30. Prozesstag, 16. November 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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An diesem Prozesstag wurde Frau Braun-Lübcke, Witwe von Walter Lübcke und Nebenklägerin im Prozess, als Zeugin vernommen. Außerdem war ein Gutachter geladen, der Netzwerkforensiker vom hessischen LKA ist und den PC von Markus Hartmann ausgewertet hatte. Auch ein Zeuge vom Ordnungsamt Kassel war geladen, der zuständig ist für die Genehmigungen des Plakatierens von Wahlwerbung, sowie ein Kriminalbeamter vom LKA als Sachverständiger für Schusswaffen. Darüber hinaus bot der Senat Stephan Ernst an, die Strafverfolgung in Bezug auf seine Waffendelikte einzustellen, da sie „nicht so sehr ins Gewicht fallen“ würden, vorausgesetzt er verzichte auf die Herausgabe aller beschlagnahmten Waffen.

Zu Beginn des 30. Prozesstages gab es einen Antrag vom Anwalt der Nebenklage Lübcke, Prof. Dr. Matt. Im Antrag gab Matt an, dass Frank Hannig, der vorherige Verteidiger von Stephan Ernst, eine E-Mail an den Sprecher der Familie Lübcke, Dirk Metz, geschrieben habe. In dieser E-Mail gebe Hannig an, die Haftentlassung von Hartmann sei eine „Fehlentscheidung des Gerichts“ und er wolle „informell“ sprechen. Matt forderte dann, die Handakten (z.B. Notizen) von Hannig beschlagnahmen zu lassen, und die Teile daraus, die von der Schweigepflichtentbindung Ernsts betroffen sind, in den Prozess einzuführen. Er betonte, dass die Familie Lübcke für die vollständige Aufklärung des Mordes kämpfe. Er gehe davon aus, dass sich aus den Handakten die Gespräche von Ernst mit seinem damaligen Verteidiger rekonstruieren ließen – und dass sich darin keine Angaben von Ernst zum Mord an Walter Lübcke ohne die Tatbeteiligung von Markus Hartmann finden ließen. OStA Killmer unterstützte den Antrag. Die Verteidigung Ernst schloss sich ebenfalls dem Antrag an und erweiterte diesen, indem auch die Beschlagnahmung des Handys und IPads von RA Hannig miteinbezogen wurde. Dies wurde damit begründet, dass in der JVA Gespräche mit Ernst aufgezeichnet worden seien. RA Kaplan, Verteidigung von Ernst, forderte außerdem, Daniel Zabel als Zeugen zu laden. Dieser ist Beisitzer im Landesvorstand der AfD Sachsen und ist für Hannig tätig. Er gab an, dass dieser für Hannig zum Haus der Familie Lübcke gefahren sei, um „sich ein Bild zu machen“. Zabel soll über die Gespräche zwischen Ernst und Hannig informiert gewesen sein.

Auch an diesem Prozesstag versuchte die Verteidigung Ernst die Aussage des Sachverständigen Schneider zu diskreditieren. Dieser sagte aus, dass für die DNA-Spur, die am Messer von Ernst gefunden wurde, der Nebenkläger Ahmed I. als „Spurenverursacher“ nicht ausgeschlossen werden kann, vielmehr würden alle gefundenen Merkmal auf ihn passen.

Im Folgenden wurde Frau Braun-Lübcke in den Zeug*innenstand gerufen. Richter Sagebiel bat sie „nur ganz kurz“ Angaben zum Tattag und dem Tag davor zu machen, da sie ja über die Tat „nicht viel sagen kann“. Sie berichtete vom Vorabend des Mordes und vom Abend, an dem ihr Mann ermordet wurde. Es war der erste Abend, an dem ihr Enkel bei ihnen übernachtete, so dass sie früh ins Bett gegangen sei. Auch erzählte Frau Braun-Lübcke, wie sie, nachdem alle geglaubt hatten, Walter Lübcke sei an einem Herzinfarkt gestorben, erst nach kritischem Nachfragen erfahren hatten, dass er erschossen worden war. Auch zu seinen Reaktionen zu den Angriffen nach der Bürger*innenversammlung in Lohfelden wurde sie befragt. Sie gab an, dass sie ihren Mann selten verzweifelt gesehen hätte, dass er aber nach dieser Veranstaltung unglücklich darüber gewesen sei, dass nur ein Teil seiner Äußerung ins Netz gestellt worden war. Er sei in Sorge um seine Familie gewesen. Frau Braun-Lübcke beschrieb die schwierige Situation im Prozess. Es sei schrecklich, dass Ernst nicht umfassend aussage und dass der Mitangeklagte Hartmann sich nicht „eine Sekunde äußert“, sondern grinsend im Gericht sitze. Sie forderte Ernst dazu auf, die ganze Wahrheit zu sagen, nur das könne jetzt helfen.

Der nächste Zeuge war ein Netzwerkforensiker vom LKA, der den PC von Hartmann untersucht hatte. Er beschrieb, dass er herausgefunden habe, dass der komplette PC zwischen August und November 2018 neu formatiert worden sei, sie aber dennoch die damals gelöschten Dateien wiederherstellen konnten. Seiner Angabe nach waren das über 50.000 Dateien. Auch konnte festgestellt werden, dass der PC am 1. Juni 2019 um 19.45 Uhr eingeschaltet worden sei und es eine aktive Sitzung bis 22.03 Uhr gegeben habe, in der auf tagesschau.de und Youtube zugegriffen worden sei.

Beim nächsten Zeugen ging es darum festzustellen, ob am 6. Januar 2016 in Kassel bereits Wahlplakate hängen durften. Dies sollte prüfen, ob die Angaben, die Ernst bei der Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft nach dem Mord an Walter Lübcke gemacht hatte und die zum versuchten Mordanschlag auf Ahmed I. passten, richtig waren. Er erzählte damals, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, dass er u.a. Wahlplakate weggetreten hätte. Es wurde mit Hilfe des Zeugens festgestellt, dass die Erlaubnis, Wahlplakate in Kassel aufzuhängen am 6. Januar 2016 bereits an die Parteien erteilt worden war.

Nach der Mittagspause stimmte Ernst der angebotenen Einstellung der Strafverfolgung wegen der ihm vorgworfenen Waffendelikte zu.

Der letzte Zeuge dieses Prozesstages war ein Kriminalbeamter vom hessischen LKA, der das Gutachten zu den aufgefundenen Schusswaffen erstellt hatte. Der Beamte hatte ein Asservat mitgebracht: ein unbrauchbar gemachtes Maschinengewehr Madsen Modell 50, das sich im Besitz von Hartmann befunden hatte. Über diese Waffe wurde dann im Gerichtssaal detailliert gesprochen. Insbesondere hatte sich Hartmann intensiv und persönlich am Gespräch über diese Schusswaffe und ihre Unbrauchbarmachung beteiligt. Es wurde nämlich vom Beamten festgestellt, dass die Schusswaffe nicht ausreichend unbrauchbar gemacht wurde und relativ einfach wieder brauchbar gemacht werden könnte, was Hartmann im Gerichtssaal persönlich hinterfragte. Danach machte der Sachverständige Angaben zu der im Waffendepot gefundenen Waffen und Munition von Ernst. Diese seien alle funktionsfähig, teilweise seien sie selbst gebaut oder verändert worden.

Der Prozesstag bei NSU-Watch Hessen