Am 27. Oktober war im Prozess gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann als einziger Zeuge ein Kriminalhauptkommissar aus Nordhessen geladen. Dieser hatte einen Bericht (mit Stand vom 26. März 2020) zu den Ermittlungen der Soko Liemecke verfasst, die der Frage nach einem politischen Tatmotiv nachging. Das Gericht nannte außerdem den Zeitplan des weiteren Prozessverlaufs und stellte ein Urteil zum 1. Dezember 2020 in Aussicht, sollte sich an dem vom Gericht angedachten Ablauf nichts mehr ändern.
Der Ermittlungsbericht des Zeugen fasst die Kenntnisse der verschiedenen Ermittler*innen zusammen und befasst sich unter anderem mit der Vita von Dr. Walter Lübcke aber auch mit Ernst und Hartmann, umfasst biografische Erkenntnisse, bei den Angeklagten gefundene Asservate, verworfene Tathypothesen und ähnliches. Allgemein brachte die Befragung des Zeugen wenig neue Erkenntnisse. Sie zeigte jedoch, dass den ermittelnden Beamten tiefergehende Kenntnisse und Analysen über die extreme Rechte fehlten und nicht alle Spuren ausermittelt wurden.
So schilderte der befragte Kriminalhauptkommissar, dass bei den Durchsuchungen bei Ernst und Hartmann antisemitische, ethnopluralistische und NS-verherrlichende Schriften sowie Untergrund- und Terror-Konzepte gefunden worden seien. Auf dem Handy von Ernst sei ein Foto des Tatvideos vom Christchurch-Attentäter gefunden worden und in seinem Wohnhaus eine Bildzeitungs-Ausgabe mit einem Bericht über dieses Attentat.
Wie der Christchurch-Attentäter, spendete auch Ernst an die „Identitäre Bewegung“ (IB). Drei Spenden zwischen 2017 und 2019, zuletzt Anfang 2019 wegen einer Brandstiftung am Auto von IB-Kader Alex „Malenki“ Kleine, konnten Ernst nachgewiesen werden. Mangelnde Kenntnisse der Ermittler*innen über die extreme Rechte wurden sichtbar, als es bei der Befragung des Zeugens um eine Spende an die IB, mit dem Spendengrund „Audimax“ versehen war, ging. Die Ermittler hätten diese nicht ausermitteln können. Dabei liegt es auf der Hand, dass sich die Spende auf die Audimax-Stürmung von IB-Kadern in Wien während eines Theaterstücks handelte. Der Vorfall sorgte damals für große Aufmerksamkeit.
Bei Ernst wurde zudem eine „Für Stephan mit besten Grüßen“ unterschriebene Autogrammkarte des IB-Rappers Komplott alias Patrick Uli Bass gefunden, deren Ursprung nicht bekannt bzw. ermittelt worden ist. Desweiteren wurden Dossiers gefunden, die Ernst Anfang der 2000er über politische Gegner*innen und die jüdische Gemeinde in Kassel anlegte.
Die Befragung des Zeugen drehte sich zwischenzeitlich auch um die Information, dass Ernst 2011 an einer Sonnenwendfeier von Torsten Heise beteiligt war. Woher diese Information kam, wollte der Zeuge mit Blick auf seine Aussagegenehmigung zunächst nicht mitteilen und musste erst vom Gericht und der Bundesanwaltschaft überzeugt werden, dass er sich dazu äußern dürfe. Er gab dann an, dass das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Quelle dieser Information gewesen sei.
Der Zeuge berichtete zudem, dass sich der bekannte nordhessische Neonazi Mike Sawallich nach der Festnahme Ernsts eigenständig bei der Polizei für eine Aussage gemeldet hatte. Zu den „Anti-Antifa“-Tätigkeiten von Ernst sei dieser damals dabei nicht befragt worden, ebenso wenig zu einer möglichen eigenen Involviertheit in diese.