Protokoll 352. Verhandlungstag – 8. März 2017

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An diesem Prozesstag stellt die Verteidigung Wohlleben einen weiteren gegen den gesamten Senat. Auch die sog. „Alt-Verteidigung“ von Beate Zschäpe kündigt ein Ablehnungsgesuch an.

Der Beginn des Verhandlungstages ist heute für 13 Uhr geplant, um 13:12 Uhr geht es tatsächlich los. Nach der Präsenzfeststellung sagt der Vorsitzende Richter Götzl: „Es wird mitgeteilt im Hinblick auf die am 07.03. gesetzte Frist, dass eine Änderung der Frist erfolgen wird. Sollen Anträge gestellt werden?“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders beginnt den gestern bereits angekündigten Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat zu verlesen und wird später von ihren Kollegen Nahrath und Klemke abgelöst.

Wie bei der Verteidigung Wohlleben üblich, wird zunächst sehr ausführlich der prozessuale Hergang aus Sicht Wohllebens wiedergegeben inklusive der weitgehenden bzw. kompletten Verlesung von Anträgen und Beschlüssen. Es geht dabei zunächst um die Beweisanträge zur Ladung und Vernehmung von insgesamt 17 Zeug_innen [349. Verhandlungstag] sowie um deren Ablehnung am gestrigen 351. Verhandlungstag. Dann geht es um die Anträge zur Ladung und Vernehmung der Staatsschutzbeamten Tu. und Kö. [295. Verhandlungstag]. Auch hier wird zunächst der Antrag wiedergegeben, dann wird ausgeführt, dass Kö. am 305. Verhandlungstag vernommen worden sei. Am 24.01.2017 seien von Amts wegen die Zeugen Pr. und K. sowie am 25.01. der Zeuge Ke. zum selben Beweisthema vernommen worden. Der Vorsitzende habe ebenfalls die Ladung des Zeugen Tu. auf den 02.08.2016 angeordnet. Es sei jedoch mit Schreiben vom 27.07.2016 von der KPI Jena unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom 19.07.2016 mitgeteilt worden, dass Tu. auf unbestimmte Zeit nicht reise- und verhandlungsfähig sei. Auf Nachfrage habe der Vorsitzende am 01.09.16 von der Ärztin die telefonische Auskunft erhalten, dass Tu. weiterhin krankgeschrieben sei und sie diesen an einen anderen Arzt überwiesen habe. Auf Anfrage des Vorsitzenden habe dieser Arzt mit Schreiben vom 12.09.2016 mitgeteilt, dass Tu. nach wie vor verhandlungsunfähig sei.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden vom 07.12.2016 habe der Arzt am 12.12.2016 mitgeteilt, dass mit einer Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit des Zeugen Tu. in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Mit Schreiben vom 07.02.2017 habe der Vorsitzende abermals nach der Verhandlungsfähigkeit Tu.s gefragt und ein ausführliches Attest angefordert. Der Arzt habe darauf am 14.02.2017 ein Schreiben gesendet. Auch dieses Schreiben wird im Rahmen des Ablehnungsgesuchs verlesen. Darin geht es zunächst um eine knappe Diagnose, dann darum, dass nach Behandlung eine Besserung eingetreten sei, sodass jetzt eine Fahrt nach München durchaus realisierbar sei, schwieriger sei aber die Vorstellung im Gerichtssaal mit Zeugenvernehmung; dieser Situation sei der Patient noch nicht gewachsen, daher sei unter Berücksichtigung des bisherigen Krankheitsverlaufs aus Sicht des Arztes eine erneute Einschätzung in etwa drei Monaten sinnvoll. Dann gibt die Verteidigung Wohlleben den Beschluss zur Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung von Tu. vom gestrigen 351. Verhandlungstag wieder.

Es geht dann um das Thema Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen. Am 01.12.2016 habe der Vorsitzende, so das Ablehnungsgesuch weiter, die Bitte an die Verfahrensbeteiligten gerichtet, dass, wenn noch Beweisanträge zu stellen sind, diese möglichst bald und gebündelt gestellt werden. Mit Schreiben vom 25.01.2017 habe der Vorsitzende mitgeteilt, es werde „höchstvorsorglich zur Vermeidung von Terminkollisionen erwogen“, die Verhandlung vom 12.09.2017 bis zum 11.01.2018 an einzeln bezeichneten Tagen fortzusetzen. Daraufhin habe RA Klemke mit Schreiben vom 28.01.2017 mitgeteilt, dass er ab dem 07.09.2017 bis zum 02.08.2018 an allen Donnerstagen wegen eines beim OLG Stuttgart anhängigen Verfahrens verhindert sei. Klemke habe darum gebeten, an den Donnerstagen ab dem 07.09.2017 nicht in der vorliegenden Sache zu terminieren. Insoweit habe der Vorsitzende am 30.01.2017 telefonisch mit dem Vorsitzenden beim OLG Stuttgart Kontakt aufgenommen und sich erkundigt, ob die von Klemke gemachten Angaben zuträfen, was der Vorsitzende beim OLG Stuttgart bestätigt habe. Dann wird ein Schreiben von Götzl an Klemke vom 09.02.2017 verlesen, in dem Götzl mitteilt, dass er auf Klemkes Terminkollisionen wegen des Verfahrens vor dem OLG Stuttgart keine Rücksicht nehmen könne, weil ihm Klemke auf persönliche Nachfrage am Rande der Hauptverhandlung zusätzlich mitgeteilt habe, dass beim OLG Stuttgart bislang noch nicht terminiert sei, die Terminierung auch nicht unmittelbar bevorstehe, es sich bei dem Verfahren um keine Haftsache handele und dass nach seiner, Klemkes, Einschätzung die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens im Mai 2017 entschieden werden solle. Bei dem hier gegenständlichen Verfahren, so das Schreiben von Götzl weiter, handele es sich um eine Haftsache.

Er, Götzl, habe bislang immer zu Beginn eines neuen Jahres und im Sommer jeweils den Verfahrensbeteiligten die beabsichtigte Terminierung bekannt gegeben, seit Beginn der Verhandlung seien mit Ausnahme der Urlaubszeiten nahezu durchgängig Termine bestimmt worden auf die Wochentage Dienstag, Mittwoch und Donnerstag; Klemke habe vor diesen Hintergrund dennoch dem Vorsitzenden des 5. Strafsenats des OLG Stuttgart, obgleich über die Eröffnung noch nicht entschieden sei, zugesichert, jeweils am Donnerstag dort als Verteidiger zur Verfügung zu stehen, obwohl er damit habe rechnen müssen, dass im hiesigen Verfahren wie seit mehreren Jahren auch wieder an den Donnerstagen terminiert werden würde. Bei dieser Sachlage sei es ihm, Götzl, schon wegen des Beschleunigungsgebots in Haftsachen nicht möglich, auf Klemkes Verhinderung dergestalt Rücksicht zu nehmen, dass die Terminierung an allen Donnerstagen zwischen September 2017 und Januar 2018 unterbleiben kann. Die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten Wohlleben sei auch im Falle von Klemkes Verhinderung sichergestellt, weil Wohlleben noch zwei weitere Pflichtverteidiger habe. Nach der Verlesung des Schreibens von Götzl geht das Ablehnungsgesuch darauf ein, dass der Vorsitzende am 16.02.2017 die Ladung zur Hauptverhandlung im Zeitraum vom 12.09.2017 bis zum 11.01.2018 verfügt habe. Bisher habe der Senat keinen Beweisantrag der Verteidigung, aber auch keinen der anderen Verfahrensbeteiligten wegen Prozessverschleppung abgelehnt.

Dann gibt das Ablehnungsgesuch die beiden Verfügungen des Vorsitzenden zur Fristsetzung vom gestrigen 351. Verhandlungstag und den weiteren Verlauf des Verhandlungstags wieder, bevor die konkrete Begründung kommt:
1. Die abgelehnten Richter lehnten den Beweisantrag auf Einvernahme des Zeugen Robert He. mit der Begründung ab, dass die in sein Wissen gestellten Beweistatsachen aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung seien. Auch bei Robert He. handele es sich nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme nicht um eine Person, die mit Mundlos und Böhnhardt im Hinblick auf deren politische Überzeugungen einen besonders engen und vertrauten Umgang gehabt hätte. Es sei deshalb nicht fernliegend, dass dem Zeugen He. deshalb verborgen geblieben sei, dass diese schwerste Straftaten gegen das Leben von Menschen aus ausländerfeindlichen Motiven begehen könnten. Der Beschluss erweist sich schon deshalb als fehlerhaft, als die abgelehnten Richter nicht ausführen, aufgrund welcher Feststellungen sie davon ausgehen, dass ein besonderes Näheverhältnis zwischen dem Zeugen und Böhnhardt sowie Mundlos nicht bestanden habe.

Aus der Sicht Herrn Wohllebens erscheint der Beschluss vielmehr als willkürlich, da nach Aktenlage das Gegenteil nicht fern liegt. Der Zeuge hat in seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt, die beiden 1995/1996 im Winzerclub kennengelernt und bis Ende 1997 Kontakt zu ihnen gehabt zu haben. Der Zeuge schilderte weiter einen gemeinsamen Besuch 1996/97 mit den beiden in Buchenwald. Als gemeinsame politische Aktion gab der Zeuge an, anlässlich einer Gerichtsverhandlung in Erfurt, welche einen Vorfall anlässlich der sogenannten Wehrmachtsausstellung zum Gegenstand hatte, gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt mit einem Transparent vor dem Gericht demonstriert zu haben. Der Bruder des Zeugen, Volker He., fungierte nach den Feststellungen in der Beweisaufnahme am Tage des Untertauchens der drei als deren Fluchthelfer. Insoweit wird auf die Aussagen von Volker He. und verwiesen. Die Willkür bei der Ablehnung des Beweisantrages erscheint umso eklatanter, als die abgelehnten Richter in den Haftfortdauerbeschlüssen auf den viel weiter entfernteren Zeugen Ha. abstellen, der zu keinem Zeitpunkt Mitglied der rechten Szene Jenas, geschweige denn der Kameradschaft Jena oder des THS war. Im Übrigen war Ha. nur zeitweilig mit Mundlos, jedoch niemals mit Böhnhardt befreundet.

2. Die Ablehnung der Vernehmung des Zeugen Tu. ist ebenfalls evident willkürlich. Die abgelehnten Richter sind offenkundig ausschließlich dadurch motiviert, das Verfahren um jeden Preis durchzuziehen, selbst unter Verletzung der Amtsaufklärungspflicht. Der Zeuge Tu. sollte zu denselben Beweisthemen vernommen werden wie der Zeuge Kö. sowie die von Amts wegen vom Vorsitzenden geladenen Zeugen Pr., Ke. und K. Diese Zeugen wurden ersichtlich deshalb vernommen, um die politische Einstellung Herrn Wohllebens und dessen Haltung zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele aufzuklären. Nichts anderes bezweckt der abgelehnte Beweisantrag. Dies erhellt schlaglichtartig, dass es sich bei der angeblichen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsachen um eine offensichtlich vorgeschobene Scheinbegründung handeln muss. Es ist sonst nicht erfindlich, weshalb dann die vorerwähnten Zeugen überhaupt gehört wurden. Einzig mögliche Motivation bleibt aus Sicht Herrn Wohllebens dann nur noch die Verschleppung des Verfahrens durch die abgelehnten Richter, aus welchen Gründen auch immer. Die Ablehnung des Beweisantrages wegen angeblicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsachen wird vor allem durch das intensive Bemühen des Vorsitzenden um den Zeugen ad absurdum geführt. Der Vorsitzende hat den Zeugen nicht nur geladen, sondern sich in der Folge mehrfach und auch zunehmend drängend nach dessen Vernehmungsfähigkeit erkundigt. Schließlich verlangte er von [dem Arzt Tu.s]ein
dezidiertes ärztliches Attest. Noch vor der Beschlussfassung teilte [der Arzt]dem Gericht mit, dass sich der Gesundheitszustand des Zeugen gebessert habe. Dies alles kann den weiteren abgelehnten Richtern nicht verborgen geblieben sein.

Tatsächlicher Ablehnungsgrund kann nach alledem nicht die Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen, sondern nur die Unerreichbarkeit des Zeugen Tu. aufgrund dessen Erkrankung gewesen sein. Wegen der Besserung dessen Gesundheitszustandes ist dieser ursprünglich gegebene Ablehnungsgrund jedoch weggefallen. Nach der Auskunft des [Arztes] vom 14.02.17 war die Reisefähigkeit des Zeugen wieder gegeben. Eine Verschlechterung des Zustandes des Zeugen Tu. durch eine Vernehmung in der Hauptverhandlung sei lediglich zu befürchten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, schon gar nicht bei einer Begleitung des Zeugen durch medizinisches Fachpersonal. Weiter lag eine audiovisuelle Vernehmung nach § 247a Satz 1, Halbsatz 1 StPO oder die kommissarische Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter nach § 223 StPO nahe. Mit diesen Möglichkeiten, eine Vernehmung des Zeugen Tu. zu realisieren, befassen sich die abgelehnten Richter indes nicht. Dieses vollkommen sachfremde Prozessieren der abgelehnten Richter hat bei Herrn Wohlleben den verheerenden Eindruck entstehen lassen, dass es den Richtern nur noch darauf ankommt, ihn jetzt unter Verletzung der Amtsaufklärungspflicht schnellstmöglich zu verurteilen.

3. Die Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden ergibt sich für Herrn Wohlleben erst recht aus dessen am 07.03.17 verkündeten Verfügungen. Dies gilt sowohl isoliert für die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen als auch in Verbindung mit der Fristsetzung zur Stellungnahme hinsichtlich der Erledigung von beantragten oder angeregten Beweiserhebungen. 3.1. Die Fristsetzung verstößt von vornherein gegen das Gesetz. Indem sie für den Ablehnungsgrund der Absicht der Prozessverschleppung die „Beweislast“ umkehrt und sie dem Antragsteller aufbürdet, verletzt sie im Ergebnis den Grundsatz, dass Beweiserhebungen nicht deshalb abgelehnt werden dürfen, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sind. Bei dem vom BGH contra legem erfundenen sogenannten Fristenmodell handelt es sich um eine gesetzesähnliche und vor allem gesetzeswidrige Regelung. 3.2. Selbst wenn man das sogenannte Fristenmodell als rechtmäßig ansähe ist dieses, weil es eine richterliche Rechtsfortbildung contra legem bedeutet, äußerst restriktiv zu handhaben. Von dieser Zurückhaltung ist bei dem abgelehnten Vorsitzenden nichts zu bemerken. Er hält sich noch nicht einmal an die vom BGH aufgestellten Voraussetzungen für seine Anwendbarkeit. Eine Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen verlangt als eine seiner Voraussetzungen zwingend, dass bestimmte Anzeichen für eine Verschleppungsabsicht im bisherigen Verteidigerverhalten gegeben sein müssen. Wegen der Maßgabe der restriktiven Anwendung des Fristenmodells erfordert eine solche Fristsetzung für Beweisanträge die vorherige Ablehnung von Beweisanträgen der Verteidigung gerade wegen Prozessverschleppung. Abgesehen davon führt der abgelehnte Vorsitzende in seiner Verfügung im Übrigen nicht aus, aufgrund welchen konkreten Prozessverhaltens er sonst eine Verschleppungsabsicht der Verteidigung positiv festgestellt haben will. Es ist für jeden offensichtlich, dass diese Voraussetzung nicht vorliegt. Kein Beweisantrag der Verteidigung ist wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt worden. Allein schon dies belegt die Willkür des abgelehnten Vorsitzenden mit der Absicht, die Verteidigung auch Herrn Wohllebens unzulässig zu beschränken.

3.3. Besonders ins Gewicht fällt darüber hinaus, dass der abgelehnte Vorsitzende die Frist zur Stellung von Beweisanträgen eklatant zu kurz gesetzt hat. Dies drängt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Verfahrensdauer von 350 Verhandlungstagen und des enormen absolvierten Beweisprogramms ohne weiteres auf. Es wurden mehr als 580 Zeugen und Sachverständige vernommen, hunderte von Urkunden verlesen oder im Selbstleseverfahren eingeführt und eine Vielzahl von Asservaten oder Fotografien von diesen in Augenschein genommen. Die Mitschriften der Verteidiger umfassen ca. 3000 Seiten computergeschriebenen Text. Allein die Prüfung, welche beantragten Beweise erhoben wurden, ist unter diesen Voraussetzungen nicht innerhalb von lediglich vier Arbeitstagen zu bewerkstelligen. 3.4. Die Besorgnis der Befangenheit wird dadurch verstärkt, indem der Vorsitzende hinsichtlich der Erledigung des Beweisprogramms des Senats die Verteidigung getäuscht hat. Dies ergibt sich aus der Terminierung bis zum 11.01.2018 und dem sich daraus ergebenden oben dargestellten Disput zwischen ihm und RA Klemke, bei welchem es um Terminkollisionen ab September 2017 ging. Angesichts der Ankündigung und späteren Verfügung einer derart weiträumigen Ladung bis Januar 2018 musste bei allen Verfahrensbeteiligten der Eindruck entstehen, dass der Senat sein Beweisprogramm noch lange nicht abgearbeitet hat. Allein mit zu erwartenden prozessualen Handlungen nach dem Schluss der Beweisaufnahme lässt sich eine derart großzügige Terminierung schlechterdings nicht erklären.

Das gesamte Verhalten des Vorsitzenden in dieser Frage ist damit auf eine reine Überrumpelungstaktik zurückzuführen. Daran vermag auch die gegenüber den Verfahrensbeteiligten geäußerte höfliche Bitte des Vorsitzenden vom 1.12.16 nichts zu ändern. Insbesondere nach dem 1.12.16 hat der Senat keinen Beweis- oder sogar Beweisermittlungsantrag wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt. Hinzu kommt, dass der Senat erst am gestrigen Hauptverhandlungstag umfangreiche und zum Teil vor längerem gestellte Beweisanträge der Verteidigung Wohlleben verbeschieden hat. Nach alledem musste der Angeklagte Wohlleben mit einer derart unverhältnismäßig kurzen, im Übrigen vom Gesetz ohnehin nicht vorgesehenen, Frist zur Stellung von Beweisanträgen nicht rechnen.
4. Dies alles lässt Herrn Wohlleben begründet besorgen, dass die abgelehnten Richter ihm und seiner Sache nicht mit der vom Gesetz geforderten Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit gegenüberstehen.

Götzl: „Herr Rechtsanwalt Heer, worauf bezieht sich Ihr Antrag?“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer:
„Ich möchte eine kurze Stellungnahme abgeben.“ Götzl sagt, der Senat sei momentan abgelehnt. [phon.] Heer: „Ich beabsichtige keine Stellungnahme abzugeben zum Gesuch von Herrn Wohlleben, sondern etwas anderes.“ Götzl: „Wir werden anderes jetzt zurückstellen, den Antrag kopieren und dann Gelegenheit zu Stellungnahmen geben. Wir unterbrechen bis 15 Uhr.“

Um 15:05 Uhr geht es weiter. Götzl: „Es wird rechtliches Gehör zum Befangenheitsantrag Wohlleben gegeben.“ Heer: „Ich habe verstanden, worum es geht. Nur zur Vermeidung von Missverständnissen: Die von mir abzugebende Erklärung verhält sich zu einem Ablehnungsgesuch von Frau Zschäpe. Ich möchte eine Präklusion [phon.] vermeiden.“ OStAin Greger: „Wir werden schriftlich Stellung nehmen, beantragen aber die Fortsetzung der Hauptverhandlung wegen der Beschleunigung in Haftsachen, der Befangenheitsantrag ist ja auch jedenfalls nicht offensichtlich begründet.“ Götzl: „Ich muss nochmal nachfragen, Herr Rechtsanwalt Heer: Worauf soll sich Ihre Erklärung beziehen?“ Heer: „Ich würde sie gerne abgeben, dann weiß es jeder im Saal.“ Götzl: „Moment. Momentan geht es um das Ablehnungsgesuch.“ Heer: „Genau darum geht es, um einen unverzüglichen Antrag.“ Er wolle nicht Stellung nehmen zum Antrag Wohllebens, aber Stellung nehmen zu einem Ablehnungsgesuch von Zschäpe, so Heer. Götzl: „Dann müssen wir aber die Fortsetzung der Hauptverhandlung verfügen. [phon.] Sie ist aufgrund der Beschleunigung in Haftsachen sachgerecht.“

Heer: „Frau Zschäpe beabsichtigt, Sie wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die internen Beratungen haben erhebliche Zeit in Anspruch genommen, sie konnten erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung heute abgeschlossen werden. Die Fertigung und die Abfassung des Ablehnungsgesuchs wird heute nicht beendet werden können. Wir beantragen, uns bis morgen dazu Gelegenheit zu geben und beantragen, nicht vor 11 Uhr mit der Hauptverhandlung zu beginnen.“ Götzl: „Soll dazu Stellung genommen werden?“ OStA Weingarten: „Wir würden nur dann entgegentreten, wenn ein morgen angebrachter Befangenheitsantrag verspätet wäre. Angesichts dessen, dass wir schon 351 Tage verhandeln und die Kommunikation mit der Mandantin erschwert ist, würden wir morgen nicht dem Antrag damit entgegentreten und damit auch dem Antrag von Herrn Heer jetzt nicht entgegentreten.“ Götzl: „Zur Zulässigkeit kann ich jetzt keine Entscheidung treffen, weil ich dazu nicht berufen bin, Herr Rechtsanwalt Heer. Ich kann jetzt unterbrechen und morgen um 11 Uhr fortsetzen. Aber die Frage der Zulässigkeit bestimme ich jetzt nicht. Kann ich auch nicht.“ Heer: „Ich bin irritiert, ich habe Sie nicht um eine Einschätzung zur Zulässigkeit gebeten.“ Götzl: „Ich wollte nur Missverständnisse vermeiden.“ Heer: „Sie haben mich unterbrochen.“ Götzl: „Wenn Sie noch Ausführungen machen wollen, bitte!“ Heer: „Sie sind jetzt amtsunfähig. Sie haben verfügt, die Hauptverhandlung fortzusetzen und ich habe den Antrag verfügt [phon.].“ Götzl: „Also Ihr Antrag ist ein Antrag auf Unterbrechung bis morgen 11 Uhr?“ Heer nickt. Götzl: „Sind denn sonst noch Stellungnahmen heute?“

Weingarten nimmt für den GBA Stellung zum gestrigen Beweisantrag von NK-Vertreter RA Fresenius. Er beantragt, den Antrag abzulehnen. Die unter Beweis gestellten Tatsachen seien für die Schuld- und ggf. Rechtsfolgenentscheidung in diesem Verfahren aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Es handele sich thematisch um behördliche Hypothesenbildungen und diese stünden, ihr Erwiesensein unterstellt, im Hinblick auf die Schuldfrage in keinerlei Zusammenhang zum Gegenstand der Urteilsfindung, da die Frage des Tatnachweises hiervon nicht abhänge [phon.]. Auch im Hinblick auf die ggf. zu treffende Rechtsfolgenentscheidung seien die unter Beweis gestellten Tatsachen ohne Bedeutung. Soweit die Antragsteller zu Gunsten der Angeklagten argumentierten, gelte das Folgende: Erstens könne die „bemühte und konstruierte Behauptung“ der Verfahrensrelevanz nicht verdecken, dass es den Antragstellern darum gehe, einen „aus ihrer Sicht gegebenen missbilligenswerten Sachverhalt“ zu verfahrensfremden Zwecken in der Hauptverhandlung zu kommunizieren. Die Antragsteller würden wohl kaum die Auffassung vertreten wollen, dass die Beweise tatsächlich zu erheben seien und dass dies für den Fall eines Schuldspruchs gegen Zschäpe zu einer milderen Einzel- oder Gesamtstrafe führen würde.

Im Übrigen sei schon nicht nachvollziehbar, auf welcher Tatsachengrundlage der Senat zu dem Schluss gelangen soll, die seinerzeit ausgeführten oder nicht vollzogenen Ermittlungshandlungen wären kausal von Lageerstmeldungen oder Äußerungen des Bundesinnenministers abhängig gewesen. Entscheidend sei aber, so Weingarten weiter, dass der Senat den Schluss der Antragsteller, die Ermittlungsrichtung sei, exklusiv beim Anschlag in der Keupstraße, für die Angeklagte Zschäpe nicht vorhersehbar gewesen, nicht werde ziehen wollen. [phon.] Es lägen, so Weingarten, keine Anhaltspunkte dafür vor. Der NSU habe entsprechend seinem Motto „Worte statt Taten“ stets auf jede Form der Selbstbekennung oder Kenntlichmachung der dahinter stehenden ideologischen Motivation verzichtet. Es sei dem NSU lediglich auf die objektive Wirkung der Taten in den betroffenen Bevölkerungskreisen angekommen, diese „sollten massiv verunsichert und ihr Vertrauen in den Staat in emigrationsfördernder [phon.] Weise geschwächt werden“. Damit seien die von den Antragstellern beschriebenen Fernwirkungen der Tat selbstverständlich vom Konzept des NSU mit umfasst. Der NSU habe die Medienberichterstattung schon vor dem Keupstraßen-Anschlag zur Kenntnis genommen und propagandistisch verarbeitet. Der NSU sei mit dem nicht in die rechtsextremistische Richtung führenden Fahndungsdruck einverstanden gewesen, schon, weil er dann die Taten habe fortsetzen können. Dies zeige sich schon an der Fortsetzung der Ceska-Serie. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dies ausgerechnet beim Keupstraßen-Attentat aus Sicht des NSU hätte anders sein sollen. Und selbst wenn, wären diese Tatfolgen aus den oben genannten Gründen dennoch schulderhöhend. [phon.]

Danach nimmt OStAin Greger Stellung zum gestrigen Beweisantrag von NK-Vertreter RA Reinecke. Sie beantragt, den Beweisantrag abzulehnen, da die Beweistatsachen aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung seien. Die Angeklagte habe in ihrer Einlassung am 09.12.2015 ausgeführt, dass sie vom Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln erst erfahren habe, als sie Mundlos und Böhnhardt nach Berichten in der Presse darauf angesprochen habe. Die Angeklagte habe weder den Zeitpunkt noch die genauen Umstände ausgeführt noch das Medium spezifiziert. Es seien drei Zeitungsartikel zum Anschlag in der Wohnung Frühlingsstraße sichergestellt worden. Einer der Zeitungsartikel stamme aus dem Kölner Stadtanzeiger vom 20./21. Januar 2001. Demnach habe die Angeklagte von mindestens drei Artikeln Kenntnis nehmen können, denn diese drei Artikel seien für sie zugänglich gewesen. Für die Entscheidung sei es unerheblich, in welcher Ausgabe die Artikel veröffentlicht wurden. Dies gelte auch, wenn der Artikel im Lokalteil publiziert wurde, weil auch dies keine Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Angaben der Angeklagten zulasse.

Schneiders verliest eine Beanstandung. Die Verteidigung Wohlleben beanstandet die gestern vom Vorsitzenden verkündeten Verfügungen als unzulässig. Zur Begründung beziehe man sich, so Schneiders, auf die Ausführungen im Ablehnungsgesuch, i.Ü. sei die Frist auch unverhältnismäßig kurz. Weingarten: „Wir halten die angegriffene Verfügungen nicht nur für zulässig, sondern auch für richtig, werden dazu aber inhaltlich Stellung nehmen, nachdem wir uns mit der Argumentation im Rahmen des Befangenheitsverfahrens auseinandergesetzt haben.“

RA Reinecke: „Zu den Ausführungen der Bundesanwaltschaft: Das ging schon ziemlich stark in ein Plädoyer über. Ich halte die These, dass das Trio nicht darauf abgezielt hat, dass öffentlich eine Diskussion entsteht, das Rechtsradikale Bombenanschläge begehen, für falsch. [phon.] Ich will das hier nicht ausführen, sondern im Plädoyer, ich will das aber so an dieser Stelle nicht im Raum stehen lassen.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen, wir setzen fort morgen um 11 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 15:26 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Befangenheitsgesuche: heute Wohlleben, morgen Zschäpe.
[…] Ob wegen dieser Anträge und der Verzögerungen bisher einzelne Verhandlungstage in der nächsten Woche abgesetzt werden, bleibt abzuwarten.“

https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/03/08/08-03-2017/

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