„Ich verstehe nicht, warum das immer als rassistisch bezeichnet wird.“ – Die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern am 28.02.2020

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Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin am 28.02.2020 (Foto: NSU-Watch)

Mehmet Turgut wurde am 25.02.2004 vom NSU in Rostock ermordet. Die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses findet am 28.02.2020 in der Woche des 16. Jahrestages seiner Ermordung statt. Die Vorsitzende Ann Christin von Allwörden bittet daher alle Anwesenden zu Beginn der Sitzung, sich zu einer Schweigeminute im Gedenken an Mehmet Turgut, alle Opfer des NSU und die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau zu erheben. Im Anschluss werden die Notärztin, die Mehmet Turgut den Totenschein ausstellte, nachdem sie versuchte ihn zu reanimieren, ein Ermittler aus Rostock sowie zwei Fallanalysten der bundesweiten Mordserie gehört. Viele neue Erkenntnisse bringt die Sitzung nicht, da gerade die Fallanalytiker Horn und Haßmann schon vor anderen Untersuchungsausschüssen gehört wurden. Offenbar soll der Mord an Mehmet Turgut nun in die bundesweite Mordserie und die dazugehörigen Ermittlungen eingeordnet werden. Bislang blieben aber die ungeklärten Fragen für Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise nach der Spende des NSU an das Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“ und das Wissen des Verfassungsschutzes dazu bei der Arbeit des Ausschusses außen vor.

Zeug*innen:

  • Dr. Dagmar Zillig
  • KHK a. D. Hemme
  • EKHK Alexander Horn
  • KHK Udo Haßmann, ab 14:30 Uhr

Die erste Zeugin des Tages Dr. Dagmar Zillig berichtet, dass sie am 25.02.2004 als Notärztin an den Tatort gerufen worden sei. Der Rufgrund sie eine „leblose oder bewusstlose Person“ gewesen. Als sie angekommen sei, sei bereits ein Rettungswagen da gewesen, sie hätte dann mit der Reanimation begonnen. Bei einer ersten Inspektion habe sie nicht den Eindruck einer Schussverletzung gehabt, dafür sei sie aber auch nicht geschult gewesen. Die Verletzungen seien sehr klein für ihre Vorstellung von Schussverletzungen gewesen, daher sei sie von Stichverletzungen ausgegangen. Leider sei die Reanimation erfolglos gewesen. Die Polizei sei parallel informiert worden. Sie sei dann sehr lange am Tatort gewesen, habe der Polizei Fragen beantworten und ihre Schuhabdrücke abgeben müssen. Auf Frage und Vorhalt der Vorsitzenden, dass laut Aktenlage der Imbissbesitzer Ay. eine Beruhigungsspritze bekommen habe, sagt Dr. Zillig, dass sie Ay. zwar getroffen aber ihrer Erinnerung nach nicht behandelt habe. Sie könne sich auch nicht erinnern, ob oder dass der Gerichtsmediziner vor Ort gewesen sei.
Die SPD fragt nach Auffälligkeiten. Zillig sagt, der Besitzer sei sehr aufgeregt gewesen und habe nur gesagt, dass das Opfer gar nicht der Besitzer und nur zu Besuch gewesen sei. Die SPD fragt nach der üblichen Vorgehensweise an Tatorten. Die Zeugin sagt, die Polizei werde verständigt und wenn es kein natürlicher Tod sei, dann werde der Tatort an die Kriminalpolizei übergeben. Dann würden keine Maßnahmen mehr an Person durchgeführt, außer es gebe eine Reanimation, dann dürften sie damit sofort anfangen und würden dann erst die Kriminalpolizei rufen. Dann komme sehr häufig der Gerichtsmediziner an den Tatort.
Der Abgeordnete Manthei von der CDU sagt, im Totenschein sei dann die Rede von einer Schussverletzung am Kopf gewesen. Zillig bestätigt das, sie habe nach dem Versuch der Reanimation alles näher inspiziert und da habe sie die Schussverletzung gesehen. Sie habe die Todesbescheinigung vor Ort im Rettungswagen ausgestellt. Auf Fragen der Fraktion der Linkspartei sagt Zillig, der Tag sei ihr präsent, sie erinnere sich immer daran, wenn sie am Tatort vorbeifahre. Sie sei betroffen, dass „sowas auch in Rostock stattfindet, das vergisst man nicht.“

Als zweiter Zeuge des Tages ist Kriminalhauptkommissar a.D. Peter Hemme geladen, er erscheint mit dem Zeugenbeistand RA Butz Peters. Hemme war als Polizeibeamter zum Fall Mehmet Turgut tätig. Er habe zur Vorbereitung Akteneinsicht im LKA mit seinem Rechtsbeistand genommen und hat eine Erklärung vorbereitet. Mit dem Mord an Mehmet Turgut habe er erstmals am 25.02.2004 zu tun gehabt. Es sei um Yunus Turgut gegangen, das sei der Name, der ihm gegeben worden sei. Er sei mit Kollegen der Mordkommission am Tatort gewesen. Sie hätten nicht direkt hingehen können, weil die Tatortarbeit noch gelaufen sei. Sie hätten sich dann einen Überblick verschafft, von Kollegen vor Ort sei ihnen ein mögliches Tatgeschehen berichtet worden. Es seien Schüsse auf den Kopf abgegeben worden, vermutlich habe es aber keine körperliche Auseinandersetzung gegeben. Der Imbisswagen sei für den Verkauf vorbereitet gewesen, die Tatbegehung müsse sehr schnell gegangen sein.
Er, Hemme, habe die Aufgabe gehabt, den Imbissbesitzer Ay. zu vernehmen. Dieser habe geschildert, was er am Vormittag gemacht habe: Ay. sei 10:30 Uhr vom Gemüseeinkauf zu seinem Dönerstand gekommen, die Tür sei nicht verschlossen gewesen und er habe sie geöffnet. Auf dem Boden habe er seinen Mitarbeiter blutend gefunden, Ay. habe Turgut aus dem Imbiss gezogen und laut um Hilfe gerufen. Ein Passant habe vom Handy aus den Rettungswagen gerufen.
Später am Tag habe es auf Anweisung von Staatsanwältin Grimm (Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 06.12.2019) eine Durchsuchung von Keller und Wohnung des Imbissbesitzers gegeben, da das Opfer dort auch gewohnt habe. Es sei Kleidung des Getöteten gesichert worden, aber nichts Tatrelevantes.
Er habe den Bruder des Getöteten vernommen, habe Hinweise auf einen Mann, der Schreie gehört habe, und auf einen Opel Kadett verfolgt, das habe aber alles nichts erbracht. Hemme berichtet, dass ein Cousin von Mehmet Turgut von einem Passtausch von Mehmet Turgut mit Yunus Turgut berichtet habe, mit dem er den türkischen Militärdienst habe umgehen wollen. Bei dem Opfer solle es sich um Mehmet Turgut nicht um Yunus Turgut handeln. Mit dieser beiläufigen Bemerkung machte der Zeuge klar, dass schon wenige Tage nach dem Mord der Hinweis auf eine Namensverwechslung vorlag. Trotzdem hielten die Behörden bis zur Selbstenttarnung des NSU daran fest. Einige Zeugen vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern benennen das Mordopfer immer noch falsch, weil sie es so gewohnt seien.

Zusammenfassend sagt Hemme, es habe keine Hinweise auf Täter und Motiv gegeben. „Aus meiner Sicht wurde alles gemacht, was notwendig erschien. Es gab keine Hinweise auf die Täter des NSU, leider.“ Auf Frage der SPD sagt der Zeuge, er sei später mit dem Fall nicht noch einmal betraut gewesen. Bei der Selbstenttarnung habe er sich „schon sehr geärgert“, es sei ihm präsent gewesen, es habe damals diesbezüglich aber keine Hinweise gegeben. Das Problem sei gewesen, dass sie keine Opfer-Täter-Beziehung hätten herstellen können. Er verneint die Frage der SPD, ob er nochmal mit einbezogen worden sei, um zu gucken, was man hätte besser machen können.
Die SPD fragt nach einen Protokoll zum Tattag, das sich auf einen PKW in der Nähe bezieht und das der Zeuge unterschrieben und zum Halter des Fahrzeugs vermerkt habe: „Hatte kein südländisches Aussehen“. Daran kann sich Hemme allerdings nicht erinnern. Auf Frage der CDU sagt er, er sei absolut ergebnisoffen an die Ermittlungen rangegangen, sie wären froh über einen Hinweis auf ein Motiv gewesen. Sie hätten seinerzeit alles gemacht, um den Täter zu ermitteln, fügt er auf Frage der SPD hinzu.

Der Abgeordnete der Linksfraktion Ritter geht darauf ein, dass nicht nachgefragt worden sei, als das Umfeld von Mehmet Turgut von möglichen rechten Tätern sprach. Hemme: „Es wird nach einer Tat Verschiedenes gesprochen, das ist normal, wenn es was Konkreteres gegeben hätte, wären wir dem sicher nachgegangen.“ Er habe seine Vernehmungsprotokolle weitergegeben, die seien ausgewertet worden.
Die Abgeordnete Larisch geht auf die Vernehmung von Zeugen gemeinsam mit den bayrischen Ermittlern ein. Ein Teil der Vernehmung sei als „Gespräch“ gekennzeichnet, obwohl weiterhin ähnliche Fragen gestellt worden wären. Allerdings würden dann ja nicht die rechtlichen Bedingungen einer Vernehmung gelten. Hemme sagt, das „Gespräch“ sei eine Pause gewesen. Auf die Frage, ob dies gängige Praxis sei, sagte der Zeuge, dass er dies so nicht sagen können, aber „in diesem Falle war es eben so gewesen.“

Nach einer Pause wird der dritte Zeuge, EKHK Alexander Horn aus Bayern, gehört. Er erstellte für die „BAO Bosporus“ zwei Fallanalysen. Die erste 2005 und die zweite 2006 nach den Morden an Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. Er wurde bereits vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss und dem hessischen Untersuchungsausschuss gehört. Horn berichtet auf Frage der Ausschussvorsitzenden, es habe zwar eine Zusammenarbeit mit Behörden in Mecklenburg-Vorpommern gegeben, aber keine unmittelbare, weil die „BAO Bosporus“ ja bereits die Informationen gesammelt habe. Von Allwörden fragt, wie seine zweite Operative Fallanalyse aufgenommen worden sei. Horn sagt, sie hätten 2006 die neuen Fälle in Dortmund und in Kassel gehabt. Daraus hätten sie die Erkenntnis gewonnen, dass diese Personen normalerweise nicht an den Orten gewesen wären, an denen sie ermordet wurden. Da sei es also bei ihnen um die Frage gegangen, ob die Personen gezielt ausgewählt worden seien oder zufällig. Daraus hätten sie eine Alternativhypothese – anstatt der These eines Hintergrundes in der Organisierten Kriminalität – entwickelt. Sie gingen darin von einem missionsgeleiteten Täter aus, der aus eigenem Antrieb gemordet habe. Die bayrischen Vertreter hätten dem gut folgen können, „andere hatten größere Schwierigkeiten sich damit anzufreunden, das nachzuvollziehen.“ Mecklenburg-Vorpommern sei dabei allerdings nicht besonders aufgefallen. Auf Frage sagt Horn, es habe aufgrund der Operativen Fallanalyse Auswirkungen auf die Ermittlungen gegeben, es habe eine Datenrasterung und eine Medienstrategie gegeben, es sei versucht worden, damit weiter zu arbeiten.

Auf Frage der SPD erläutert Horn erneut die Hypothese der missionsgeleiteten Täter. Es gehe um die Frage der Opferauswahl, sie seien nach dem neunten Mord von einer „situativen Opferauswahl“ ausgegangen. Dass die Personen also ermordet worden seien für das, wofür sie stehen: männlich, mit einem türkischen Erscheinungsbild in einem Kleingewerbe. Manche Sachen seien in der zweiten Fallanalyse gleich geblieben: zwei Täter, Exekutionserschießungen, Schießfertigkeit. Zur Motivlage hätten sie nun angenommen, es könnte „etwas Fremdenfeindliches“ sein. Die Täter könnten vor dem Jahr 2000 eine Nähe zur Neonaziszene gehabt haben, danach hätten sie vielleicht deren Aktionen als „zu schwach“ angesehen, daher hätten sie nun ihre eigene Mission. Außerdem habe es Anzeichen gegeben, dass Nürnberg als Tatort wichtiger als die anderen sei und von den anderen Tatorten abwich.

Der wesentliche Aspekt sei für sie die Opferauswahl gewesen. Von Zeugen seien in vielen Fällen Auseinandersetzungen vor der Tat beschrieben worden, die in den Ermittlungen zuvor mit den Morden in Verbindung gebracht worden seien. Sie hätten dies allerdings nun neu interpretiert und gingen von einem Kausalitätsbedürfnis aus, in dem Zeugen Ereignisse in Verbindung mit Mord brachten, um sich diesen zu erklären. Sie seien aber davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall war. Für sie waren die Opfer daher als konkrete Personen austauschbar, dann bliebe eine andere Motivlage. Besonders in Nürnberg seien dann entsprechende Maßnahmen ergriffen worden.
Die CDU fragt, wie er als Fallanalytiker vorgehe. Horn sagt, das seien drei Schritte. Man mache als erstes eine Rekonstruktion des Tathergangs, dann nähmen sie eine Verhaltensbewertung vor, das heiße die Fragen nach dem „Warum“, der Motivlage. Und zuletzt erstellten sie ein Täterprofil, stellten also die Frage nach dem „Wer“. Die CDU fragt nach der Beurteilung dessen, dass immer die gleiche Tatwaffe verwendet worden sei. Horn sagt, das hätten sie bei ihrer ersten Fallanalyse als störend empfunden, das sei bei Organisierter Kriminalität nicht der Fall. Die Täter hätten einen Schalldämpfer benutzt und durch eine Plastiktüte geschossen. Das habe sie an der These, dass das Motiv aus der Organisierten Kriminalität stamme, gestört. Sie hätten dann umgedacht und die Waffe als Botschaft gesehen: „Das hat dann bei der zweiten Operativen Fallanalyse auch gleich mehr Sinn gemacht.“ Sie hätten eine große Nachhaltigkeit im Verständnis gesehen, was die zweite Analyse angegangen sei. „Die offenen Fragen machten in dem Kontext mehr Sinn als zuvor.“
Auf Frage der CDU sagt Horn, er sei danach nicht mehr an Fallanalysen zur Mordserie beteiligt gewesen, die Steuerungsgruppe habe beschlossen, dass eine weitere Fallanalyse in Baden-Württemberg erstellt werden solle.

Die Linksfraktion fragt nach, was darunter zu verstehen sei, dass in der zweiten Fallanalyse Nürnberg als Ankerpunkt benannt wurde. Ritter geht auf die Verbindungen zwischen der Neonaziszene in Mecklenburg-Vorpommern zum Thüringer Heimatschutz und zur Fränkischen Front ein. Diese Verbindungen seien auch in verschiedenen VS-Berichten dokumentiert. Er fragt, ob beim Ankerpunkt auch an Strukturbeziehungen gedacht worden sei. Horn sagt, es sei bei dem Ankerpunkt um den möglichen Wohnort, die berufliche Aktivität oder regelmäßige Aufenthalte gegangen. Es seien auch Ermittlungen in der rechten Szene in Nürnberg empfohlen worden. Sie hätten auch empfohlen, nach Menschen mit Bezug zum Combat-Schießen oder zu Schützenvereinen zu ermitteln. Peter Ritter stellt fest, dass Ermittlungen in rechten Schießvereinen im Raum Hildesheim klar in Kreise von Blood & Honour – der zentralen NSU-Unterstützungsstruktur – geführt hätten. Zu den konkreten Ermittlungen könne er, Horn, nichts sagen. In Bayern sei ein eigener Ermittlungsabschnitt gegründet worden, von dem Rest wisse er nicht.
Die SPD fragt zu eventuellen Besonderheiten am Tatort Rostock. Horn sagt, man komme in Rostock auch schnell weg, wie an anderen Orten, sagt der Zeuge. Im Fall Turgut könnte es so gewesen sein, die Waffe sei gezogen worden, Turgut habe sich eventuell weggeduckt und dann seien sie vielleicht durch die Tür gegangen. Es habe eine gewisse Dynamik und nur ein Hülse gegeben. Wahrscheinlich sei die Hülse aus der Plastiktüte gefallen, weil die Waffe von oben nach unten gehalten worden sei.
Auf Frage sagt Horn, dass es zum Anschlag in der Kölner Keupstraße von ihnen den Hinweis gegeben habe, es gebe dort eine Verhaltens- und Datumsgleichheit zur Mordserie. Auch die Vorgehensweise sei ähnlich gewesen, sie hätten daher eine schnelle Kontaktaufnahme zu den Ermittlern zum Thema Keupstraße empfohlen.

Die Abgeordnete Larisch sagt, in Mecklenburg-Vorpommern sei immer gesagt worden, dass überall gleichwertig auch in Richtung rechts ermittelt worden sei. Nun wisse man, dass es nicht so gewesen sei. Horn sagt, dazu könne er nichts sagen, mit dem Ergebnis aus Baden-Württemberg seien sie raus gewesen. Die SPD fragt nach dem Medienkonzept. Horn sagt zur öffentlichen Wahrnehmung, der Begriff „Dönermorde“ sei nicht von Polizei geprägt worden, sondern von den Medien. Nach der Analyse hätten sie das Bedürfnis gehabt, das nach außen tragen. Es sei auch wahrgenommen worden, die Bildschlagzeile habe zum Beispiel gelautet: „Handelt der Täter aus Türkenhass?“ Es sei auch das Ziel gewesen zu zeigen, man habe eine andere Ermittlungsrichtung.
Larisch sagt, es habe in der Fallanalyse die Empfehlung gegeben, zu rechten Konzerten zu ermitteln. U.a. sei ein Tatortvergleich Rostock-Kassel angeregt worden. Das sei aber „wegen zuviel Aufwand“ abgelehnt worden. Horn sagt, er wisse nicht, wie das in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt worden sei. Ritter sagt auf der neuen Internetseite zur Mordserie habe das Wort „Einzeltäter“ gestanden, aber ohne Rechtsextremismus, da habe nur „Schlüsselerlebnis mit türkischem Staatsbürger“ gestanden. Horn sagt, die Frage, die sich gestellt habe sei gewesen, wo der „Türkenhass“ herkomme. Die Hypothese sei Ideologie oder persönliche Geschichte gewesen. Sie wollten damit abdecken, dass man auch Personen bekommen könnte, die durch „Türkenhass“ auffallen, aber nicht Teil der rechten Szene sind.
Ritter: „Rassismus braucht aber kein Schlüsselerlebnis“, das treibe ihn um. Horn sagt, dabei gehe es um tatsächliches oder vorgestelltes Erleben. Sie hätten besonders viele Hinweise gewollt und ein Erlebnis könne auch sowas in Gang setzen, daher sei es so offen formuliert gewesen. Ritter sagt, es habe ein Treffen mit dem FBI gegeben, das dann einen Hinweis zur Mordserie gegeben habe, in dem sie auch einen rechten Hintergrund vermuteten. Der Kommentar vom BKA sei gewesen, wenig hilfreich. Er fragt, wie es dazu gekommen sei. Horn sagt, Fallanalytiker tauschten sich regelmäßig aus, bei einem Treffen hätten sie das vorgestellt, das FBI habe das für sich aufgeschrieben und seien nicht angefragt gewesen. Das FBI habe das dann nach Deutschland weitergegeben. Der Zeuge wird entlassen.

Es folgt der letzte Zeuge des Tages, KHK Udo Haßmann, er wurde von der „BAO Bosporus“ beauftragt die dritte Operative Fallanalyse in Baden-Württemberg zu erstellen. Er sagt, es habe wohl Irritationen in der Steuerungsgruppe gegeben, daher seien sie beauftragt worden. Sie hätten erstmal alle Mordfälle einzeln bewertet. Es sei schwierig gewesen, es habe kaum Täterverhalten und keine objektiven Spuren gegeben. Sie hätten alle neun Tatorte bereist. Es habe also neun Einzelfallanalysen für eine Gesamtanalyse gegeben. Mit Blick auf die Tatörtlichkeiten hätten sie als Gemeinsamkeiten festgestellt, dass es sich um deutsche Großstädte gehandelt habe und es damit alle Verkehrsmöglichkeiten gegeben habe, an den Tatort zu gelangen. In Rostock komme man nicht zufällig am Tatort vorbei. Rostock habe hervorgestochen, es habe ihrer Meinung nach beim Mord ein emotionales Moment gegeben, Mehmet Turgut sei dazu gebracht worden, sich hinzuknien und der Täter habe einmal nicht getroffen.
Insgesamt wären ein sexuelles und ein finanzielles Motiv ausgeschieden, es seien also nur ein rassistisches Motiv und Organisierte Kriminalität übrig geblieben. Rassismus hätten sie verworfen, weil sie die Emotionalität in Rostock gesehen hätten. Es hätte sich um ganz gezielt ausgesuchte Orte gehandelt. „Wenn es aus rassistischen Gründen ist, warum dann das Kleingewerbe?“ Bei vier Geschäften habe man von außen nicht gesehen, dass dort „Ausländer“ arbeiteten. Die Botschaft habe gefehlt. „Das war im Nachhinein falsch unser Profil, wir sind da völlig falsch abgebogen.“ Ihr Ergebnis hätten sie im März 2007 vorgestellt, damit sei die Arbeit erledigt gewesen.
Auf Frage der Vorsitzenden sagt Haßmann, dass er sich mit zwei Kollegen am Tatort in Rostock getroffen habe, aber es sonst keinen Kontakt nach Mecklenburg-Vorpommern gegeben habe. Haßmann fügt hinzu, er komme aus Stuttgart mit einem, „Ausländeranteil“ von 25%, warum suche sich der Täter Rostock aus, mit einem Ausländeranteil von 2%? Der Zeuge geht aber nicht näher darauf ein, was er damit meint. Der Tatort in Rostock sei auf dem Präsentierteller, deswegen könne es kein Zufall gewesen sein. Bei der Selbstenttarnung sei er schockiert, entsetzt gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei das unvorstellbar gewesen, dass „jemand so durch die Republik reist“. Die Vorsitzende fragt, ob er aufgrund der Selbstenttarnung seine Herangehensweise geändert habe. Haßmann sagt, den NSU hätten sie jetzt immer im Hinterkopf, sie würden jetzt ein rechtes Motiv stärker beleuchten und nicht so schnell verwerfen: „Wir leben auch von Erfahrungen.“

Die SPD fragt nach, wie sich Rostock auf die Fallanalyse ausgewirkt habe. Der Zeuge sagt, sie suchten immer nach „roten Flaggen“, also Auffälligkeiten. In Rostock habe es davon welche gegeben. Das Opfer habe gewusst, was passiert, die Anzahl der Schüsse und der Fehlschuss. Täter und Opfer hätten sich gekannt, da sei etwas Persönliches gewesen und es sei ein risikobehafteter Tatort gewesen.
Die Ergebnisse der anderen Fallanalysen hätten ihnen nicht vorgelegen, sagt Haßmann auf Frage, sie hätten nur von den Diskussionen in der Steuerungsgruppe gewusst. Bei der Vorstellung ihrer Ergebnisse habe es zwei Lager gegeben um die Frage: „Einzeltäter oder Gruppe“, weniger um das Motiv.
Die CDU fragt nach der Verwendung der gleichen Waffe. Haßmann sagt, das sei ungewöhnlich gewesen, sie hätten es so erklärt, es sei eine Waffe mit Schalldämpfer gewesen, das sei ungewöhnlich, vielleicht hätten die Täter nur die eine zur Verfügung. Sie hätte auch ein Signal sein können, sich nicht mit einer bestimmten Gruppe anzulegen.
Ritter fragt, wie sie darauf gekommen seien, dass Opfer und Täter sich in Rostock gekannt hätten, Mehmet Turgut sei ja spontan da gewesen und es habe dann die Namensverwechslung gegeben. Haßmann widerspricht und sagt, Mehmet Turgut sei regelmäßig da gewesen. Ritter fragt dann, was mit dem „rigiden Ehrenkodex“ und der „Gruppierung“ zu der alle Mordopfer Kontakt gehabt hätten, in der Fallanalyse gemeint gewesen sei. Haßmann sagt, für sie sei das verbindende Element die Sprache gewesen, von einem „rigiden Ehrenkodex“ seien sie ausgegangen, weil die „Gruppierung“ ja auf eine Verfehlung so stark reagiert habe. Haßmann geht aber nicht darauf ein, dass es für eine reale existierende Gruppierung nie Hinweise gegeben hat, vielmehr war klar, dass die Mordopfer keinerlei Bezug zu einander hatten.

Dann folgt die Frage nach dem bekannten Zitat aus der Fallanalyse: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“ Haßmann sagt, er freue sich über die Frage, weil „der Herr Daimagüler wird ja nicht müde, um mir und dem LKA Rassismus vorzuwerfen. Ich weiß, dass sich gewisse Lesarten verfestigen.“ Der Satz ist aus dem Zusammenhang gerissen, er wolle das nun richtig stellen. Die Rede sei vom Täterverhalten und von einer möglicherweise ungewöhnlichen Sozialisation, nicht von „ethnischer Zuordnung“. „Ich verstehe nicht, warum das immer als rassistisch bezeichnet wird. Ich habe damit nie gemeint, dass ein Deutscher diese Tat nicht begehen könnte.“
Larisch hakt nach und sagt, das beschriebene Täterprofil sei dann aber ethnisch gebunden. Haßmann sagt, beim Täterprofil müsse man beschreiben, die Täter hätten Kontakt zum Opfer und die „Opfer blieben unter sich, sie haben keinen Kontakt zu Deutschen.“ Larisch fragt nach der dazugehörigen Faktenlage und der Zeuge sagt, das Täterprofil sei „fehleranfällig“. Es habe aus ihrer Sicht keine Gruppierung aus dem rechten Spektrum sein können, die hätten keinen Kontakt zu den Opfern gehabt. Larisch sagt, die Fallanalyse verortete die „ Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund)“, und sagt, in Westeuropa gebe es ja auch Gruppen, die einen Ehrenkodex hätten. Der Zeuge sagt, da habe es aber keine Kontaktaufnahmen gegeben.

Damit endet die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern vom 28.02.2020.