Protokoll 378. Verhandlungstag – 31. Juli 2017

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Am dritten Tag des Plädoyers der BAW übernimmt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Er befasst sich dabei zunächst mit den Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze. Er führt aus, warum sich Anklagevorwurf gegen beide – nämlich Beihilfe zu neun Fällen des Mordes – sich durch die Beweisaufnahme in vollem Umfang bestätigt habe. Er führt dazu u.a. aus: „Die Angeklagten Wohlleben und Schultze haben die in dem Bewusstsein an den NSU geliefert, dass Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von rechtsextremistischen und dem historischen Nationalsozialismus entlehnten ideologischen Überzeugungen und einem abgrundtiefen Hass gegen Staat und Gesellschaft im Allgemeinen und gegen Juden, Linke und im Deutschland lebende Migranten im Besonderen durchdrungen waren. Beide erkannten die Möglichkeit, dass die Waffe genutzt werden würde, um Menschen zu erschießen, um auf diese Weise für etwas zu kämpfen, was Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unter einer rassisch-völkischen Reinerhaltung des deutschen Volkes verstanden.“

Der Prozesstag beginnt um 9:46 Uhr. Götzl: „Dann setzen wir mit der Bundesanwaltschaft fort, bitteschön.“ OStA Jochen Weingarten trägt jetzt das Plädoyer weiter vor: „Hoher Senat, sehr geehrte Damen und Herren Verfahrensbeteiligte, nachdem Oberstaatsanwältin Greger sich in den vergangenen drei Tagen des Plädoyers der Bundesanwaltschaft mit der Angeklagten Zschäpe und der sie betreffenden Sach- und Beweislage zu der terroristischen Vereinigung und den vereinigungsbedingten Tötungsdelikten befasst hat, kommt mir an dieser Stelle zunächst die Aufgabe zu, mich den beiden Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze zuzuwenden. Erst im späteren Verlauf des Schlussvortrags wird Kollegin Greger ihren Teil mit den Logistikverbrechen, also Raubüberfällen, fortsetzen. Ich werde also nun das Ergebnis der Beweisaufnahme in tatsächlicher Hinsicht bezüglich Ralf Wohlleben und Carsten Schultze zusammenfassen, würdigen und bewerten, wie es sich nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft darstellt.“

Beide Angeklagte standen ebenso wie André Eminger und Holger Gerlach in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Verfahrens – mancher mehr, mancher weniger deutlich – ein Stück weit im Schatten der Angeklagten Zschäpe, mitunter auch im Schatten vielerlei anderer verfahrensbezogener und öffentlichkeitsbezogener Fokussierungen. Die Wahrnehmung der Bundesanwaltschaft indes wird durch den öffentlichen Schattenwurf nicht beeinträchtigt. Jeder dieser vier Angeklagten kann sich sicher sein, dass wir seinem Fall, seinen prozessualen Interessen dieselbe Ernsthaftigkeit haben zukommen lassen wie allen anderen Angeklagten auch. Und dessen kann sich jeder Angeklagte sicher sein, unabhängig davon, in welchem quantitativen Umfang seine Verteidiger durch Befragungen, Beweisanträge, Befangenheitsanträge oder andere Schrift- oder Wortbeiträge an der Gestaltung der Hauptverhandlung mitgewirkt haben.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, die schon in quantitativer Hinsicht umfangreiche Beweisaufnahme bedarf trotz der vorliegenden Einlassungen der Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze in nahezu allen zentralen Punkten der kleinteiligen Auseinandersetzungen mit einer komplexen, aber jedoch zwingenden Indizienlage. Ich gehe daher davon aus, dass der Schlussvortrag hinsichtlich der Angeklagten Carsten Schultze und Ralf Wohlleben die beiden Tage heute und morgen im vollen Umfang in Anspruch nehmen wird. Den Angeklagten André Eminger und Holger Gerlach werde ich mich erst nach der Sommerpause zuwenden können.

Eine inhaltliche Anmerkung: zwischen den von Oberstaatsanwältin Greger dargelegten Umständen und meinen Ausführungen gibt es eine ganze Reihe von Berührungspunkten. Es wird unvermeidbar sein, manches erneut anzusprechen, um es unter dem Gesichtspunkt Carsten Schultze und Ralf Wohlleben erneut zu würdigen. Der Schlussvortrag des Generalbundesanwalts ist jedoch eine Einheit, sodass ich nicht jede relevante Einzelheit ausdrücklich nochmal erwähne […]. Der Anklagevorwurf gegen Herrn Ralf Wohlleben und Carsten Schultze – nämlich Beihilfe zu neun Fällen des Mordes – hat sich durch die Beweisaufnahme in vollem Umfang bestätigt. Die Beweisaufnahme hat folgenden Sachverhalt erwiesen:

Weingarten: „Ralf Wohlleben half den untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos seit dem Tag ihres Untertauchens bis ins Frühjahr 2000 hinein ganz selbstverständlich bei Flucht, Untergrund und Verwirklichung ihrer terroristischen Ziele. Dies tat er in vielfältiger Weise, in maßgeblicher Weise.“ Weingarten benennt Wohlleben als steuernde Zentralfigur der Unterstützerszene, der insbesondere die Unterstützerszene in Jena steuerte. Hierzu entwickelte Ralf Wohlleben ein klandestines Kontaktsystem und bildete Helfer aus, die er aus dem Kreis der Rechtsextremisten aus der Region auswählte. Die Aufrechterhaltung des unmittelbaren telefonischen Alltagskontakts mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe übertrug er regelmäßig Gefolgsleuten und Mittelsmännern. Er unterwies sie in die Regeln des Kontakts, ließ sie nach seinen Anweisungen Kontakt aufnehmen und ließ sich die Anliegen der Untergetauchten stets persönlich vortragen.

Er sorgte maßgeblich – auch innerhalb der Unterstützerszene – für die Wahrung von Abschottung, und er sorgte für Konspiration, um die Abwehr der staatlichen Maßnahmen auf Dauer zu gewährleisten und das Leben im Untergrund auf Dauer gewährleisten zu können. Die zentrale Bedeutung des Angeklagten Ralf Wohlleben war gekennzeichnet durch die hervorgehobene Vertrauensstellung, die er im Innenverhältnis mit den drei und im Außenverhältnis bzgl. Steuerungskompetenz inne hatte. Zu dem Personenkreis der aus örtlichen Szenekräften rekrutierten Helfer gehörte auch Carsten Schultze. Dieser hatte sich im Laufe des Jahres 1997 der rechtsextremistischen Szene in Jena angeschlossen und auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kennengelernt, dies aber wegen des Altersunterschiedes nur oberflächlich.

Nach dem Untertauchen Zschäpes, Böhnhardts und Mundlos‘ hatte Carsten Schultze zunächst keine Kontakte mehr unterhalten zu den Dreien. Aber noch vor August 1998 war er vom Angeklagten Ralf Wohlleben, der sich mit Carsten Schultze über die Kameradschaftsarbeit angefreundet hatte, und dem vorübergehend ebenfalls in die Unterstützung eingebundenen André Kapke [siehe 59., 84. und 96. Verhandlungstag] als hilfswilliger Unterstützer der drei Untergetauchten angefragt worden. Der Angeklagte Carsten Schultze sagte voller Stolz zu und war mit dem telefonischen Kontakt mit den Untergetauchten betraut. In der Folgezeit nahm der Angeklagte Schultze bis zu seinem Ausstieg im Spätsommer 2000 von Böhnhardt und Mundlos eine Reihe fernmündlich erteilter Aufträge entgegen. Stets berichtete er davon umgehend – wie von vornherein besprochen – dem Angeklagten Wohlleben und holte dessen Entscheidung zur Frage ein, ob und wie den Wünschen der Untergetauchten entsprochen werden sollte.

Im Frühjahr des Jahres 2000 teilten Mundlos und Böhnhardt mit, dass sie eine scharfe Pistole – ausdrücklich mit Schalldämpfer – und Munition benötigten. Der Angeklagte Schultze wandte sich wie üblich mit diesen Vorgaben an Ralf Wohlleben. Der Angeklagte Wohlleben verwies den Angeklagten Schultze zur Erledigung des Auftrags an den Zeugen [siehe 44. und 79. Verhandlungstag]. Zum Nachweis seiner Vertrauenswürdigkeit sollte Schultze dem Andreas Schultz ausrichten, dass er vom Angeklagten Wohlleben geschickt worden sei. Parallel avisierte dieser Andreas Schultz unter Einschaltung des Zeugen Liebau [siehe 53. und 79. Verhandlungstag] das baldige Erscheinen des Angeklagten Schultze. Als der Angeklagte Schultze wenige Tage später den Zeugen Andreas Schultz aufsuchte und fragte, ob dieser eine den Vorgaben entsprechende Pistole mit etwa 50 Schuss Munition besorgen könne, erklärte der Zeuge Andreas Schultz, er wolle sich umhören, was man da machen könne, einen Schalldämpfer könne er nicht versprechen. Über Kaufpreis oder Preislimit wurde nicht gesprochen.

Wenig später sagte Schultz, er habe [eine Kaufmöglichkeit] besorgt, der Kaufpreis betrage 2.500 DM. Bereits bei dieser Gelegenheit vereinbarte der Angeklagte Schultze einen Termin, erreichte und berichtete dem Angeklagten Wohlleben. Dieser legte 2.500 DM aus. Das vom Angeklagten Wohlleben zur Verfügung gestellte Geld stammte aus einem Barbetrag von 10.000 DM, den er bereits 1998 für derartige Zwecke erhalten hatte. Am nächsten Tag, frühestens am 3.4. und spätestens am 17.5.2000, gab der Zeuge Schultz dem Angeklagten Schultze Zug und Zug gegen Zahlung die Pistole nebst Zubehör. Wenige Tage später reiste der Angeklagte Schultze mit der zwischenzeitlich von Ralf Wohlleben geprüften Waffe mit Munition [zu einer Zeit], die entweder von den Angeklagten Schultze und Ralf Wohlleben gemeinsam oder nur vom Angeklagten Wohlleben allein telefonisch vereinbart worden war, nach Chemnitz und traf dort Böhnhardt und Mundlos, die ihn dort am Ankunftsgleis abholten und in ein Kaufhauscafé brachten. Bei der sich anschließenden Unterhaltung offenbarten Böhnhardt und Mundlos dem Angeklagten Schultze, dass sie beide ständig bewaffnet seien und bereits in Nürnberg einen allerdings nicht erfolgreichen Mordanschlag mit Sprengstoff begangen hatten. Nachdem vorübergehend auch die Angeklagten Zschäpe mit einer Anwaltsvollmacht erschienen war, übergab der Carsten Schultze die Waffe nebst Munition in einem in der Nähe des Kaufhauses gelegenen Abbruchhaus an Böhnhardt und Mundlos. Einer von beiden versah den Carsten Schultze mit einem banderolierten Geldbetrag in Höhe von 500 DM, um bereits entstandene und zukünftige persönliche Kosten Carsten Schultze im Zusammenhang mit Hilfeleistungen zu erstatten.

Bei der vom Angeklagten Wohlleben finanzierten und auf dessen Entscheidung beschafften und übergebenen Waffe handelte es sich um genau die Waffe, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen dem 9.9.2000 und dem 6.4.2006 Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoǧru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat erschossen haben. Er handelt sich um die Selbstladepistole der Marke Ceska, Modell 83, Kaliber 7.65 mm Browning, mit der Waffennummer 034678.

Die Angeklagten Wohlleben und Schultze haben die Ceska in dem Bewusstsein an den NSU geliefert, dass Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von rechtsextremistischen und dem historischen Nationalsozialismus entlehnten ideologischen Überzeugungen und einem abgrundtiefen Hass gegen Staat und Gesellschaft im Allgemeinen und gegen Juden, Linke und im Deutschland lebende Migranten im Besonderen durchdrungen waren. Beide erkannten die Möglichkeit, dass die Waffe genutzt werden würde, um Menschen zu erschießen, um auf diese Weise für etwas zu kämpfen, was Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unter einer rassisch-völkischen Reinerhaltung des deutschen Volkes verstanden. Die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze erfüllten den Waffenbeschaffungsauftrag der Drei gleichwohl, weil sie sich den Untergetauchten auf Grund eigener nationalsozialistischer Überzeugung im wahrsten Sinne des Wortes unbedingt verpflichtet fühlten. Die Identität der vom Angeklagten Schultze an Böhnhardt und Mundlos übergebenen Waffe mit der später vom NSU eingesetzten Mordwaffe ist das unerlässliche Fundament des Schuldvorwurfs, der den Angeklagten Wohlleben und Schultze gemacht wird.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur sicheren Überzeugung der Bundesanwaltschaft fest, dass es sich bei der von Carsten Schultze am […] in einem Chemnitzer Abbruchhaus übergebenen Waffen um die Tatwaffe der gegenständlichen Morde der Ceska-Serie handelt. Diese Überzeugung basiert auf der Beweisaufnahme, in der die Rekonstruktion der historischen Besitzverhältnisse an der Waffe in der Gesamtschau der Kenntnisse restlos sicher gelungen ist. Die Bemühungen um die Aufklärung der Besitzverhältnisse an der Schusswaffe, die sich über 1 1/2 Jahrzehnte in den Händen Unbefugter befand und nur auf dem Schwarzmarkt verkauft wurde, haben sich aufwändig und schwierig gestaltet, aber die Bemühungen waren am Ende erfolgreich. Letztlich [waren es die]Angeklagten Holger Gerlach und Carsten Schultze sowie der Zeuge Andreas Schultz, die es jeder für sich und jeder auf seine Art möglich gemacht haben, einen wesentlichen Tatbeitrag für die Ermordung von neun Menschen in diesem Land aufzuklären. Ausweislich der in der Hauptverhandlung überzeugend [dargestellten Gutachten]der Waffen-Sachverständigen Ruprecht Nennstiel [83., 89. und 114. Verhandlungstag] siehe und Leopold Pfoser [50. und 84. Verhandlungstag] wurde die Selbstladepistole der Marke Ceska Modell 83, Kaliber 7,65 mm Browning, mit der Waffennummer 034678 bei allen Mordtaten der Ceska Serie als Mordwaffe verwendet. Diese letztlich unter Nummer W04 asservierte Tatwaffe wurde am 05.11.2011, also einen Tag nach Inbrandsetzung der Frühlingsstraße 26, in dem vor dem Haus lagernden Brandschutt sichergestellt.

Der Zeuge Jörn Na. [siehe 271. Verhandlungstag]hat hierzu in der Hauptverhandlung angegeben, er sei am 05.11.2011 als Polizeischüler mit seiner Lehrklasse vor Ort zur Beräumung des Brandschutts und zur Sicherung von Beweismitteln vor Ort eingesetzt gewesen. Seine etwa sieben bis acht Mann starke Gruppe sei auf dem Grundstück vor dem Haus Nr. 26 eingesetzt gewesen und habe gegen 8 Uhr damit begonnen, den Brandschutt zu beräumen. Dabei sei man ringförmig von außen nach innen und von oben nach unten vorgegangen. Der Schuttberg sei mannshoch gewesen. Nachdem seine Gruppe zwei Meter Schutt weggeräumt hatte, habe er gegen Nachmittag vermeintlich ein Stahlrohr aus dem Restschutt herausragen sehen. Er habe dieses Rohr herausgezogen und dann festgestellt, dass es sich um einen auf eine Pistole aufgeschraubten Schalldämpfer in einer Plastiktüte handelte, der auf eine Pistole aufgeschraubt gewesen sei. [Die] Waffe sei nicht verrostet gewesen, sei ihm brauchbar erschienen. Er erkannte die Waffe auf dem Lichtbild Nummer […] aus dem Sachaktenordner […] wieder. Angesichts des nach Schilderungen des Zeugen und die Lichtbilder zu Tage getretenen hohen Brandschuttbergs, an dessen unteren Ende die Ceska nach meterhohen Buddelarbeiten aufgespürt hatte, sind damit die irrwitzigen Spekulationen etwa des Inhaltes, dass jemand die Ceska einfach mal auf das Grundstück geworfen haben könnte, im Ansatz der Boden entzogen. An dieser unter der Nummer W04 asservierten Waffe konnte nach dem Sachverhalt Weimar die von einem der Vorbesitzer abgeschliffene Waffennummer an zwei Stellen wieder sichtbar gemacht werden. Danach befand sich auf der Tatwaffe die werksseitig eingeschlagene Nummer 034678.

Die Beweisaufnahme hat zu den historischen Besitzverhältnissen ergeben, dass diese Waffe neben einer weiteren Waffe mit der Nummer 34671 von der Firma Luxik am […] an[siehe 53. und 134. Verhandlungstag], mit dem er von Theile bekannt gemacht worden ist, oder Müller überließ die Waffe dem Zeugen Theile [siehe 94. und 122. Verhandlungstag], der sie seinerseits an Zeugen Länger übergeben hat. Der Zeuge Länger verkaufte die Waffe im Frühjahr 2000 an den Zeugen Schultz, der sie nun an den Angeklagten Carsten Schultze übergab. Dieser lieferte die Waffe sodann persönlich bei Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ab.

Zu dieser Besitzkette gilt im Einzelnen: Das soweit hier relevant im Selbstleseverfahren eingeführte, in Augenschein genommene und vom Zeugen Franz Schl. [siehe 47. Verhandlungstag]

Wie sich aus den Aussagen der Zeugen Pfoser und insbesondere David St. [siehe 148. Verhandlungstag] und Patrick Ry. [siehe u.a. 138. und 139. Verhandlungstag]ergab, war es vielmehr auf Grund der waffengruppenspezifischen Merkmale der verwendeten Tatwaffe bereits viele Jahre vor der Sicherstellung der Tatwaffe klar, dass es sich bei der Tatwaffe um eine von Firma Luxik vertriebene Ceska des Kalibers 7,65 mm mit Schalldämpfer gehandelt hatte. Nach Auskunft der Zeugen St. und Ry. hatten die Ermittlungen zu diesem Pistolentyp den Stand erreicht, dass aus der gesamten Produktionsmenge dieses Pistolentyps nur noch bei maximal zwölf Ceskas mit verlängertem Lauf für einen Schalldämpfer ein Beschussvergleich ausstand. Dieser Vergleich war nicht möglich gewesen, weil man die Besitzer dieser zwölf Ceska nicht ausfindig machen konnte.

[…][Blattzahl], und den Angaben des Zeugen Schl. [in der Hauptverhandlung].

Danach sind die Nummern aller 20 Pistolen der Luxik-Serie im Waffenbuch ohne die vorangestellte 0 eingetragen worden. Nach den Ausführungen des Zeugen Schl. handelt es sich sämtlich um Ceska-Pistolen des gleichen Kalibers, die wie die Tatwaffe auch von der Firma Luxik im Set mit einem Schalldämpfer geliefert worden waren. Demnach war die bei all diesen 20 Pistolen der Luxikserie die vorangestellte Null nicht eingetragen worden, weil sie einerseits nicht als Identifikationsmerkmal benötigt worden war und die zur Eintragung von Waffennummer zur Verfügung stehende Spalte für eine überflüssige sechste Nummer keinen Platz gelassen hat. Genau so wurde ausweislich des Selbstleseverfahrens 2 hinsichtlich der aus der Ceska-Serie stammenden [beiden Waffen verfahren], die am 11.4.1996 ausweislich des Waffenhandelsbuchs an den Zeugen Germann versandt worden sind. […] […] und wie sich aus der Aussage des Zeugen Schl. ergibt, im April 1996 per Einschreibebrief an Anton Germann zugestellt. Der Zeuge Germann allerdings hatte die Waffe weder gekauft noch für sich behalten. Vielmehr hatte Germann sich – angestiftet durch den Zeugen Müller – bei der zuständigen Schweizer Behörde eine Erlaubnis für den legalen Erwerb von Schusswaffen verschafft, um diese sofort dem Zeugen Müller gegen 400 Schweizer Franken zu überlassen. Müller kaufte mit dem Waffenerwerbsschein auf den Namen Germann u.a. die Ceska 83, über die wir sprechen, und ließ sie entsprechend der vorgefassten Abrede dem Zeugen Germann postalisch zustellen.

Dieser übergab die Ceska 83 nun nach Erhalt unmittelbar an den Zeugen Müller. Müller hatte für den Erwerb den Zeugen Germann als Strohmann zwischengeschaltet, um seinen tatsächlichen Erwerb dieser und einer weiteren Ceska zu verschleiern, weil er die Ceska illegal an Abnehmer in Deutschland verkaufen wollte. Dieser Sachverhalt ergibt sich zunächst aus den insgesamt acht Vernehmungen des Zeugen Germann, die mit dem Zeugen in den Jahren 2007 bis 2014 durchweg in der Schweiz durchgeführt worden sind. Die Inhalte dieser Vernehmungen sind teils durch Einvernahme der Vernehmungsbeamten und teils durch Verlesung der Protokolle von Rechtshilfevernehmungen in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Dies war erforderlich geworden, da der in der Schweiz ansässige Schweizer Germann nicht bereit war, sich selbst einer Einvernahme in der Hauptverhandlung zu stellen. Der Zeuge Germann wurde 2014 originär für dieses Verfahren auf entsprechendes Ersuchen des erkennenden Senats von der Staatsanwaltschaft Berner Oberland im Wege der Rechtshilfe zeugenschaftlich vernommen worden; zuvor war er bereits [auf Antrag der]Staatsanwaltschaft Nürnberg am 16.08.2007 am 08.07.2008 sowie 06.11.2009 als Zeuge vernommen worden, sowie am 20., 21. und 22.01.und 05.02.2012 jeweils als Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berner Oberland, die gegen Germann im Zusammenhang mit der Weitergabe der Ceska wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Organisation ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte.

In seiner ersten Zeugenvernehmung vom 16.08.2007 gab Germann gegenüber dem schweizerischen Polizeibeamten Christian Ma. [siehe 138. Verhandlungstag]

Der Verwertung der Angaben des Zeugen Ma. ist seitens der Verteidigung Zschäpes widersprochen worden, aber zu Unrecht. Entgegen den Ausführungen von Rechtsanwalt Stahl sind die Aussagen nicht deshalb nicht verwertbar, weil er – wie von Rechtsanwalt Stahl behauptet – unter Verstoß gegen Art. 6 EMRK nicht als Beschuldigter belehrt worden sei. Ich werde den vorbereiteten ausführlichen historischen Exkurs über das Verfahrensrecht des Kanton Berns deutlich abkürzen und nur folgendes dazu sagen: Der Zeuge Germann ist seinerzeit zurecht gem. Art. 208 Abs. 2 des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern in der bis zum 1.1.2011 gültigen Fassung vom 15.3.1995 als Auskunftsperson belehrt worden. Diese Auskunftsperson nach Schweizer Recht ist eine dem deutschen Recht fremde Zwischenfigur, die rechtlich zwischen dem Zeugen und dem Beschuldigen einzuordnen ist und gemäß Art. 125 Nr. 2 S. 2 desselben Gesetzes zwingend über ihre unbedingte Aussagefreiheit zu belehren ist. Dies ist geschehen, der geltend gemachte Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit geht also ins Leere. Auf folgende einschlägige Artikel des Gesetzes nehme ich Bezug: Art. 208 Abs. 2, Art. 46 Abs. 1 Nr. 1, Art. 44 Nr. 2, Art. 45 Abs. 2 S. 2. […] Darüber hinaus bestand auch der Sache nach kein Anlass, den Zeugen Germann 2007, 2008 oder 2009 im Zusammenhang mit den Morden der Ceska-Serie als Beschuldigten zu belehren. Die seinerzeit vorliegenden Bucheinträge geboten keinen Anlass für eine Beschuldigten-Stellung des Germann, nachdem seinerzeit weder die Tatwaffe konkret identifiziert war noch Anhaltspunkte bestanden, dass Germann den Haupttätern des Ceska-Serie eine etwaige Tatwaffe mit Gehilfenvorsatz übergeben hatte.

Nach den Ereignissen des 04.11.2011 und in Folge der Identifizierung der Tatwaffe wurde Anton Germann von den schweizerischen Behörden vorläufig festgenommen und insgesamt viermal als Beschuldigter eines von der Staatsanwaltschaft Berner Oberland gegen ihn eingeleiteten Verfahrens vernommen. Unmittelbar nach seiner vorläufigen Festnahme ergänzte er am 24.01.2012 gegenüber dem als Vernehmungsbeamter tätig gewesenen Zeugen Ry., seine Angaben aus den Jahren 2007-2009 insofern, als dass er nun erstmals einräumte, den oder die Waffenerwerbsscheine seinerzeit an seinen Kumpel Hans-Ulrich Müller für 400 Schweizer Franken verkauft zu haben. Dies habe er getan, weil er wegen seiner schlechten finanziellen Situation sich nicht mehr habe leisten können, [selbst Waffen zu kaufen]. Nach dem Verkauf der Waffenerwerbsscheine habe er über zehn Jahre von der Sache nichts mehr gehört, bis er 2007 vernommen worden sei. Er habe seinen Freund Müller nie gefragt, warum dieser sich nicht selbst zwei Waffenerwerbsscheine besorge.

In seiner Vernehmung am Folgetag am 21.01.2012 blieb Germann nach den nachvollziehbaren und nach wie vor erinnerungssicheren Angaben des Zeugen Ry. bei seinen Angaben. Er habe die mit seinem Waffenerwerbsschein gekauften Waffen nie in den Händen gehabt; wenn er das habe, dann würde er sich daran erinnern. Er wisse auch nicht mehr, ob er Müller mal seine Identitäts-Karte überlassen habe. Auf Frage, ob er die Waffenerwerbsscheine im Auftrag eines Dritten erhalten habe, schwieg er lange und teilte dann mit, er wisse nicht mehr, in wessen Auftrag Müller ihn angestiftet habe. Dann kurz danach, er sei sicher, in niemandes Auftrag gehandelt, sondern die Waffenerwerbsscheine für sich und seine Frau beantragt zu haben. Auf erneute Frage, was genau er mit Müller zum Thema Waffenerwerb bei der Durchsuchung 2009 besprochen habe, machte er erneut Erinnerungslücken geltend. Auch habe er solche Sachen gar nicht wissen wollen. Das in diesen beiden Vernehmungen erstmals aufgetretene Geständnis Germanns bezüglich des Waffenerwerbsscheins, mit dem später auf seinen Namen die Tatwaffe gekauft wurde, diesen an Müller weitergegeben zu haben, stellt sich als ein weiterer Schritt auf der Annäherung zur Wahrheit dar. Es liegt auf der Hand, dass Germann über all die Jahre hinweg die Absicht verfolgte, rein interessegeleitete Angaben zu machen, und die Wahrheit zurückzuhalten, solange es eben geht.

Auch angesichts der vorläufigen Festnahme 2012 war er bemüht, seine Erinnerung nur so weit mit den Strafverfolgungsbehörden zu teilen, als dies ereignet schien, ihn selbst aus der Verantwortung zu nehmen, indem er die Weitergabe der Erwerbsscheine an Müller einräumte, ohne diesem oder sich selbst durch weitere Informationen zu schaden. Um diese Gradwanderung vollziehen zu können, täuschte Germann Erinnerungslücken vor, was allerdings nicht glaubhaft ist. Und zwar deshalb, weil sich diese Erinnerungslücken exklusiv und gerade auf sensible Inhalte erstrecken. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Inhalt sämtlicher Vernehmungen, dass der Zeuge Germann über den Zeitraum 1996 hinaus noch umfangreiche Erinnerungen hat. So konnte er etwa laut dem Zeugen Ry. genaue Angaben zum Stand der hypothekarischen Belastung seiner Anwesen oder auch genaue Angaben zum damaligen Sportschützenwesen machen, wie etwa zu den Schließleistungen des von ihm [bewunderten]“Land-Rudi”. Außerdem wusste er genau, welche letztlich nur [durch]finanzielle Bedrängnisse vereitelte Schießsportambitionen er im Jahr 1996 verfolgt habe. Ferner konnte er präzise Angaben zu seiner komplexen gesundheitlichen Situation oder zu ihm bekannten Waffengeschäften machen.

Am 22.01.2012 wurde Germann von dem in der Hauptverhandlung befragten Staatsanwalt David St. vernommen. Germann teilte gegenüber St. nunmehr von sich aus mit, dass seine polizeilichen Aussagen an den beiden Vortagen nicht korrekt gewesen seien. Vielmehr, so Germann, stelle sich der Sachverhalt wie folgt dar. Sein Freund Hans Ulrich Müller habe ihm angesichts seiner Liquiditätsprobleme vorgeschlagen, mit Waffenerwerbsscheinen Geld zu verdienen. Er habe sich auf den vom Müller angestoßenen Deal eingelassen. Schließlich sei ein eingeschriebenes Paket mit Waffen zugestellt worden und er habe Müller mitgeteilt, dass die Waffen eingetroffen wären. Der Zeuge Germann gab weiter an, Müller habe ihm gegenüber erklärt, diese Waffen in Deutschland verkaufen zu wollen. Denn, so Müller, für bestimmte Kreise seien Schusswaffen in Deutschland nur schwer erhältlich. Müller habe Germann dann gebeten, keine weiteren Nachfragen zu stellen zu diesem Thema, zumal er, Germann darüber sowieso besser nichts wisse – eine Wendung, die uns in diesem Schlussvortrag noch häufiger begegnen wird.

[…] gegen die Verwertung der Aussagen der Zeugen St. und Ry., soweit diese die Einlassung des Zeugen Germann betreffen, die er nach seiner Festnahme bis zu seiner Freilassung am 22.01.2012 getätigt hat, bestehen an die Verwertbarkeit keine rechtlichen Bedenken. Auf meine Ausführungen vom 15.10.2014, die sicherlich noch in Erinnerung sein werden, nehme ich Bezug. Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 10:50 Uhr.“

Um 10:54 Uhr fährt OStA Weingarten fort: „Herr Vorsitzender, ich bin gebeten worden, langsamer zu sprechen. Ich werde das in den Grenzen einer noch natürlichen Sprechweise tun.“ Schließlich wurde der Zeuge Germann auf Ersuchen des Senats am 14.06.2014 u.a. in Anwesenheit der mit Fragerecht [ausgestatteten Verteidigung] vernommen. Der Inhalt dieser Vernehmung wurde durch Verlesung des Protokolls eingeführt. Nach den Angaben des Zeugen Germann hatte er die Waffenerwerbsscheine schon auf Anweisung des Zeugen Müller erworben. Müller hatte Germann dessen Angaben zufolge nämlich solche Waffenerwerbsscheine abkaufen wollen, da er selbst schon verdächtig viele Waffenerwerbsscheine eingelöst habe. Daraufhin habe er, Germann, zwei Waffenerwerbsscheine für drei Waffen beantragt und nach Ausstellung Ende März oder Anfang April 1996 für einige Hundert Schweizer Franken an seinen Freund Müller verkauft. Ebenso habe er Müller seine Identitätskarte überlassen. Diese habe Müller vermutlich noch am selben Tag zurückgegeben, nachdem, so vermutet der Zeuge, Müller eine Kopie gefertigt habe.

Im Unterschied zu beiden vorhergehenden Vernehmungen behauptet Germann allerdings erneut, nie eine Waffe erhalten zu haben. Er ergänzte aber, dass Müller mal erwähnt habe, die auf seinen Namen ausgestellten Erwerbsscheine auch tatsächlich eingelöst zu haben. Auf Frage, ob er sich an seine Aussage nach der Festnahme im Jahr 2012 gegenüber der Staatsanwaltschaft erinnern könnte, derzufolge er eben doch ein Paket mit Waffen erhalten habe, äußerte Germann nun, damals im Konjunktiv befragt worden zu sein, er sei müde und unterzuckert gewesen und habe so wörtlich „die Hand ergriffen“, die man ihm gereicht habe, und habe gesagt, dass es so gewesen sein könnte. Ob er denn nun ein Paket erhalten und an Müller weitergegeben habe, daran könne er sich leider, leider nicht mehr erinnern.

Die Angaben des Zeugen [sind glaubhaft]

Auch ansonsten [sind die Angaben][erfassten]



Dieses Interesse musste Müller insbesondere haben, da er nach seinen Angaben gegenüber Germann bereits zu viele Waffenerwerbsscheine eingelöst habe, so dass Müller bereits unter diesem Gesichtspunkt in Verdacht gewerbsmäßigen Waffenhandels hätte geraten können. Die Aussage Germanns zu den letztlich auch umgesetzten Waffenverkaufsabsichten Müllers ist schon deshalb glaubhaft, weil Müller in seiner Vernehmung selbst einräumte, in Deutschland mit Schusswaffen aufgegriffen worden und in Haft gewesen zu sein. Während die Aussage des Zeugen Germann vom 22.01.2012 in sich und im Abgleich mit den übrigen Erkenntnissen auf der einen Seite stimmig ist, kann auf der anderen Seite ausgeschlossen werden, dass der Zeuge Germann den Zeugen Müller bewusst falsch belastet hat. Hierfür ist bereits im Ansatz kein Motiv erkennbar. Beide, Germann und Müller, sind seit vielen Jahren miteinander befreundet. Eine wie auch immer geartete Motivation auf Seiten des Zeugen Germann, den Zeugen Müller zu Unrecht zu belasten, ist nicht erkennbar. Auch der Zeugen Müller, der dazu befragt worden ist, ob es möglicherweise ein Motiv Germanns für Falschbelastung zu seinen Lasten gebe, konnte ein solches nicht mitteilen. Das ist insofern besonders aussagekräftig, weil der Zeuge Müller, der eine Verstrickung in die Beschaffung der Ceska stets bestritten hat, ein hohes Interesse gehabt hätte, ein mögliches Falschbelastungsmotiv Germanns aufzudecken.

Und selbst wenn man Germann eine auf sich selbst bezogene Entlastungsmotivation unterstellt, so hätte sich zu seiner eigenen Entlastung die Darstellung einer ganzen Reihe von Alternativ-Sachverhalte angeboten, die Müller außen vorgelassen hätten. So etwa die Behauptung, die Waffenerwerbsscheine an Unbekannte auf dem Schwarzmarkt verkauft zu haben. Dass er in dieser [Frage] nicht ausgewichen ist, spricht dafür, dass die Bekundung vom 22.1.2012 zutreffend ist.
Und es gibt einen weiteren wesentlichen Gesichtspunkt dafür, dass Germann bei der Staatsanwaltschaft Bern die Wahrheit gesagt hat. Denn die beiden sind weiter freundschaftlich verbunden und sie halten weiter Kontakt, obgleich Müller nach seinem Thailandurlaub in der Schweiz festgenommen worden war und sich danach vorübergehend in Untersuchungshaft befand. Gerade das Überdauern der freundschaftlichen Beziehung Müllers zu Germann spricht für die Richtigkeit der Angaben, denn nur unter der Bedingung, dass die Angaben Germanns zutreffend waren, ist die Fortsetzung einer freundschaftlichen Beziehung zwischen Müller und Germann ohne weiteres nachvollziehbar.

Bei der Bewertung der Aussagegenese ist schließlich von Bedeutung, dass der Zeuge Germann seinen Angaben vom 22.01.2012 ohne jeden tatsächlichen Vorhalt seitens der Vernehmungsbeamten, sondern vielmehr aus eigenem Antrieb und gleich zu Beginn der Vernehmung gemacht hat. Die Angaben sind detailliert und betreffen einen mehraktigen Geschehensablauf, der die bisherigen Angaben ohne logische oder inhaltliche Brüche ergänzte […]. Die Glaubhaftigkeit dieser Angaben vom 22.01.2012 wird durch seine in einzelnen Details abweichenden Angaben von der Rechtshilfevernehmung vom 25.6.2014 nicht beeinträchtigt. Nachdem Germann die Angaben vom 22.01.2012 noch am 15.02.2012 bei der konfrontativen Vernehmung in Gegenwart von Müller bestätigt hatte, modifizierte er seine Angaben bei der Rechtshilfevernehmung insofern, als dass er nunmehr behauptete, sich nicht an den Erhalt eines Paketes erinnern zu können. Der Zeuge hat damit seine ursprüngliche Aussage zum Paketerhalt nicht erklärtermaßen zurückgenommen, sondern sich erneut auf das Bestehen von Erinnerungslücken zurückgezogen und damit – wenn auch nur zu diesem Einzelpunkt – einen Rückfall in seine ursprüngliche Bekundungspraxis erlitten, welches dem lapidaren Achselzucken aus dem Jahre 2007 entspricht, dass er auf die Frage nach der Wahrhaftigkeit seiner damaligen Aussagen entäußert hat. Die von Germann aufgestellte Behauptung, er sei bei Vernehmung am 22.1.2012 zur Frage des Erhalts eines Pakets lediglich im Konjunktiv befragt worden und hätte sich daher nur über mögliches, nicht tatsächlich Erinnertes geäußert, ist ebenso unglaubhaft wie die Erklärung, er habe bei Einräumung von Möglichkeiten lediglich die Hand der Staatsanwaltschaft ergriffen, weil er das Gefühl gehabt hätte, wenn er den Erhalt des Paketes eingeräumt hätte, nach Hause entlassen zu werden.

Insbesondere aber ist auch das von Germann behauptet Motiv seiner konjunktivischen Äußerungen zum Paketerhalt, vom 22.01.2012 – nämlich die Vermeidung von U-Haft – nicht glaubhaft. Der Zeuge Germann hatte nämlich nach der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 22.01.2012 und der im Anschluss erfolgten Haftentlassung ein Gespräch mit seiner Ehefrau. Von diesem Gespräch berichtete die vernommene Brigitte Ge. am 24.01.2012, also zwei Tage später, dem Vernehmungsbeamten Ry. der auch zu dieser Vernehmung in der Hauptverhandlung gehört worden ist. Danach hatte der Zeuge Germann auch der Ehefrau unmittelbar nach Freilassung gestanden, zumindest ein Paket mit Waffen per Post zugestellt bekommen und dieses Paket sodann ungeöffnet an den Zeugen Müller weitergegeben zu haben. Mit einer dieser an Müller übergebenen Waffen seien in Deutschland Morde verübt worden.

Zwar konnte auch diese Zeugin nicht in der Hauptverhandlung vernommen werden, was zu besonders vorsichtiger Würdigung der durch den Vernehmungsbeamten vermittelten Aussage Anlass gibt. Die über den Zeugen Ry. eingeführten Angaben der Zeugin stimmen indes nahtlos mit denen des Zeugen Germann vom 22.1. überein. Zweifel daran, dass das von der Zeugin geschilderte Gespräch zwischen ihr und dem Zeugen Germann in dieser Weise stattgefunden hat, bestehen nicht, zumal die Zeugin nach Angaben des Vernehmungsbeamten auch über die Gefühle berichtete, die die Mitteilungen ihres Ehemanns bei ihr auslösten. Auch seine Ehefrau glaubte ihm, was sich daran zeigt, dass sie zu Protokoll gab, ihr Ehemann sei ihr gegenüber erst nach der Haftentlassung „offensichtlich mit der Wahrheit gekommen“. Die Mitteilung ihres Mannes sei „sehr einschneidend gewesen“ und – so wörtlich – „auf einer Skala von 1 bis 10 sei es eine 10 gewesen“. Es habe sie sehr getroffen, dass ihr lang verheirateter Ehemann ihr über Jahre hinweg nicht die Wahrheit gesagt habe. Wenn er siebenjährig gewesen wäre, hätte sie ihm eine Ohrfeige gegeben. Entscheidend ist bei Beurteilung der Angaben der Zeugin Brigitte Ge., für den Zeugen Germann gab es nach Haftentlassung gar keinen Anlass, seiner Ehefrau gegenüber einen unwahren oder tatsächlich nicht erinnerten Sachverhalt zu gestehen, denn zu diesem Zeitpunkt war er bereits in Freiheit entlassen.

Wenn der Zeuge Germann gegenüber der Staatsanwaltschaft tatsächlich den Erhalt und die Weitergabe nur im Konjunktiv bekundet hätte, um aus der Haft entlassen zu werden, wäre es ein leichtes gewesen, der Ehefrau gegenüber eben diese Aussagesituation zu erklären. Es hätte indes überhaupt kein Anlass bestanden, auch seiner Ehefrau die eigene Verstrickung in das so folgenreiche Waffengeschäft zu gestehen, obschon die Ehefrau – wie aus ihrer Aussage ersichtlich – über das Verhalten ihres Mannes ganz erheblich verärgert war. Auch die Angaben gegenüber seiner Frau belegen damit, dass Zeuge Germann am 22.01.2012 der Wahrheit entsprechend seine tatsächlichen Erinnerungen bekundet hat.

Soweit sich die Zeugin Brigitte Ge. nun bei ihrer vom Senat veranlassten Rechtshilfevernehmung vom 16.03.2016, deren Niederschrift verlesen wurde und über die der Zeuge Stefan Stolzhäuser [siehe 279. Verhandlungstag]hier berichtete, nicht mehr genau an ihre damaligen Angaben über ein Gespräch mit dem Ehemann erinnern wollte, war dies offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass die hoch belastete Zeugin einfach in Ruhe gelassen werden wollte. Sie verwies etwa darauf, die Fragen müsse ihr Mann beantworten, man müsse ihn fragen. An die Erzählungen nach der Untersuchungshaft ihres Mannes habe sie kaum noch Erinnerung, sie sei schockiert gewesen. Es sei ihr alles zu nahe gegangen. Sie habe nichts Näheres wissen wollen, aber es sei wohl um ein Gespräch mit ihrem Mann und Waffen und Waffenerwerbsscheine gegangen. Auf Vorhalt der entscheidenden Passagen aus Protokoll vom 24.1.2012 erklärte sie, sie könne sich heute an nichts Konkretes mehr erinnern. Sicher hätte sie das Geschriebene so angegeben, sonst würde es im Protokoll so nicht stehen, sie denke auch, dass sie die Aussagen ihres Mannes [damals richtig wiedergegeben habe]. Das damals gefertigte Protokoll habe sie auch unterschrieben. Ein Dementi ihrer Angaben vom 24.1.2012 würde wohl anders aussehen. Daher beeinträchtigt diese letzte Bekundung den Wert ihrer über den Zeugen Ry. eingeführten Vernehmung vom 24.1.2012 und damit auch die aufgezeigten Konsequenzen ersichtlich nicht.

Der Zeuge Müller hingegen bestreitet jedwede Verstrickung in den in Rede stehenden Waffendeal. Dessen Angaben sind allerdings nun überhaupt nicht geeignet, die [zur der]Ceska mit der Nr. 34679 eingetragenen [Informationen] im Waffenhandelsbuch und die für glaubhaft erachteten Angaben des Zeugen Germann in Zweifel zu ziehen. Der in der Schweiz ansässige Zeuge Hans-Ulrich Müller konnte in der Hauptverhandlung nicht befragt werden. Müller war weder bereit, seiner Ladung auf 17.10.2013 noch der späteren Ladung auf den 19.11.2014 nachzukommen. Er wollte dies nicht, obwohl ihm entsprechend seiner im Juli 2014 erhobenen Forderungen ausdrücklich freies Geleit, Übernahme der Kosten für einen Zeugenbeistand und Übernahme der Reisekosten zugesichert worden waren.

Daher konnten die Vernehmungen von Müller vom 8., 9., 10., 13. und 15.2.2012 nur durch die Einvernahme der Vernehmungsbeamten, des Polizeibeamnten Ry., des Staatsanwalts St., sowie des Gerichtspräsidenten a.D. Jürg Staudemann [siehe 155. Verhandlungstag], sowie durch Verlesung des richterlichen Vernehmungsprotokolls vom 10.02.2012 und des Protokolls vom 24.06.2014 zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden. Die dabei vermittelten Inhalte unterliegen aufgrund ihrer Mittelbarkeit einer besonders vorsichtigen Würdigung. Der Zeuge Müller hat in allen Vernehmungen unisono angegeben, 100% sicher niemals eine Ceska von Germann erhalten zu haben. Denn er habe überhaupt nie eine Waffe von Germann bekommen. Auch habe er Germann niemals berichtet, überhaupt Waffen in Deutschland verkaufen zu wollen oder verkauft zu haben. Schließlich habe er aber wirklich auch niemals eine Waffe in Deutschland verkauft. In seiner Rechtshilfevernehmung ergänzte er, niemals eine Waffe von Germann erhalten zu haben.

In keiner dieser Vernehmungen machte er irgendwelche Mitteilungen dazu, dass ihm überhaupt irgendwelche Kenntnisse zur Ceska vorliegen könnten. Am 25.07.2014 – einen Tag nach seiner Rechtshilfevernehmung und am Tag der Vernehmung Germanns – suchte der Zeuge Müller an einem Kiosk im Schweizerischen Thun, wo die Rechtshilfevernehmung von Germann und Müller stattfanden, zu dem ihm vom Ansehen bekannten Rechtsanwalt Ünlücay Kontakt. Er berichtete dem hierzu als Zeugen vernommenen Rechtsanwalt Ünlücay [siehe 153. Verhandlungstag] nach Abschluss der Rechtshilfevernehmung von Germann, erstens sei die spätere Tatwaffe von Zbinden an einen Dieter Schmidt verkauft worden, zweitens würde die Zeugin Sitta I. [siehe 152. und 159. Verhandlungstag] ihn, Müller, zu unrecht belasten, und drittens hätte der Zeuge [siehe 94. und 122. Verhandlungstag]mit der ganzen Angelegenheit überhaupt gar nichts zu tun. Nach Deutschland würde er für eine Aussage nur kommen, wenn ihm Straffreiheit zugesichert werde, den Versuch einer erneuten Vernehmung in der Schweiz könne man vergessen, er werde immer dasselbe sagen.

In der Folgezeit machte Zeuge Müller gegenüber deutschen Strafverfolgungsbehörden [Angaben]. Hierzu ist der Zeuge Stefan Ko. [siehe 155. und 229. Verhandlungstag] vernommen worden. Gegenüber einem Senatsmitglied [machte er]eine Zeugenaussage in Deutschland von den bereits umrissenen Bedingungen abhängig. Er erschien aber letztlich trotz umfassender Zusagen auf Ladung nicht. Die auf die in Rede stehende Ceska 83 mit Schalldämpfer bezogenen Angaben des Zeugen Müller sind durchweg unglaubhaft. Sie stehen im Widerspruch zu den glaubhaften Angaben Anton und Brigitte Germanns. Darüber hinaus haben sich die Angaben Müllers gegenüber Rechtsanwalt Ünlücay nicht nur als im Ansatz fragmentarisch – es bleibt etwa offen, woher er sein Wissen haben will –, sondern auch als unrichtig erwiesen. Denn die daraufhin in der Hauptverhandlung einvernommenen Zeugen Dieter Sch. [siehe 155. Verhandlungstag]und Sitta I. haben nicht nur diesen Sachverhalt nicht bestätigt, sondern darüber hinaus ein in wechselseitigen Intimbeziehungen und Trennungsauseinandersetzungen begründetes überzeugendes Motiv für eine auf diese beiden bezogene Falschbelastung für Müller dargelegt. Auch im Übrigen haben sich in der Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte darüber ergeben, dass die in Rede stehende Waffe in irgendeiner Beziehung zu Sch. oder I. gestanden haben könnte.

Zudem zeigte das Aussageverhalten des Zeugen Müller, dass seine Angaben offensichtlich von persönlichem und auf den befreundeten Zeuge Theile bezogenem Entlastungsinteresse geleitet war. Anders ist es nicht zu erklären, dass Zeuge Müller einerseits bei all seinen Vernehmungen in der Schweiz – obschon er sich zwischenzeitlich schon wegen Beihilfe zum Mord in U-Haft befand – sein vermeintliches Wissen zum Verbleib der Waffe stets für sich behielt, andererseits außerhalb seinen Befragungen, ausgerechnet am Tag seiner Rechtshilfevernehmung, Angaben zu dem vermeintlichen Empfänger der Ceska ausgerechnet gegenüber einem Verfahrensbeteiligten des NSU-Prozesses machte, dann aber von vornherein ausschloss, dies bei einer erneuten Rechtshilfevernehmung in der Schweiz zu bestätigen, und auch nicht bereit war, die Angaben in der Hauptverhandlung zu wiederholen, obwohl all seine Bedingungen für eine Aussage in Deutschland erfüllt worden waren.

Bemerkenswert ist indes, dass der Zeuge Müller die Angaben des Germann auch nicht durchweg abstreitet. Mittelbar und in Teilbereichen stützt er die Richtigkeit der Angaben Germanns, allerdings ersichtlich, ohne diese ungewollte Nebenfolge zu durchschauen. So hat Müller es in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 09.02.2012 nach den Angaben seiner Vernehmungsbeamten ausdrücklich als naheliegend erscheinen zu lassen, mit Germann über Erwerb von Waffenerwerbsscheinen gesprochen zu haben. Über den Ankauf von Waffenerwerbsscheinen habe er mit Germann sicher schon mal gesprochen. Er könne sich vorstellen, dass das ihm vorgehaltene, von Germann geschilderte Gespräch über Waffenerwerbsscheine stattgefunden habe. Er wolle dies nicht abstreiten, allerdings habe er keine Erinnerung mehr daran.

Ein solches, von Müller mindestens für sehr wahrscheinlich gehaltene Gespräch über einen Zweiterwerb von Waffenerwerbsscheinen ergibt aber nur dann Sinn, wenn der Ankäufer von Erwerbsscheinen Waffen illegal verkaufen will. Denn nach damaligem schweizerischen Recht war der Erwerb einer Schusswaffe durch Privatleute im privaten völlig unproblematisch. Selbst der nichtgewerbliche Verkauf von Waffen unter Privaten war gestattet. Der Ankauf eines Waffenerwerbsscheins eines Dritten ergab nur dann Sinn, wenn es dem am Waffenerwerb Interessierten, hier Müller, gerade auf die Verschleierung der hinter dem Erwerbsvorgang tatsächlich stehenden Identität des Käufers ankam.

Dies räumte auch Müller in seiner Vernehmung am 09.02.2012 ein, indem er ausführte, dass es unter legalen Bedingungen keinerlei Sinn gemacht hätte, Waffenerwerbsscheine von Dritten anzukaufen, da man diese problemlos selber erhalten hätte. Das Zugeständnis Müllers, dass er so wörtlich „sicher“ mit Germann über den Zweiterwerb von Waffenerwerbsscheinen, also dessen Strohmanneigenschaft gesprochen hat, ohne sich allerdings konkret daran erinnern zu können, stützt die Gesamtaussage Germanns erheblich. Und dies, obschon Müller letztlich bestreitet, Germann Waffenerwerbsscheine abgekauft zu haben. Denn dieses Zugeständnis des Zeugen Müller offenbart zugleich sein damaliges Interesse, von Germann Waffenerwerbsscheine zu kaufen. Dieser Schluss gilt umso mehr, als dass ein solches Waffenscheingeschäft gewiss nicht an ihm, Müller, sondern wenn dann an Germann gescheitert wäre. Müller konnte sich in seiner Vernehmung nicht vorstellen, dass ein Lehrer wie Germann sich auf einen solchen Händel eingelassen hätte, wenn er, Müller, solche Dinge tatsächlich vorgeschlagen haben sollte. So äußerte sich Müller in der Vernehmung am 09.02.2012, wie der Zeuge Ry. auf Vorhalt in der Hauptverhandlung bestätigte.

Ferner hat Müller bei seinen Vernehmungen in der Schweiz stets eingeräumt, grundsätzlich mit Waffen gehandelt zu haben. Gehandelt habe er mit Waffen wohl vor allem im Zeitraum Ende der 80er bis Ende der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, jedenfalls aber bis 1995/96, also auch im hier kritischen Zeitraum des Jahres 1996. Zwar hat Müller in allen Vernehmungen konsequent behauptet, Waffen niemals an Ausländer und schon gar nicht in Deutschland verkauft zu haben. Gleichwohl fügen sich diese Angaben des Zeugen Müller insoweit in die Angaben Germanns ein, als dass Müller sich grundsätzlich im relevanten Zeitraum sehr wohl mit An- und Verkauf von Waffen befasst hat. Insofern ist die Erinnerung Germann durchaus schlüssig, dass Müller seinerzeit ihm gegenüber geäußert habe, bereits zu viele Waffenerwerbsscheine eingetauscht zu haben und gerade deshalb auf Germanns Unterstützung angewiesen zu sein.

Ebenso hat Müller eingeräumt, im Jahr 1997 eine Schusswaffe nebst Munition ins Bundesgebiet eingeführt zu haben und dafür sowie für eine tatmehrheitlich begangene Bedrohung zu acht Monaten Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt worden zu sein. Dieser Umstand wiederum fügt sich bruchlos in die Bekundungen Germanns ein, denen zufolge Müller es beabsichtigt habe, die über Germanns Waffenerwerbsscheine zu beschaffenden Waffen gerade in Deutschland verkaufen zu wollen, wo es insbesondere für gewisse Kreise schwer sei, an Waffen zu kommen. Zwar hat Müller nachhaltig bestritten, dass die seinerzeit ins Bundesgebiet eingeführte Luger 52 verkauft werden sollte. Vielmehr will Müller die bei ihm seinerzeit sichergestellte Waffe versehentlich nach Deutschland eingeführt haben. Er will die Schusswaffe in seinem Auto schlicht vergessen haben. Diese Schutzbehauptung kann ihm nicht abgenommen werden. Vielmehr ist belegt, dass er die Pistole Luger in Deutschland verkaufen wollte.

Dies folgt aus zwei Gründen: Zum einen hatte er die Waffe in seinem Auto in einer Weise deponiert, die mit einem schlichten Vergessen einer in der Schweiz legal geführten Waffe nicht zu vereinbaren ist – er hatte nämlich die Waffe im Radkasten des PKW versteckt. Diese Lagerung der Waffe spricht für ein bewusstes Verbergen. Hätte er die Waffe tatsächlich beim Grenzübertritt schlicht vergessen, ergäbe das Verbergen einer in der Schweiz legal geführten Waffe nämlich keinen Sinn. Die Behauptung, die Luger zuerst im vorderen Fahrgastraum verwahrt, sie dann aber wegen einer ihm aufgefallenen polizeilichen Observation in den Radkasten umdeponiert zu haben, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wenn Müller eine polizeiliche Observation aufgefallen wäre, würde eine bloße Umlagerung der Pistole nicht zielführend gewesen sein. Für den Fall des Auffliegens einer polizeilichen Observation hätte es vielmehr nahegelegen, sich gänzlich der Waffe und Munition zu entledigen, um bei einer etwaigen polizeilichen Kontrolle gerade nicht im Besitz der Pistole angetroffen zu werden.



Dies wiederum stützt die Angaben des Zeugen Germann, demzufolge Müller ihm gegenüber angegeben hatte, in Deutschland Waffenhandel betrieben zu haben und betreiben zu wollen. Auch der eilige Umbau der Waffe über Nacht, der es ermöglichen sollte, der Ceska, von der Müller sprach, einen Schalldämpfer aufzuschrauben, spricht dafür, dass Müller diese Waffe im Kundenauftrag beschafft hat und daher auch verkaufen wollte. Ein kurzfristiger Umbau über Nacht für legale Zwecke ist nicht vorstellbar, während dies bei einer Waffe, die in Deutschland verkauft werden soll, angesichts einer bevorstehenden Reise durchaus plausibel ist.
Weingarten: „Herr Vorsitzender, die 45 Minuten sind um.“ Götzl: „Dann werden wir an dieser Stelle für die Mittagspause unterbrechen und setzen fort um 12:40 Uhr.“

Weiter geht es um 12:46 Uhr. OStA Weingarten: „Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Hoher Senat, sehr geehrte Damen und Herren Verfahrensbeteiligte, ich summiere“: Nach allem besteht kein Grund, die [zuvor gemachte] Sachverhaltsdarstellung in Zweifel zu ziehen. Demnach ging der Besitz an der späteren Tatwaffe Ceska 83 bereits unmittelbar nach der Versendung an den Zeugen Germann an den Zeugen Müller über, der von vornherein die Absicht hatte, diese Waffe in Deutschland zu verkaufen. Im Hinblick auf die zu Beginn skizzierte Besitzkette der Ceska: Müller, Theile, Länger, Schultz, Angeklagter Schultze sind zunächst weitere Angaben des Zeugen Müller weiterführend.

Müller hat nicht nur ein Kennverhältnis zum Zeugen Theile eingeräumt, sondern sich zu einer langen, nach wie vor andauernden und von wechselseitigen Besuchen gekennzeichneten Freundschaft mit dem aus Jena stammenden Zeugen Enrico Theile bekannt. Bei seinen Beschuldigtenvernehmungen in der Schweiz und insbesondere in seiner Rechtshilfevernehmung vom 24.6.2014 gab er insoweit an, er habe zwischen 1993 und 1995 im thüringischen Apolda eine Art KfZ-Schrottverwertung betrieben. In dieser Zeit habe er den Zeugen Theile zunächst geschäftlich kennengelernt. Daraus habe sich eine bis in die Gegenwart andauernde Freundschaft zu Theile entwickelt, die ein- bis zweimal jährlich gegenseitige Besuche in Deutschland und in der Schweiz sowie gemeinsame Urlaube, etwa in Jugoslawien oder in Thailand, einschließe. Der Zeuge Theile lebte damals in Jena. Außer zu Theile, so erklärte Müller ausdrücklich, unterhalte er keine weiteren Kontakte nach Jena und habe auch keine unterhalten.

Zum Zeugen Enrico Theile konnte nun in der Hauptverhandlung festgestellt werden, dass er ebenso wie sein Freund Müller eine große Affinität zu Waffen aufwies, und dies bereits seit dem Jahr 1993. Das ergibt sich aus den Angaben des Zeugen Thomas Bi. [siehe 141. Verhandlungstag], der Anfang der 1990er Jahre u.a. mit dem Zeugen Theile Angehöriger einer größeren Jugendclique war, die sich der Begehung von Straftaten, insbesondere Autoaufbrüchen widmete. Bei einem Treffen in einem an der Saale gelegenen Gartenhaus hatte Theile mindestens drei Pistolen auf dem Tisch liegen, wie der Zeuge B. in der Hauptverhandlung berichtete. Der Zeuge Thorsten We. [siehe 85. und 286. Verhandlungstag] berichtete darüber, dass nach Erkenntnissen eines im Jahre 1996 geführten Ermittlungsverfahrens Theile vom Zeugen Müller einen Schießkugelschreiber erhalten haben soll. Außerdem sei Theile seitens der Strafverfolgungsbehörden immer wieder in Zusammenhang mit Schusswaffen gebracht worden.

Am 01.04.2004 führte Theile erneut einen zu einem Schießkugelschreiber umgebauten Signalgeber mit sich, der in seinem Auto polizeilich sichergestellt wurde und der mit einer Patrone geladen war. Bei der Sicherstellung löste sich damals ein Schuss, wie sich aus dem verlesenen Durchsuchungsbericht der KPI Jena vom […] 2004 ergibt. Nach [dem Bericht]handelte es sich bei dem Schießkugelschreiber um einen durch Einbau eines Laufs zu einer Schusswaffe manipulierten Signalgeber des Modelltyps Erma SG 67-E. Für die Bundesanwaltschaft ist zur sicheren Überzeugung erwiesen, dass Theile eben diesen Schießkugelschreiber von seinem Freund Müller erworben hat. Die Zeugin Sitta I. bekundete dazu, ihr damaliger Lebensgefährte Müller habe damals in ihrem Beisein von R. von ihr als Kugelschreiberwaffen bezeichnete Schießkugelschreiber bestellt. Allein die nach Auskunft des Zeugen We. von der Zeugin I. genannte Menge von zehn bestellten Schießkugelschreibern überschreiten auch aus der Sichtweise eines Waffenliebhabers deutlich die Menge des Eigenbedarfs an Schießkugelschreibern und belegt, dass Müller damals auch beabsichtigte, diese Kugelschreiber gewinnbringend zu verkaufen. Dies wiederum entspricht auch der Bekundung der Zeugin I. in der Hauptverhandlung, im Jahr 1996 bei einer Vernehmung die Wahrheit gesagt zu haben, als sie berichtete, Müller habe ihr erzählt, all die Schießkugelschreiber verkauft zu haben, und sie nehme an, dass er einen Schießkugelschreiber auch an den Zeugen Theile verkauft habe, mit dem Müller sehr gut befreundet und oft zusammen gewesen sei.

Insbesondere aber ist in Folge der Verlesung des Sicherstellungsprotokolls augenfällig, dass bei einer Hausdurchsuchung 1997 in der Werkstatt des Müllers tatsächlich zwei Abfeuergeräte für Signalraketen gerade des Typs Erma SGSG 67-E sichergestellt werden konnten. Diese sichergestellten Abfeuergeräte stimmen in der Modellbezeichnung exakt mit dem Modelltypen des Signalgebers überein, der beim Zeugen Theile sichergestellt worden ist. Angesichts der bereits seinerzeit auch nach Angaben der Zeugin I. bestehenden Freundschaft Müller-Theile einerseits und der bereits dargelegten, auch vom Zeugen Germann bestätigten Absicht Müllers andererseits, auch in Deutschland Waffen gewinnbringend verkaufen zu wollen, spricht nun alles dafür, dass der bei Theile im Jahr 2004 sichergestellte Schießkugelschreiber nicht vom Himmel gefallen ist, sondern er diesen Schießkugelschreiber von seinem Kumpel Müller erhalten hat.

Dafür streitet im Übrigen auch der Fundort, an dem die 1997 bei Müller sichergestellten zwei Signalgeber aufgefunden worden sind. Diese beiden Signalgeber hatte Müller ausgerechnet in seiner Werkstatt abgelegt, was unschwer darauf hindeutet, dass Müller die Absicht hatte, die Signalgeber technisch zu bearbeiten, was nun wieder insofern passt, als dass der bei Theile sichergestellte Signalgeber erst zu einer Schusswaffe umgebaut worden war, durch Einbau eines Laufs. Auch der Zeitablauf von sieben Jahren zwischen der Sicherstellung der Signalgeber gleicher Bauart bei Müller im Jahr 1997 und der Sicherstellung eines typgleichen Signalgebers bei Theile im Jahr 2004 fügt sich geradezu harmonisch in die Annahme ein, dass Theile seinen Kugelschreiber von Müller erhalten hat. Denn sowohl nach dem Sicherstellungsprotokoll als auch nach dem waffenrechtlichen Gutachten handelt es sich bei dem bei Theile gefundenen Schießkugelschreiber ausdrücklich um ein älteres Modell und dies nicht nur augenscheinlich, sondern auch deshalb, weil 2004 bereits seit geraumer Zeit derartige Signalgeber nicht mehr mit dem Aussehen eines Schreibgeräts hergestellt worden waren. Zudem wurden im Jahr 2004 Signalgeber nicht mehr in blauer Farbe, sondern ausweislich des Gutachtens in orange hergestellt. Auch diese Erkenntnis lässt sich erneut zwanglos mit einem Mitte bis Ende der 1990er abgeschlossenen Schießkugelschreibergeschäfts zwischen Müller und Theile erklären. Soweit in seiner Rechtshilfevernehmung Müller die Frage verneint hat, ob er dem Zeugen Theile einen Kugelschreiber überlassen habe, ist dies als bloße Schutzbehauptung entwertet, die zudem wie sämtliche Aussagen Müllers in Bezug auf seinen Freund Theile seiner persönlichen Interessenlage entspricht, nämlich der, sich und seinem Freund Theile möglichst von dem Verdacht einer Verstrickung in die Lieferkette der Ceska freizuhalten.

Weingarten: „Herr Vorsitzender, Hoher Senat, sehr geehrte Damen und Herren, jetzt zur Zeugenvernehmung Theile. Ich sehe mich an einer Darstellung der Inhalte dieser Vernehmung und deren Bewertung gehindert, nachdem ich selbst zu diesem Punkt in der Hauptverhandlung vernommen worden bin. Diesem Abschnitt wird sich daher Frau Oberstaatsanwältin Greger widmen.

OStAin Greger: „Hoher Senat, aus der Aussage des Theile insbesondere in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 09.08.2012, über deren Inhalte der Zeuge Weingarten [siehe 163. Verhandlungstag]in der Hauptverhandlung bekundet hat, ergeben sich durchschlagende Indizien dafür, dass die Tatwaffe Ceska den so eben beschriebenen Weg über Müller und Theile an den Zeugen Länger genommen hat.“ Das Aussageverhalten des Zeugen Theile bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung war von dem offensichtlichen und offensichtlich durchschaubaren Bemühen des Zeugen geprägt, sein Hintergrundwissen und seine eigene Verstrickung und die Verstrickung seiner Freunde Müller und Länger in das Geschäft mit der späteren Tatwaffe Ceska 83 zu verdecken. Er hat damit das genaue Gegenteil dessen erreicht, was er bezwecken wollte. Diese Vernehmung ist ein belastbarer Pfeiler der Rekonstruktion des Wegs der späteren Tatwaffe Ceska 83. Grundsätzlich hat der Zeuge Theile in dieser staatsanwaltlichen Vernehmung verleugnet, irgendetwas mit der Schalldämpferpistole Ceska 83 gehabt zu haben. Über Erkenntnisse über Verkauf einer solchen Waffe verfüge er nicht. Als ihm der Zeuge Weingarten allerdings eine handschriftliche Notiz vorhielt, „eintausend Euro verloren“, stellte der Zeuge Theile plötzlich von sich aus und aus dem Stegreif den Zusammenhang von sich zum Zeugen Müller, den Waffen des NSU und seiner eigenen drohenden Strafverfolgung her.

Er, der Zeuge Theile, habe – ich zitiere den Zeugen Jan Cz. [siehe 137. Verhandlungstag] – nach „Hochkommen der Nazisache“ den Betrag von 1000 Euro gerade deshalb von seinem Konto abgehoben, weil ihm wiederum wörtlich „natürlich“ klar gewesen sei, dass die Sache mit Müller und den ganzen Waffen auf ihn zurückfällt. Er, der Zeuge Theile, habe damit gerechnet, dass man bei ihm die Tür eintreten werde und er in Haft komme. Die später verloren gegangenen 1000 € habe er in Erwartung der Festnahme von Konto abgehoben, damit er im Gefängnis über Geld verfügen könnte. Auf Nachfrage, weshalb er sich – wo er doch von nichts etwas wisse – Sorgen wegen einer bevorstehenden Festnahme gemacht habe, gestand er, dass doch „die Waffen alle von Herrn Müller stammten“. Der Zeuge Theile hat sich demnach nach der Selbstenttarnung des NSU in Folge der Ereignisse des 4.11.2011 mit Bargeld für eine aus seiner Sicht bevorstehende Inhaftnahme ausgestattet, weil er befürchtete, dass „die Sache mit Herrn Müller und den ganzen Waffen“ auf ihn zurückfallen würde und er deshalb ins Gefängnis müsse. Wie kann diese Äußerung anders verstanden werden als als versehentliches Geständnis seiner Einbindung in die Weitergabe der Ceska 83?

Dieses Verhalten des Zeugen Theile war bereits konkret auf seine Inhaftnahme ausgerichtet und ist nur mit der konkreten Besorgnis in Einklang zu bringen, dass durch die Ermittlungen entdeckt werden könne, dass er das Bindeglied zwischen Müller und Länger in der Kette der Vorbesitzer der später als Tatwaffe eingesetzten Tatwaffe Ceska 83 war. Wenn es denn zuträfe, was der Zeuge Theile davor und danach behauptet hat, nämlich, dass er keinerlei Angaben zu diesem Waffengeschäft oder überhaupt zu Waffengeschäften Müllers oder Längers oder zu einer Schalldämpferpistole Ceska 83 machen könne und insoweit ganz und gar arglos sei, dann wäre die Abhebung von 1000 Euro für eine Inhaftierung gerade wegen dieser Waffensache nicht erklärbar. Wenn es so gewesen wäre, hätte der Zeuge Theile überhaupt nicht auf den Gedanken kommen können, auch nur im Entferntesten mit der Waffe Ceska in Verbindung gebracht zu werden.

Es ist auch ausgeschlossen, dass Theile wegen einer ganz anderen, nicht angeklagten Waffensache Sorge vor der Anordnung von U-Haft hatte. Denn er setzte seine Besorgnis ausdrücklich mit dem Vernehmungsgegenstand NSU-Verfahren in Bezug. Ebenso ist ausgeschlossen, dass Theile wegen der Beschaffung einer anderen als der späteren Tatwaffe für den NSU mit einer Inhaftierung rechnete. Denn zum einen liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass über Müller, Theile und Länger noch weitere Waffen an die Mitglieder des NSU gegangen sind. Zum anderen war – wie Theile einräumte – gerade die in Rede stehende Ceska 83 und deren Verbindung zu der verfahrensgegenständlichen Mordserie und zu Müller andererseits bereits im Jahre 2010 mehrfach zwischen Müller und ihm thematisiert worden. Der Zeuge Weingarten hat hier bekundet, dass Theile auf dessen Äußerung hin, dass die Waffen alle von Müller stammten, in der Vernehmung sofort vorgehalten worden sei, dass er, der Zeuge Theile, nach seiner bisherigen Aussage aber doch gar nicht gewusst habe, dass die in Rede stehende Ceska von Müller an den NSU gelangt ist. Auch der dann vom Zeugen unternommene Versuch, die Sorge vor einer Festnahme zu erklären, obwohl er eigentlich von nichts etwas gewusst habe, vermag nicht im Ansatz zu überzeugen.

Der Zeuge Theile gab auf diesen Vorhalt an, sein Freund Müller habe ihm vor Jahren einmal erzählt, ein Bekannter sei mit der Ceska 83 in Verbindung gebracht worden. Außerdem habe er, Theile, die Ceska vom Ansehen her gekannt, weil er einmal ein entsprechendes Fahndungsplakat am Limburger Bahnhof gesehen habe. Außerdem habe er nach der Berichterstattung vom brennenden in Eisenach und den Waffenfunden sofort an Böhnhardt gedacht, weil der schon solange weg gewesen sei. All diese zusammenhanglosen Gesichtspunkte sind nun gänzlich ungeeignet, die damalige Besorgnis des Zeugen Theile zu erklären, selbst wegen dieser Sache ins Gefängnis zu kommen. Schließlich ist auch die nach der Beschuldigtenvernehmung von ihm aufgestellte Behauptung unglaubhaft, er habe die soeben wiedergegebene und protokollierte Aussage in Wirklichkeit überhaupt nicht getätigt. Entgegen des Vernehmungsprotokolls habe er nie gesagt, dass er sich Sorgen gemacht habe, weil die ganzen Waffen von Müller gestammt hätten. Denn er habe ja überhaupt nicht gewusst, dass die Waffen alle von Müller stammten. Alle drei hier einvernommenen Vernehmungsbeamten haben gerade diesen Satz aber genauso verstanden, wie er in der Folge vom Zeugen Weingarten während der Vernehmung im Beisein des Zeugen sofort laut diktiert und dementsprechend auch wörtlich protokolliert worden ist. Die Wörtlichkeit der Protokollierung folgt daraus, dass der Zeuge Weingarten im Einzelnen darlegen konnte, dass die protokollierte Formulierung des Zeugen, „aber dadurch, dass die Waffen alle vom Herrn Müller stammten, habe ich mir Sorgen gemacht“, definitiv nicht seiner eigenen Diktion entspricht und ihm zudem sofort die Brisanz der Äußerung bewusst war, so dass er auf eine wortwörtliche Protokollierung Wert gelegt habe.

In der Sache macht die vom Zeugen Theile aufgestellte Behauptung einer Falschprotokollierung schon deshalb keinen Sinn, weil der Zeuge Theile gerade auf den sich aufdrängenden Vorhalt des Zeugen Weingarten, er hätte aber doch nach seiner bisherigen Aussage gar nicht wissen können, dass die in Rede stehende Ceska 83 von Müller an den NSU gelangt ist, immerhin eingehend, wenn auch unglaubhaft, geantwortet hat. Wäre er von den Vernehmungsbeamten tatsächlich falsch verstanden worden, wäre doch zu erwarten gewesen, dass er sich sofort und nicht erst beim Lesen der Vernehmungsniederschrift über einen falschen Vorhalt beschwert oder zumindest den Sinn des Vorhalts hinterfragt hätte. Am Rande ist nur noch zu bemerken, dass der Zeuge Theile hier in der Hauptverhandlung zu diesem Punkt mit Bemerkungen des Inhalts lavierte, er habe die 1000 € dabeigehabt, falls mal was passiere. Auf Vorhalt des Vorsitzenden aus dem Vernehmungsprotokoll zum Konnex zwischen der Geldabhebung und der Sorge vor einer Festnahme behauptete der Zeuge Theile, er könne sich diese Aussage nicht erklären. Auf die sich anschließende klare Frage, insbesondere ob er das Geld für den Fall seiner Verhaftung abgehoben habe, antwortete der Zeuge dann, dass dies sein könne, weil er ja immer damit rechne, verhaftet zu werden. Auf weiteren Vorhalt des von ihm in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung dargelegten Zusammenhangs zwischen Festnahme und „Nazisache“ durch den Vorsitzenden äußerte Theile, er nehme an, dass er dies nicht so wie protokolliert gesagt habe. Auf Vorhalt des sich aus dem Protokoll ergebenen Zusammenhangs von Inhaftnahme, NSU und dem Zeugen Müller erklärte er immerhin, es könne nun doch so sein, dass er sich da etwas zusammengereimt und deshalb mit seiner Festnahme gerechnet habe.

Dieses scheinbar erinnerungslose, lavierende, spekulativ-introspektive Aussageverhalten ist weder mit einer falschen Protokollierung durch Vernehmungsbeamte noch mit der von ihm behaupteten Arglosigkeit im Hinblick auf die Besitzkette der Ceska 83 in Einklang zu bringen. In beiden Fällen wären eindeutige und klarstellende Erläuterungen des Zeugen in der Hauptverhandlung zu erwarten gewesen, der stattdessen versucht hat, sich um klare Aussagen herum zu drücken. Das Bekundungsverhalten des Zeugen Theile in der Hauptverhandlung war vielmehr Ausdruck einer ganz bestimmten inneren Haltung. Dieses war von dem aussagetaktischen Konzept geprägt, unter der Prämisse vorgetäuschten Erinnerungsverlusts zu allen halbwegs relevanten Sachverhalte keine Kenntnisse preiszugeben und unbedachte vorherige Äußerungen zurückzunehmen, möglichst ohne sich der Gefahr einer erneuten Verurteilung wegen eines Aussagedeliktes auszusetzen. Damit wird der nach eigenem Bekunden bereits wegen Meineids vorbestrafte Zeuge Theile nicht durchdringen. Die von Theile im Ermittlungsverfahren selbst geschaffenen Anhaltspunkte für seine und des Zeugen Müllers Verstrickung fügen sich denn auch plausibel in die im Einzelnen nur unbeachtlichen abweichenden Bekundungen des Zeugen Theile selbst sowie die Bekundungen des Zeugen Länger und Müller ein.

In der Hauptverhandlung gab der Zeuge Theile an, sowohl den Zeugen Jürgen Länger als den Zeugen Hans-Ulrich Müller bereits lange zu kennen, den Zeugen Länger seit der Schulzeit, den Zeugen Müller seit 1993. Zu beiden habe er noch heute engen Kontakt. Länger sehe er alle zwei Wochen auf einen Kaffee oder ein gemeinsames Essen. Mit dem Zeugen Müller komme es bis in die Gegenwart zu wechselseitigen Besuchen in Deutschland und in der Schweiz. Im Januar 2012 sei man zusammen in Thailand gewesen, im Anschluss an diesen Urlaub sei Müller in der Schweiz festgenommen worden. Gleichwohl will er mit seinen beiden Freunden Länger und Müller nur über die äußeren Umstände der Durchsuchungen und über die Inhalte der Durchsuchungsbeschlüsse, nicht aber über die Sache selbst gesprochen haben. Der Zeuge verschweigt jedoch – ebenso wie die Zeugen Müller und Länger –, dass er sich mit beiden, Müller und Länger, zum weiteren Aussageverhalten bei Strafverfolgungsbehörden und vor Gericht abgesprochen hat, um die jeweiligen Verstrickungen der Weitergabe der Ceska 83 nach Kräften zu verschleiern.

Nun liegt es angesichts der jeweils langjährigen Freundschaften nahe, dass Theile sich mit Länger und Müller über die ja alle drei betreffenden Durchsuchungen ausgetauscht hat. Dies ist für sich genommen auch überhaupt nicht verdächtig, sondern erscheint auch ohne böse Absichten nachvollziehbar. Für sich genommen würde dies auch noch keinen Verdacht unlauterer Absprachen begründen. Nicht mehr nachvollziehbar allerdings ist die von Theile, Müller und Länger jeweils aufgestellte Behauptung, entweder Gespräche über den Ceska-Sachverhalt und die diesbezüglichen Verstrickungsvorwürfe gar nicht geführt zu haben oder aber an konkrete Inhalte der diesbezüglichen Erörterungen keine Erinnerung mehr zu haben oder aber sich nur über äußere Abläufe der Durchsuchungen unterhalten und Verjährungsfragen diskutiert zu haben.

So will der Zeuge Müller seinen Angaben bei der Rechtshilfevernehmung zufolge weder bei seiner Festnahme noch nach der Durchsuchung bei Theile mit diesem über die Ceska gesprochen haben. Lediglich bei einem Besuch in Limburg in 2009 oder 2010 – also Jahre vor den Durchsuchung – will er mit Theile allgemein anlässlich eines Bahnhofsfahndungsplakats über die Ceska-Morde gesprochen haben. Ferner behauptet der Zeuge Müller, einen Jürgen Länger kenne er überhaupt nicht. Länger gab jedoch zunächst in der Hauptverhandlung an, er habe mit Theile nur über die Art und Weise der Durchsuchung gesprochen, nicht aber über die Sache selbst. Im weiteren Verlauf der Vernehmung räumte er auf Nachfrage noch ein, dass man die Beschlüsse ausgetauscht und gelesen habe, keinesfalls habe man über die Inhalte von Vernehmungen gesprochen. Und von einem Müller aus der Schweiz habe er wohl mal gehört, kenne ihn aber nicht, so der Zeuge Länger. Der Zeuge Theile hatte in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 09.08.2012 gar behauptet, er höre in dieser Vernehmung zum ersten Mal überhaupt davon, dass Jürgen Länger die spätere Tatwaffe an jemanden verkauft haben sollte, was sich später – wie er letztlich selbst einräumen musste – als glatte Lüge herausgestellt hat. Dann hat er in dieser Vernehmung angegeben, sich nicht erinnern zu können, mit Länger den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses erörtert zu haben. Und schließlich will er mit Länger nur über Abläufe der Durchsuchung und Verjährungsfragen gesprochen zu haben. Und in Bezug auf Müller glaubte er nicht, sich jemals über Inhalte der Vernehmungen geäußert zu haben.

Bei alledem haben die Zeugen Theile, Müller und Länger jedoch verschwiegen, dass sich Länger und Müller jeweils mit Theile zu dem Aussageverhalten bei den Strafverfolgungsbehörden und vor Gericht abgesprochen haben, um ihre jeweilige Beteiligung bei der Weitergabe der Ceska 83 zu vertuschen. Es ist gänzlich unglaubhaft, dass die drei nie in der Sache über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit der Ceska-Serie und über ihre jeweiligen Angaben bei den Vernehmungen gesprochen haben wollen. Dies gilt umso mehr, weil alle drei erheblich von den Ermittlungen betroffen waren. Ganz offensichtlich wird die enge und zeitnahe Abstimmung bei Berücksichtigung des Umstandes, dass der Zeuge Theile hier in der Hauptverhandlung in seiner Vernehmung am 02.07.2014 auf Frage einräumen musste, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 28.04.2014 für zwei oder drei Tage zum Zeugen Müller in die Schweiz gereist zu sein. Er habe die Reise aufgrund einer Kurzschlussreaktion durchgeführt.

Obschon er also sowohl die weite Reise zum Zeugen Müller sowie eine Kurzschlussreaktion einräumte, wollte der Zeuge Theile keinesfalls mehr wissen, ob er sich mit dem Zeugen Müller über seine Vernehmung unterhalten hat. Dieser vorgebliche totale Erinnerungsverlust ist schon angesichts des Zeitablaufs von nur wenigen Wochen zwischen dem Besuch bei Müller und seiner Folgevernehmung völlig unglaubhaft. Gleichwohl beharrte der Zeuge Theile trotz einer Ermahnung zur Ernsthaftigkeit auf dieser Erinnerungslosigkeit, obschon sowohl der Zeuge Müller als auch der Zeuge Theile von diesem Verfahren und der Medienberichterstattung persönlich erheblich betroffen waren, worauf der Zeuge Theile in der Hauptverhandlung auch selbst mehrmals hingewiesen hat. Nichts hätte demnach nähergelegen, als sich nach einer mehrstündigen Befragung bei einem Besuch wenige Tage nach der Befragung mit dem ebenfalls betroffenen Freund Hans-Ulrich Müller gerade zu diesem Punkt auszusprechen. Dies gilt insbesondere, da zu diesem Zeitpunkt auch noch die Rechtshilfevernehmung des Zeugen Müller bevorstand.

Es liegt bei Lichte betrachtet offen zu Tage, dass der Zeuge Theile nach seiner ersten Vernehmung vor dem Senat sofort zu seinem Kumpel Müller in die Schweiz gereist ist, um diesen über die Vernehmung zu unterrichten und mit diesem das weitere Vorgehen bei den zukünftigen Vernehmungen abzustimmen. Soweit der Zeuge Theile abseits der skizzierten, offenbar unbedachten Äußerung in der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung letztlich in allen Vernehmungen beharrlich in Abrede gestellt hat, irgendetwas mit der Waffe Ceska zu tun gehabt zu haben, oder auch nur behauptet hat, über keinerlei Kenntnisse dazu zu verfügen und insbesondere die Waffe niemals an den Zeugen Länger weitergegeben oder vermittelt zu haben, vermag dies die Beweislage daher nicht zur erschüttern. Theile war weder im Ermittlungsverfahren noch in der Hauptverhandlung gewillt, unbefangen und vorbehaltslos seine Pflicht zur Mitwirkung an der Wahrheitserforschung zu erfüllen. In allen seinen Vernehmungen legte der Zeuge ein von ostentativen Erinnerungslücken getragenes Aussageverhalten an den Tag, für das es abseits von Verschleierungsabsichten keine nachvollziehbare Erklärung gibt. Insbesondere basieren die vermeintlichen Erinnerungstrübungen nicht auf dem Abstand zwischen seinen Wahrnehmungen und Vernehmungen, sie sind vielmehr gewillkürt. Denn Theile wollte sich auch – auf die Ausführungen zum Besuch bei Müller nehme ich Bezug – an unmittelbar zurückliegendes nicht mehr erinnern können.

Theile ist wegen Meineids vorbestraft, was die Annahme, er habe bewusst substantiell unwahr bekundet, stützt. Nur zur Abrundung sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Zeuge Theile trotz seiner mehrfachen und längeren Gefängnisaufenthalte die Gelegenheit gehabt hätte, an der Übergabe der Waffe von Müller an Länger mitzuwirken. So erklärte Theile in der Hauptverhandlung nach vorheriger eigenständiger zeitlicher Eingrenzung auf Vorhalt, vom 11.09.1997 bis zu seiner Entlassung am 25.04.2000 sowie erneut vom 29.06. bis 22.12.2000 inhaftiert gewesen zu sein. Damit hatte er sowohl vor als auch nach seinem bis zum 25.04.2000 dauernden Gefängnisaufenthalt die Gelegenheit, die spätere Tatwaffe Ceska 83 an den Zeugen Länger zu übergeben oder zu vermitteln. Denn diese Waffe gelangte kurz nach dem 11.04.1996 an den Zeugen Müller und wurde zwischen Mitte April 2000 und Mitte 2000 vom Zeugen Länger an den Zeugen Schultz verkauft. Insbesondere in dem besonders kritischen Zeitfenster zwischen Ende April und Mitte 2000 stand Theile zu Verfügung.

Angesichts aller dieser Umstände kann auch die vorgeschobene Erinnerungslosigkeit zur Lieferung der Schießkugelschreiber durch Müller oder seine angebliche Unwissenheit über Ceska 83 keinen die Besitzkette der Ceska 83 in Frage stellenden Einfluss auf die Würdigung der Beweislage haben. Im Gegenteil, des Zeugen Theile Sorge vor einer Festnahme, weil doch, so der Zeuge Theile, „die ganzen Waffen von seinem Freund Müller stammen“, ist nicht anders zu erklären als damit, dass der Zeuge Theile als Bindeglied zwischen den Zeugen Länger und Müller diente, von denen der eine, Müller, die Ceska 83 von seinem Kumpel Germann bekommen und der andere, nämlich Länger, sie nach Auskunft des Zeugen Schultz an ihn selbst verkauft hat. Greger: „Ich übergebe wieder.“

OStA Weingarten: „Herr Vorsitzender, aus Sicht der Bundesanwaltschaft wäre es sinnvoll, den Zeugen Länger in ganz wenigen Minuten vor der Unterbrechung abzuhandeln. Das ist schnell gemacht.“ Dass der Zeuge Länger angesichts des soeben Ausgeführten rundum bestritten hat, über irgendwelche Erkenntnisse zu verfügen, die seinen Freund Theile in Verbindung mit Waffen bringen könnten, und erst recht und insbesondere bestritten hat, selbst jemals eine Waffe an den Zeugen Andreas Schultz verkauft zu haben, vermag nicht zu überraschen. Auch diese Aussage beeinflusst die Beweiswürdigung nicht. Die beabsichtigt provokante Aussage des Zeugen Länger wird nach dem hier Erarbeiteten durch die glaubhaften Angaben des Zeugen Andreas Schultz, der angegeben hat, die von ihm an den Angeklagten Schultze verkaufte Schalldämpferpistole seinerseits dem Zeugen Länger zum Preis von 2000 Euro abgekauft zu haben, widerlegt. Weingarten: „Aus unserer Sicht wäre an dieser Stelle eine Pause sinnvoll.“ Götzl legt eine Pause bis 13:45 Uhr ein.

Weingarten setzt um 13:49 Uhr sein Plädoyer fort: „Herr Vorsitzender, Hoher Senat, der Zeuge Andreas Schultz ist einer der ganz zentralen Zeugen dieses Strafverfahrens.“ Jedenfalls im Hinblick auf die gegen die Angeklagten Wohlleben und Schultze erhobenen Tatvorwürfe gehört der Zeuge Andreas Schultz neben den Angeklagten Gerlach und Schultze zu den drei Auskunftspersonen, deren substantielle Aufklärungsbeiträge nicht hinweggedacht werden können, ohne dass auch der Aufklärungserfolg, den Weg der Tatwaffe, der Ceska Serie lückenlos nachvollziehen können, und damit zugleich die Anklageerhebung gegen die Angeklagten Wohlleben und Schultze wegen Beihilfe zum neunfachen Mord in Wegfall geraten müsste. Auf die exakten Vorgänge im Zusammenhang mit dem Verkauf der Tatwaffe an den Angeklagten Carsten Schultze gehe ich zu einem späteren Zeitpunkt im Einzelnen ein. Der Zeuge Schultz hat auch dazu präzise Angeben gemacht. An dieser Stelle geht es mir – anknüpfend an die vorhergehenden Ausführungen – darum, darzulegen, dass der Zeuge Schultz die später an den Angeklagten Schultze verkaufte Pistole Ceska 83 seinerseits beim Zeugen Länger angekauft hat.

Der Zeuge Schultz ist zu diesem Punkt zweimal vernommen worden, und zwar am 25.01.2012 – auf diese Vernehmung folgte die Festnahme von Carsten Schultze – und am 09.02.2012 – wo er mit Angaben des Angeklagten Schultze und weiteren Ermittlungserkenntnissen konfrontiert worden ist. Die genauen Einzelheiten der Angaben des Zeugen Schultz, der in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, wurden über Vernehmungsbeamte in die Hauptverhandlung eingeführt. Trotz der deswegen gebotenen vorsichtigen Würdigung ergibt sich ein klares Bild. Nachdem der Zeuge Schultz in Vernehmung am 25.1.2012 zunächst eingeräumt hatte, eine Pistole an den Angeklagten Carsten Schultze verkauft zu haben, hat er auf Frage weiter angegeben, er selbst habe die Waffe bei einem Jugoslawen namens Boban beschafft. Von Länger war da noch nicht die Rede. In seiner Vernehmung vom 09.02.2102 führte er zunächst weitere Einzelheiten zur Beschaffung bei dem Boban aus, korrigierte sich dann aber noch am selben Tag und erklärte nunmehr, er selbst habe die Waffe von einem Kumpel namens Jürgen Länger erhalten. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte die Aussage des Zeugen Schultz wegen der inhaltlichen Kehrtwenden, die Schultz im Laufe der beiden Vernehmungen vollzogen hat, für beliebig interessengeleitet, wenig glaubhaft, zweifelhaft und daher wenig belastbar und im Ergebnis für nicht überführungsgeeignet gehalten werden. Eine detaillierte Analyse des Inhalts und der Genese der Aussage des Zeugen Schultz führt indes dazu, die letztendlichen inhaltlichen Festlegungen des Zeugen Schultz zu An- und Verkauf der Schalldämpferpistole als uneingeschränkt glaubhaft zu bewerten.

Hierzu gilt im Einzelnen: Für die Frage der Identität der vom Angeklagten Schultze an Böhnhardt und Mundlos übergebenen Waffe mit der Tatwaffe der Ceska-Serie ist die präzise Bestimmung der Chronologie der Besitzverhältnisse ganz wesentlich. Insoweit hatte der Zeuge Schultz zunächst versucht, einer im Ausland befindlichen Person diese Waffenlieferung an ihn selbst zuzuschieben, nämlich dem bereits genannten aus Jugoslawien stammenden Boban. Wie der Zeuge Schultz später selbst einräumte, hatte er den Boban als Verkäufer der Ceska 83 allein deshalb angegeben, weil er seinen tatsächlichen Lieferanten Jürgen Länger schützen wollte. Dieser Boban bot sich als Schutzengel für den Zeugen Jürgen Länger und als Sündenbock für diese Waffenlieferung aus Sicht des Zeugen Schultz zunächst auch besonders gut an und zwar deshalb, weil dieser Boban zwischenzeitlich aus Jena, wo er tatsächlich gewesen war, in sein Heimatland abgeschoben worden war. Schultz glaubte offensichtlich, dass allein anhand des Vornamens des Boban nicht identifiziert werden könnte und damit auch dessen Befragung nicht gelingen würde, so dass nach Vorstellung des Zeugen Schultz die Rekonstruktionsermittlungen der Waffenhistorie an dieser Stelle ins Leere und v.a. an Länger gänzlich vorbeigelaufen wären. Das wäre dem Zeugen Schultz, wie er später selbst einräumte, recht gewesen, denn er wollte seinen Kumpel Länger in dieser brisanten Angelegenheit bei dem Bundeskriminalamt nicht anschwärzen.

Nachdem dem Zeugen Schultz aber bei der Vernehmung am 09.02.2102 aufgrund einer mit ihm durchgeführten Wahllichtbildvorlage klargeworden war, dass der von ihm benannte Boban identifiziert und damit eine Überprüfung seiner Falschaussage möglich geworden war, änderte er seine Angaben spontan und vor allem völlig ungekünstelt. Emotional und mit offenem Visier legte er die Gründe vorherige Falschaussage dar. Ohne jeden Vorhalt und ohne jede Nachfrage seitens der Vernehmungsbeamten gab der Zeuge Schultz seine ursprünglichen Verschleierungsabsichten preis und erklärte freimütig das folgende: „Aufgrund einer Risikoabwägung“ werde er jetzt, wo die Vernehmungsbeamten den Boban identifiziert hatten, lieber seinen wirklichen Waffenlieferanten benennen, den habe er eigentlich schützen wollen. Jetzt bekomme er es aber wirklich mit der Angst zu tun, denn der Boban sei, so wörtlich, „ein völlig Irrer“. Unverblümt hat der Zeuge damit klargemacht, dass er sich den Vergeltungsrisiken einer Falschaussage ausgerechnet des „völlig irren Boban“ lieber nicht aussetzen wollte. Dann erläuterte der Zeuge, er habe die an den Angeklagten Schultze gekaufte Waffe tatsächlich von einem Kumpel aus Jena gekauft. Dieser Kumpel werde jetzt, so wörtlich, „sehr begeistert“ sein. Hierdurch legte er auch seine Sorgen vor Unannehmlichkeiten ironisierend, aber zugleich auch ungeziert dar. Dieser Kumpel, führte der Zeuge Schultz, fort, hieße Jürgen Länger. Offensichtlich war dem Zeugen Schultz Ärger mit dem von der Aussage „sehr begeisterten“ Jürgen Länger deutlich lieber als die Vergeltung des „völlig irren“ Boban.

Obschon der Zeuge Schultz ursprünglich mit Boban eine Person als Waffenlieferant angegeben hatte, der damit überhaupt nichts zu tun hatte, bestehen an der Validität der Namhaftmachung des Jürgen Länger überhaupt keine Zweifel. Hierfür ist folgende Überlegung bestimmend: Es wäre für Schultz ein Leichtes gewesen, erneut einen großen, dieses Mal sicher nicht identifizierbaren Unbekannten als Waffenlieferanten zu erfinden. Er hätte unter Angaben einer falschen Beschreibung angeben können, er habe die Waffe bei einem Unbekannten gekauft. Die unwahre Benennung von Länger als Lieferant der Waffe und damit die Einbeziehung eines Unbeteiligten wäre aus Sicht des Zeugen Schultz völlig kontraproduktiv gewesen. Denn zum einen wäre dies überprüfbar, wie er wusste, zum anderen würde Schultz sich für einen Fall der Falschbezichtigung des Jürgen Länger dann Unannehmlichkeiten von Seiten Jürgen Längers ausgesetzt sehen, die er objektiv auch noch zu Unrecht verursacht hätte. Dieser Umstand, dass er nun ohne Not und in überprüfbarer Weise einen Bekannten aus Jena des Verkaufs der Ceska bezichtigte, spricht deutlich für Wahrhaftigkeit dieser Aussage.

Ein Aussagewechsel als solches ist im Übrigen nicht geeignet, die Richtigkeit der zweiten, korrigierten Aussage in Zweifel zu ziehen. Vorgreiflich will ich an dieser Stelle schon die zweite Kehrtwende in der Aussage des Zeugen Schultz darlegen: Hatte der Zeuge Schultz die Lieferung eines Schalldämpfers bei seiner ersten Aussage noch verschwiegen und diese erst in der zweiten Vernehmung auf Vorhalt des Angeklagten Carsten Schultze eingeräumt, hat sich gleichwohl die Richtigkeit dieser zweiten Aussage des Zeugen Schultz bestätigt. Nicht einmal der Angeklagte Ralf Wohlleben hat bestritten, dass die vom Angeklagten Carsten Schultze beim Zeugen Schultz beschaffte Waffe tatsächlich über einen Schalldämpfer verfügt hat. In der Gesamtschau, das ist entscheidend, fügt sich die Identifizierung gerade des Jürgen Länger als Waffenlieferanten zwanglos und nahtlos in die bisher bekannten Besitzverhältnisse der Ceska ein. Dies ist im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Schultz von erheblicher Bedeutung.

Von vornherein verbietet sich demgegenüber die Überlegung, der Zeuge Schultz könnte irgendeine den Ermittlungsbehörden genehme Aussage gemacht haben wollen. Denn der Zeuge Schultz kannte den Stand der Ermittlungen zur Ceska und die über Theile bestehende [Verbindung] zum Zeugen Länger überhaupt nicht. Es wäre ein im wahrsten Sinne nachgerade unglaublicher Zufall gewesen, wenn der Zeuge Schultz zu Unrecht ausgerechnet die Person als Waffenlieferant benannt hätte, die sich in Folgeermittlungen als enger Freund gerade der Person, des Enrico Theile, herausstellte, die wiederum einen engen und direkten Kontakt zu demjenigen, [Müller], hatte, der genau die in Rede stehende Tatwaffe Ceska 83 erworben hatte, gerade um sie nach Deutschland zu verkaufen. Wer sich der Einsicht in die Überzeugung von dieser Personenkette verweigern möchte, mag das tun, überzeugen wird er damit nicht.

Zumal es noch darüber hinaus weitere, gewichtige Indizien gibt, die die Annahme der Identität der von Schultz und Carsten Schultze verkauften Waffe mit Tatwaffe stützen. Für die Frage der Identifizierung der vom Zeugen Schultz an den Angeklagten Carsten Schultze verkauften Waffe ist über die Aussage des Zeugen Schultz hinaus von Bedeutung, dass Jürgen Länger bei der Übergabe der Waffe nach seiner unzweifelhaften Erinnerung [diese] als eine Dienstwaffe aus dem osteuropäischen Raum bezeichnet hat, möglicherweise sogar ausdrücklich als tschechische Waffe. Bei der späteren Tatwaffe handelte es sich um eine osteuropäische Waffe, nämlich eine solche aus tschechischer Herstellung. Soweit sich nach der – ausdrücklich unsicheren – Erinnerung der Zeuge Schultz an der Waffe eventuell auch kyrillische Buchstaben befunden haben könnten, ist es ebenso evident wie unbedeutend, dass die Ceska als tschechisches Produkt natürlich keine kyrillischen Buchstaben aufweist. Denn die bloß hypothetische Erwähnung des Zeugen Schultz, an der Waffe, die er nur kurz in Besitz hatte, mögen sich auch kyrillische Buchstaben befunden haben, vermag schon angesichts des Zeitablaufs von zwölf Jahren nicht zu dem Schluss zu führen, das sich auf der von ihm verkauften Waffe tatsächlich solche Buchstaben befinden. Schließlich korrespondiert auch der von ihm angenommene Beschaffungspreis von 2000 DM wie auch der Verkaufspreis von 25000 DM exakt mit dem Schwarzmarktverkauf einer Ceska mit Schalldämpfer und ca. 50 Schuss Munition. Nach Aussage des Zeugen Schläfli betrug der Paketpreis für eine Ceska 83 mit Schalldämpfer ohne Munition auf dem legalen Markt ca. 1.000 Schweizer Franken, was allgemeinkundig in etwa 1.200 DM entsprach. Rechnet man den Munitionspreis sowie Schwarzmarktzuschläge von Schultze und Länger ein, ist der vom Zeugen Schultz genannte Einkaufspreis von 2000 DM und Verkaufspreis von 2500 DM absolut reell. Auch dieser Gesichtspunkt spricht dafür, dass Schultz dem Angeklagten Schultze gerade eine Ceska 83 mit Schalldämpfer und nicht irgendeine andere Pistole verkauft hat.

An der Verwertbarkeit der durch Vernehmungsbeamte eingeführten Aussagen des Zeugen Schultz bestehen trotz des angebrachten Verwertungswiderspruchs der Verteidigung Wohlleben keinerlei Bedenken, hierzu hatten wir in Hauptverhandlung schon Stellung genommen, darauf nehme ich Bezug. Das Beweisergebnis der festgestellten Identität der an den Angeklagten Schultze gelieferten und an Böhnhardt und Mundlos weitergegebenen Pistole und der Tatwaffe der Ceska-Serie wird gestützt durch die Einlassung des Angeklagten Schultze, der, wie zudem durch die Zeugen RiBGH Dr. Bünger und KHK Koch eingeführt, bereits im Ermittlungsverfahren eine Pistole Ceska 83 als dasjenige Waffenmodell wiedererkannt hat, das auch der von ihm beschafften und übergebenen Pistole entsprach. So konnte der Angeklagte Schultze bereits bei einer Wahlvorlage nicht maßstabsgetreuer schwarzweißer Telefaxkopien der Fotos von neun im Gewahrsamsbereich des NSU dargestellten Schusswaffen im Rahmen seiner richterlichen Vernehmung am 01.02.2012 die mit einem Schalldämpfer versehene Maschinenpistole Pleter mit Sicherheit als diejenige ausschließen, die er angekauft und an Böhnhardt und Mundlos weitergegeben hatte, wobei er angegeben hat, sich nicht mehr an das Modell, wohl aber an Form und Größe der an ihn übergebene Pistole [zu erinnern]. Damit kam jedenfalls aus der Menge der sichergestellten Schusswaffen nur noch die Ceska 83 als die an ihn gelieferte Pistole in Betracht, weil sich im [aufgefundenen]Waffenarsenal des NSU außer der Maschinenpistole Pleter 91 nur einzige weitere Schusswaffe mit Schalldämpfer befand, und das war die Ceska 83.

Der Angeklagte Schultze konnte darüber hinaus bei einer Vorlage von zwölf Waffen, davon eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, darunter eine Ceska 83 sowie acht weitere Pistolen, gerade die Pistole Ceska mit großer Wahrscheinlichkeit als den Typ identifizieren, den er beschafft und übergeben hatte. Lediglich bei einer weiteren ihm vorgelegten Pistole mit Schalldämpfer Nkova Mulgora 84 hatte er ursprünglich Ähnlichkeiten mit der tatsächlich von ihm beschafften Waffe erwogen, diese Waffe aber letztlich ebenso wie alle weiteren Vergleichspistolen ausgeschlossen. Hierzu gab er laut dem Zeugen Timo Ko. [siehe 217. und 293. Verhandlungstag]an, dass die Pistole Mulgora anders als die Ceska über prägnante Schlittenkanten verfüge, die an der von ihm beschafften Pistole gerade nicht waren, an deren Vorhandensein er sich aber andererseits erinnern würde, wenn es sie gegeben hätte. Außerdem entspreche der im Vergleich dazu verlängerte Lauf mit Gewinde der von ihm favorisierten Ceska 83 seiner Erinnerung an die äußere Beschaffenheit der damals tatsächlich angekauften und weitergeleiteten Pistole.

Der Angeklagte Schultze war sich im Ergebnis zwar nicht hundertprozentig sicher, ob das von ihm ausgewählte Modell dem exakt entspreche, das er zwölf Jahre zuvor beschafft und übergeben hatte. Dies nimmt dem impliziten Beweiswert dieser qualifizierten, weil durch Positiv- wie Negativabgrenzung erfolgten typenbezogenen Identifizierungs-Leistung nicht das Gewicht. Denn eine sichere Identifizierung war nach dem in Rede stehende Zeitablauf und vor allem angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte Schultze absoluter Waffenlaie ist, von vornherein nicht zu erwarten und würde vielmehr ihrerseits Zweifel wecken. Demgegenüber kommt der Wahrscheinlichkeitsaussage des Angeklagten Schultze deshalb eine hervorgehobene Bedeutung zu, weil er einerseits die Aussage anhand von Form und Größe sowie zwei weiteren modellspezifischen Unterscheidungsmerkmalen getroffen hat und andererseits einen zwar nur kurzzeitigen, aber umständehalber einprägsamen Umgang mit der tatsächlich von ihm übergebenen Waffe hatte.

Denn zum einen handelte es sich um den einzigen Kontakt in seinem Leben mit einer scharfen Waffe, was für einen besonderen Erinnerungsanreiz spricht, zum anderen hatte er die Pistole mehrere Tage in Besitz und hatte sie mehrmals mehr als nur beiläufig betrachtet, etwa als er beim Angeklagten Wohlleben zum Besichtigen war und der sie mit Lederhandschuhen anfasste, den Schalldämpfer anschraubte und die Waffe eindrücklich auf ihn, den Angeklagten Schultze richtete. Außerdem hatte er die Waffe bis zum Transport in seinem Zimmern in der elterlichen Wohnung verwahrt. Die der Aussage des Angeklagten Schultze am 06.02.2012 zu Grunde liegende Erinnerung wurde auch nicht überlagert durch die Vernehmung bei dem Ermittlungsrichter beim BGH am 01.02.2012. Eine derartige Überlagerung kommt [deshalb] nicht in Betracht, weil ihm in diesem Termin nach der nicht erwarteten Aussage zu einem Schalldämpfer nur spontan angeforderte Telefaxkopien vorgelegt werden konnten. Deswegen hat die Vorlage bei diesem Termin noch nicht zu irgendwelche inneren Festlegungen beim Angeklagten Carsten Schultze führen können. Dies wird schon daran deutlich, dass er in diesem Vorführtermin beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs lediglich zwei Maschinenpistolen definitiv nicht als die von ihm beschaffte Waffe bezeichnete und aus der verbleibenden Menge von sieben Pistolen immerhin noch fünf nicht ausschließen konnte.

Schließlich vermag auch der Umstand, dass der Angeklagte Schultze im Zeitraum nach dem 04.11.2011 bis zu seiner Festnahme sich häufig die in diversen Medien veröffentlichten Fotos der Tatwaffe Ceska angesehen hat, das Gewicht seiner modellbezogenen Wiedererkennung nicht zu reduzieren. Die Plastiktüte verhinderte die Sicht auf den verlängerten Lauf mit Gewinde. Genau diesen verlängerten Lauf mit Gewinde hat der Angeklagte Carsten Schultze aber später als ein Wiedererkennungsmerkmal benannt. Insofern kann eine mediale Beeinflussung gar nicht stattgefunden haben. Eingedenk des Umstandes, dass die Maschinenpistole Pleter 91 nicht als die an Böhnhardt und Mundlos übergebene Waffe in Betracht kam, ist angesichts des vom Angeklagten Schultze hervorgehobenen präzisen Wiedererkennungsmerkmale sowie des nur bei der Tatwaffe Ceska festgestellten Schalldämpferaufsatzes klar: Aus der Menge des im Gewahrsam der NSU-Mitglieder befindlichen sichergestellten Waffenarsenals kommt keine andere als die von Carsten Schultze favorisierte Ceska 83 als die von ihm überbrachte Waffe in Betracht.

Selbstverständlich konnte der Angeklagte Schultze als Waffenlaie und angesichts des Zeitablaufs von knapp 12 Jahren naturgemäß nicht restlos ausschließlich, damals auch ein anderes Waffenmodell als eine Ceska 83 an Böhnhardt und Mundlos übergeben zu haben. Mangels entsprechend augenfälliger Individualmerkmale konnte er naturgemäß schon überhaupt nicht in der Lage sein, das von ihm übergebene Einzelstück als solches wiederzuerkennen. Beides kann indes die sichere Überzeugung nicht beeinträchtigen, dass gerade die vom Angeklagten übergebene Schalldämpferpistole und nicht irgendeine andere anderweitig beschaffte Schalldämpferpistole von Böhnhardt und Mundlos bei den Morden der Ceska-Serie eingesetzt worden ist. Denn für die mehr als nur denktechnische Möglichkeit Böhnhardt und Mundlos hätten in der Zeit zwischen Übergabe der Waffe und deren erster tödlicher Verwendung an Enver Şimşek die vom Angeklagten Schultze unbestritten übergebene Schalldämpferpistole gegen die spätere Tatwaffe ausgetauscht oder die von Schultze übergegebene Waffe aus anderen Gründen nicht eingesetzt und später entsorgt, spricht nichts, rein gar nichts. Weder ein Indiz noch sonst ein auch nur halbwegs plausibler Denkansatz deutet darauf hin, Böhnhardt und Mundlos hätten zwischen Mai und September 2000 noch einmal, auf welchem Weg auch immer die von Carsten Schultze übergegebene Pistole ausgetauscht. Es ist also eine rein theoretische Möglichkeit, dass Schultze gar nicht die spätere Tatwaffe, sondern eine andere, der Ceska 83 aber sehr ähnliche Waffe beschafft und übergeben haben könnte. Diese beweisrechtlich unbedeutende Spekulationsblase versucht nun der Angeklagte Wohlleben mit einer offensichtlich interessengeleiteten Einlassung aufzupusten.

Der Angeklagte Wohlleben behauptete, Böhnhardt habe nach der Übergabe der Waffe durch Schultze moniert, die Pistole würde gar nicht funktionieren. Böhnhardt habe die Waffe als Schrott bezeichnet, so der Angeklagte Wohlleben, woraufhin Schultze mit Unverständnis reagiert habe. Nun spricht schon überdeutlich gegen die Integrität der Aussage des Angeklagten Wohlleben, dass der Angeklagte Schultze sich an eine solche Sachmängelrüge von Böhnhardt und Mundlos nicht zu erinnern vermochte. Was wiederum, wenn es eine solche Beschwerde gegeben hätte, doch sehr verwundern würde, weil es sich dabei um einen weiteren ungewöhnlichen und signifikant entlastenden Umstand gehandelt hätte, was eine Erinnerung des Angeklagten Schultze daran nahegelegt hätte.

Auch der Zeuge Andreas Schultz hat an keiner Stelle berichtet, dass etwa bei ihm mit einer Beanstandung wegen Funktionsuntüchtigkeit vorgesprochen worden wäre. Es gibt demgegenüber kein einziges noch so kümmerliches dafür sprechendes Beweisanzeichen, dass die vom Angeklagten Carsten Schultze übergebene Schalldämpferwaffe nicht funktioniert haben könnte. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass die Waffe hervorragend funktioniert hat. Denn anderenfalls, wenn die Behauptung des Angeklagten Wohlleben der Wahrheit entsprechen würde, wäre zu erwarten gewesen, dass Böhnhardt und Mundlos eine Rückabwicklung des Waffenkaufes, und zwar nachdrücklich, veranlasst hätten. Mindestens aber hätten sie den erstatteten Kaufpreis zurückverlangt, indem Sie zumindest den Angeklagten Wohlleben, gegebenenfalls auch den Angeklagten Schultze entsprechend instruiert hätten.

Wie kleinteilig und emotional angespannt die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos finanzielle Übervorteilungen aufgearbeitet haben, zeigt sich instruktiv in dem Telefonat mit [siehe u.a. 142. und 143. Verhandlungstag], das sich in weiteren Teilen mit dem angeblich vermögensveruntreuenden Zeugen André Kapke [siehe 59., 84. und 96. Verhandlungstag] beschäftigt. Danach hatte Böhnhardt dem Kapke in Aussicht gestellt, wenn dieser so weitermache, werde er extra anreisen, um ihm „eine reinlangen zu wollen“. Ausweichlich des Behördengutachtens des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen […] nannte Böhnhardt den Zeugen Kapke in diesem Zusammenhang ein „Kameradenschwein“. Oder es ergibt sich aus dem energischen Auftritt der Angeklagten Zschäpe, als sie beim Zeugen Mario Ge. [siehe 68. Verhandlungstag] im Jahr 2011 einen Außenbordmotor zur Reparatur gab und in einer für den Zeugen äußerst eindrücklichen Weise getätigte Vorkehrungen gegen etwaige Übervorteilung [zeigte].

Nach allem, was wir über Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos wissen, wäre ein solcher Vorgang, also die Lieferung einer funktionsuntüchtigen Waffe für 2500 DM, nicht mit einem lapidaren Achselzucken erledigt gewesen, zumal ja in jedem Fall über die Angeklagten Wohlleben und Schultze eine Ersatzwaffe zu beschaffen gewesen wäre. Des Angeklagten Wohlleben Schilderungen sind in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund eigentümlich detailarm und zeichnen sich durch eine überraschende atmosphärische Dürre aus. Damit stellt auch die durch nichts belegte Einlassung des Angeklagten Wohlleben keinerlei begründeten Ansatzpunkt für die Annahme dar, es sei zu einem Waffenaustausch oder einer Auswechslung oder Entsorgung zwischen der Übergabe der Schalldämpferpistole durch Schultze und der Ermordung von Enver Şimşek gekommen. Im Gegenteil liegen abseits der zahlreichen ausgeführten Umstände zur geschlossenen Besitzkette gerade der bei den Taten verwendeten Waffe weitere wichtige Gesichtspunkte dafür vor, dass Böhnhardt und Mundlos bei der ersten Verwendung der Tatwaffe Ceska 83 mit der Nr. 034678 genau die vom Angeklagten Carsten Schultze übergebene Waffe verwendeten.

Dabei ist zu bedenken, dass die Schüsse auf Enver Şimşek bereits am 09.09.2000 abgegeben worden sind, also nur rund vier Monate nach der Waffenübergabe. Dieser schon von vorherein recht kurze Karenzzeitraum erlangt eine gesteigerte Aussagekraft, weil Böhnhardt und Mundlos sich nach der Einlassung des Angeklagten Ralf Wohlleben bereits seit Anfang 1999 bei ihm um die Beschaffung einer scharfen Waffe bemüht, und diese aber letztlich erst im Mai 2000, also nach knapp eineinhalb Jahren, erhalten hatten. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die NSU-Mitglieder, kaum, dass sie endlich eine Waffe erhalten hatten, dann ganz plötzlich binnen maximal vier Monaten eine andere Spezialwaffe mit Schalldämpfer auf anderem Beschaffungswege sich hätten besorgen können. Dies gilt umso mehr, weil der Angeklagte Wohlleben selbst darauf hingewiesen hat, Böhnhardt und Mundlos hätten in dem Zeitraum von Anfang 1999 bis Frühjahr 2000 immer wieder nachgefragt, wo denn die bestellte Pistole bliebe, und ihn aufgefordert, er solle sich weiter kümmern. Die beiden haben also die Beschaffung der Pistole über einen langen Zeitraum besonders dringlich gemacht. Dies aber ist nun ebenfalls nicht damit in Einklang zu bringen, dass der NSU zu diesem Zeitpunkt bereits alternative Möglichkeiten zur Beschaffung einer Schalldämpferpistole hatte, auf die man in dem kurzen Zeitraum zwischen Mai und September 2000 mal eben hätte zurückgreifen können.

Dieses Ergebnis wird abgerundet durch den Umstand, dass der Angeklagte Wohlleben nach der glaubhaften Einlassung von Holger Gerlach nochmals im Zeitraum zwischen 01.05.2001 und einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt des Jahres 2002 eine scharfe Pistole für den NSU besorgt und durch Holger Gerlach hatte überbringen lassen. Auf die Einzelheiten dazu gehe ich an anderer Stelle ein, an dieser Stelle sei nur hervorgehoben: Der Überbringung einer weiteren Waffe durch den Angeklagten Gerlach in den Jahren 2001 oder 2002 entnimmt die Bundesanwaltschaft, dass Böhnhardt und Mundlos und die Angeklagte Zschäpe noch mindestens acht Monate nach der Tat an Enver Şimşek auf den Angeklagten Wohlleben als Waffenbeschaffer angewiesen waren. Schließlich spricht noch die Verwendung der bei der Ermordung von Şimşek wie auch bei der Hinrichtung von Süleyman Taşköprü eingesetzten Schreckschusspistole Bruni eine deutliche Sprache. Die Schreckschusswaffe musste erst zu einer scharfen Schusswaffe umgebaut werden, bevor sie bei der Ermordung von Enver Şimşek eingesetzt werden konnte. Insofern war diese ersichtlich nur ein Behelfswerkzeug zur Tötung.

Infolge der Verwendung der Bruni als Behelfswerkzeug kann aber ausgeschlossen werden, dass die NSU-Mitglieder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erhalt der Waffe durch den Angeklagten Schultze eine weitere bauartähnliche, später aber nicht sichergestellte Schalldämpferpistole in Gestalt der späteren Tatwaffe erworben haben können. Denn mit der Verfügbarkeit zweier Schalldämpferpistolen ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft nicht in Einklang zu bringen, dass beim ersten und dritten Mord als zweiter Tatwaffe lediglich auf eine umgebaute Schreckschusswaffe zurückgegriffen worden ist. An alledem ändert auch die Einlassung des Angeklagten Schultze vom 11.07.2013 nichts, der davon berichtet hatte, Böhnhardt und Mundlos hätten ihm bei der Übergabe der Schalldämpferpistole gesagt, im Besitz einer Maschinenpistole zu sein. Unabhängig von der objektiven Belastbarkeit der Aussage ist klar, dass eine Maschinenpistole per se denkbar ungeeignet für die konkret beabsichtigen Taten war. Die beabsichtigte Begehung hinrichtungsartiger Morde einschließlich diskreter Fahrradanreise zum Tatort unter zu erhaltender Fluchtmöglichkeiten bei per se riskanten Tatörtlichkeiten spricht dagegen, dass die NSU-Mitglieder die Maschinenpistole hätten einsetzen wollen, und dafür, jene Schaldämpferwaffe zu bestellen und einzusetzen, so wie es auch geschehen ist.

Weingarten: „Ich würde anregen wollen, diesen Komplex abschließen zu wollen, Herr Vorsitzender, jetzt sind es noch etwa fünf Minuten.“ Auch der Umstand, dass die NSU-Mitglieder bei Begehung des Raubüberfalls auf den Edeka Markt in Chemnitz über eine nicht näher bekannte Schusswaffe sowie darüber hinaus spätestens ab dem 09.09.2000 über die vorgenannte Bruni verfügten, führt angesichts der genannten Gesichtspunkte nicht zu dem Schluss, die NSU-Mitglieder hätten im Sommer 2000 über eine alternative, tatsächlich nutzbar zu machende Quelle gerade für eine Schalldämpferpistole verfügt. Hinsichtlich der beim Edeka-Überfall eingesetzten Waffe liegen schon keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Waffe überhaupt von den NSU-Mitgliedern erworben worden ist. Diese kann auch eine Leihgabe aus der Chemnitzer Unterstützerszene gewesen sein, wofür etwa spricht, dass diese Waffe nach dem 04.11.2011 eben nicht sichergestellt werden konnte. Hinsichtlich der Bruni hingegen gilt, dass es für diese Waffe als Schreckschusspistole, die als solche unproblematisch gekauft werden kann, keines solch qualifizierten Zugangs zur Waffenhändlerszene bedurfte, wie es bei scharfer Pistole mit Schalldämpfer der Fall ist.

Nach diesen Ausführungen und denen der Kollegin Greger zum Zeugen Theile ist damit das zweifellose Ergebnis der Beweisaufnahme in diesem Verfahren zur Herkunft der Ceska das Folgende: Die NSU

Der Vorbesitzer der vom Angeklagten Schultze an Böhnhardt und Mundlos übergebenen Waffe ist der Zeuge Länger, ein Freund des Zeugen Theile. Theile wiederum ist ein enger Freund des Vorbesitzers Müller und hatte bei anderer Gelegenheit von Müller bereits Waffen erhalten, war also ein Abnehmer von Waffen, die Müller nach Deutschland verkaufte. Dieser Sachverhalt lässt angesichts seiner Tatsachendichte, Schlüssigkeit und Plausibilität keinen anderen Schluss zu als denjenigen, dass die von den Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze beschaffte Schalldämpferpistole mit der Tatwaffe der Morde identisch ist. Weingarten: „Das war der Teil zur Beschaffung der Tatwaffe. Bei den nächsten Blöcken werde ich mich zu den Angeklagten und der Art und Weise ihres Verhaltens äußern.“ Götzl: „Dann legen wir nochmal eine Pause ein und setzen um 14:55 Uhr fort.“

Um 14:56 Uhr geht es weiter. OStA Weingarten: „Herr Vorsitzender, Hoher Senat, verehrte Verfahrensbeteiligte, ich wende mich jetzt der Beweiswürdigung betreffend der Angeklagten Wohlleben und Schultze zu, und zwar zunächst in objektiver Hinsicht den objektiven Gehilfenbeiträgen, also was hat also wer gemachtund setze mich zunächst mit der Einlassung des Angeklagten Schultze vor die Klammer gezogen auseinander.“ Das eingangs geschilderte strafbegründende Verhalten der Angeklagten Wohlleben und Schultze als auch die äußeren Abläufe der jeweiligen Gehilfenbeiträge und das mit der Beschaffung einhergehende Vorstellungsbild vom sozialen Sinngehalts ihres Tuns steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus Sicht der Bundesanwaltschaft aus folgenden Gründen fest: Die Überzeugungsbildung der Bundesanwaltschaft basiert zunächst ganz wesentlich auf der Einlassung des Angeklagten Schultze.

Zur Glaubhaftigkeit seiner Angaben und damit einhergehend zur Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultze gilt gleichsam vor die Klammer gezogen zusammengefasst: Die Bundesanwaltschaft nimmt dem Angeklagten Schultze ohne jeden Zweifel ab, dass er grundsätzlich nach bestem Wissen und Gewissen an der rückhaltlosen Aufklärung der Verbrechen des NSU und der eigenen Tatbeteiligung sowie der Tatbeteiligung anderer Personen [interessiert ist]. Die Analyse seines Aussageverhaltens spricht dafür, dass er, und da schließe ich das Ermittlungsverfahren ein, ausschließlich aus einem Motivbündel heraus Angaben gemacht hat, dass sie sich aus einer tief empfundenen Reue und dem persönlichen Bedürfnis [der Wiedergutmachung]des von ihm verwirklichten Teilnahmeunrechts an dem Morden der Ceska-Serie in dem ihm heute noch möglichen Umfang gespeist hat. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Einlassung des Angeklagten Carsten Schultze darüber hinaus in objektiver Hinsicht in irgendeiner Weise interessengeleitet gewesen wäre, weder im Hinblick auf einen möglichst schonungsvollen Umgang mit der objektiven Bedeutung seiner eigenen Rolle, noch und schon gar nicht können in seiner Person überschießende Belastungstendenzen gegen Dritte festgestellt werden.

Auch wenn nicht jede einzelne Erinnerung des Angeklagten Schultze den Feststellungen zugrunde gelegt werden kann und auch, wenn erst recht die retrospektive Selbsteinschätzung des Angeklagten insbesondere zur Frage des Tatvorsatzes nicht gefolgt werden kann, so ergibt eine Analyse seines Aussageverhaltens gleichwohl unzweifelhaft, dass der Angeklagte Carsten Schultze in seinem Aussageverhalten, soweit es um das das objektive Tatgeschehen geht, vom Ringen um die Wahrheit getrieben war. Grundsätzlich für diese Bewertungen spricht bereits das Aussageverhalten des Angeklagten Schultze am Tage seiner Festnahme. Nach Bekundungen des Ermittlungsrichters am BGH Dr. Ralph Bünger [siehe 171. Verhandlungstag]hat der Angeklagten Schultze freimütig und insbesondere, wie sich aus den Bekundungen des Staatsanwalts am BGH Dr. Gerwin Moldenhauer [siehe 20. und 256. Verhandlungstag]ergibt, von der damaligen ihm bekannten Erkenntnislage der Strafverfolgungsbehörden losgelöst, einen völlig anderen Sachverhalt geschildert als denjenigen, der ihm im Haftbefehl eigentlich zur Last gelegt worden war.

Er gab an, an der Beschaffung einer anderen als der vom Angeklagten Gerlach in den Jahren 2001 oder 2002 übergebenen Waffe beteiligt gewesen zu sein. Dies ergab sich schon daraus, dass er mitteilte, die Waffe, anders als im Haftbefehl formuliert, persönlich an Böhnhardt und Mundlos übergeben zu haben. Vor allem aber schilderte der Angeklagte Schultze zur Überraschung aller damals Anwesenden mit Ausnahme seines Verteidigers, dass bei der von ihm übergebenen Pistole ein Schalldämpfer dabei gewesen sei. Dafür hatte es bis dahin keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Dem Angeklagten Schultze war dabei selbstverständlich bewusst, dass er sich durch das Geständnis der Lieferung ausgerechnet einer Schalldämpferpistole einer noch weit über den ursprünglichen Haftbefehl hinausgehenden Selbstbelastung gänzlich anderen Ausmaßes ausgesetzt hat. Obwohl er selbst nicht mit letzter Sicherheit wissen konnte, ob er wirklich ausgerechnet die zu den Morden eingesetzte Ceska übergeben hatte, war dem Angeklagten Schultze natürlich klar, dass dies so gewesen sein könnte und er deshalb tatsächlich wegen einer physisch wirkenden, tatkausalen Beihilfe an allen neuen Morden der Ceska-Serie zur Verantwortung gezogen würde. Und abgesehen von den Details strafrechtlicher Haftung war dem anwaltlich beratenen Carsten Schultze schon damals klar: Die Lieferung der Tatwaffe wiegt in jedem Fall schwerer als die Lieferung irgendeiner Waffe.

Damit war bereits am Tag seiner Festnahme deutlich geworden, dass Carsten Schultze von Beginn an bereit war, rückhaltlos und ohne objektive Beschönigungstendenzen hinsichtlich seines eigenen Verhaltens und über das aktuelle Wissen der Strafverfolgungsbehörden hinausgehend auch solche Sachverhalte mitzuteilen, die ihm selbst erheblich zu schaden geeignet waren. Er ist damit bewusst ein hohes Risiko eingegangen. Dieses Risiko wird sich über die Anklageerhebung, die Eröffnung der Hauptverhandlung und über die Beweisaufnahme hinaus in seiner Verurteilung, die jedenfalls die Bundesanwaltschaft für unabdingbar hält, auch realisieren. Und man muss es klipp und klar sagen: Ohne seine Aussagebereitschaft wären nach Lage der Dinge weder er noch Ralf Wohlleben Angeklagte dieses Verfahrens. Und der Weg der Ceska 83 von der Schweiz bis in den Brandschutt hätte nicht aufgeklärt werden können.

Die Bereitschaft zur freimütigen und rückhaltlosen Selbstbelastung zwingt zu der Annahme, dass er sich zu den äußeren Umständen nach Kräften einlässt. Selbstverständlich entbindet das nicht von einer detaillierten Analyse der Angaben im Einzelnen, und selbstverständlich ist in die Beweiswürdigung einzustellen, dass auch das Gedächtnis des Angeklagten Schultze nicht perfekt ist. Perfekt nicht, aber die Erinnerungen des Angeklagten Schultze weisen hinsichtlich des äußeren Geschehens eine angesichts des Zeitablaufs wahrhaft verblüffende Verlässlichkeit auf. Exemplarisch sei auf die hinsichtlich des Anklagevorwurfs eher nebensächlich Schilderung des Angeklagten Schultze zu einer Schlägerei an der S-Bahn-Haltestelle Jena-Winzerla im Jahr 1998 unter seiner und des Angeklagten Wohlleben Beteiligung hingewiesen. Bei seiner diesbezüglichen Aussage vom 11.06.2013 hatte sich der Angeklagte Carsten Schultze mal wieder vor allem selbst belastet, und das sehr kleinteilig und detailreich. Nachdem es zunächst nicht gelungen war, den Sachverhalt zu verifizieren, dass das von Angeklagten Schultze geschilderte Geschehen so stattgefunden haben könne, beantragte die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben die Ladung veritabler Szenezeugen. Mit diesen Anträgen ging es den Verteidigern darum, die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultzes und die Validität seiner Angaben zu untergraben. Dieses Bemühen der Verteidigung, das der Angeklagte Ralf Wohlleben trotz seines besseren Wissens duldete, und das seine eigene Glaubwürdigkeit und Integrität im Verhältnis zu Carsten Schultze schlaglichtartig beleuchtete, schlug indessen kolossal fehl, so hat sich vielmehr und erneut die Belastbarkeit der Angaben des Angeklagten Schultze erwiesen.

Nachdem die auf Betreiben der Verteidigung Ralf Wohlleben durchgeführten Vernehmungen von acht Zeugen im Sinne des Beweisziels weitgehend unergiebig verlaufen waren, hat sich mit der auf Antrag des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt Langer erfolgten Verlesung eines durch ihn recherchierten Zeitungsartikels über einen Bericht zu einem an der Haltestelle begangenen Körperverletzungsdelikt vom 12.07.1998 und insbesondere durch die Vernehmungen der im Nachgang zur Herbeischaffung dieses Berichts als Geschädigte des vom Schultze beschriebenen Delikts identifizierten Zeugen M. K. [siehe 319. Verhandlungstag] und Björn W. [siehe 322. Verhandlungstag] ergeben, dass es nicht nur überhaupt ein solches Delikt einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung gegeben hat, sondern dass auch die vom Angeklagten Schultze geschilderten Angaben zum mehraktigen Turbulenzgeschehen mit den Angaben der im Herbst 2016 festgestellten Geschädigten bis in die Details übereinstimmen.

So haben wir alle zur Kenntnis genommen, dass der Angeklagte Schultze stark ist in der Wiedergabe objektiver Tatsachen und auf der anderen Seite erhebliche Schwierigkeiten hat, innere Einstellungen, Motive, Werte, Gedanken und Gefühle aus jener Zeit wiederzugeben, jedenfalls dann, wenn sie ihm heute peinlich sind, weil die seinerzeit [vorhandene]rechtsextremistischen [Überzeugung] nicht mehr mit der heutigen übereinstimmt, sondern dieser vielmehr zutiefst entgegensteht. Ebenso haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Angeklagte Schultze sich erst vergleichsweise spät, aber nicht zu spät entschlossen hat, den später ebenfalls aufgrund der Angaben des Zeugen O. verifizierten Taschenlampenanschlag vom 23.06.1999 in Nürnberg und die gegenüber dem Angeklagten Wohlleben abgegebene fernmündliche Bekennung von Mundlos und Böhnhardt, auf einen Menschen geschossen zu haben, zum Gegenstand seiner Einlassung zu machen.

Diese späte Offenbarung bis dahin zurückgehaltenen Wissen bestätigt aber unser Meinung nach sein wörtlich zu nehmendes Ringen um die Wahrheit. Sowohl die im Ermittlungsverfahren tätigen Ermittlungsbeamten als auch die Verfahrensbeteiligten konnten wahrnehmen, mit welchen inneren Qualen der Selbstüberwindung die Darstellung der eigentlich längst historisierten Sachverhalte verbunden waren. Der Umstand, dass er den lang zurückliegenden Taschenlampenanschlag und das Telefonat über den Schusswaffengebrauch doch offenbart hat, bestätigt seine Bereitschaft, zumindest in äußerlicher Hinsicht das zu offenbaren, was ihm ganz persönlich Schwierigkeiten zu bereiten geeignet ist. Und dass er zur Offenbarung auch dessen bereit ist, Stichwort: Gehilfenvorsatz bei Tatbeteiligung, was erneut geeignet ist, nicht zuletzt ihn selbst zu belasten, dass er sich gleichwohl doch nicht dazu durchringen konnte, klipp und klar zu bekennen, „ich habe den tödlichen Einsatz dieser Pistole mindestens als naheliegend vorausgesehen“, ändert nichts daran, dass er sich sehenden Auges durch Einlassung zum Objekt des Geschehen selbst überführt. In der technischen Entwicklung der Aussage ist von Bedeutung, dass die nachgelieferten Komplexe keine inhaltliche Änderung beinhalten.

In der Bewertung der Aussage Carsten Schultzes ist von Bedeutung, dass diese nachgelieferten Komplexe lediglich eine quantitative Ergänzung darstellen, nicht jedoch eine qualitative Änderung […] ohne Fremdbelastungstendenz […], nicht zuletzt war ihm der Hinweis wichtig, er habe das Telefonat mit Böhnhardt und Mundlos, wo sich die beiden mit einer Schussabgabe brüsteten, was der Angeklagte Wohlleben mit Gelächter quittiert habe, deshalb nicht schon vorher geschildert, weil er den Angeklagten Wohlleben nicht seinen Kindern habe nehmen wollen. Unbeschadet des Umstandes, dass sich der Angeklagte schon lange aufgrund des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 28.11.2011 in U-Haft befand, unbeschadet, dass er sich gerade auf Grundlage der Angaben des Angeklagten Schultze in U-Haft befand, zeigt diese Erklärung des Angeklagten Carsten Schultze gleichwohl, dass ihm nicht daran gelegen war, Dritten zu schaden. Ihm kam es vielmehr unter Inkaufnahme eigener Nachteile, aber auch der Nachteile für Dritte darauf an, schlicht umfassend und ehrlich zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen.

Bei einer Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultze ist von Bedeutung, dass er sich sehr um eine exakte Wiedergabe der ihm erinnerlichen Wahrnehmungen bemüht hat. Der Angeklagte Schultze hat weder leichthin Tatsachen als Gegenstand seiner Erinnerung behauptet, wenn er sich darin nicht absolut sicher war, noch hatte er irgendwelche feststellbaren Neigungen zu Konfabulationen oder auch nur zu potentiell ungebührlichen Sachverhältnisglättungen. Vielmehr hat der Angeklagte Schultze immer und sehr genau differenziert, inwiefern und in welcher Weise er sich erinnert und inwiefern und in welcher Weise nicht. Angesichts des Umstandes, dass er sich meist zu Umständen äußern musste, die mehr als fünfzehn Jahre zurücklagen, konnte man auch nicht überrascht sein, wenn er nicht jede Frage unter Darlegung des im Einzelnen gesprochenen Wortes und der Beschreibung eines detaillierten Erinnerungsbildes beantwortet hat. Mitunter konnte er lediglich angeben, dass sich ein bestimmter Vorgang zugetragen hat, etwa Finanzierung der Waffe durch den Angeklagten Wohlleben, ohne allerdings diesen Vorgang im Einzelnen beschreiben zu können.

Das tut seiner Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben indes keinerlei Abbruch. Es spricht gerade für die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultze, dass er derartige Erinnerungslücken im Detail immer schonungslos offenbart hat und von sich aus klargestellt hat, an welchen Stellen seine Einlassung eher auf einem Rückschluss als auf einer konkreten Erinnerung basiert. Entscheidend ist, dass auch in diesem Punkt die Einlassung des Angeklagten Schultze – man sieht es an der Frage der Herkunft des Entgeltes für die Ceska 83 – stets mit der Erkenntnislage im Übrigen übereinstimmt. Ebenso beeinträchtigt es auch nicht die Validität der Erinnerungen des Angeklagten Schultze, wenn er mitunter davon gesprochen hat, er habe sich so wörtlich „Bilder wieder hergeholt”. Es ist eine allgemeine menschliche Erfahrungstatsache, dass ein Großteil menschlicher Erinnerungen gerade auf bild- und szeneartigen Fragmenten beruht. Ebenso ist es gerade bei lange zurückliegenden Ereignissen normal, dass Erinnerungen erst wieder ins Bewusstsein treten, wenn man sich länger mit einer bestimmten Frage beschäftigt und sich regelrecht um Erinnerung bemüht.

Schließlich sind auch [einzelne]Erinnerungsmodifikationen kein Anlass, an der Belastbarkeit der Angaben im Einzelnen zu zweifeln. Im Gegenteil: Es ist ein ganz wesentlicher Umstand bei der Bewertung der Erinnerungsleistung und der Erinnerungsintegrität, dass sich zahlreiche seiner Angaben in geradezu frappierender Weise anderweitig haben verifizieren lassen, und das nahezu ausnahmslos. Allein dies ist ein beeindruckender Beleg für die Erinnerungsleistung des Angeklagten und für die materielle Integrität und Validität seiner Erinnerung und Einlassungen. Und trotzdem folgt die Bundesanwaltschaft der Einlassung in einem ganz wesentlichen Punkt nicht, ohne dass dies das soeben formulierte substantiell oder grundsätzlich in Frage stellt. Wir bereits angedeutet, liegt die Stärke des Angeklagten Schultze in der Wiedergabe objektiver Ereignisse. Die meisten werden sich beispielweise an folgende Einlassung erinnern: Auf Frage des Vorsitzenden, welche Motive ihn veranlasst haben, gemeinsam mit anderen Dönerbuden anzugreifen, vermochte sich der Angeklagte Schultze – an der eigentlichen Fragestellung völlig vorbei – ausführlich an äußere Umstände dieser Aktion [zu erinnern].

So vermochte er etwa präzise den Standort einer angegriffenen Bude zu benennen, die Umgebung zu beschreiben, die Anzahl der Personen zu erörtern und auch das Vorgehen derartiger Aktionen im Sinne eines Tatanlasses zu erläutern. Nur zu der eigentlichen Frage der hinter solchen Aktionen stehenden politisch-ideologischen Motivation blieb es spärlich, um nicht zu sagen äußerst spärlich. „Bei einer Bockwurstbude hätte wir das nicht gemacht“, quälte der Angeklagte Schultze auf beharrliche Fragen des Vorsitzenden schließlich heraus, womit einerseits alles gesagt sein sollte, andererseits aber der Angeklagte Schultze durch die Benennung bloßer Negativtatsachen die ungeschminkte Wahrheit einer hinter der Attacke stehenden aggressiven ausländerfeindlichen Gesinnung eben gerade nicht ausdrücklich bekennen konnte oder wollte.

So sehr der Angeklagte Schultze bemüht und weitgehend in der Lage war, seine objektive Mitverantwortung für die Beschaffung der Waffe rückhaltlos und ohne Schonung der eigenen Person darzustellen, so inkompetent war er in der schonungslosen Darstellung seiner subjektiven Verantwortung. Zwar deutete er an mehreren Stellen an, in welchen er darauf zu sprechen kommt, wie hoch er das Risiko eines tödlichen Einsatzes der Waffe in Wirklichkeit eingeschätzt hat. Er war aber zu einer rückhaltlosen Offenbarung seines damaligen Vorstellungsbildes und seiner Motivation nicht bereit oder nicht in der Lage. Hier liegt die Schwäche der Angaben des Angeklagten Schultze. Sobald es um sein eigenes Risikowissen, um die konkrete Beschaffung der Waffe ging, hat der Angeklagte Schultze sich gerade nicht schonungslos offenbart und nicht rückhaltlos an der Aufklärung mitgewirkt. Wir werden allerdings zeigen, dass sich dieser innere Vorbehalt gegen eine vorbehaltlose ganzheitliche Aussage auf ein einziges Aussagesegment erstreckt hat.

Dieser Vorbehalt bezieht sich damit exklusiv auf die in subjektiver Hinsicht wesentlichen Fragen, 1. ob Böhnhardt und Mundlos von vornherein die Beschaffung eines Schalldämpfers verlangt haben, 2. wann ihm die Bedeutung der Taschenlampengeschichte klar geworden ist und wann 3. das Telefonat zwischen Böhnhardt und Mundlos und Ralf Wohlleben stattgefunden hat, bei dem von der Schussabgabe auf einen Menschen berichtet worden ist, und welches Vorstellungsbild er 4. im Übrigen über die Verwendungszwecke der Schalldämpferpistole bereits vor deren Übergabe an Böhnhardt und Mundlos entwickelt hat. Angesichts der Exklusivität und der klaren Abgrenzbarkeit in der Einlassung beeinträchtigen diese Punkte die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultze und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben im Übrigen nicht.

Ganz wichtig: Dem Angeklagten Schultze ist vor allem, wie noch zu zeigen sein wird, eine Tendenz zur wahrheitswidrigen externalisierenden Belastung Dritter, also zu einer nicht tatsachengestützten Verschiebung von Verantwortung, etwa und gerade auf den Angeklagten Wohlleben zum Zwecke eigener Selbstentlastung, nicht anzulasten. Die bekannten kritischen Aspekte betreffen alle allein sein subjektives Selbstentlastungsbedürfnis. Ihnen wohnt keinerlei Fremdbelastungstendenz inne. Die Frage kann letztlich dahinstehen, ob der Angeklagte Schultze zu den genannten vier Punkten sich objektiv nicht wahrheitsgemäß eingelassen hat, weil er einer Verdrängung im Sinne einer unbewussten Ausblendung unterlegen ist oder weil er die Wahrheit nicht wahrhaben will oder, das liegt aus unserer Sicht am nächsten, weil er trotz seines erkennbar großen Schuldgefühls und trotz seiner Bereitschaft, für diese Schuld zu sühnen, schlicht und einfach zu diesem letzten Schritt des offenen Bekenntnisses eigener Schuld nicht willens und in der Lage ist.

Nach diesen Vorbemerkungen zum Beweiswert der Angaben des Angeklagten Schultze werde ich mich jetzt den Einzelheiten der aus unserer Sicht gebotenen Feststellungen zum Sachverhalt und der diesen Feststellungen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung der Bundesanwaltschaft zuwenden. Dabei gehe ich zunächst von den weitgehend übereinstimmend geschilderten oder jedenfalls unbestrittenen Abläufen der Beschaffung und Lieferung der Tatwaffe an Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus. Der unstreitige Kernsachverhalt, dem zufolge Böhnhardt und Mundlos telefonisch an den Angeklagten Schultze das Verlangen nach der Beschaffung einer scharfen Schusswaffe mit Munition nannten, dieser davon den Angeklagten Wohlleben unterrichtete, der den Angeklagten Schultze an den Zeugen Schultz verwies, bei dem der Angeklagte Schultze eine Schalldämpferpistole mit etwa 50 Schuss Munition kaufte, welche er nach Besichtigung und im Einvernehmen mit dem Angeklagten Wohlleben nach Chemnitz verbrachte, wo er von Böhnhardt und Mundlos am Bahnhof abgeholt wurde, von wo man sich zunächst zu einem Gespräch in ein Kaufhauscafé begab, wo der Angeklagte Schultze eine Vollmacht durch die Angeklagte Zschäpe für Rechtsanwalt Eisenecker unterzeichnen ließ, bevor Böhnhardt und Mundlos und der Angeklagte Schultze sich zu einem in der Nähe gelegenen Abbruchhaus begaben, wo der Angeklagte Schultze die Waffe nebst Schalldämpfer und Munition übergab und im Gegenzug in Banderolen befindliches Bargeld erhielt, steht fest auf Grund der in Rahmen ihrer jeweiligen Wahrnehmungen übereinstimmenden Angaben des Angeklagten Schultze, des Angeklagten Wohlleben der Angeklagten Zschäpe und des Zeugen Andreas Schultz.

Bemerkenswert zur Glaubwürdigkeit des Angeklagten und der Glaubhaftigkeit seiner Angabe zum anklagerelevanten Kernbereich dieses äußeren Tatgeschehens sind zunächst die gravierenden Tatsachenübereinstimmungen zu den Angaben des Zeugen Schultz, mit denen sie – mit Ausnahme der Bestellung eines Schalldämpfers und des Kaufpreises, dazu komme ich später – stets miteinander in Einklang zu bringen und zum Teil bis in Nebendetails hinein deckungsgleich sind. Gemeinsame Schnittmenge der beiden Aussage ist zunächst, dass der Angeklagte Schultze letztlich eine scharfe Schusswaffe und Munition bestellt und nähere Vorgaben zu Kaufpreis, Kaliber, Marke und Munition nicht gemacht hat. Angesichts der später gelieferten Menge von rund fünfzig Schuss Munition ist allerdings davon auszugehen, dass von viel Munition die Rede war. Übereinstimmend haben beide ferner angegeben, dass der Angeklagte Schultze beim Zeugen Schultz eine Pistole mit Schalldämpfer nebst etwa fünfzig Schuss Munition, möglicherweise etwas weniger, gekauft hat.

Die Angaben des Angeklagten Schultze und die des Zeugen Schultz stehen in Bezug auf Bestellung und Übergabe darüber hinaus in Übereinstimmung hinsichtlich der Kontaktorte, der Anzahl der waffenbezogenen Gespräche und, mit den genannten Ausnahmen, der jeweiligen Gesprächsinhalte. Hierzu gilt, dass es nach den Angaben des Angeklagten Schultze und des Zeugen Schultz drei konkret auf die Waffenbeschaffung bezogene Gespräche zwischen beiden gegeben hat – und zwar eines zur Auftragserteilung, eines, wo der Zeuge Schultz mitgeteilt hat, welche Waffe er zu welchem Preise verkaufen könnte, und das Treffen zum Zwecke der Übergabe der Waffe. Beide sagen, Waffe und Schalldämpfer seien in ein Tuch eingewickelt und in einer Plastiktüte verstaut an den Angeklagten Schultze übergebenen worden, wobei Schultze die Plastiktüte sofort unter den [Bei]fahrersitz gelegt habe. Bei allen drei Gesprächen suchte der Carsten Schultze den Schultz im auf und danach begab man sich zum vertraulichen Teil vor das Ladenlokal und bei der Übergabe, wie gesagt, ins Auto. Übereinstimmend geben beide die Anzahl der Patronen mit etwa fünfzig an, möglicherweise auch etwas weniger. Die Munition hätte sich in einem Döschen befunden.

Der Angeklagte Wohlleben bestätigt die Sachverhaltsschilderung des Angeklagten Schultze in folgenden Punkten: Er räumt ein, vom Angeklagten Schultze über das Begehren von Mundlos und Böhnhardt unterrichtet geworden zu sein. Der Angeklagte Wohlleben räumt ferner ein, den Angeklagten Schultze nach einer vorherigen bilateralen Rücksprache mit Böhnhardt und Mundlos, von der der Angeklagte Schultze nichts wusste, wegen der Beschaffung einer Schusswaffe an den Zeugen Schultz verwiesen zu haben. Ob dies nur ein unverbindlicher Tipp war, wie der Angeklagte Wohlleben glauben machen will, wird – wie überhaupt die Rolle des Angeklagten Wohlleben bei diesem Waffengeschäft – noch im Einzelnen zu erörtern sein. Die Einlassung beider Angeklagter stimmen darüber hinaus darin überein, dass beide gemeinsam die gelieferte Waffe und Munition nach Erhalt in der Wohnung des Angeklagten Wohlleben besichtigt haben. Übereinstimmend sind die Angaben der Angeklagten Zschäpe und Schultze zu dem Zusammentreffen mit Böhnhardt und Mundlos, das nach beider Einlassungen im Café eines Kaufhauses in Chemnitz stattfand und bei dem die Angeklagte Zschäpe eine Anwaltsvollmacht unterschrieb. Die Angeklagte Zschäpe hat, soweit Gegenstand ihrer Wahrnehmung, die Schilderungen des Angeklagten Schultze als zutreffend bezeichnet und sich zu eigen gemacht. Soweit der unstreitige Teil der äußeren Abläufe.

In zwei Punkten sind die Angaben des Angeklagten Schultze und des Zeugen Schultz nicht in Einklang zu bringen. Es differieren zunächst die Angaben zum Kaufpreis der Ceska 83. Der Angeklagte Schultze spricht von einem Kaufpreis von 500 bis 1000 DM. Der Zeuge Schultz will 2500 DM verlangt und auch erhalten haben. Hierzu hatte ich bereits an anderer Stelle ausgeführt, da der vom Zeugen Schultz benannten Ankaufpreis bei Länger in Höhe von 2000 DM wie auch der geltend gemachte Verkaufspreis in Höhe von 2500 DM mit den Angaben des Zeugen Franz Schl. [siehe 47. Verhandlungstag] zum legalen Ursprungspreis besonders gut harmonieren. Die Erinnerung des Zeugen Schultz ist im Gegensatz zu der des Angeklagten Schultze auch präzise. Der Zeuge Schultz vermochte sowohl Einkaufspreis als auch Verkaufspreis exakt zu beziffern, was angesichts des Umstandes, dass er daraus einen Gewinn erzielte und es sich um strafbewehrtes und daher erinnerungswürdiges, nicht alltägliches Geschäft gehandelt hat, auch nachvollziehbar ist. Die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Schultze ist dadurch nicht betroffen. Es ist ohne weiteres glaubhaft, dass er sich an die Höhe des Kaufpreises für die Waffe angesichts des Zeitablaufs und einer damals wie heute aus seiner Sicht eher geringen Relevanz des Kaufpreises, denn er bezahlte keinesfalls aus eigener Tasche, nicht mehr erinnern kann.

Weingarten: „Darüber hinaus widersprechen sich die Angeklagte Zschäpe und der Zeuge Schultz in einem wirklich zentralen Punkt, der mir Anlass gibt, Herr Vorsitzender, mich mit einer Nachfrage an Sie zu wenden: Der Komplex Bestellung des Schalldämpfers ist im Hinblick auf den Gehilfenvorsatz wesentlich, der wird allerdings – ich kann das nicht im Einzelnen sagen – auf jeden Fall den 45-Minuten Block überschreiten. Die Frage wäre also, soll ich damit noch beginnen, haben wir noch einen Block?“ Götzl: „Wie lange brauchen Sie noch?“ Weingarten antwortet, „für den Komplex Bestellung Schalldämpfer, da müssten Sie mir mal eben….“ Weingarten blättert in seinen Unterlagen: „Ohne das im Detail sagen zu können, das wären etwa zehn Seiten bei durchschnittlich knapp zwei Minuten pro Seite, das würde diesen Block um 10 Minuten überschreiten.“ Götzl: „Dann kommen wir danach heute zu Ende und machen das noch fertig.“

OStA Weingarten: „Darüber hinaus widersprechen sich der Angeklagte Schultze und der Zeuge Schultz in einem wirklich zentralen Punkt, nämlich der Frage, ob Carsten Schultze von vornherein die Beschaffung einer Pistole ausdrücklich mit Schalldämpfer in Auftrag gegeben hat, so der Zeuge Schultz, oder ob davon nicht die Rede war, sondern vielmehr der Zeuge Schultz nach Lieferung von Länger gerade ohne diesbezügliche Bestellung die Ceska so verfügbar hatte und diese nur deswegen, also ohne vorheriger Bestellung, auch so zum Kauf angeboten hat. Das entspräche der Einlassung des Angeklagten Schultze.“ Die Bundesanwaltschaft ist entgegen der beharrlichen Schilderung des Angeklagten Schultze davon überzeugt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bei dem Telefonat mit dem Angeklagten Schultze von vornherein und ausdrücklich die Beschaffung einer Schalldämpferpistole verlangt haben und der Angeklagte Schultze diesen Wunsch auch genauso an den Zeugen Schultz weitergetragen hat.

Diese Überzeugung der Bundesanwaltschaft basiert auf folgender Bewertung der Beweislage: Gerade das Verlangen nach einer Schalldämpferpistole entspricht der Zwecksetzung des NSU und damit der damaligen Interessenlage der Angeklagten Zschäpe sowie der verstorbenen Böhnhardt und Mundlos. Die Morde der Ceska-Serie haben sich, wie Kollegin Greger bereits ausgeführt hat, nicht zufällig und planlos, gleichsam aus einer Tötungslaune heraus von Fall zu Fall entwickelt. Vielmehr bestand innerhalb des NSU von vornherein das tragische Konzept, verdeckt und ohne Tatbekennung eine Vielzahl der in Deutschland lebenden Ausländer zu töten. Ich will darauf verweisen, dass dem zweiten Vorgängervideo, dessen Erarbeitung 2001 abgeschlossen wurde, bereits ein strategisches Konzept unterlag, dessen zentrales operatives Ziel die Ermordung von vierzehn Opfern war. Den vierzehn bereits vorgesehenen Feldern für die in Aussicht genommenen Opfer ist zu entnehmen, dass die Ermordung von vierzehn in Deutschland lebenden Ausländern geplant war, wobei bereits fünf Felder mit den Opfern Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoǧru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç und [der Überlebenden des Anschlags in der Probsteigasse]belegt waren. Das strategische Konzept sah weiter vor, dass einerseits keine Bekennung erfolgen sollte, andererseits aber die beabsichtigte Mordserie zu erkennen sein sollte. Ersteres diente dem eigenen Schutz des NSU durch Umlenkung des Verdachts auf andere Tätergruppen, und letzteres war erforderlich, um die ideologisch-konzeptionellen Zwecke der Mordserie zu erreichen, nämlich die gezielte Verängstigung und Vertreibung der in Deutschland lebenden Ausländer, was wiederum nur durch die Erkennbarkeit eines Zusammenhangs zu erreichen war.

Unter diesen konzeptionellen Bedingungen aber lag aus Sicht der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardts und Mundlos‘ gerade die Beschaffung einer Schalldämpferpistole mehr als nah, sie drängte sich geradezu auf. Denn nur die Verwendung eines Schalldämpfers ermöglichte dem NSU, die propagandistisch wirksame Tötung von Menschen am helllichten Tage an zumeist belebten Orten bei gleichzeitiger Aussicht auf erfolgreiche Flucht und erneutes Untertauchen begehen zu können. Denn gerade die Verwendung eines Schalldämpfers erlaubte aus Täterseite einerseits eine zunächst unbemerkte, akustisch weitgehend unauffällige Tötung und war zugleich zur Minimierung des Fahndungsdrucks geeignet, denn die Eigenheiten des verwendeten Schalldämpfers, bei dem es sich um ein geradezu klischeehaftes Instrument eines Profikillers handelt, war zudem geeignet, die Fahndungsrichtung der Strafverfolgungsbehörden in die organisierte Allgemeinkriminalität und damit weit weg vom NSU zu lenken. Dieses aus der strategischen Konzeption des NSU abgeleitete wird in seinem Gewicht auch nicht dadurch reduziert, dass beim ersten und dritten Mord an Enver Şimşek und Süleyman Taşköprü neben der Ceska 83 auch noch zusätzlich die umgebauten Schreckschusspistole Bruni, die über keinen Schalldämpfer verfügte, zum Einsatz kam.

Die zusätzliche Verwendung der Bruni bei der ersten Tat war schon deswegen mit akustisch unauffälliger Begehung vereinbar, weil die Täter als Tatort der Ermordung ihres ersten Opfers, Enver Şimşek, einen Parkplatz ohne Publikumsverkehr ausgewählt hatten. Bei der Ermordung von Süleyman Taşköprü wurden mit der Bruni zwei fangschussartig angelegte Kopfschüsse aus unmittelbarer Nähe abgegeben, die den zweiten Schützen ungeachtet des fehlenden Schallschutzes als mit der Erhaltung von Fluchtmöglichkeiten in der konkreten Situation ohne weiteres vereinbar erschien, was ihm nicht zuletzt deshalb möglich war, weil er die Lautstärke der Bruni aus der Tat an Enver Şimşek einzuschätzen wusste.

Ebenso wird die Überzeugung, dass Böhnhardt und Mundlos und die Angeklagte Zschäpe aus taktischen wie strategischen Gründen von Beginn an gerade eine mit Schalldämpfer versehene Pistole einsetzen wollten, nicht dadurch in der Frage gestellt, dass nach Ausführungen der Waffensachverständigen Leopold Pfoser [siehe 50. und 83. Verhandlungstag] und Ruprecht Nennstiel [siehe 83., 89. und 114. Verhandlungstag] erstmals bei der Ermordung des Turgut am 25.02.2004 die Verwendung eines Schalldämpfers nachgewiesen worden ist. Den in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten zufolge ist die Verwendung eines Schalldämpfers bei den ersten vier mit der oben näher bezeichneten Pistole begangenen Mordtaten überhaupt nicht ausgeschlossen. Vielmehr war es den Gutachten zufolge naheliegend, dass der Nachweis eines Schalldämpfergebrauchs durch Aluminiumabrieb auf der Munition eben erst nach einem Mehrfachgebrauch des Schalldämpfers gelingt. Dies sprach gerade dafür, dass der Schalldämpfer nicht erstmals bei der Tat Turgut zum Einsatz kam, sondern bereits mehrmals zuvor. Hinzu tritt der Umstand, dass bei Ermordung des Yunus Turgut [OStA Weingarten verwendet hier und im Folgenden nicht den richtigen Namen des Ermordeten, Mehmet Turgut. Nach dem Mord kam es bei den Ermittlungen zu einer Namensverwechslung, die jedoch spätestens seit November 2011 geklärt ist.] die Munition des Hersteller Sellier & Bellot eingesetzte wurde, während bei den ersten vier Mordtaten Munition von Petton & Morgan verwendet wurde, was ebenfalls laut Sachverständige die veränderte Spurengebung durch den Schalldämpfer zu erklären geeignet ist und der zuvor ergangenen Schlussfolgerung nicht entgegensteht.

Entspricht also das ausdrückliche Verlangen eines Schalldämpfers dem strategischen Konzept des NSU, bilden die von niemanden bestritten äußeren Abläufe, dass nämlich eine Schalldämpferpistole geliefert und bezahlt und an Böhnhardt und Mundlos übergeben und von diesen eingesetzt worden ist, eine einheitliche und bruchlose Linie. Diese spricht dafür, dass die Beschaffung einer Pistole mit Schalldämpfer von vornherein beim Angeklagten Schultze in Auftrag gegeben und diese dann von diesem beim Zeugen Schultz auch bestellt worden ist, denn dieser Ablauf würde sich als von Beginn an einheitliches, schlüssiges, aufeinander aufbauendes, logisch bruchloses Fortschreiten von vornherein vorbedachter Ereignisse darstellen. Zudem ist es schon angesichts des objektiven Mehrwerts eines Schalldämpfers und der geringeren Verfügbarkeit einer derartigen Ausstattung nicht nachvollziehbar, dass ein solch relativ seltenes und nicht unbefangen zu interpretierendes Teil von einem Waffenhändler ohne ausdrückliche Bestellung und gleichsam im Sinne einer aufgedrängten Bereicherung mitgeliefert worden sein soll. Diese Erwägung gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass der Waffenlieferant von Schultz, Länger, der überhaupt in der Lage war, kurzfristig eine seltene Schalldämpferpistole zu liefern, sicher auch in der Lage gewesen wäre, eine Pistole ohne Schalldämpfer zu besorgen.

Mit diesen für die Bestellung sprechenden plausiblen Erwägungen korrespondiert nun auch die Bekundung des Zeugen Schultz im Ermittlungsverfahren, über die der Zeuge Tassilo Ba. [siehe 95. Verhandlungstag]hier in der Hauptverhandlung berichtet hat. Danach hat Schultz in seiner Vernehmung vom 9.2.2012 angesichts des Vorstehenden ohne weiteres glaubhaft sofort eingeräumt, dass es seitens des Angeklagten Schultze von vornherein und immer und ausdrücklich um die Bestellung einer Pistole mit Schalldämpfer gegangen sei. Und exakt der soeben aufgeführte Schluss, dass ein Waffenhändler nicht eine teure und exklusive Schaldämpferpistole liefere, wenn diese nicht ausdrücklich bestellt ist, spiegelt sich in der Vernehmung aus 2012 wieder. Der Zeuge Schultz sagte, es sei definitiv so gewesen, dass ein Schalldämpfer bestellt worden sei. Schließlich liefere er doch nicht mehr, als er liefern müsse.

Des Zeugen Schultz‘ Gesamtaussage ist zunächst auch zu diesem Punkt von inhaltlichen Brüchen gekennzeichnet. Hatte Schultz am 25.01.2012 noch behauptet, zwar von Wohlleben und einem unbekannten Begleiter auf eine scharfe Pistole angesprochen worden zu sein, eine solche aber nie verkauft zu haben, erklärte er im späteren Verlauf der Vernehmung, dass dies doch der Fall gewesen sei. Einen Schalldämpfer erwähnte er dabei nicht. Am 09.02.2012 erklärte er zunächst, es sei definitiv an den Haaren herbeigezogen, wenn man ihm vorhalte, er habe noch etwas mehr als die Pistole nebst Munition geliefert. Dann machte er auf Vorhalt, er habe doch auch einen Schalldämpfer beschafft, geltend, dieses nach elf Jahren nicht mehr zu wissen, dann wollte er die Mitlieferung eines Schalldämpfers nicht mehr ausschließen und dann erst legte er sich fest. Nach seiner nunmehr sicheren Erinnerung sei es definitiv so gewesen, dass ein Schalldämpfer dabei gewesen sei.

Auf den bereits angesprochen und für sich gewürdigten Aussageteil zum Lieferanten, den Wechsel von Boban zu Länger, nehme ich der Vollständigkeit halber noch einmal Bezug. Die skizzierte Wechselhaftigkeit des Zeugen Schultz lässt hinsichtlich der Festlegung am Ende aber keinen Raum für Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, zumal angesichts der weitestgehenden Bestätigung seiner Angaben durch andere Auskunftsperson und ihrer Nachvollziehbarkeit und Plausibilität. Denn allein aus der Tatsache, dass ein Zeuge etwa aus Sorge vor Strafverfolgung oder außerstrafrechtlichen Folgen nicht von sich aus proaktiv und umfassend aussagt, kann nichts Nachteiliges hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der nach Vorhaltungen abgegebenen Bekundungen geschlossen werden. Die Genese des insgesamt sehr authentischen Aussageverhaltens des Zeugen Schultz lässt vielmehr erkennen, dass der Zeuge nach jeweiliger Überwindung der kontextbezogenen Aussagehemmung zu eben diesen Teilkomplexen auf Vorhalte hin, dann aber umfassend, sicher und nachvollziehbar bekundet hat. Genau die durch die Vernehmungsbeamten vermittelte Wortwahl und die Emotionalität des Zeugen sind Ausdruck eines im Kern unverfälschten authentischen Aussageverhaltens des Zeugen.

Die letztlich inhaltliche Unverfälschtheit der Bekundungen des Zeugen Schultz gibt seiner Gesamtaussage auch das maßgebliche Gepräge. Diese Gesamtaussage zeichnet in ihrem Verlauf das Bild eines Zeugen, der, wie die Zeugen Ba. und […] schilderten, ersichtlich aus Sorge vor Verstrickung in Besitzkette der Tatwaffe Ceska und daraus potentiell folgenden persönlichen beruflichen Unannehmlichkeiten – so hoffte er, zum Vernehmungszeitpunkt einer arbeitsamtsgeförderten Festanstellung als Hausmeister zu erhalten – zunächst das Heil in Falschangaben gesucht hat, dann aber auf Vorhalte von Risiken eines solchen Aussageverhalten oder auf Vorhalte entgegenstehender Erkenntnisse und nach erneutem Abwägungsprozess immer wieder und ersichtlich gegen seine eigentliche von persönlichen Interessen getragene Motivationslage spontan und voller Emotionalität zur Wahrheit findet und diese dann auch rückhaltlos auf Basis seiner Erinnerungen schildert.

Nachdem der Zeuge also zunächst angegeben hatte, zwar vom Angeklagten Wohlleben auf eine Waffe angesprochen worden zu sein, diesen aber letztlich mit Hinweis auf andere Beschaffungsmöglichkeiten abgewiesen zu haben, erhielt er in der Vernehmung den Hinweis, dass seine mögliche Verstrickung in Beschaffung einer Pistole auch durch zukünftige Aussagen des Angeklagten Wohlleben bekannt werden könnten, und für den Fall, dass er dem Angeklagten Wohlleben eine Pistole beschafft habe, es dann besser wäre, wenn sich der Zeuge selber dazu erklären würde. Nach einiger Bedenkzeit und nach der Nachfrage, ob es angesichts dessen bei seiner Aussage bleibe rief der Zeuge Schultze plötzlich aus: „Ich habe dem die Scheißknarre besorgt“. Allein schon die Bezeichnung als „Scheißknarre“ belegt die Emotionalität, mit der das verbunden war. Gerade bei der Schilderung von Positivsachverhalten belegt aber eine hohe Emotionalität die Erlebnisverknüpfung der Angaben und spricht gegen eine kalkulierte, von Zweckmäßigkeitserwägungen geleitete Aussage. Für die Bereitschaft des Zeugen Schultz, nach Überwinden einer Aussagehemmung dann auch zutreffend auszugehen spricht zudem, dass Schultz von sich aus die Wahllichtbildvorlage verlangte, und sodann, wie wir heute wissen, wahrheitsgemäß den Angeklagten Schultze als denjenigen identifizierte, mit dem er das Waffengeschäft abgewickelt hat. Es spricht im Übrigen für die geistige Präsenz der damaligen Ereignisse – unsteter Lebenswandel hin oder her –, dass der Zeuge Schultz nach Ablauf von fast 12 Jahren ohne weiteres in der Lage war, den Angeklagten Schultze als den Ankäufer der Waffe zu identifizieren.

Ähnlich gestaltete sich die Situationen, als sich der Zeug Schultz entschloss, Angaben zum Schalldämpfer zu machen. Zunächst hatte der Zeuge in der Vernehmung drei offene unkonkrete Fragen um Waffen und Zubehör vorbeistreifen lassen, ohne den Schalldämpfer zu erwähnen. Dem ersten allgemeinen Vorhalt, nach Einlassung des Angeklagten Schultze sei etwas mehr als Pistole und Munition beschafft worden, quittierte der Zeuge noch mit der Bemerkung, dies sei an den Haaren herbeigezogen. Auf konkrete Frage, ob ein Schalldämpfer dabei gewesen sei, sagte er, das nicht mehr konkret zu wissen, es sei elf Jahre her. Und auf die Ermahnung, dass es vor weiteren Festlegungen besser wäre, noch einmal genau zu überlegen, wie viele Waffen und mit welchem Zubehör dabei gewesen seien, wollte er nicht mehr ausschließen, dass doch ein Schalldämpfer dabei gewesen sein könnte. Auf Vorhalt, es sei unglaubhaft, dass er bei dem einzigen Waffengeschäft seines Lebens nicht mehr wisse, ob ein Schalldämpfer dabei gewesen sei, vollzog der Zeuge die Kehrtwende und erklärte, dass er sich doch erinnere und ergänzte dann den Sachverhalt freimütig, ohne weitere Frage und ohne weiteren Vorhalt, dass es definitiv so gewesen sei, dass, so wörtlich, „die einen Schalldämpfer bestellt haben“ – da war nicht nur von Lieferung die Rede – und er doch nicht mehr liefere, als er liefern müsse.

Auch hier zeigt sich erneut, dass der Zeuge zunächst eine aus seiner Sicht nachvollziehbare Rückzugsposition eingenommen hatte, die ersichtlich dem Wunsch entsprach, das von ihm ungeachtet der Strafbarkeitsverjährung als problematisch empfundene eigene Verhalten zu verbergen. Es offenbart, dass auch dem Zeugen Schultz klar war, dass die Lieferung einer Schalldämpferpistole im Hinblick auf die potentielle Nutzung eine besondere Unwertqualität zukommt. Nachdem der Zeuge aber erstens durch den noch nicht konkretisierten Vorhalt der Aussage des Angeklagten Schultze, zweitens den Appell an die Wahrheitspflicht und drittens den Hinweis auf die Fragwürdigkeit einer Erinnerungslücke bewusst geworden war, dass seine Rückfallposition nicht haltbar sein dürfte, entschloss er sich erneut zur Flucht nach vorne. Zur Frage der Durchführung des Waffengeschäfts mit Carsten Schultze, der Lieferung des Schalldämpfers und des wahren Lieferanten – zu allen drei Themenkomplexen hat er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme letztlich die Wahrheit gesagt, und es bestehen keine Zweifel daran, dass er auch zur Frage der initialen Bestellung eines Schalldämpfers die Wahrheit gesagt hat.

Dies ergibt sich zunächst aus der hohen Authentizität und Plausibilität der Bekundungen, wonach er die in der die Bestellung des Schalldämpfers von sich aus als definitiv bezeichnete und gleichzeitig auch kaufmännisch plausible Erklärung gab, er liefere nicht mehr als er liefern müsse. Von ganz wesentlicher Bedeutung bei Würdigung der Aussage ist auch, dass der Zeuge nicht die Annahme entwickeln konnte, die Vernehmungsbeamten erwarteten eine ganz bestimmte Aussage zum Sachverhalt, die von Carsten Schultze in Abrede gestellt war. Ihm wurde die Wichtigkeit dieser Frage vor Augen geführt, er wurde dringend und ausdrücklich zur Wahrheit ermahnt. Damit machten ihm die Vernehmungsbeamte klar, dass sie auch eine belastende Aussage nicht unkritisch entgegennehmen würden. Vielmehr ist dem Zeugen Schultz offensichtlich allein dadurch die Möglichkeit gegeben worden, die Aussage zum Schalldämpfer noch zu überdenken. Entscheidend ist, dass ihm dann auch noch der Inhalt der Einlassung des Angeklagten Schultze, quasi aufgezwungene Mitlieferung eines Schalldämpfers ohne Auftrag, ausdrücklich als doch milderer alternativer Sachverhalt angeboten worden ist. Für die Erinnerungsehrlichkeit des Zeugen Schultz spricht, dass er bereits, so die Beamten, im Moment des Vorhalts mit dem Kopf geschüttelt hat, er also erstens keines weiteren Nachdenkens bedurfte, weil er sich in seiner Erinnerung sicher war, und zweitens zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung getroffen hatte, keine möglicherweise günstigere Rückfallposition einnehmen zu wollen. Auf diesen Alternativsachverhalt [angesprochen]erklärte er unmissverständliche, dass es immer um eine Pistole mit Schalldämpfer gegangen sei und er dem Angeklagten Schultze gesagt habe, dass er das mit dem Schalldämpfer nicht versprechen könne, letztlich habe es aber geklappt. Weingarten: „Herr Vorsitzender, ich muss feststellen, dass die Ausführungen zum Zeugen Schultze doch noch breiteren Raum einnehmen werden als zunächst angenommen. Wie wollen Sie vorgehen?“ Götzl: Wir unterbrechen und setzen morgen um 9:30 Uhr fort. Der Prozesstag endet um 16:00 Uhr.

Die Einschätzung des Blogs NSU-Nebenklage.

Für die Protokolle der Plädoyers der Bundesanwaltschaft nutzen wir neben unseren Mitschriften die bereits auf nsu-nebenklage.de veröffentlichten Protokolle und überarbeiten diese.