Das Verfahren gegen Stephan Ernst wegen Mordes, versuchten Mordes und Verstößen gegen das Waffengesetz sowie gegen Markus Hartmann wegen Beihilfe zum Mord wurde eröffnet. Der Vormittag war geprägt von Anträgen der Verteidigungen, am Nachmittag wurde die Anklage verlesen. Abschließend wendeten sich der Richter mit persönlichen Worten an die Angeklagten.
Der Prozess gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt wurde vom vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel eröffnet. Neben den Angeklagten samt ihrer Verteidigung waren die beiden Nebenklageparteien anwesend: Familie Lübcke, bestehend aus den beiden Söhnen und seiner Witwe, plus ihr Anwalt Prof. Dr. Holger Matt sowie der Überlebende des rassistischen Angriffs, Ahmed I., der von RA Hoffmann und einer Dolmetscherin begleitet wird. Weitere Verfahrensbeteiligte sind zwei Vertreter der Generalbundesstaatsanwaltschaft, Dieter Killmer und Herr Otto, sowie der Gutachter Prof. Dr. Leygraf. Der Hauptangeklagte Stephan Ernst sitzt zwischen seinen Verteidigern, Mustafa Kaplan und Frank Hannig; in der Reihe vor ihm der Mitangeklagte Markus Hartmann mit seiner Verteidigung Nicole Schneiders und Björn Clemens.
Gleich zu Beginn meldeten die Verteidigungen an, Anträge stellen zu wollen. RA Kaplan stellte als erster einen Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter sowie Anträge zum Ausschluss der Verteidigung Hartmanns und zur Aussetzung der Hauptverhandlung. Er argumentierte, der Richter habe Clemens und Schneiders als Verteidigung zugelassen, obwohl er von einem Interessenskonflikt von RA Schneiders Kenntnis gehabt habe. Dieser ergebe sich daraus, dass Schneiders Ernsts ersten Rechtsanwalt Waldschmidt bei einer Vernehmung aufgrund einer Anzeige wegen Strafvereitelung als Beistand vertreten habe. Es bestünde zudem die Gefahr der Informationsweitergabe, weswegen die Verteidiger abzulehnen seien. Außerdem beklagte Kaplan, dass das Aktenvolumen zu hoch, die Bestellung eines dritten Verteidigers jedoch abgelehnt worden sei.
Im Anschluss stellte Kaplans Kollege RA Hannig einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aus Infektionsschutzgründen. Durch die Beschränkungen im Saal sei zudem keine ausreichende Öffentlichkeit gegeben. Weiterhin begründete er seinen Aussetzungsantrag damit, dass aus Presseveröffentlichungen neue Erkenntnisse zum Mord bekannt geworden waren, die erst noch ausermittelt werden müssten. Er beschwerte sich zudem darüber, das Gericht habe ihm keine Unterstützung beim Aktenblättern während der Verhandlung gewährt.
Nach einer Pause meldete sich die Verteidigung Hartmanns zu Wort: Auch RA Schneiders stellte einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung für mindestens drei Wochen, da sie mehr Zeit für die Sichtung der Akten benötige. Zudem habe das Gericht formale Fehler bei ihrer Beiordnung gemacht. Schneiders beantragt außerdem den Prozess aufgrund seiner Besonderheit durch die Corona-Schutzmaßnahmen in Bild und Ton zu dokumentieren.
Ihr Verteidiger-Kollege Clemens beantragte nicht nur das Verfahren auszusetzen und die Anklage nicht zu verlesen. Er forderte, das ganze Verfahren einzustellen und seinen Mandanten zu entschädigen. Clemens begründete dies mit suggestiven Ermittlungen sowie einer Vorverurteilung in der Presse. Diese sei auch dadurch entstanden, da sensible Dokumente öffentlich zugänglich auf eine juristische Datenbank hochgeladen worden seien. Außerdem habe die Generalbundesstaatsanwaltschaft die Anklage zusammen mit einer Presseerklärung raus gegeben ohne die Verteidigung vorab zu informieren. So hätte es zu wenig Zeit gegeben, sich auf Presseanfragen vorzubereiten.
Die Anträge wurden durch die Bundesanwaltschaft allesamt abgelehnt. Die Nebenklage äußerte sich zu den Anträgen folgendermaßen: RA Hoffmann nannte es wünschenswert, mehr Öffentlichkeit im Prozess zu haben. Er befürwortete auch eine Protokollierung des Prozesses. Alle anderen Anträge seien unbegründet. Der Auftritt der Verteidigungen habe gezeigt, dass diese gegeneinander arbeiteten. Der Verteidiger der Familie Lübcke, RA Matt, merkte an, es sei für die Nebenklage nur schwer erträglich, dass der Prozessauftakt von den Anträgen der Verteidigungen, die er allesamt ablehne, bestimmt sei.
Nach der Mittagspause wurde durch Oberstaatsanwalt Killmer die Anklage verlesen: Stephan Ernst wird angeklagt, Walter Lübcke aus niederen Beweggründen getötet und gegen das Waffenrecht verstoßen zu haben. Weiterhin wird er wegen versuchten Mordes an Ahmed I. angeklagt. Markus Hartmann wird angeklagt, bei der Tötung Beihilfe geleistet und gegen das Waffenrecht verstoßen zu haben. Der Angeklagte Ernst vertrete eine von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung, die sich auch gegen Repräsentant*innen der freiheitlichen und demokratischen Bundesrepublik Deutschland richtete. Beide Angeklagten seien in den 2000ern in der Kassler Kameradschaftsszene aktiv gewesen und hätten sich bei einer Kasseler Firma, wo beide arbeiteten, wieder getroffen. In gemeinsamen Gesprächen hätten sie sich wieder radikalisiert und den Beschluss gefasst, sich zu bewaffnen. Sie hätten gemeinsame Schießtrainings absolviert – sowohl legal in Schützenvereinen als auch illegal im Wald. Gemeinsam besuchten sie politische Veranstaltungen. Hartmann habe Ernst seine erste Waffe, eine Schrotflinte, verkauft. Über Hartmann habe Ernst den Kontakt zu Elmar J. bekommen, der ihm Schusswaffen verkauft habe. Gemeinsam haben sie die Veranstaltung zur Eröffnung einer Geflüchtetenunterkunft in Lohfelden besucht, bei der Walter Lübcke aufgetreten war. Von diesem Auftritt fertigten sie ein Video an, das Hartmann anschließend auf YouTube hochgeladen hatte. Ernst habe seit diesem Auftritt seinen Hass auf den Politiker projiziert und den Plan gefasst, ihm etwas anzutun. Er habe das Wohnumfeld des Politikers über Jahre hinweg ausgespäht, um ihn dann am 01.06.2019 zu ermorden. Ernst habe weiterhin am 06.01.2016 Ahmed I., der zu dem Zeitpunkt in der Geflüchtetenunterkunft in Lohfelden lebte, mit einem Messer hinterrücks von einem Fahrrad aus attackiert und schwer verletzt. Der Geschädigte hatte vernommen, dass der Angreifer zuvor eine Parole rief, die das Wort „Deutschland“ enthalten habe. Ernst habe durch die Tat seinen Hass auf Geflüchtete ausgelebt und durch die rein willkürliche Auswahl des Opfers darauf abgezielt, Angst unter den in Deutschland Schutz suchenden Menschen zu verbreiten.
Der Prozesstag endete damit, dass sich der vorsitzende Richter an die beiden Angeklagten wandte und ihnen nahelegte, ein reuevolles Geständnis abzulegen.
Der Bericht bei NSU-Watch Hessen