NSU-Watch Protokoll vom 5. Verhandlungstag am Landgericht Schwerin am 19.12.2019
Kurz nach 13 Uhr betritt das Gericht den Saal und verkündet das Urteil für den Angeklagten Marko G.: Ein Jahr und neun Monate Freiheitsentzug auf Bewährung.
Der Richter führt dann in der Urteilsbegründung aus, im Zentrum stehe die Waffenleidenschaft von Marko G., der jedoch auch Inhaber einer grünen und gelben Waffenbesitzkarte, eines roten Waffenscheins und eines Munitionserbwerbsscheines sei. G. sei legaler Besitzer einer zweistelligen Zahl von Schusswaffen und entsprechender Munition und habe eine Genehmigung nach dem Sprengstoffgesetz für den Umgang mit Sprengzellulose. G. habe ein großes Interesse an Survival. Der Richter sagt, dabei sei es eine Frage nach der Henne und dem Ei und die habe im Verfahren nicht genau aufgeklärt werden können. Der Angeklagte habe sich auf Krisenszenarien vorbereitet, in deren Verlauf der Verlust staatlicher Ordnung und des staatlichen Gewaltmonopols zu erwarten sei, auch etwa durch eine Naturkatastrophe. Für einen solchen „Tag X“ habe er sich vorbereitet. Aber G. habe nicht drauf hingearbeitet, dazu habe nichts festgestellt werden können. Es sei ums „Preppen“ gegangen, darum, Lebensmittel, Kraftstoff und Hygieneprodukte vorrätig zu halten oder ein „Safehouse“ zu suchen – zum Schutz der eigenen Familie.
Dabei sei G. nicht allein gewesen, er sei als Administrator in Chatgruppen organisiert gewesen, er habe die sog. „SAP-Kurzfassung“ in den Chatgruppen verbreitet. Diese habe er von Frank Th. erhalten. Man habe gemeinsame Überlegungen angestellt, mit dabei seien unter anderen Soldaten, Polizisten, Ärzte, Sportschützen und Jäger gewesen. Auch Geld sei eingesammelt worden, etwa 12.500 Euro, das sei auch für Munition ausgegeben worden. Es sei um die Bereithaltung von legalen Waffen sowie 40.000 Schuss Munition gegangen. Der Angeklagte habe als Polizeibeamter auch andere Polizisten zur Beschaffung von Munition aufgefordert, außerdem gebe es fragwürdige wertkonservative, zum Teil rechtsradikale Chatposts. Deswegen laufe ein Ermittlungsverfahren des GBA wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, allerdings gegen andere, Marko G. sei in dem Verfahren nur Zeuge.
Das Landgericht Schwerin sei jedoch für derartige Terrorismusverfahren nicht zuständig. Hier gehe um etwas anderes: „Es geht hier nicht um Gesinnungsstrafrecht.“ Natürlich sei der politische Hintergrund eine Frage: „Was sollte mit den Waffen geschehen?“ Vieles von dem Gefundenen habe der Angeklagte jedoch legal besessen und das meiste sei auch sachgerecht gelagert gewesen. Insgesamt seien an vielen Stellen des Hauses Munition und Waffen gefunden worden und gemeinsam mit Waffenbesitzkarten und -scheinen sowie einem Munitionserwerbsschein bei Durchsuchung von dem Zeugen He. [2. und 3. Prozesstag] „mitgenommen“ worden. Ein entsprechender Bescheid mit Sicherstellungsanordnung sei ergangen, nicht jedoch für den Munitionserwerbsschein. Diese Anordnung habe aber – analog etwa zur Fahrerlaubnis bei Einziehung des Führerscheins – auf Besitz- und Erwerbsrechte keine Auswirkungen, es habe sich nicht um eine Entziehung gehandelt. Aufrund dieser Ergebnisse sei ein Verfahren eingeleitet worden. Schon damals habe dem Angeklagten klar gewesen sein müssen, dass es kein Zurück zum SEK habe geben können, zumindest hätte ihm das schon vorher klar gewesen sein sollen.
Bei der zweiten Durchsuchung bei Marko G. seien wieder Dutzende Waffen und große Mengen Munition festgestellt worden, sowohl erlaubnisfreie Waffen als auch illegale, wie Polizeimunition, Sprengkörper, eine Uzi und 1500 Schuss Munition nach Kriegswaffenkontrollgesetz, die jedoch nicht zur Uzi gepasst habe. Das meiste habe der Angeklagte schon 2017 im Besitz gehabt, das gelte v.a. für die Uzi und das Winchester-Repetiergewehr. Bei der Uzi handele es sich um eine Kriegswaffe mit Munition, der Schalldämpfer habe so ohne Weiteres nicht an der Uzi verwendet werden können, es sei ein Distanzstück erforderlich gewesen. Eine entsprechende Schraubenmutter habe sich im Koffer befunden, das habe der Angeklagte jedoch nicht gewusst und auch der Sachverständige nicht. Der Sachverständige habe das Kleinteil erst nach der Untersuchung der Uzi und nachdem er sich selbst ein Distanzstück aus Pappe gefertigt habe, in dem Koffer entdeckt. Marko G. jedenfalls habe keine Waffenbesitzkarte für die Winchester gehabt. Das meiste sei aber schon bei der Durchsuchung 2017 vorhanden gewesen, die Munition habe oft dieselbe Losnummer. Marko G. habe sich durchgängig kooperativ gezeigt, habe alle Passwörter mitgeteilt und sich einverstanden erklärt mit der Durchsuchung, der Sicherstellung und Mitnahme der Gegenstände, er habe sogar zugestimmt, dass die Durchsuchung ohne ihn und Zeugen stattfinden könne.
Der Richter geht nun darauf ein, was von all dem strafbar gewesen sei. Bei der Durchsuchung im Jahre 2017 sei die Pistole Luger nicht ordnungsgemäß gelagert gewesen, es seien 2000 Schuss Behördenmunition festgestellt worden, von der 650 Schuss nicht sachgemäß gelagert gewesen seien, es sei auch Munition nach Kriegswaffenkontrollgesetz gefunden worden, die ebenfalls nicht sachgerecht gelagert gewesen sei, ebenso wie etwa 1000 Schuss in „der blauen Tonne“.
Im Jahr 2019 seien 5000 Schuss Behördenmunition und 1250 Schuss nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, Sprengmittel, Signalfackeln, die Uzi und die Winchester gefunden worden, die ebenfalls nicht sachgerecht gelagert worden seien, ebenso wie drei Luftdruckwaffen. Die dort auch aufgefundenen etwa 25.000 Schuss Zivilmunition seien nicht strafbar, da der Munitionserwerbsschein nicht entzogen worden sei. Nicht strafbar seien die insgesamt 30.000 Schuss Zivilmunition, eine Streitaxt und ein Messer. Die aufgefundene Behördenmunition habe von Behörden im ganzen Bundesgebiet gestammt, hier habe es wohl Zwischenhändler gegeben, Marko G. habe nicht wissen können, woher sie genau kam.
Das 2017 aufgefundene doppelseitig geschliffene Seitengewehr oder Bajonett sei straflos.
Die Kammer habe als entschuldigt angesehen, so der Richter mit einem Anflug von Heiterkeit, dass die geladene Waffe Glock auf dem Boden des Wohnhauses gelegen habe, Marko G. habe verdächtige Bewegungen wahrgenommen und zur Waffe gegriffen. Als er jedoch erkannt habe, dass das GSG 9 vor der Tür stand, habe er sofort getan, was jeder gemacht hätte, nämlich die Waffe niedergelegt. Wenn er da erst hätte sagen wollen, er müsse die Waffe erst ordnungsgemäß verwahren, sei lebensfern bis lebensmüde. Der Angeklagte habe umfangreich und nachvollziehbar den Erwerb der Uzi geschildert, er habe sich dazu eingelassen, was ohne Weiteres nachvollziehbar und einsichtig gewesen sei. Es stehe hier nicht im Streit, was vom Angeklagten mit wem kommuniziert worden sei, sein Vorsatz sei durch das volle Geständnis klar geworden. Die Staatsanwaltschaft habe gesagt, sie hätte sich mehr erwartet – wo aber, so fragt der Richter, hätte man sich mehr vorstellen können? Er hätte die Lieferanten der Munition nennen und etwas zum kommuniziertes Gedankengut, das teilweise eindeutig außerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu verorten sei, sagen können. Die Lieferanten jedoch seien für Entscheidung in der Sache nicht zentral erheblich. Warum der Angeklagte dazu geschwiegen habe, sei Anlass für Spekulationen. Es könne jedoch sein, dass er es schlicht nicht mehr wisse. Nicht relevant sei auch das ausgetauschte Gedankengut oder die Gesinnung des Angeklagten. Sein Motiv sei relevant und von der politischen Einstellung zu lösen, denn für jede Einstellung kann ein Motiv positiv oder negativ ausgelegt werden. Ein Verdacht jedoch reiche nicht aus, es gehe nur um Beweise. Der GBA habe keine Anhaltspunkte auch nur eines begründeten Verdachts gesehen. Das Gericht sehe es auch so, anderenfalls hätte es das Verfahren an eine anderes Gericht abgeben müssen.
Es sei nicht festgestellt worden, dass Marko G. auf den „Tag X“ hingearbeitet hätte, fährt der Richter fort, es seien Vorbereitungen getroffen worden. Was dann geschehen wäre, sei hier untergeordnet. In Vorgesprächen habe es einen Deal der Verständigung gegeben, das Gericht habe klar kommuniziert: Der Angeklagte müsse liefern. Und er habe geliefert. Die Lieferanten der Munition seien zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Erörterung gewesen, niemand habe erwartet, dass sich der Angeklagte hier zum Kronzeugen mache. Die Uzi sei die Klammer für alle Vorwürfe, woraus sich die Tateinheit ergebe. Es habe keine Waffenlager in Erddepots gegeben und auch keine Banküberfälle oder ähnliches. Konkrete Gefahren seien nur wegen unsachgerechter Lagerung entstanden. Es seien Kinder im Haus des Angeklagten anwesend gewesen. Allein die Möglichkeit einer Gefährdung reiche aus. Das sei jedoch eine Ordnungswidrigkeit. Es sei hier jedoch nicht um Ordnungswidrigkeiten, sondern allein um das Strafgesetz gegangen.
Der Richter widmet sich nun der Frage, wie Marko G. nun also zu bestrafen sei. Ob es sich um minderschwere und besonders schwere Straftaten gehandelt habe, werde vom Gericht verneint. Zugunsten des Angeklagten sei zu sagen, dass dieser nicht vorbestraft sei. Er habe eine Untersuchungshaft unter besonders schweren Umständen durchstehen müssen, es habe sich faktisch um Einzelhaft und Isolation gehandelt. G. habe sich geständig eingelassen, was angesichts der objektiv erdrückenden Beweislast weniger wiege, zumal er auch keine Lieferanten genannt habe. Aber es habe den Deal gegeben, es habe keinen doppelten Boden bei seiner Einlassung gegeben, obwohl der Deal seitens der Staatsanwaltschaft kurzfristig aufgekündigt worden sei. Der Angeklagte habe so mit seinem Geständnis dem Rechtsstaat großes Vertrauen entgegengebracht. Was hätte er noch tun können, außer Kronzeuge zu werden? Er habe eingestanden, dass er sich verrannt habe und naiv gewesen sei – das spreche gegen erhöhte kriminelle Energie. Er sei von Anfang an sehr kooperativ gewesen, habe Passwörter oder Pins preisgegeben und sich einverstanden erklärt, dass die Durchsuchung ohne seine Anwesenheit stattfinden könne. Das habe alles dazu beigetragen, das Verfahren abzukürzen. Das hätte auch anders laufen können, was einen Aufwand nicht von mehreren Wochen, sondern Monaten nach sich gezogen hätte. Es seien alle Waffen sichergestellt worden und dadurch auch keine weiteren Folgen gegeben. Marko G. habe weiträumig den Verzicht auf Waffen und Munition erklärt, auch obwohl einiges straflos gewesen wäre und ihm zugestanden hätte.
Eine erhebliche rechtliche Folgen sei darin zu sehen, dass es für den Angeklagten kein Zurück zum SEK mehr gebe, seine Bezüge und beamtenrechtlichen Vorteile seien perdu. Der Fall habe großes mediales Interesse gefunden und hier im und vor dem Saal zu erheblichen Sicherheitsvorkehrungen geführt. Da entstehe sehr schnell der Eindruck einer Vorverurteilung. Dem habe sich das Gericht nicht entzogen, es sei festzustellen, dass die Medienberichterstattung nicht mit gerichtlichen Sichtweise übereinstimme. Wo der Angeklagte als rechtsradikaler Prepper dargestellt worden sei, sei das hier nicht Gegenstand gewesen, allenfalls Randthema. Teilweise habe die Darstellung in den Medien nicht dem entsprochen, was das Gericht wahrgenommen habe. So seien zwar die Waffen im Wohnzimmer von den Durchsuchungsbeamten hingelegt worden. Irgendwo sei dann gestanden, überall im Haus hätten Waffen herumgelegen. Der Angeklagte habe genau gewusst, was er gedurft habe und was nicht.
Der Richter sagt, das sei aber auch noch die schiere Masse an Waffen. G. habe nach 2017 weitergemacht und zum Teil zu Unrecht weiter auch Behördenmunition beschafft, jedoch nur noch in geringem Umfang. Strafverschärfend sei jedoch, dass G. versucht habe andere Personen, andere Polizeibeamte zu verstricken indem er sie aufordert habe, illegal Munition zu beschaffen. Es sei ein eher sorgloser Umgang mit gefährlichen Gegenständen festzustellen, so sei etwa die Uzi vollkommen unsachgerecht gelagert gewesen. Bei der Strafzumessung habe sich das Gericht davon leiten lassen, wie es das Gericht hier trotz dem Nichtzustandekommen der Verständigung dargestellt habe, nämlich dass eine Freiheitsstrafe von nicht über zwei Jahren auf Bewährung möglich sei und in Betracht komme.
Die Beweisaufnahme habe dann noch mehr Punkte zugunsten des Angeklagten ergeben. Fast sämtliche Positionen zu Waffen und Munition aus der Angklageschrift seien legal im Besitz des Angeklagten gewesen. Deswegen habe sich das Gericht genötigt gesehen, unter zwei Jahren zu bleiben, zumal auch 30.000 Schuss Munition aus der Strafbarkeit rausgefallen seien. Das Gericht habe sich kritisch immer wieder die Frage gestellt, ob der ursprüngliche Deal in Ordnung gewesen sei und das Gericht sei dabei geblieben. Der Richter geht nun auf die Bewährung ein. Es sei seitens des Angeklagten Straffreiheit zu erwarten, dafür gebe es eine Vielzahl gewichtiger Gründe. Es habe auch durchaus Aspekte gegeben, die gegen eine Bewährung gesprochen hätten, z.B. die Waffenbegeisterung des Angeklagten, die er ja nicht wie eine Jacke ablegen könne. Aber diese auszuleben, dafür gebe es eben auch legale Möglichkeiten. Er sei nicht vorbestraft und habe ein halbes Jahr in Untersuchungshaft unter besonderen Bedingungen verbracht, man habe gesehen, was das heiße.
Weiterhin sei auch die Rolle der Berichterstattung in den Medien zu berücksichtigen, der Angeklagte müsse sich darüber im Klaren sein, dass er unter Beobachtung stehe, es gebe viele Leute, die sicher nur darauf warteten, dass sie etwas zur Anzeige gegen ihn bringen könnten. Auch die Familie sei bei der Bewährungsfrage zu berücksichtigen: G. sei für seine Kinder sorgeverpflichtet und habe einen sehr guten Kontakt auch zu seiner Mutter. Die Kostenentscheidung sei klar, wer verurteilt werde, müsse zahlen.
Zum Schluss ergeht sich der Richter noch in einer Lobhudelei. Vor allem den Prozessbeteiligten wolle er hier vor den Berichterstattern seinen Respekt zu zollen. Das Verfahren habe einen erheblichen Umfang gehabt, aber alle hätten konzentriert und zielorientiert gearbeitet. Ein Strafprozess sei keine Wohlfühlveranstaltung. Die Aktenführung seitens des LKA Mecklenburg-Vorpommern sei unter sehr schwierigen Bedingungen hervorragend gewesen, das wünsche man sich eigentlich immer. Das sei sehr, sehr gut gewesen. Für das Gelingen hätte man auch am Wochenende gearbeitet.
Die verhängte Stra
fe werde auf vier Jahre Bewährung mit Wohnortauflage ausgesetzt. Die Schwierigkeit des Angeklagten mit seiner Waffenbegeisterung ziehe diese vier Jahre nach sich. Als der Richter die Aufhebung des Haftbefehls und das Ende der Verhandlung verkündet, brechen auf der Zuschauertribüne oben Applaus und zustimmende Rufe aus.