35. Prozesstag, 3. Dezember 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Ernst gab erneut eine von ihm verlesene Stellungnahme ab und bekräftigte auf Nachfrage der Nebenklage Braun-Lübcke nochmals, dass Hartmann direkt tatbeteiligt gewesen sein soll.

Der Anwalt der Nebenklage Ahmed I., Hoffmann, stellte den Antrag, alle Daten des USB-Sticks zugänglich zu machen, auf dem von Ernst die Quittung über ein erworbenes Messer Ende Januar 2016 gespeichert war. Möglich sei eine Verschleierung der Tat durch das Aufbewahren spezifischer Quittungen. Auch die Staatsanwaltschaft schloss sich an, indem sie hinterfragen wollte, in welchem Kontext diese Quittung darin gespeichert war und ob beispielsweise noch andere Quittungen dieser Art dort gespeichert wären.

Die Verteidigung Ernst gab eine Erklärung ab, in der sie erneut auf den vermeintlich ungenügenden Beweiswert des DNA-Gutachtens bezüglich der Spur auf dem Messer verwies und die Einschätzung des Gutachters angriff, dass die darauf aufgefundene DNA höchstwahrscheinlich vom Nebenkläger Ahmed I. stammte. Dem widersprach die Nebenklage, indem sie erneut betonte, wie viel Bedeutung der Gutachter dieser Spur zugemessen hatte. Dieser hatte auch bei der zweiten Vernehmung bestätigt, dass er davon ausging, die aufgefundene DNA sei vom Nebenkläger Ahmed I.

Im Anschluss verlas der Senat Stellen aus beschlagnahmten Kopien der Handakten des ehemaligen Ernst-Verteidigers Frank Hannig. Es wurden Stellen verlesen, in denen vermerkt war, dass Ernst von Hartmanns direkter Tatbeteiligung berichtete. Es waren Schriftstücke, die drei verschiedene Tatversionen beinhalteten: Ernst war der Schütze, Hartmann war der Schütze, Ernst schoss „aus Versehen“. Ein darin enthaltener Kommentar des Ex-Verteidigers wurde auch verlesen: „Jetzt soll Hartmann geschossen haben, der verarscht uns“.

Richter Sagebiel verwies darauf, wie heikel diese Beschlagnahmung war. Denn Hannig war nur teilweise von seiner Schweigepflicht entbunden worden, so dass nicht alles verlesen werden konnte.

Im Anschluss verlas Ernst seine Erklärung. Er gab an, inzwischen Teil des hessischen Aussteigerprogramms „IKARus“ (Informations- und Kompetenzzentrums Ausstiegshilfen Rechtsextremismus) zu sein. Als Motivation gab er an, dass es ihm nicht um Vergebung seiner Tat ginge, sondern, um zu lernen, wie „man mit rechtsextremen Ideen umgeht“. Weiter führte er an, die rechte Szene habe ihm Halt und Anerkennung gegeben, und dass er sozial abhängig gewesen sei.

An diesem Prozesstag beantwortete Ernst auch Fragen der Nebenklage, konkret von Frau Braun-Lübcke. Sie bat Ernst, die Nachfragen präzise und eindeutig zu beantworten. Insgesamt kam dabei nichts Neues heraus. Ernst bekräftigte seine bisher erzählte Tatversion. Er bestätigte nochmals auf Nachfrage, dass Walter Lübcke Hartmann ins Gesicht sah, als er schoss.

Frau Braun-Lübcke stellte Fragen nach der Ausspähung rund um ihr Haus, da die Unwissenheit darüber die Familie sehr beschäftige. Ernst erzählte, wie er und Hartmann gemeinsam 2016 nach Istha gefahren wären. Anlass sei die „Silvesternacht in Köln“ gewesen. Im Jahr 2017 wäre er alleine nach Istha gefahren, um herauszufinden, welches Auto Walter Lübcke fahren würde. Er habe gemeinsam mit Hartmann überlegt, eine Kamera auf dem dortigen Spielplatz zu installieren, hätte dann aber eine „Go Pro“-Kamera im Auto installiert und es vor Ort stehen gelassen. 2018 seien sie erneut nach Istha gefahren. Der Anlass wäre gewesen, zu schauen, ob der Ort auch aus dem Wald angefahren werden könnte, ohne durch den Ort fahren zu müssen. An diesem Tag hätten sie Walter Lübcke mit einem Nachbarn zusammen gesehen, als sie den Berg zum Wald hoch gelaufen wären.

Nebenklageanwalt Matt brachte an dieser Stelle den Sohn von Walter Lübcke, Christoph Lübcke ins Spiel, der erzählt hatte, dass er damals zwei fremde Personen gesehen habe. Er fragte Ernst, ob er das gewesen sein könnte, da das neu gebaute Haus von ihm genau da sei, wo Ernst es beschrieben hatte. Daran konnte sich Ernst nicht mehr erinnern. Des Weiteren berichtete er noch von gemeinsamen Schießübungen. So hätten sie erste Schießübungen bereits vor der Bürger*innenversammlung in Lohfelden gemacht. Sie wären sowohl im Verein, als auch im Waldstück hinter dem Rasthof gewesen. Er gab an, dass die Schießkladden nichts darüber aussagen würden, wann jemand Schießtrainings gemacht hätte. Sie seien gemeinsam im Schützenverein Sandershausen schießen gewesen, was dort keiner mitbekommen habe. Auch in Grebenstein habe man die Bücher nicht ordentlich führen müssen. Befragt zur Zeugenaussage seines ehemaligen Verteidigers Dirk Waldschmidt gab Ernst an, dieser habe vor Gericht gelogen. Die Angaben, dass Ernst ihn als Guru angesehen habe, dass er so sein wollte wie Wohlleben, die Angaben über seine Frau und dass er Walter Lübcke als „Volksschädling“ bezeichnet habe, seien alle gelogen.

Auch neue Widersprüche von Ernst wurden an diesem Prozesstag deutlich. So blieb beispielsweise unklar, wann und wie lange Ernst illegalerweise eine Langwaffe, die auf Hartmanns Waffenbesitzkarte eingetragen war, bei sich zu Hause hatte.

Als letzter Zeuge an diesem Prozesstag wurde der Richter des Bundesgerichtshofes, Marc Wenske, vernommen, der Markus Hartmann die Haftbefehlsverkündung im Juli 2019 übergab. Dieser berichtete, dass Hartmann damals zunächst keine Angaben machen wollte. Er wollte RA Clemens als Verteidiger, den er bereits von früher kannte. Nach der Haftbefehlsverkündung fragte er zu den Begründungen: „Nur Beihilfe Mord?“ und dann: „Was ist mit Mitgliedschaft terroristische Vereinigung?“ Wenske empfand das damals als Auffälligkeit und notierte es sich nach Vollstreckung des Haftbefehls. Darüber hinaus habe er den Beschuldigten damals als „abgeklärt und professionell“ erlebt, denn Hartmann habe sich vom vorausgegangenen Hubschrauberflug und den SEK-Beamten nicht beeindrucken lassen. Er wirkte vorbereitet und informiert und berichtete dem Haftrichter von seiner Überprüfung durch den Verfassungsschutz wegen seiner Waffenbesitzkarte. Auch das habe Wenske erstaunt. Hartmann habe weiterhin ausgeführt, dass er in der Rüstungsindustrie tätig und daher sicherheitsüberprüft sei.

Wenske schilderte seinen Eindruck von Hartmann, der von dessen Verteidigern später relativiert wurde. Hartmann habe nach der Festnahme von Ernst mehrere Wochen Zeit gehabt, sich auf seine eigene Festnahme vorzubereiten, da beide eng miteinander zu tun gehabt haben. Außerdem seien drei Personen im Haftbefehl benannt worden. Neben Ernst und Hartmann sei darin auch der Waffenhändler Elmar J. Angeführt. Deshalb liege die Frage nach der terroristischen Vereinigung auf der Hand. Richter Sagebiel entließ den Zeugen und beendete den Prozesstag.

Der Prozesstag bei NSU-Watch Hessen