes vieles eben noch nicht. Eine unfassbare Reihe von ĂŒber 20 rechten Brand- und BombenanschlĂ€gen zu Beginn der 1990er Jahre will jetzt der Untersuchungsausschuss aufarbeiten, auch das Versagen von Politik und Behörden dabei. Dabei werden Zeitzeug*innen, Betroffene und Szenezeug*innen gehört, und auch die Akten von Polizei- und Verfassungsschutz sollen untersucht werden.

Das Gedenken an Samuel Kofi Yeboah wird uns immer begleiten, mit Trauer und Wut ĂŒber das Verbrechen, aber auch mit dem Wissen um die Notwendigkeit unabhĂ€ngiger antifaschistischer AufklĂ€rung.

Informationen zum Prozess aus Sicht der Nebenklage.

Wir gedenken: Enver ƞimƟek

Enver ƞimƟek wurde im Alter von 38 Jahren an seinem Blumenstand an der Liegnitzer Straße in NĂŒrnberg-Langwasser vom NSU ermordet. Am 9. September 2000 schoss der NSU ihn nieder und verletzte ihn lebensbedrohlich. Enver ƞimƟek erlag zwei Tage spĂ€ter im Krankenhaus seinen Verletzungen, er war das erste Opfer der rassistischen Mordserie des NSU.

Enver ƞimƟek wurde am 4. Dezember 1961 in der TĂŒrkei geboren. Schon als Jugendlicher lernte er seine spĂ€tere Ehefrau Adile kennen. Gemeinsam ließen sie sich 1985 in Hessen nieder und bekamen zwei Kinder, Semiya und Abdulkerim. Mit 31 Jahren machte sich Enver ƞimƟek als BlumenhĂ€ndler selbststĂ€ndig. Sein Unternehmen wuchs auf 30 Mitarbeiter*innen an. Im Jahr 2000 plante Enver ƞimƟek weniger zu arbeiten. Am 9. September 2000 vertrat er einen Mitarbeiter am Blumenstand in NĂŒrnberg.

Abdulkerim ƞimƟek sagt, dass am 9. September 2000 seine Kindheit geendet habe: „Können Sie sich vorstellen, wie das ist fĂŒr ein Kind von 13 Jahren? FĂŒr mich war es einfach undenkbar, dass mein Vater nie wiederkommt. Ich glaubte, gleich wĂŒrde er wieder aufstehen und alles wĂ€re gut. So wie vorher. Dann wĂŒrde ich wieder mit ihm angeln gehen oder ihm beim Grillen helfen.“

Nach dem Mord an Enver ƞimƟek begannen die rassistischen Ermittlungen der Behörden gegen Familie und Angehörige, die Unterstellungen, GerĂŒchte und VerdĂ€chtigungen, die sich auch bei den Ermittlungen zu den anderen rassistischen Mordtaten des NSU fortsetzten. Abdulkerim ƞimƟek: „So wie die Ermittler uns von Anfang an als ‚AuslĂ€nder‘ abgestempelt haben, haben sie mir das GefĂŒhl gegeben: Du gehörst nicht hierher. Ich schaute plötzlich mit einer anderen Perspektive auf dieses Land. Je mehr Menschen getötet wurden, und je mehr die Polizei einseitig in Richtung des Umfelds der Opfer ermittelte, desto fremder fĂŒhlte ich mich.“

2006, nach den Morden an Mehmet KubaĆŸÄ±k und Halit Yozgat, demonstrierten Angehörige der Ermordeten in Kassel und in Dortmund unter dem Motto „9 Opfer – Wir wollen kein 10. Opfer. Stoppt die Mörder“. Sie wollten auch auf ein mögliches rechtes Motiv der Mordserie aufmerksam machen. Semiya ƞimƟek beschreibt in ihrem Buch „Schmerzliche Heimat“, warum sie im Jahr 2006 gemeinsam mit Gamze KubaĆŸÄ±k, der Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet KubaĆŸÄ±k, ein Interview gab: „Als Gamze und ich uns kennenlernten, beschlossen wir, nicht mehr lĂ€nger zu schweigen, sondern an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir gaben ein Fernsehinterview. Vor Wut, dass nichts passierte, dass die Angehörigen nur mit den ewig gleichen VerdĂ€chtigungen traktiert wurden, dass der Möglichkeit der AuslĂ€nderfeindlichkeit nie nachgegangen wurde. [
 ] Das alles verpuffte ohne Nachhall.“

Die Familie von Enver ƞimƟek kĂ€mpft bis heute um AufklĂ€rung. Der Tatort in NĂŒrnberg erhielt 2021 den Namen Enver-ƞimƟek-Platz. Auch in Jena, der Herkunftsstadt des NSU-Kerntrios, wurde ein Platz nach Enver ƞimƟek benannt.


Atilla Özer

Am 23. September 2017 verstarb Atilla Özer, Überlebender des rassistischen Nagelbombenanschlags des NSU auf die Keupstraße in Köln am 9. Juni 2004. Sehr viele Menschen, auch Atilla Özer, wurden zum Teil schwer verletzt, unzĂ€hlige traumatisiert. Viele Üb

erlebende des Anschlags gingen von Beginn an davon aus, dass sie einen rechten Anschlag ĂŒberlebt hatten. „Nach meiner Vermutung waren es die Rechtsextremen“, wird einer von ihnen im Kölner Stadtanzeiger vom 10./11. Juni 2004 zitiert.

Die Ermittlungen richteten sich stattdessen gegen die Bewohner*innen der Keupstraße, gegen die Ladenbesitzer*innen und Besucher*innen der Straße. Rassistische Annahmen prĂ€gten die Ermittlungen. Die Überlebenden des Anschlags auf die Keupstraße sprechen von

dem „Anschlag nach dem Anschlag“, wenn sie den Umgang der Behörden, der Medien und von Teilen der Öffentlichkeit mit ihnen in den sieben Jahren zwischen dem Anschlag im Sommer 2004 und der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios im November 2011 beschreiben.

„Ich möchte, dass Atilla den nötigen Respekt als Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags bekommt“, sagte Candan Özer, die Witwe von Atilla Özer, in einem Interview im Jahr 2020.



+++ Termine +++

04., 09. und 11. September, Dortmund: Prozess gegen fĂŒnf Polizist*innen wegen des Todes von Mouhamed Lamine DramĂ©. Mahnwachen vor dem Gericht ab 7:30 Uhr. Weitere Infos hier und hier.

05. September, Zwenkau: Film: „Spuren – Die Opfer des NSU„. Rahmenprogramm zur Ausstellung Offener Prozess. 20:00 Uhr, Kulturkino Zwenkau. Mehr Infos hier.

05. – 07. September, Kassel: „Nach dem Rechten sehen„. Offenes Festival fĂŒr politische Bildung, AufklĂ€rung und Sensibilisierung. Mehr Infos hier.

05. September, Berlin: Brandenburg Abend Reloaded. Podium: Rechte Gewalt in Brandenburg. Mit Prof. Dr. Gideon Botsch, Christin JÀnicke und Lukas Pellio. 19:00 Uhr, :// about blank. Mehr Infos hier.

06. und 20. September, Berlin: Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex zum Verfassungsschutz im Neukölln-Komplex. Kundgebungen voraussichtlich ab 8:30 Uhr vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Weitere Infos hier. 08. September, Prenzlau: Demonstration „Hinterland heißt Widerstand!14:30 Uhr, Prenzlau Bahnhof. Mehr Infos hier. 08. September, Berlin: Tag der Erinnerung und Mahnung. Ab 13:00 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1. Mehr Infos hier.

09. September, NĂŒrnberg: Niemand wird vergessen! In Gedenken an Enver ƞimƟek, der am 09.09.2000 aus rassistischen Motiven in NĂŒrnberg vom NSU ermordet wurde. Gedenkkundgebung um 18:30 Uhr am Enver-ƞimƟek-Platz. Mehr Infos hier.

09. und 16. September, Schwerin: Sitzungen des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern zum Nordkreuz-Netwerk. Ab 13 bzw. 10 Uhr im Landtag in Schwerin. Weitere Infos hier.

10. September, Berlin: „Solidarische BĂŒndnisse – FĂŒnf Jahre nach dem rechten Terroranschlag von Halle“. Podiumsdiskussion mit Naomi Henkel-Guembel, Ä°smet Tekin, Nathan Biffio, Paige H. (Überlebende des Anschlags) und Rachel Spicker (Soligruppe 9. Oktober). Einlass 18:30, Beginn 19:00 Uhr, ://about blank. Mehr Infos hier und hier. 10. September, MĂŒnchen: Opening: WIR SIND HIER –  Installation von Talya Feldman im NS-Dokuzentrum MĂŒnchen. Ab dann zu sehen bis zum 1. Dezember. Mehr Infos hier.

11. September, Chemnitz / 12. September, Zwickau / 14. September, Bitterfeld / 20. September, Chemnitz / 20. September, Greiz / 25. September, Glauchau / 26. September, Leipzig: Info- und Mobi-Vortragstour zur Antifaschistische Gedenkdemonstration in Erinnerung an Patrick T. und alle anderen Opfer rechter Gewalt. Mehr Infos hier.

13. – 15. September, Chemnitz: Erinnern versammeln. Praktiken fĂŒr die ZukĂŒnfte einer Gesellschaft der Vielen. Symposium im Weltecho Chemnitz. Mehr Infos hier.

20. September, Berlin: Jahrestag des Mordes an Luke Holland. Achtet auf AnkĂŒndigungen der Initiative fĂŒr die AufklĂ€rung des Mordes an Burak BektaƟ!

22. September, Berlin: Stadtrundgang mit Fahrrad, von Treptow nach Mitte: Die Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex und KĂ€mpfe um AufklĂ€rung. 11:0018:00 Uhr. Mehr Infos und Anmeldung hier. Noch bis zum 06. Oktober, Zwenkau: Ausstellung zum NSU-Komplex: „Offener Prozess„. Kulturkino Zwenkau. Mehr Infos hier.

Noch bis zum 03. November, Dresden: Ausstellung zum NSU-Komplex: „Offener Prozess„. Kunsthaus Dresden I robotron-Kantine. Mehr Infos hier.

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