Bericht von der 56. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag am 28.02.2013
Zeugen:
Norbert Wießner (LfV Thüringen 1993 – 2001)
Reiner Bode [zur Vernehmung Bodes im Thüringer UA] (LfV Thüringen 1993 – )
R.G. (LfV Brandenburg)
Am 28.02.13 befragte der Untersuchungsausschuss des Bundestages drei Zeugen, welche als Beamte des Verfassungsschutzes in der Funktion V-Mann Führer im Bereich Rechtsextremismus tätig waren und bzw. dies noch sind. Befragt wurden die damaligen V-Mann Führer Tino Brandts: Norbert Wießner und Reiner Bode. Die Vernehmung des dritten Zeugen, R.G. vom LfV Brandenburg fand am Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da dieser aktuell noch beim Verfassungsschutz arbeitet.
Die erste Überraschung gab es jedoch noch bevor der erste Zeuge den Saal betrat: An diesem Donnerstag tauchte eine zweite Telefonliste aus der Garage Beate Zschäpes in Jena auf. Diese unterscheidet sich von der ersten Liste, welche dem Ausschuss vorlag und der Öffentlichkeit seit langem bekannt ist, durch insgesamt zehn neue Kontakte. Von der Existenz dieser zweiten Liste wusste das BKA allerdings schon seit dem 6. März 2012. Erst fast ein ganzes Jahr später wurde das Dokument nun auch an den Untersuchungsausschuss übergeben. Der Grünen-Abgeordnete Wieland sprach diesbezüglich von einem „Kommunikationsdesaster“ beim BKA.
In der Befragung der ersten beiden Zeugen ging es allgemein darum einen Einblick zu gewinnen, wie in den 1990er Jahren beim LfV Thüringen V-Leute angeworben und betreut wurden. Dabei wurde deutlich, dass auch schwerste Straftaten nicht gegen eine Anwerbung als Spitzel sprechen, außerdem belegten die Zeugen erneut in welch desaströsem Zustand sich der Thüringer Verfassungsschutz befand.
Der erste Zeuge Norbert Wießner wechselte im Jahr 1993, nach Absprache mit Jörg Nocken [zur Vernehmung Nockens], welchen er bereits aus dem Dienst beim LfV Hessen kannte, nach Thüringen. Dort war er im Bereich „Forschung und Werbung“ tätig. Dies tat er bis 1998 szeneübergreifend, von 1998 bis 2001 ausschließlich für den Bereich Rechtsextremismus. Nach Wießners Aussagen war es vor allem die „Anti-Antifa-Ostthüringen“, welche Mitte der 90er Jahre das Interesse des Verfassungsschutz auf sich zog. Hier wurde man auf Tino Brandt aufmerksam und warb diesen erfolgreich als Spitzel. Als Hauptgrund für die Anwerbung nannte Wießner die „desolate Lage“ bezüglich Informationen über die jährlich stattfindenden Rudolf-Hess-Gedenkmärsche, eine der wichtigsten regelmäßigen Neonazidemonstrationen der neunziger Jahre. Nach Auffassung Wießners, habe sich die Quelle durchaus bewährt, da nur durch die Infos von Brandt die Aufmärsche „gehandelt“ werden konnten.
Entwicklungen in der Kameradschaft Jena nicht mitbekommen
Im Folgenden sah sich Wießner mit Fragen über die Art und Weise des Umgangs des LfV-Thüringen mit seinem V-Mann Brandt konfrontiert. Dieser war wiederholt straffällig und tw. auch verurteilt worden: insgesamt hat es 36 Strafverfahren gegen Brandt gegeben, z.B. schwerer Landfriedensbruch und einen Angriff auf Polizeibeamte in den Jahren 1996 und 1997; und einen Überfall in Gräfentahl im Jahr 1996, bei dem mehrere Neonazis unter Brandts Führung auf einen Punk mit Eisenrohren einschlugen und diesen dabei schwer verletzen. Auch den möglichen Tod des Opfers nahmen sie billigend in Kauf. Ein Umstand den man bei Verfassungsschutz zwar problematisch fand, der jedoch nicht dazu führte sich von Brandt zu trennen. Die Informationen, die Brandt an den Nachrichtendienst in Thüringen gab, wurden sowohl von Wießner als auch vom zweiten Zeuge Bode, als hochwertig beschrieben. Diese führten jedoch nicht dazu, dass man aufschlussreiche Einblicke in die Kameradschaftsszene in Jena gewann. Hier haben die Beamten laut Wießner die „Innenentwicklungen nicht mitbekommen“ und nur das erfahren, was Ralf Wohlleben und André Kapke an die Quelle gaben. Zu anderen Kameradschaften hatte man schlicht gar keinen Zugang, da das angeworbene Personal laut Wießner meist „nach vier Wochen unzuverlässig“ wurde. Anders als bei Brandt, entschied man sich bei Ralf Wohlleben gegen einen Werbungsversuch auf Grund dessen Strafregisters und da dieser vermeintlich schon zu verfestigt in der Szene gewesen war. Bekannt war dem LfV Thüringen zumindest, dass Wohlleben ein eigenes Verbindungshandy für den Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hatte. Dieses wurde jedoch nicht überwacht, statt dessen versuchte man erfolglos an die Sim-Karte bzw. das komplette Gerät zu kommen. Dieses völlig unverständliche Vorgehen kommentierte der CDU-Abgeordnete Binninger dann auch treffend mit den Worten dies sei „crazy“: „Handy klauen statt abhören ist nicht gerade Strafprozessordnung“.
Einen weiteren spannenden Einblick in die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden ließ sich gewinnen, als Wießner gefragt wurde, ob er jemals davon gewusst habe, dass Beate Zschäpe eventuell ebenfalls einmal als V-Frau angeworben werden sollte. Dies verneinte er, gab aber zu bedenken, dass dies aus Ermangelung einer V-Frau-Führerin für enorme Schwierigkeiten gesorgt hätte. Aus „Sicherheitsgründen“ sei es nicht möglich eine V-Frau durch einen Mann zu betreuen. Auf die Nachfrage des CDU-Obmanns Binninger, ob dies eine offizielle Dienstvorschrift sei, konnte er nicht direkt antworten, gab aber an, dass eine Führung durch zwei V-Frau-Führer denkbar sei.
Befragt nach dem Gewaltpotential der Neonaziszene Thüringens in den neunziger Jahren, gab Wießner zu Protokoll, dass es sich beim „NSU“ um „Einzeltäter“ gehandelt habe. Bereits sein ehemaliger Chef Helmut Roewer verharmloste die Nazistrukturen in Thüringen, diese seien größtenteils „Kinder“ gewesen.
Zur Bezahlung von V-Leuten durch den VS berichtete Wießner, dass Brandt für seine Dienste durchschnittlich mit 800 DM pro Monat entlohnt wurde. Zudem hat Brandt eine Sonderprämie bekommen in exakt der Höhe, die seine Anwaltskosten betragen hatten. So findet sich in den Akten des Verfassungsschutzes auch eine Rechnung des bekannten Szeneanwalts Dr. Eisenecker vom 12.1.1998 über 590 DM für eine Rechtsvertretung Brandts vor dem Amtsgericht Rudolstadt. Wießner schloss nicht aus, dass somit Anwaltskosten übernommen wurden, auch wenn das „nicht üblich“ sei.
Undurchschaubar bleibt der Weg, den Informationen innerhalb der Thüringer „Sicherheitsbehörden“ nach Auffliegen des „NSU“ nahmen. Wießner berichtete am Nachmittag des 04.11.2011 vom Leiter der Polizeidirektion Gotha angerufen worden zu sein. Dieser wollte von ihm wissen, ob er Informationen zum Aufenthaltsort Zschäpes habe. Wießner verneinte und gab den Tipp, sich mit Ralf Wohlleben in Verbindung zu setzen. Ungeklärt bleibt, warum die Polizeidirektion Gotha zu einem Zeitpunkt, an dem die zwei Toten in Eisenach noch nicht einmal identifiziert waren, einen pensionierten Verfassungsschützer nach dem Aufenthaltsort der Rechtsterroristin fragt. Offiziell erfuhr der VS vom Tod Böhnhardts und Mundlos‘ erst drei Tage später am 07.11.2011 am Rande eines Symposiums in Erfurt.
Keine Auskünfte konnte Wießner zu dem zweiundzwanzig Fragen umfassenden Schreiben der Staatsanwaltschaft Gera an das LfV Thüringen geben. Auch wisse er nicht, wer von Seiten des LfV bei der Staatsanwaltschaft zur Akteneinsicht war. Von der Existenz der Telefonliste in der Jenaer Garage habe er erst aus den Medien erfahren.
„wenig mit Verfassungsschutz am Kopf“
Als zweiter Zeuge des Tages war V-Mann-Führer Reiner Bode vom LfV Thüringen geladen. Er führte Brandt ab 1994/95 bis 1998 und traf ihn rund einmal in der Woche. Die ideologische Festigung des V-Manns schätzte dieser bedeutend anders ein als sein Kollege: Ließ Wießner auf die Frage des rechtsstaatlichen Verständnis noch verlauten „staatstreu war er [Brandt] nicht gerade“, so kam Bode zu der Einschätzung dieser sei ein „Rechtsextremist durch und durch“. Des weiteren gab er an, während seiner Zeit als V-Mann-Führer Brandts diesen völlig unter Kontrolle gehabt zu haben. Dies beinhaltete nach seinem Verständnis auch diesen „einzubremsen“, da er einem sonst „als V-Mann um die Ohren fliegt“. Bode gab zu, Brandt bei Treffen regelmäßig strafrechtlich relevantes Material abgenommen zu haben. Dadurch schützte er ihn aktiv vor Repression. Vor Hausdurchsuchungen wollte aber auch er den Spitzel nicht gewarnt haben. Auf die Frage nach den Ermittlungsverfahren, welche gegen Brandt zu Zeiten seiner V-Mann-Tätigkeit liefen, gab Bode an von diesen gewusst zu haben. Er war jedoch überzeugt, dass dies „nichts Unübliches“ sei.
Eigene Fehler gestand der Zeuge nicht ein und war stattdessen eher zu Scherzen aufgelegt, so dass der Ausschuss-Vorsitzende Edathy sich bemüßigt sah, ihn an die Ernsthaftigkeit des Verfahrens zu erinnern. Des weiteren berichtete Bode erneut über die katastrophalen Zustände beim Thüringer Verfassungsschutz während seiner Dienstzeit. Hier habe es massive interne Streitigkeiten zwischen dem Verfassungsschutzchef Roewer und dem Leiter des Referats für Rechtsextremismus Schrader gegeben. Letzterer habe „wenig mit Verfassungsschutz am Kopf“ gehabt. Außerdem gab er an, dass „in diesem Haus nicht mehr richtig gearbeitet“ wurde.
Vernehmung des V-Mann-Führers von Carsten Szczepanski findet ohne Öffentlichkeit statt
Die Vernehmung des letzten Zeugen R.G. fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da dieser auch aktuell noch als V-Mann-Führer beim LfV Brandenburg eingesetzt wird. Er war zuständig für den V-Mann Carsten Szczepanski als „Piato“. Dieser hatte sich während seiner Haftzeit in den neunziger Jahren selbst dem Verfassungsschutz als Spitzel angeboten. Grund für die Haftstrafe war ein brutaler Angriff auf einen Asylbewerber aus Nigeria, der dabei fast zu Tode kam. Auch dies störte die Verfassungsschützer_innen, ähnlich wie im Fall Tino Brandt, nicht und so warben sie Carsten Szczepanski noch während seiner Inhaftierung an. Da dieser vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, steht der Verdacht im Raum, dies sei auf Betreiben der Verfassungsschutzbehörde geschehen. Der Obmann der Grünen Wieland drücke es dann auch so aus. Für ihn mache es den Anschein, dass Szczepanski „aus dem Gefängnis heraus geholt worden“ sei. Außerdem musste der Ausschuss dem Verdacht nachgehen, dass der V-Mann noch während seiner Haftstrafe Neonazi-Fanzines vertrieb, ohne dass das LfV-Brandenburg oder dessen V-Mann-Führer dagegen vorgingen. Die Begründung für die vorzeitige Entlassung, Szczepanski habe sich aus der rechtsextremen Szene gelöst, steht im krassen Widerspruch zu seiner Betätigung als Spitzel in eben genau dieser.
Die 56. Sitzung des Untersuchungsausschusses machte erneut deutlich, dass es die Verfassungsschutzbehörden nicht als zu sehr interessiert, ob sie mit ihren Geldern gewalttätige Neo-Nazis finanzieren. Zum Dauerthema im Ausschuss avancierte hingegen die desaströsen Verhältnisse der Thüringer Behörden innerhalb der letzten fünfzehn Jahre. Klare Regeln für den Umgang mit V-Leuten scheint es jedenfalls nicht zu geben. Erneut war keiner der Zeugen bereit sein eigenes Versagen einzugestehen.