Den Betroffenen zuhören – Kein Raum für die Selbstinszenierung des Täters! – NSU-Watch beobachtet den Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle. Statement vom 20. Juli 2020

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Am 22. Juli gedenken wir der 77 Toten des Attentats von Oslo und Utøya 2011 und der neun beim OEZ-Attentat in München 2016 Ermordeten. Einen Tag zuvor, am 21. Juli, beginnt der Prozess gegen den Attentäter von Halle, der in der Tradition dieser rechtsterroristischen Anschläge steht. Am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, versuchte er in die Synagoge in Halle an der Saale einzudringen, um alle dort Anwesenden zu töten. Er scheiterte an der Tür der Synagoge und fuhr daher weiter zum nahegelegenen „Kiez-Döner“, um dort Menschen zu ermorden. Vor der Synagoge erschoss er Jana L., im Imbiss Kevin S. Auf seiner Flucht vor der Polizei verletzte der Attentäter zahlreiche Menschen. Er filmte seine Tat, um andere zu inspirieren, so wie er wohl von den Taten von Oslo, München und Christchurch angespornt wurde.

NSU-Watch: „Den Attentäter von Halle als Einzeltäter zu bezeichnen, ist falsch. Seine Tat entstand nicht im isolierten Zimmer, sondern eingebettet in ein weltweites rechtes Netzwerk. Die Taten und ihre Manifeste beziehen sich aufeinander und sprechen eine gemeinsame Sprache: Überall finden sich ähnliche ideologische Versatzstücke wie die rassistisch-antisemitische und auch antifeministische Erzählung vom ‚Großen Austausch‘.“ Viele dieser Nachahmer spornen sich gegenseitig in Online-Foren oder Chatgruppen an, um neue „Highscores“ zu erzielen, also möglichst viele Menschen zu ermorden. Sie handeln häufig allein, stehen aber weltweit mit anderen im Kontakt, mit denen sie sich über rechte Terrorkonzepte, Anleitungen zum Waffenbau oder zum Vorgehen austauschen. Wenn sie zur Tat schreiten, geben sie diesen Online-Communities ihre Videos und Manifeste zur weiteren, beschleunigten Eskalation zurück. Sie berauschen sich aber auch an der weltweiten autoritären und rassistischen Mobilisierung.

NSU-Watch: „Lehren aus dem NSU-Komplex müssten sein, die Betroffenen ernst zu nehmen, die Gefahr rechter Gewalt nicht zu unterschätzen und für eine breite Aufklärung rechtsterroristischer Attentate zu sorgen, um neue Morde zu verhindern. Aus dem NSU-Prozess haben wir allerdings gelernt, dass diese Aufgabe Gerichte nicht allein erfüllen werden. Wir werden daher solidarisch an der Seite der Nebenklage um Aufklärung kämpfen.“ Die Hinterbliebenen der Ermordeten und den Überlebenden dürfen nicht wie im NSU-Prozess durch das Gericht und die Berichterstattung in den Hintergrund gerückt und unsichtbar gemacht werden.

Gleichzeitig muss die Selbstinszenierung des Attentäters, die sich schon in seinem Video der Tat zeigte, durchbrochen werden. Die Berichterstattung spielt bei den Wirkungsweisen aktueller rechtsterroristischer Phänomene eine große Rolle. Im Internet radikalisieren sich Täter wie der Attentäter von Halle oder von Bærum (Norwegen) nicht nur, hier treten sie auch in einen Vergleich mit anderen Attentätern, denen sie nachstreben. NSU-Watch: „Eine unkritische Berichterstattung, die diesen Phantasien der gewalttätigen Männer Raum gibt, auch ihre Videos weiter verbreitet, trägt daher zum Erfolg der Taten bei. Zusätzlich normalisiert jegliche Berichterstattung, die extrem rechten Akteur*innen eine Bühne bietet, deren Positionen.“

NSU-Watch beobachtet den Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle: „Wir lernen immer wieder, dass wir uns, entgegen aller Versprechen, auf staatliche Institutionen nicht verlassen können, wenn es um die Aufklärung und Verhinderung von rechtem Terror geht. Daher werden wir den Prozess in Magdeburg kritisch begleiten, rufen zu antifaschistischer Aufklärungsarbeit auf und werden diese vorantreiben.“

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Per Telefon: 0177 363144