Die Verteidigung Wohlleben verliest an diesem Prozesstag einige Anträge. Sie beantragt die Ladung zahlreicher Zeugen, die den Angeklagten Wohlleben ihrer Meinung nach entlasten sollen. Diese Zeugen würden Wohlleben seit den 1990er Jahren kennen und könnten daher aussagen, dass sie selbst nicht mit den Taten des NSU gerechnet hätten, sie Wohlleben keine Unterstützung zutrauen würden und sich dieser zudem nie „ausländerfeindlich“ geäußert habe. Außerdem nimmt die BAW Stellung zur Ankündigung der Nebenklagevertretung der Familie von Halit Yozgat, das Gutachten des Instituts Forensic Architecture zur Anwesenheit des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme beim Mord das NSU an Halit Yozgat über eine selbstständige Sachverständigenladung in den Prozess einzuführen. Die BAW hält die NK nicht für nicht dazu berechtigt.
Heute ist der 11. Jahrestag des Mordes an Halit Yozgat. Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Götzl sagt, es gehe ihm zunächst noch um den Verweis, den OStAin Greger in ihrer gestrigen Stellungnahme zu einer Zeugenvernehmung gemacht hat, betreffend Peter Li. in der VS [Verschlusssache]-Akte, SAO 545, Teilstück 132: „Dieses Teilstück fehlt in unserer Akte.“ OStAin Greger: „Ich habe da gestern noch mal telefoniert, dieses Teilstück befindet sich beim Hinweis beim Bundeskriminalamt.“ Götzl: „Ist beabsichtigt, das vorzulegen?“ Greger: „Wir haben keine Bedenken, das vorzulegen. Ich weise aber darauf hin, dass der Hinweis umfangreicher ist, also nicht nur aus diesem Teilstück besteht.“ Götzl: „Sollen dazu Stellungnahmen erfolgen?“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Jawoll! Sehr kryptische Äußerung. Ich kann nicht Bezug nehmen auf Aktenbestandteile, wo wieder Bezug genommen wird auf Akten und die Akten stehen den Verfahrensbeteiligten nicht zur Verfügung. Ich hätte die Akten schon sehr gern gelesen. Wir haben uns gestern eingehend diese VS-Akten angeguckt und das vorstehende Merkmal waren Lücken. Da fehlten zig Aktenteile.“ Es fehle da auch jeder Hinweis, ob irgendwelche Teilstücke nicht eingestuft seien, so Klemke weiter, es handele sich um eine chaotische Aktenführung.
Greger: „Mir scheint da ein Missverständnis auf Ihrer Seite vorzuliegen. Jede Verschlusssache beim BKA bekommt eine Nummer. Und nur weil jetzt zwischen einzelnen Nummern Lücken auftreten, heißt das nicht, dass das alles zur Sachakte gehört. Selbstverständlich gibt es weitere Teilstücke, die nicht zur Sachakte gehören, sondern beispielsweise zu den Hinweisen. Es gibt Hinweisakten beim BKA, da gibt es wieder einzelne Verschlusssachen, die sich in diesen Hinweisakten befinden. [phon.]“ Klemke: „Betrifft das auch Teilstück 132? Sie können doch nicht auf Aktenbestandteile Bezug nehmen, die uns gar nicht vorliegen.“ Greger: „Ich habe versucht, darzustellen, dass dieser FBI-Komplex in den Hinweisakten abgehandelt wird.“ Klemke: „Ich bestehe darauf, dass ich diesen Aktenteil zu Gesicht bekomme.“ [phon.] Wohlleben-Verteidigerin Schneiders: „Aber zu Peter Li. die polizeiliche Vernehmung haben wir in den Sachakten, die staatsanwaltliche Vernehmung aber nicht. Gegenstand ist der Mord an Kiesewetter und Mordversuch an [Martin] A. Das ist für mich sachlich nicht nachvollziehbar.“
Götzl: „Dann hatten Sie gestern angesprochen, dass Sie Beweisanträge stellen wollen.“ Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath stellt folgenden Antrag [der Antrag wurde in ähnlicher Form bereits von RAin Schneiders am 348. Verhandlungstag gestellt]: 1. Robert He. zu vernehmen dazu, dass „er Ende der 90er Jahre zur rechten Szene Jenas gehörte; er zu dieser Zeit mit Ralf Wohlleben befreundet war; er ca. 1995/1996 Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Winzerclub kennenlernte; er mit dem sogenannten Trio in Buchenwald war; er mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor dem Gericht in Erfurt anlässlich einer Gerichtsverhandlung gegen Herrn [Manfred] Roeder bezüglich der sogenannten Wehrmachtsausstellung ein Transparent mit der Aufschrift ‚Unsere Großväter waren keine Verbrecher‘ gehalten hat, wobei auch André Kapke mit anwesend war; er letztmals Kontakt zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ende 1997 hatte; die drei, also Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, nach der Einschätzung des Zeugen ein Grüppchen für sich waren; der Zeuge Ralf Wohlleben eine Beihilfehandlung zu Mordstraftaten nicht zutraue; er aus dem von ihm wahrgenommenen Verhalten und Äußerungen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht darauf schloss, dass die beiden schwerste Straftaten gegen das Leben von Menschen aus ausländerfeindlichen Motiven planten“.
2. Volker He. dazu vernehmen, dass „er Ende der 90er Jahre zur rechten Szene in Jena gehörte; dass er Ende der 90er Jahre mit Ralf Wohlleben befreundet war; die Motivation der Personen in der rechten Szene in Jena unterschiedlich waren; er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ca. 1996 kennengelernt hat; er mit Uwe Böhnhardt ab und zu etwas trinken war; er zusammen mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie André Kapke und seinem Bruder Robert He. bei einer Gerichtsverhandlung des Herrn Roeder in Erfurt war, wobei es um die sogenannten Wehrmachtsausstellung ging; er bis zum Untertauchen der drei Kontakt zu diesen hatte; er etwa bis zum Jahr 2000 mit Ralf Wohlleben Kontakt hatte; er Ralf Wohlleben eine Beihilfehandlung zu Mordstraftaten nicht zutraut; er aus dem von ihm wahrgenommenen Verhalten und Äußerungen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht darauf schloss, dass die beiden aus ausländerfeindlichen Motiven schwerste Straftaten gegen das Leben von Menschen planten“.
3. Maximilian Lemke als Zeuge zu vernehmen dazu, dass „er seit 1992 zur rechten Szene gehört; er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt etwa zwei Jahre vor deren Untertauchen kennengelernt hat; er in dieser Zeit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei Veranstaltungen und Konzerten der rechten Szene getroffen hat; er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zuletzt etwa 1997 in Heilsberg getroffen hat; er ab 1994 Mitglied des Nationalen Widerstands Jena war; der Nationale Widerstand politische Ziele verfolgte, die parteiisch oder überparteiisch umgesetzt werden sollten; das Ziel des Nationalen Widerstands Jena ein souveränes Deutschland war; er ab Mitte der 90er Jahre Kontakt zu Ralf Wohlleben hatte und diesen näher kannte; die Mordserie zum Nachteil von Mitbürgern mit Migrationshintergrund sowie der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter kein Thema innerhalb der rechten Szene Jenas war; das Thema Waffen in Jena ein Tabuthema war und politische Ziele nicht mit Gewalt durchgesetzt werden sollten; das gezielte Töten von Ausländern nicht zu den Zielen oder Strategien des Nationalen Widerstands Jenas gehörte; dass Gewalt nach Ansicht des Zeugen kein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sein darf und gezieltes Töten von Ausländern nicht zu den politischen Zielen des Nationalen Widerstands und Ralf Wohllebens gehörte und sich Ralf Wohlleben entsprechend dieser Ansicht Ende der 90er und im Jahr 2000 gegenüber dem Zeugen geäußert und verhalten hat; er Ralf Wohlleben als friedvolle und friedliebende Person wahrgenommen hat und er sich nicht vorstellen kann, dass Ralf Wohlleben für Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Waffe besorgt hat, um Beihilfe zu Mordstraftaten aus ausländerfeindlichen Motiven zu leisten, da ein solches Verhalten nicht der von Ralf Wohlleben ihm gegenüber geäußerten Meinung entsprach“.
4. Ralph Oe. als Zeugen zu vernehmen dazu, dass „er seit 1998 Kontakt zu rechten Szene in Jena hatte; er seit dieser Zeit auch Ralf Wohlleben kennt und seither näheren Kontakt zu diesem hat; sich über die Jahre hinweg zu Ralf Wohlleben ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte; er Anfang des Jahres 2000 für ein Jahr Mitglied der NPD in Jena war; er Anfang 1998 auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei einer Demonstration in Dresden kennenlernte; er sich nicht vorstellen kann, dass Ralf Wohlleben eine Behilfehandlung zu Mordstraftaten aus ausländerfeindlichen Motiven geleistet hat, da Ralf Wohlleben in Gesprächen mit ihm immer zu erkennen gegeben hat, dass er gegen Gewalt war“.
5. die Vernehmungsbeamten des Frank Schwerdt, KHK Kr. und KK Tr. als Zeugen zu vernehmen dazu, dass „sie die polizeiliche Vernehmung mit Frank Schwerdt durchgeführt haben; sich der Zeuge Frank Schwerdt bei dieser Vernehmung auch zu Ralf Wohlleben geäußert hat; Frank Schwerdt aussagte, dass Ralf Wohlleben schon Ende der 90er in die NPD eingetreten war; Frank Schwerdt Ralf Wohlleben zu dieser Zeit auch kennenlernte und ein näheres Kennverhältnis zu diesem pflegte; Frank Schwerdt bekundete, dass er zu André Kapke, Tino Brandt, Ralf Wohlleben und Rick We. den engsten Kontakt hatte; Frank Schwerdt aussagte, dass Uwe Mundlos ihn einmal gefahren habe; Frank Schwerdt angab, dass Tino Brandt ihm in Bezug auf die aufgefundene Bombenattrappe, die zum Untertauchen der drei geführt habe, berichtete, dass diese dazu gedient habe, die Polizei zu verärgern und eine Reaktion auf das rigorose Verhalten der Polizei mit dem Unterbindungsgewahrsam gewesen sei; Frank Schwerdt bekundete, dass er überrascht gewesen sei, als ihm Ralf Wohlleben im Jahr 2010 sein Austritt aus der NPD überreichte; Frank Schwerdt aussagte, dass Gewalt in der rechten Szene in Jena kein Thema war und sich Ralf Wohlleben und André Kapke anlässlich eines Vorfalles einer Prügelei im Jahr 2006 klar gegen die gewalttätigen Personen ausgesprochen haben und sich ausdrücklich von diesen distanzierten; Frank Schwerdt bekundete, dass man zwar nicht für ein Gebilde wie die EU, aber für ein freundschaftliches Nebeneinander mit geistigem und politischem Austausch der Völker war und dies auch die Haltung von Ralf Wohlleben in Gesprächen mit ihm war“.
6. Rick We. als Zeugen zu vernehmen dazu, dass „er seit 1992/1993 politisch aktiv in Jena sei; er seit Mitte der 90er Jahre Ralf Wohlleben kennt und zu diesem auch näheren Kontakt hatte; er seit Mitte der 90er Uwe Böhnhardt aus der Schule kannte, in die sie gemeinsam gingen; Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt immer miteinander rumhingen; er die Uniformierung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als politisch kontraproduktiv empfand; er Bombenattrappen wie die Theaterbombe, von der er aus der Presse erfuhr, ebenfalls als kontraproduktiv empfand, Ralf Wohlleben seine diesbezügliche Einstellung teilte und dies in Gesprächen und Verhalten gegenüber ihm offen zeigte; nach seiner Kenntnis auch Ralf Wohlleben vom Sprengstoff in der Garage nichts wusste und sich ihm gegenüber nach dem Untertauchen der drei entsprechend äußerte; man in der rechten Szene in Jena diskutierte, ob der Sprengstoff in der Garage eine V-Mann Aktion war; man in der rechten Szene in Jena Realpolitik betreiben wollte; er glaube, dass Ralf Wohlleben mit der vorgeworfenen Beihilfehandlung zu Mordstraftaten aus ausländerfeindlichen Motiven nichts zu tun hat; sich Ralf Wohlleben ihm gegenüber Anfang 2000 geäußert hat, dass er nicht wisse wo sich die drei aufhalten; er glaube, dass Kontaktpersonen der drei nach deren Untertauchen nicht wussten, dass es sich bei ihnen möglicherweise um Terroristen handelt; man in der rechten Szene in Jena 2003, als der Haftbefehl wegen Verjährung aufgehoben wurde, davon ausging, dass die drei wieder auftauchen, jedoch nicht mehr in die rechte Szene zurückkehren würden; sich Ralf Wohlleben ihm gegenüber mehrfach äußerte, dass Gewalt für die Durchsetzung politischer Ziele nicht in Betracht kommt, er ein Europa der Vaterländer befürworte und Ausländer nicht als Feindbild angesehen werden“.
7. Herrn Günter Platzdasch, Jena-Winzerla, als Zeugen zu vernehmen dazu, dass „Ralf Wohlleben aufgrund seines Erscheinungsbildes, seiner Äußerungen und Verhaltensweise nicht dem Klischee der rechten Szene entsprochen hat; er um die Jahrtausendwende Gespräche mit Ralf Wohlleben über dessen politische Ansichten, Weltanschauung und Haltung zur Gewalt geführt hat; sich Ralf Wohlleben bei diesen Gesprächen zum Thema Ausländer und zu seiner Haltung gegenüber Ausländern geäußert hat; sich Ralf Wohlleben bei diesen Gesprächen klar gegen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ausgesprochen hat“. Dann kommt Nahrath zur Begründung. Die Beweiserhebung diene der Entlastung des Angeklagten, so Nahrath. Die Zeugen würden die unter Beweis gestellten Tatsachen bestätigen, sie hätten sie bereits in ihren polizeilichen Vernehmungen gemacht. Die Zeugen hätten Wohlleben gekannt und teilweise über mehrere Jahre hinweg ein enges freundschaftliches Verhältnis zu ihm gehabt, insbesondere im vorgeworfenen Tatzeitraum. Die Beweiserhebung werde ergeben, dass Wohlleben sich niemals „ausländerfeindlich“ geäußert oder sonst eine ausländerfeindliche Haltung gezeigt habe. Die Beweiserhebung werde die Anklage hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes der vorgeworfenen Beihilfehandlung zu Mordstraftaten widerlegen.
Dann beantragt Schneiders, Mike We. von der KPI Saalfeld als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass diesem im Jahr 2007 ein Kollege vom K1 der KPI Saalfeld mitgeteilt habe, dass ein Zusammenhang zwischen dem Mord an Michèle Kiesewetter und den sogenannten „Türkenmorden“ bestehen könne. Der Zeuge, Patenonkel von Kiesewetter, sei im Mal 2007 polizeilich vernommen worden, so Schneiders. Dabei habe der Zeuge auf Frage folgende Angaben gemacht:
Frage: Haben Sie einen Verdacht bezüglich der Tat?
Antwort: Aufgrund meiner Berufserfahrung muss ich sagen, dass es für mich aussieht wie aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität und dort im Bereich russisch oder georgisch. Das entnehme ich dem skrupellosen Vorgehen. Meiner Meinung nach besteht auch aufgrund der verwendeten Kaliber und der Pistolen, die ich aus den Medien kenne, ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türkenmorden. Soviel ich weiß soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türkenmorden eine Rolle spielen. Ich sage nicht, dass ein Zusammenhang besteht. Ein Kollege von der K1 hat mich nur angesprochen, dass ein Zusammenhang bestehen könnte.
Die Beweiserhebung, so Schneiders, diene der Bestätigung der vorgenannten Angaben sowie der
Namhaftmachung der Quelle im K1 der KPI Saalfeld, die bereits im Jahr 2007 einen Zusammenhang zwischen dem Polizistenmord in Heilbronn und der sogenannten
„Türkenmord-Serie“ gesehen habe. Die BAW geht in der Anklage davon aus, „dass der Zusammenhang zwischen dem Mord in Heilbronn sowie der bundesweiten Mordserie an überwiegend türkisch-stämmigen Personen sich erst nach dem Ableben von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im, Jahr 2011 offenbart hätte“.
Erstaunlich dabei sei, so Schneiders, dass eine lokale KPI bereits im Jahr 2007 diesen Zusammenhang hergestellt habe, hingegen das weitaus besser ausgestattete BKA einen solchen über lange Jahre ignoriert habe. Dasselbe gelte für alle LKA, die anlässlich dieser Mordserie ermittelt haben. Nicht nachvollziehbar sei indes, warum die Vernehmungsbeamten des Zeugen We. nicht den Namen des Kollegen beim K1 erfragten, obwohl sich eine Vernehmung dieses Beamten geradezu aufgedrängt habe. Diese „Nachlässigkeit im Rahmen der Ermittlungen zu einem Polizistenmord sei bemerkenswert. Dies reiht sich in eine „Reihe von Merkwürdigkeiten in diesem Verfahren ein, wie beispielsweise die Nichtveröffentlichung der Phantombilder, die Nichtauswertung der E-Mails der Michèle Kiesewetter und die unterlassene Namhaftmachung des Ringfahnders, der angeblich das Kennzeichen des Wohnmobils notiert hat, welches Böhnhardt und Mundlos zugeordnet wird, ganz zu schweigen von den nicht-natürlichen Todesfällen bei Zeugen, wie dem von Florian Heilig und anderen“.
Ähnliche Ermittlungsdefizite seien auch im Verfahren zum Todesfall des Florian Heilig offenbar geworden. Schneiders: „Dieser soll sich im Sommer 2011 bereits gegenüber seinem Vater zum NSU geäußert haben.“ Die Beweiserhebung sei durch die gerichtliche Aufklärungspflicht geboten, so Schneiders, da ein Zusammenhang mit den angeklagten Mordstraftaten bestehe. Es
sei nicht auszuschließen, dass der Zeuge oder der von ihm zu benennende Kollege der K1 über
„Insiderwissen“ verfügt. In Zusammenschau mit den aufgrund der Angaben vom Geschädigten [Martin ] A. erstellten Phantombilder und dem Hinweis des Zeugen We. auf einen Täterkreis aus Osteuropa bestünden Zweifel an der möglichen Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt, so Schneiders. Götzl: „Soll denn sogleich Stellung genommen werden?“ Bundesanwalt Diemer: „Wir behalten uns eine Stellungnahme vor.“ NK-Vertreter RA Hoffmann: „Ich mir auch.“
Bundesanwalt Diemer: „Ich würde gerne zur Ankündigung, den Prof. Dr. Weizman als Sachverständigen zu laden, rein vorsorglich einige Bemerkungen anbringen, weil wir der Auffassung sind, dass die Befugnis zur unmittelbaren Ladung für Nebenkläger nicht mehr vorgesehen ist.“
Diemer gibt dann folgende Stellungnahme ab:
Die Befugnis zur unmittelbaren Ladung einer Auskunftsperson steht außer dem Vorsitzenden gemäß § 214 Absatz 2 StPO der Staatsanwaltschaft, gemäß § 220 StPO dem Angeklagten und über die Paragraphen 384, 385 StPO dem Privatkläger zu. Nach § 397 Absatz 1 StPO in der bis 31. März 1987 geltenden Fassung war damit auch für Nebenkläger unzweifelhaft die unmittelbare
Ladung zulässig, weil diese Vorschrift pauschal bestimmte: „Der Nebenkläger hat nach erfolgtem Anschluss die Rechte des Privatklägers“. Seit der Neuregelung des Nebenklagerechts durch die Opferschutzreformgesetze von 1986 und 2009 ist diese pauschale Verweisung zugunsten einer Einzelaufzählung von Befugnissen abgeschafft. Für den Nebenkläger sieht die Strafprozessordnung damit keine entsprechende Befugnis mehr vor. Die Verfahrensrechte der Nebenklägerin sind in § 397 StPO geregelt. Anders als der bis 31. März 1987 geltende § 397 Absatz 1 StPO in der Form vom 7. Januar 1975, enthält der seit 1. Oktober 2009 insoweit unverändert geltende § 397 Absatz 1 StPO eine enumerative Aufzählung der Befugnisse.
Die eingangs genannten, zur unmittelbaren Ladung von Beweispersonen ermächtigenden Vorschriften sind darin nicht enthalten. Dadurch, dass der Gesetzgeber ausdrücklich etwa das Fragerecht nach § 240 StPO, das Recht zur Beanstandung von Fragen nach § 242 StPO und das Beweisantragsrecht nur nach § 244 Absatz 3 bis 6 StPO aufgezählt hat, kann ausgeschlossen werden, dass er die Befugnis zur unmittelbaren Ladung in den Paragraphen 214 und 220 StPO und die für die Beweisaufnahme nicht unerhebliche Vorschrift des § 245 StPO nur übersehen hat. Dem enumerativen Wortlaut des Gesetzes entspricht auch die historische und teleologische Auslegung der Norm. Der bis heute erhalten gebliebene enumerative Katalog der Befugnisse des Nebenklägers wurde mit dem Ziel einer Neugestaltung der formellen Beteiligungsbefugnisse des Verletzten am Strafverfahren durch das Erste Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 in § 397 Absatz 1 StPO eingefügt. Ziel dieses Gesetzes insgesamt war es, dem spezifischen Schutzbedürfnis des Opfers etwa durch Vorschriften über den Zeugenschutz, die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen und die Information des Verletzten verstärkt zu entsprechen, gleichzeitig aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass „die Wahrung der historisch gewachsenen Verteidigungsbefugnisse des Beschuldigten und die Notwendigkeit, die Belastungsgrenzen der Strafjustiz zu berücksichtigen, einer Verbesserung der Verletztenstellung Grenzen setzt“.
Um unter diesem Gesichtspunkt eine übermäßige Ausgestaltung der Position des Nebenklägers in der Hauptverhandlung einerseits und eine nicht angebrachte Belastung des Angeklagten andererseits zu vermeiden, sollte anstelle der bis dahin geltenden Pauschalverweisung auf die Rechte des Privatklägers eine einzelne Aufzählung der Befugnisse erfolgen, um eine „Doppelbesetzung der Anklageposition im gerichtlichen Verfahren“, die den Beschuldigten unsachgerecht belastet und „dem Gesichtspunkt nicht hinreichend Rechnung trägt, dass es sich beim Nebenkläger um einen Zusatzbeteiligten neben der Anklagebehörde handelt“, auszuschließen. Mit der enumerativen und grundsätzlich abschließenden Aufzählung der Befugnisse des Nebenklägers sollte aus der Verweisung auf § 385 Absatz 1 StPO künftig nicht mehr auf eine Gleichstellung des Nebenklägers mit der Staatsanwaltschaft geschlossen werden dürfen. Das Zweite Opferrechtsreformgesetz vom 29. Juli 2009 lässt den enumerativen Katalog der Befugnisse ausdrücklich unverändert. Restlos abgeschafft und durch weitere Aufzählung in § 397 StPO ersetzt wird indessen jegliche Verweisung auf die Privatklagenormen der Paragraphen 385, 378 StPO, dies mit der Begründung, abgesehen von der besseren Verständlichkeit erschienen Verweisungen aus dem Institut der Nebenklage auf das der Privatklage auch insgesamt nicht mehr angebracht, weil sich diese beiden Verfahrensarten mittlerweile entgegen ihrem ursprünglichen Ansatz in Inhalt und Ausgestaltung weit voneinander entfernt hätten.
Somit handelt es sich bei den Befugnissen des Nebenklägers in § 397 StPO um einen abschließenden Katalog. Aus ihm ergibt sich aus dem Befugniskatalog des § 397 StPO keine Rechtsgrundlage für eine unmittelbare Ladung von Auskunftspersonen durch Nebenkläger. Für eine wie auch immer geartete analoge Rechtsanwendung besteht angesichts der eindeutigen Regelung, mangels jeglicher Regelungslücke und auch nicht mehr aufgrund einer Verweisung auf das Institut der Privatklage kein Raum. Zudem widerspräche sie dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, wie er im Wortlaut, in der historischen Entwicklung und nach dem aus den Materialien ersichtlichen Gesetzeszweck zum Ausdruck kommt. Eine unmittelbare Ladung von Beweispersonen durch Nebenkläger ist nach geltendem Recht demnach nicht mehr statthaft und somit unzulässig. Die Regelung für die Erstreckung der Beweisaufnahme auf präsente Beweismittel in § 245 StPO setzt nicht nur voraus, dass die Beweispersonen erschienen sind, sondern auch dass sie von anderen Prozessbeteiligten ordnungsgemäß geladen sind. Nachdem den Vertretern der Nebenklage eine Befugnis zur Ladung nicht zusteht, gelten für die Pflicht des Gerichts zur Vernehmung der erschienen Personen die allgemeinen Vorschriften. Ein entsprechender Antrag würde demnach einen Beweisantrag erfordern, der nach der allgemeinen Regelung des § 244 Absatz 2 bis 6 StPO zu behandeln wäre. RA Top, Vertreter der Familie Yozgat, behält sich eine Stellungnahme vor. Götzl: „Wir machen jetzt mal eine 15-minütige Pause.“
Um 11:19 Uhr geht es weiter. Götzl: „Herr Bliwier ist heute nicht zugegen. Aber Herr Top, vorsorglich weise ich darauf hin, dass es schon möglich ist, dass Herr Weizman nicht als Sachverständiger im Sinne des § 245 angesehen werden wird, also kein Ladungsrecht als Nebenkläger besteht, wenn Sie das also bitte mit dem Kollegen besprechen. In dem Zusammenhang wäre auch die Frage, ob es möglich ist, ob insofern vorweg ein Beweisantrag gestellt oder übersandt wird. Dass wir einen erhalten, wenn der aufrechterhalten bleiben soll. Wären denn dann Stellungnahmen oder Anträge für heute? Keine? Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen, wir setzen fort am Dienstag, 25.04., um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 11:20 Uhr.