📨 NSU-Watch – Der Newsletter #12 – März 25

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Wir melden uns einmal im Monat mit unserem Newsletter „Aufklären & Einmischen“ bei euch. Passend zum Titel des Newsletters findet ihr im ersten Teil – Aufklären – Berichte zu unserer Arbeit. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Ereignisse im Themenfeld rechter Terror und seine Aufarbeitung. Im zweiten Teil des Newsletters wird es praktisch: Einmischen. Wir sammeln für euch aktuelle Termine beispielsweise für Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, an denen ihr euch beteiligen könnt. Hier könnt ihr euch für den Newsletter anmelden.

Wenn ihr genauer wissen wollt, was euch erwartet, könnt ihr hier die März-Ausgabe des Newsletters in der Webversion nachlesen. (Aus technischen Gründen wird der Newsletter hier grafisch leicht abweichend von der Mail-Version dargestellt.)

 

Hallo zur März-Ausgabe unseres monatlichen NewslettersAufklären & Einmischen“!

Uns allen steckt sicher noch die Bundestagswahl in den Knochen, bei der mehr als ein Fünftel der Wählenden eine extrem rechte, teils offen neonazistische Partei gewählt haben. Der Wahlkampf zeigte, dass die AfD in furchterregendem Ausmaß die politische Agenda anderer Parteien mitbestimmt.

Das galt insbesondere für den Wahlkampf der Union. Sie biederte sich nicht nur rhetorisch und mit ihren politischen Angeboten an die AfD an, sondern bediente sich sogar deren Stimmen, um in der letzten Sitzungswoche vor der Wahl einen kalkuliert inszenierten Antrag im Bundestag durchzubringen – ein Dammbruch. Der wohl künftige Kanzler, Friedrich Merz, hat noch am Tag vor der Wahl in einer Rede mit Blick auf die Proteste gegen dieses Vorgehen von „linken und grünen Spinnern“ gesprochen und allen Ernstes gefragt, wo Antifa und andere Protestierende gewesen seien, als im Juni 2019 das CDU-Mitglied Walter Lübcke ermordet wurde.

Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine zitiert Irmgard Braun-Lübcke, die Ehefrau von Walter Lübcke, dazu folgendermaßen: „Die Aussage von Friedrich Merz hat meine Familie und mich sehr befremdet.“

Tatsächlich waren es insbesondere Antifaschist*innen unterschiedlicher Richtungen, die nach dem Mord an Walter Lübcke auf die Straße gegangen waren und bis heute an den extrem rechten Mord erinnern. Antifaschist*innen veröffentlichten außerdem zentrale Recherchen zum Haupttäter.

Auch wo NSU-Watch war, nachdem der neonazistische Täter (und AfD-Unterstützer) den Kasseler Regierungspräsidenten ermordet hatte, steht fest: NSU-Watch Hessen hat den Prozess gegen den Mörder von Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. und den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag beobachtet. Es lohnt sich auch heute noch sehr, die Berichte nachzulesen.

Tatsächlich war es nach der Tat bei der CDU und gerade bei ihrem heutigen Vorsitzenden Merz ausgesprochen ruhig. Mit ihrem beredten Schweigen hat sie nicht zuletzt bis heute geschickt dethematisiert, dass es u.a. die vormalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach gewesen war, die sich in den Monaten vor dem Mord aktiv und massiv an der brutalen Social-Media-Kampagne gegen Walter Lübcke beteiligt hatte.

Der Wahlkampfauftritt von Merz am Vortag der Bundestagswahl ist ein weiterer Höhepunkt höhnischer Tatsachenverdrehung. Nur einen Tag nach der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 setzte die künftige Kanzler-Partei mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag sogar noch einmal nach. Sie verlangte von der noch amtierenden Bundesregierung Informationen über die „politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“.

Nicht zufällig forderte die CDU-Fraktion dabei vor allem Auskunft zu jenen Zusammenschlüssen, Initiativen und Vereinen, die in den Wochen zuvor gegen Rechts protestiert hatten – es handelt sich offensichtlich um eine Drohgebärde gegen antifaschistisch und zivilgesellschaftlich aktive und organisierte Menschen. Diese Kleine Anfrage ist vermutlich nur der Auftakt zu weiteren politischen Angriffen auf die Zivilgesellschaft unter einer Merz-Regierung.

Für uns ist klar: Wir dürfen diesen Attacken nicht nachgeben! Es braucht weiter eine klare antifaschistische Haltung, es braucht solidarische Bündnisse und das Bewusstsein darüber, dass die Zukunft noch nicht geschrieben ist. Es liegt auch an uns, wie es weitergeht. In dieser Ausgabe des Newsletters:

Gut zu wissen:

+++ „Fünf Jahre mussten wir dafür kämpfen, dass wir ernstgenommen werden“ – Prozess wegen rechtem Brandanschlag in Bremen 2020 +++
+++ Was ist los in Österreich? +++
+++ Buchtipp: „Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 +++

Am Ende des Newsletters findet ihr wie immer die Termine.

Wir gedenken im März der 51 Menschen, die ein rassistischer Täter vor sechs Jahren in Christchurch ermordete. Wir gedenken Gustav Schneeclaus, der 1992 von zwei Neonazis in Buxtehude ermordet wurde.

Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt noch zu wenig über die Person des Täters bekannt ist, der am 03.03.2025 in der belebten Innstadt-Straße in Mannheim ungebremst in Passant*innen hineinfuhr, zwei Menschen tötete und viele verletzte, müssen wir auf dessen rechte Hintergründe der vergangenen Jahre verweisen. Die Recherchestruktur EXIF hat schon am 04.04.2025 Informationen veröffentlicht. Wir denken an die Getöteten und Verletzen, an ihre Angehörigen und Freund*innen.

Kein Schlussstrich!
Eure Antifaschist*innen von NSU-Watch

Unser Newsletter ist kostenlos und wird es auch bleiben. Für unsere Arbeit sind wir aber auf eure Unterstützung angewiesen. Mehr dazu findet ihr auf unserer Spendenseite!

Welche Kritik? Staatsanwalt ohne Erinnerung im Neukölln-Untersuchungsaussschuss

Im Neukölln-Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses steht mit der Berliner Staatsanwaltschaft derzeit diejenige Behörde im Mittelpunkt, der Zeug*innen aus der Polizei besonders viel Verantwortung für die lange Zeit erfolglosen Ermittlungen zuwiesen. Die Sitzung am 21. Februar war dabei von der Öffentlichkeit mit Spannung erwartet worden, weil an diesem Tag Oberstaatsanwalt F., der ehemalige Leiter der Staatsschutzabteilung, geladen war.

F.s Name wurde von Zeug*innen zum einen häufig genannt, wenn nach einer möglichen Verschleppung von Ermittlungen gefragt wurde. Zum anderen war ein Vermerk der Polizei öffentlich geworden, demzufolge einer der Haupttäter im Neukölln-Komplex, Tilo P., in einem Chat mit einem anderem AfD-Mitglied angedeutet habe, von F. habe man nichts zu befürchten, da dieser angedeutet habe, auf ihrer Seite zu stehen. Tilo P. war zuvor in einer anderen Sache als Zeuge vernommen worden, ungewöhnlicherweise von Oberstaatsanwalt F. persönlich.

F. selbst stellte vor dem Untersuchungsausschuss die gesammelten Vorwürfe gegen ihn nun insgesamt als für ihn neu, unverständlich oder falsch dar. Natürlich durfte die ein oder andere Erinnerungslücke auch in seiner Aussage nicht fehlen. Zunächst ließ er aber verlauten, alle Verfahren seien stets neutral bearbeitet worden, niemand habe sich von sachfremden Dingen leiten lassen.

Konfrontiert damit, dass Ermittler*innen im Neukölln-Komplex häufig die Staatsanwaltschaft und auch explizit ihn vor dem Untersuchungsausschuss kritisiert hatten und auch angaben, dies an die Staatsanwaltschaft herangetragen zu haben, behauptete F. wiederholt, davon wisse er nichts oder könne sich nicht erinnern. Er sagte beispielsweise, die Polizei habe nie gesagt, dass die Straftaten zusammenhingen und von einem*einer Staatsanwält*in gemeinsam bearbeitet werden sollten. Das könne er zu „99 Prozent ausschließen“. Er betonte außerdem, dass es innerhalb der Staatsanwaltschaft keine Effizienzverluste gegeben habe, auch wenn die Fälle einzeln bearbeitet wurden.

Gefragt nach der Kritik, dass die Staatsanwaltschaft immer wieder von der Polizei vorgeschlagene Maßnahmen nicht ermöglicht habe, sagte F.: „Ich kann nach besten Wissen und Gewissen ausschließen, dass Leute dauernd bei mir waren, die was wollten, und das nicht geklappt hat. Wüsste ich eigentlich nicht, kann mich nicht erinnern, dass das passiert ist.“

Aus F.s Sicht stellten sich – wenig überraschend – auch die Vorwürfe rund um Tilo P. anders dar. F. sagte aus, er habe diesen zu einer Beschädigung eines AfD-Standes als Zeuge vernommen, weil P. nicht bei der Polizei erschienen sei. Es sei eine ganz normale Befragung gewesen, er habe ihm weder durch verbales noch nonverbales Verhalten Anlass für die im Chat gefallene Bemerkung gegeben. Auf Fragen der Abgeordneten gab er jedoch keine Erklärung dafür, warum die Vernehmung zwei Stunden dauerte, es aber nur zwei Seiten Protokoll gibt. F. gab außerdem an, dass er sich vor der Befragung nicht über Tilo P. informiert habe. Seine Umsetzung auf einen anderen Posten in der Staatsanwalt sei, so F., nach Öffentlichwerden des Vermerks erfolgt, weil er dadurch laut seines Vorgesetzten von der Polizei „desavouiert“ worden sei und er der Polizei nun nicht mehr habe trauen können.

Vor dem Abgeordnetenhaus fand während der Aussage von F. eine antifaschistische Kundgebung statt.

Auf unserer Homepage findet ihr unsere Berichte und Hintergründe zum Neukölln-Komplex.


Gute Prepper, schlechte Prepper: Nordkreuz-Aufklärung in Mecklenburg-Vorpommern auf Abwegen

Der 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sich derzeit mit dem Nordkreuz-Komplex. Viele Zeug*innen zu diesem Thema thematisierten die Gefahr, die von dem Netzwerk ausging und äußerten Unverständnis dafür, dass die Bundesanwaltschaft ihr Verfahren nicht erweiterte und so nicht wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelte. Die vier Zeug*innen der letzten beiden Termine in Schwerin schlossen sich dieser Dringlichkeit nicht an.

Am 24. Februar sagten der Leiter der Staatsanwaltschaft Rostock, Gä., und die Leiterin der Generalstaatsanwaltschaft Mecklenburg-Vorpommern aus. Letztere beschrieb ihre Tätigkeit im Wesentlichen als ein Weiterleiten der Post zwischen Bundesanwaltschaft und mecklenburg-vorpommerischen Staatsanwaltschaften.

Von der Staatsanwaltschaft Rostock wiederum hätte man eine größere Rolle bei den Ermittlungen zu Nordkreuz erwarten können. Schließlich war sie 2017 zur Staatsschutz-Schwerpunktstaatsanwaltschaft geworden und ist seitdem für entsprechende Verfahren im ganzen Bundesland zuständig. Ihr Leiter sagte dagegen erstaunlicherweise aus, dass die Staatsanwaltschaft Rostock nur am Rande mit dem Komplex befasst gewesen sei und er davon aus den Medien erfahren habe.

Gä. fühlt sich offenbar bis heute nicht wirklich zuständig für das Thema. Zur Begründung, warum er es ablehnte, Maßnahmen zu ergreifen, als der leitende LKA-Ermittler ihn bei zwei Treffen darum bat, verwies Gä. auf juristische Abläufe und Zuständigkeiten. Die Zuständigkeit habe bei der Bundesanwaltschaft gelegen. Gefragt nach dem Verfahren gegen Marko G., das durch die Schweriner Staatsanwaltschaft bearbeitet wurde, sagte Gä., er gehe davon aus, dass dieses keinen politischen Hintergrund und nichts mit Nordkreuz zu tun gehabt habe, weil es ihnen ja nicht zugeteilt worden war.

Auch die Verfahren gegen eine weitere zentrale Figur, den Schießplatzbetreiber Frank T., stufte Gä. als unpolitisch ein. Es sei schließlich beispielsweise um Munition gegangen. Abgeordnete machten dagegen darauf aufmerksam, dass die Staatsanwaltschaft Rostock die Verfahren gegen T. nicht gesammelt betrachtet habe und diese fast komplett eingestellt hätten. Eine gemeinsame Betrachtung hätte womöglich ein anderes Bild ergeben.

Auch die Verfahren gegen die vormaligen Hauptverdächtigen des Verfahrens der Bundesanwaltschaft, Haik Jaeger und Jan Hendrik Hammer, sind inzwischen abgeschlossen. Nachdem die Bundesbehörden die Ermittlungen eingestellt hatten, erhielt Jäger einen Strafbefehl von 50 Tagessätzen á 100 Euro. Erst ab 60 Tagessätzen wird ein Urteil relevant für das Recht eine Waffe zu tragen. Hammer wurde von einem Schöffengericht zu 80 Tagessätze zu je 50 Euro verurteilt.

In der Ausschusssitzung wurde auch deutlich, dass den Betroffenen der Nordkreuz-Feindeslisten unterdessen die Möglichkeit von Anzeigen genommen wurden. Sie hätten Strafanzeige wegen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz stellen müssen. Dies ist ein Antragsdelikt, Behörden werden hier nicht selbstständig tätig. Die Betroffenen wurden darüber allerdings gar nicht informiert – die Straftaten sind inzwischen verjährt.

Am 3. März sagte der ehemalige Leiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) Dr. Christof Gramm aus. Seine Vorbereitung belief sich laut eigener Aussage darauf, sich bei einer Tasse Kaffee entspannt mit seinem ehemaligen Büroleiter darüber zu unterhalten, was Nordkreuz war. Gramm machte deutlich, dass nach den Fällen Franco Albrecht und Nordkreuz die Behörden ihre Zusammenarbeit verbessert hätten. Bei Nordkreuz sei es beispielsweise so gewesen, dass viele Reservisten beteiligt gewesen seien. Für die sei der MAD aber nur zuständig, wenn sie sich bei einer Übung befinden, sonst bearbeite sie der Verfassungsschutz. Viel mehr konnte Gramm zu Nordkreuz nicht sagen, obwohl sich mehrere ehemalige Bundeswehr-Soldaten an den Chatgruppen beteiligt hatten. Er führte aber aus, dass Bundeswehr und Polizei insgesamt ein anderes Klientel anzögen als beispielsweise die „Hungerhilfe“.

Ziemlich unaufgeregt berichtete auch Wilfried Kapischke, Inspekteur a.D. der Landespolizei und außerdem Leiter der nach dem Bekanntwerden von Nordkreuz vom Innenminister einberufenen „Prepperkomission“. Auf Fragen der Abgeordneten bestätigte er, dass diese Kommission sich nur am Rande mit Nordkreuz befasste. Vielmehr sei es um eine Begriffsdefinition gegangen. Demnach seien „Prepper“ diejenigen, die sich beispielsweise mit Konserven eindecken. Diejenigen, die zusätzlich Waffen horten und die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen, nenne man von nun an „radikale Prepper“.

Auf unserer Homepage findet ihr unsere Berichte und Hintergründe zum 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern.



Gut zu wissen: Aktuelles aus dem Themenbereich Rechter Terror und Antifaschismus

+++ „Fünf Jahre mussten wir dafür kämpfen, dass wir ernstgenommen werden“ – Prozess wegen rechtem Brandanschlag in Bremen 2020 +++

Gastbeitrag von soliport – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Bremen

Am 16. Januar 2025 begann, fast fünf Jahre nach einem schweren Brandanschlag, am Bremer Landgericht der Prozess gegen drei Neonazis wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung. Ihnen wird vorgeworfen, in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2020 während eines Konzerts einen Brandanschlag auf das alternative Jugendzentrum „Friese“ im Bremer Steintor-Viertel verübt zu haben. Über 30 Besucher*innen waren durch den Anschlag gefährdet, wurden teilweise verletzt und leiden bis heute an den psychischen Folgen. Eine der betroffenen Personen hat sich der Anklage in der Nebenklage angeschlossen.

Die Angeklagten Nico J., Jan-Hendrik E. und Dave S. haben Verbindungen in die militante rechtsextreme Szene – unter anderem zur Partei Die Rechte und dem im November 2019 verbotenen Neonazi-Verein „Phalanx18“. In der Brandnacht wurden vor Ort Aufkleber von Die Rechte sowie einer weiteren rechtsextremen Gruppe gefunden. In der Hauptverhandlung gaben die Angeklagten Einlassungen ab, in denen sie ihren Zustand in der Tatnacht als schwer alkoholisiert beschrieben. Jan-Hendrik E. gab an, das Feuer quasi aus Versehen beim Anzünden einer Zigarette gelegt zu haben. Dave S. und Nico J. behaupteten, davon nichts bemerkt zu haben. Die „Friese“ wäre ihnen nicht als alternativer oder antifaschistischer Ort bekannt. Sie hätten diese nur auf der Suche nach einer Toilette und zum Kickern betreten.

Trotz konkreter Hinweise auf die Angeklagten kurz nach der Tat führte die Polizei erst anderthalb Jahre nach der Tat Hausdurchsuchungen bei ihnen durch. Auch nach der Befragung der Ermittlungsführerin vor Gericht bleiben die langen Phasen von Untätigkeit sowie andere Versäumnisse der Ermittlungsbehörden rätselhaft. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Jan-Hendrik E. wurden unter anderem Hitler-Bilder, Reichskriegsflaggen, das Buch „Mein Kampf“, das rechtsterroristische Manifest „Der Weg Vorwärts“ von Blood&Honour sowie ein eingeritzter Schriftzug „Danke Uwe“ gefunden, der als direkter Bezug zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) verstanden werden muss.

Die Nebenklagevertretung sprach hier passenderweise von einem „Nazi-Gruselkabinett“. Bis auf die Aufkleber, die auch am Tatort gefunden wurden, wurde kein einziger weiterer Gegenstand beschlagnahmt. Auch war es dem Angeklagten möglich, sein Mobiltelefon verschwinden zu lassen: der Staatsschutz hatte ihn darauf über dieses Telefon noch am Morgen der Durchsuchung kontaktiert und ihn gebeten, nach Hause zu kommen und mit den Beamt*innen vor Ort zu sprechen.

Angesichts der Funde ist davon auszugehen, dass zumindest einer der mutmaßlichen Täter mit dem Konzept des sog. „führerlosen Widerstands“ sympathisiert, das u. a. die ideologische Grundlage der Mord- und Anschlagsserie des NSU-Netzwerks bildet. Nach Einschätzung der Nebenklagevertretung ist nicht erkennbar, dass von den Ermittlungsbehörden jemals ein rechtsterroristisches Motiv für den Brandanschlag in Betracht gezogen wurde.

Für die Betroffenen waren die schleppenden und defizitären Ermittlungen eine massive Belastung. Es entstand der Eindruck, dass die Ermittlungsbehörden die Tragweite des Anschlags und das rechte Motiv verharmlosen.

„Fünf Jahre mussten wir dafür kämpfen, dass wir ernst genommen werden, was unglaublich viel Zeit und Energie gekostet hat“, so eine betroffene Person, und betont: „So darf das einfach nicht laufen“. Eindrücklich schildern die Betroffenen im Verfahren die Folgen, die das Erlebte bis heute hat, und den Schock, von Rechten angegriffen worden zu sein. Nur durch das schnelle Reagieren der Anwesenden konnten im Fall der „Friese“ schlimmere Folgen verhindert werden. Angesetzt sind 18 Verhandlungstage, das Urteil ist für Mai 2025 zu erwarten.

Presseerklärung der Betroffenenberatung, der Nebenklagevertretung und des Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.


+++ Was ist los in Österreich? +++

Die längste Regierungsbildung der Geschichte Österreichs hat nun endlich ein Ende. Nachdem am 29. September 2024 die rechtsextreme FPÖ erstmals zur stärksten Kraft gewählt wurde, jedoch keinen Verhandlungspartner fand, kam es zu Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Diese scheiterten Anfang 2025 und führten zum Rücktritt des damaligen Kanzlers und ÖVP-Chefs Karl Nehammer, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auch nach dem Wahlkampf ausschloss. Somit war der Weg frei für Verhandlungen zwischen den zwei stimmenstärksten Parteien: FPÖ und ÖVP. Neu wäre eine FPÖ-Regierungsbeteiligung allerdings nicht gewesen, bereits fünfmal war sie als Juniorpartner auf Bundesebene in Regierungsverantwortung, zuletzt sorgte der Ibiza-Skandal 2019 für ein vorzeitiges Ende.

Nach knapp fünf Wochen platzten auch diese Verhandlungen. Geprägt waren sie, wie so oft, von rechtsextremen Vorfällen rund um die FPÖ. Besonders deutlich wird die Rolle der „Blauen“ im neu veröffentlichen Rechtsextremismusbericht des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW), indem sie auf knapp 200 Seiten ganze 231-mal vorkommt. Einen guten Überblick liefert auch die Plattform „Stoppt die Rechten“, die seitdem Herbert Kickl im Juli 2021 die Partei übernommen hat, bereits 140 rechtsextreme Vorfälle dokumentiert hat.

Gerade die inhaltlichen und personellen Überschneidungen zu Gruppierungen wie den „Identitären“, aber auch zu rechten bis rechtsextremen Medien sind schon lange kein Geheimnis mehr. So gibt es zum Beispiel keinerlei Berührungsängste mit dem Verschwörungssender AUF1, der nicht nur am Wahlabend im Parlament berichten konnte, sondern auch exklusiv den Wahlsieger Kickl interviewte. Auch die parlamentarischen Mitarbeiter der FPÖ sorgen regelmäßig für Empörung, zuletzt musste René Schimanek, der Büroleiter des Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz, nach einer parlamentarischen Anfrage der Grünen zurücktreten.

Doch auch ohne FPÖ in der Regierung herrscht kein wirkliches Aufatmen, auch das Programm der Dreierkoalition ist geprägt von Einschränkungen für Geflüchtete, der kommende Sparkurs wird für viele spürbar werden und die „Freiheitlichen“ liegen aktuell sogar bei 28.8%.

Es ist also weiterhin an der Zeit, extrem rechte Akteure, ihre politischen Angebote, rechte Gewalt und Formierungen rechten Terrors – und nicht zuletzt rechte Positionen der sogenannten Mitte – im Blick zu behalten, zu benennen und Allianzen gegen ihre Wirkmächtigkeit zu suchen.


+++ Buchtipp: „Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 +++

Drei Tage dauerten die Angriffe auf ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam und Asylsuchende in Rostock-Lichtenhagen. Die rassistische Gewalt gilt heute als das größte Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Großteil der betroffenen Asylsuchenden, unter ihnen viele Rom*nja aus Rumänien, wurde nach dem Pogrom abgeschoben oder verließ Deutschland, um rechter Gewalt und schlechten Lebensbedingungen zu entgehen. Ihre Stimmen wurden im Gedenken an das Pogrom in Lichtenhagen lange nicht gehört.

In diesem Band erscheinen erstmals die Berichte von sechs Zeitzeuginnen aus Rom*nja-Communities im Süden Rumäniens, die als Asylsuchende die rassistische Gewalt in Lichtenhagen erleben mussten. Sie erzählen von der Migration nach Deutschland, der Selbstrettung aus dem brennenden Sonnenblumenhaus und von ihren Forderungen für die Gegenwart. Begleitende Aufsätze geben Informationen zum historischen Kontext des Pogroms in Lichtenhagen und ordnen die Erinnerungen ein.

In Deutschland waren die Stimmen und Perspektiven der Betroffenen aus Rumänien bis 2022 nahezu unbekannt. Diese Leerstelle war kein bloßes Versäumnis, sondern eine Folge der restriktiven Asylpolitik der 1990er Jahre und einer Erinnerungskultur, in der die Betroffenen kaum eine Rolle spielten. Dabei haben das Wissen und die Perspektiven der rumänischen Rom*nja das Potential, die deutschen Erzählungen des Pogroms in Lichtenhagen grundlegend zu erweitern. Dazu schreibt Izabela Tiberiade, Tochter von Überlebenden des Pogroms:

„Alle betroffenen rumänischen Rom*nja waren entweder Überlebende des Rom*nja-Genozids [im Zweiten Weltkrieg]oder Angehörige von Überlebenden in der zweiten Generation. Meine Frage ist, wie würde dieses Wissen das Narrativ des Pogroms und die Politik in Deutschland verändern?“

„Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 +++ Herausgegeben vom Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“ und der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern Hardcover Deutsch und Rumänisch 168 Seiten, 40 Abbildungen Print und kostenfreier Download

Wir gedenken: Der rassistische Anschlag von Christchurch am 15. März 2019

Vor sechs Jahren, am 15. März 2019, ermordete ein Rechtsterrorist in Christchurch (Neuseeland) aus rassistischen Motiven 51 Menschen und verletzte weitere 50 teils schwer. In seiner Tatausübung filmte sich der Täter selbst – im lifestream via tausendfach verbreiteter Social Media-Kanäle. Der Terrorangriff von Christchurch nahm sich andere Terrortaten zum Vorbild und suchte zugleich gezielt nach Zustimmung extrem rechter Akteure weltweit – als Botschaftstat und Bezugspunkt einer international aufeinander verweisenden Täterkommunikation.

Der 15. März 2019 war ein Freitag. Mit dem Anchschlag wurde  Menschen bewusst während ihres Freitagsgebetes in der Al-Noor-Moschee und dem Linwood Islamic Centre angegriffen. Unsere Gedanken sind bei den Ermordeten, ihren Angehörigen und den Überlebenden. Wir erinnern an die Namen aller, die am 15. März vor sechs Jahren getötet wurden:

Abdukadir Elmi, Abdul Fattah Qasem, Ahmed Abdel Ghani, Ali Elmadani, Amjad Hamid, Ansi Alibava, Ashraf Ali, Ashraf Al-Masri, Ashraf Morsi, Asif Vora, Atta Elayyan, Daoud Nabi, Farhaj Ahsan, Ghulam Husain, Hafiz Musa Vali Patel, Hamza Mustafa, Haroon Mehmood, Hosne Ahmed, Hussain al-Umari, Hussein Moustafa, Junaid Kara/Ismail, Kamel Mohamad Kamel Darweesh, Karam Bibi, Khaled Mustafa, Linda Armstrong, Maheboob Khokhar Matiullah Safi, Mohammed Imran Khan, Omar Faruk, Mohsen Mohammed Al Harbi, Mojammel Hoq, Mounir Suleiman, Mucad Ibrahim, Lilik Abdul Hamid, Abdus Samad, Musa Nur Awale, Naeem Rashid, Osama Adnan Abu Kweik, Ozair Kadir, Ramiz Vora, Sayyad Milne, Sohail Shahid, Syed Areeb Ahmed, Syed Jahandad Ali, Talha Rashid, Tariq Omar, Zakaria Bhuiya, Zeeshan Raza, Muhammad Haziq bin Mohd Tarmizi, Mohamad Moosi Mohamedhosen, Zekeriya Tuyan.


Gustav Schneeclaus

Wir gedenken Gustav Schneeclaus. Am Abend des 18. März 1992 sagte der ehemalige Kapitän in Buxtehude zu zwei Neonazis, „Hitler war der größte Verbrecher.“ Dies nahmen die Neonazis zum Anlass, ihn massiv anzugreifen. Gustav Schneeclaus erlag vier Tage später, am 22. März 1992, seinen schweren Verletzungen. Er wurde 53 Jahre alt.

Stefan Silar (heute W.), einer der Täter, war auch nach seiner Zeit im Gefängnis ein bundesweit gut vernetzter Neonazi-Aktivist. Briefe von ihm wurden bei Carsten Szczepanski (V-Mann Piatto) gefunden, der im NSU-Komplex eine wichtige Rolle spielte. Stephan Kronbügel, der andere Täter, beging 2017 einen rechten Anschlag am S-Bahnhof Veddel in Hamburg. Einen Podcast zur Prozessbeobachtung zu diesem Anschlag findet ihr auf unserer Homepage.



+++ Termine +++

6. März, Frankfurt a.M.: „Wir tragen neun Narben auf dem Herzen. 5 Jahre Hanau – Erinnern und Verändern“. 18 Uhr, Stadthaus. Mehr Infos hier.

6. März, Oberwart: Lesung und Gesprächsrunde: „Das Roma-Attentat von Oberwart“. 19:00 Uhr, Offenes Haus Oberwart. Mehr Infos hier.

11. März, Berlin: Solidarische [Ergänzungs] Kundgebung zur Gedenkveranstaltung für Opfer von Terrorismus: „Wir sind nicht eingeladen? – Wir kommen trotzdem!“ 12 Uhr, Jungfernbrücke. Mehr Infos hier.

15. März, Mannheim: Live-Podcast am internationalen Tag gegen Polizeigewalt16:30 Uhr, Alte Feuerwache Mannheim. Mehr Infos hier.

17. März, Doberan: Vortrag: Die AfD und ihre extrem rechten Freunde. Mit Michael Noetzel. 18 Uhr im Ehm-Welk-Haus. Mehr Infos hier.

18. März, Rostock: Buchvorstellung: „Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. 18:30 Uhr, Universität Rostock. Mehr Infos hier.

7. und 21. März, Berlin: Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex zum Thema Staatsanwaltschaft. Kundgebung voraussichtlich ab 8:30 Uhr vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Weitere Infos hier.

20. März, Oberwart: Podiumsdiskussion „30 Jahre Attentat von Oberwart und Stinatz – was haben wir daraus gelernt?“ 19:00 Uhr, Offenes Haus Oberwart. Mehr Infos hier.

21. März, Leverkusen35 Jahre Microphone Mafia – Mehr als nur Musik. Konzert & Ausstellung. 19:30 Uhr, Kulturausbesserungswerk. Mehr Infos hier.

Bis 23. März, OberwartAusstellung: „Man will uns ans Leben“ | Bomben gegen Minderheiten 1993–1996. Offenes Haus Oberwart. Mehr Infos hier.

24. und 31. März, Schwerin: Sitzungen des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern zum Thema: Nordkreuz-Netzwerk. Ab 10 Uhr im Landtag in Schwerin. Weitere Infos hier.

26. März, Schwerin: Buchvorstellung: „Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. 18:00 Uhr, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin. Mehr Infos hier.

27. März, Berlin: Buchvorstellung: „Wir entkamen auf eigene Faust“. Zeitzeug*innenberichte rumänischer Rom*nja vom Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. 19:00 Uhr, Bildungsforum gegen Antiziganismus (Prinzenstraße 84.2). Mehr Infos hier.

29. März, DortmundAntifaschistische Demonstration in Erinnerung an Thomas »Schmuddel« Schulz und allen Opfern rechter Gewalt. 14 Uhr, Kampstraße. Mehr Infos hier.

29. März, online: Online-Workshop für Prozessbeobachter*innen aus Österreich. 11-14 Uhr. Mehr Infos und Anmeldung hier. 1. April, Dortmund/Köln: Film: Die Möllner Briefe. Mehr Infos hier.

Jetzt anmelden! 16. bis 20. Juni, BerlinBildungsurlaub der Bildungsinitiative Lernen aus dem NSU-Komples (BiLaN): Rechtsruck in Deutschland – Was tun?. Mehr Infos hier. Jetzt anmelden! 08. bis 12. September, Hamburg: Bildungsurlaub der Bildungsinitiative Lernen aus dem NSU-Komples (BiLaN): Wider das Vergessen – Erinnern für Heute und Morgen. Rechte Gewalt in Hamburg nach 1945 bis heute. Mehr Infos hier. Jetzt anmelden! 03. bis 07. November, Berlin: Bildungsurlaub der Bildungsinitiative Lernen aus dem NSU-Komples (BiLaN): Das Ost-West-Ding Vom Ende der deutschen Teilung bis heute. Mehr Infos hier.



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