39. Prozesstag, 17. Dezember 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Am 39. Verhandlungstag wurde die Beweisaufnahme des Prozesses geschlossen. Zuvor wurden Zeug*innen zu drei Themenbereichen vernommen. Auf Antrag von Nebenklageanwalt Hoffmann sollte die Frage geklärt werden, ob am 6. Januar 2016 Wahlkampfplakate im Kassler Stadtteil Forstfeld hingen. Auf Antrag der Nebenklage Lübcke wurde der Schmauchspurensachverständige des hessischen LKA befragt. Der Senat wollte eine Angabe von Ernst überprüfen, der gesagt hatte, dass er mit Markus Hartmann zusammen am Abend, an dem sie vermeintlich die Tat gemeinsam geplant hatten, in einer Tankstelle Bier gekauft habe. Weiterhin ließ sich Markus Hartmann zu dem ihm vorgeworfenen Waffendelikt ein. Anschließend lehnte der Senat alle von den Nebenklagevertretern gestellten Anträge ab.

Der Anwalt des Nebenklägers Ahmed I., Alexander Hoffmann, hatte angeregt, verschiedene Personen zu hören, die mit den Wahlkampfplakaten der Kommunalwahl 2016 zu tun hatten. Hintergrund dessen war, dass Stephan Ernst behauptet hatte, am 06.01.2016, dem Abend an dem Ahmed I. niedergestochen wurde, Wahlkampfplakate der SPD und der Grünen im Kassel Stadtteil Forstfeld zerstört zu haben. Nebenklageanwalt Hoffmann hält das für eine falsche Behauptung; Ernst habe stattdessen Ahmed I. angegriffen. Um abzuklären, ob eine Zerstörung von Wahlkampfplakaten in dieser Zeit möglich gewesen wäre, wurden drei Zeug*innen aus Kassel geladen.

Als erster Zeuge des Tages wurde der Geschäftsführer der Firma „DIVA Werbung“ aus Kassel vernommen. Er gab an, dass seine Firma vor allem an den großen Straßen Plakate für die Partei Bündnis90/Die Grünen aufhing. Es seien keine zerstörten Plakate am 06.01.2016 und den nachfolgenden Tagen gemeldet worden. Normalerweise würden zerstörte Plakate innerhalb von einer Woche gemeldet und repariert. Dies würde genau dokumentiert, da das die Grundlage der Abrechnung sei.

Der zweite Zeuge, der geladen wurde, ist Mitglied des Ortsbeirates für die Grünen im Stadtteil Forstfeld. Er hänge die Wahlplakate ergänzend zu denen der Firma „DIVA“ im Quartier auf, so der Zeuge. Allerdings könne es am 06.01.2016 noch keine Zerstörung seiner Plakate gegeben haben, da er seine Plakate erst vier bis sechs Wochen vor der Wahl aufhängen würde. Wenn seine Plakate dann stehen würden, würden sie auch durchgängig zerstört werden.

Bevor die nächste Zeugin hereingebeten wurde, befragte der Senat Stephan Ernst nach seinen Angaben zu dem Abend, an dem er nach seiner Aussage den Mord an Walter Lübcke mit Markus Hartmann geplant haben will. Ernst hatte angegeben, am Abend nach der Jahreshauptversammlung mit Hartmann zusammen gesessen und über die Tatplanung gesprochen zu haben. Beide hätten dafür Bier an einer Tankstelle geholt und seien dann zu einer Bank gefahren, um sich zu unterhalten. Bereits zuvor war dieser Abend Thema gewesen, da Ernst zum Datum unterschiedliche Angaben gemacht hatte; außerdem, ob er das Bier bar oder mit Karte gezahlt habe und an welcher Tankstelle es gekauft wurde. Der Senat hatte nun verschiedene Belege der Kassler Tankstelle in weiteren Ermittlungen besorgen lassen, die zu den Angaben passen könnten und den Kassierer für den Nachmittag geladen. Sie befragten Ernst nach der Art des Bieres, Besonderheit der Flaschen und des Zahlungsvorgangs.

Auch die dritte Zeugin in Sachen Wahlplakate, die Geschäftsführerin der SPD Kassel, konnte eine Zerstörung von Plakaten am 06.01.2016 ausschließen, da die Plakate an den Masten erst am Folgetag aufgehängt und die Ständer erst im Februar aufgestellt worden seien. Ihr sei keine Anzeige zu diesem Zeitpunkt bekannt.

Anschließend lehnte der Senat die ausstehenden Anträge von Nebenklageanwalt Hoffmann ab. In der Begründung für die Ablehnung einer datenforensischen Untersuchung des USB-Sticks von Stephan Ernst, auf der eine Quittung für einen Messerkauf am 30.01.2016 gefunden wurde, ließ der Senat anklingen, dass er das bei Ernst im Keller gefundene Tatmesser mit DNA-Spuren nicht für die Tatwaffe hält. Stattdessen scheint der Senat der These zu folgen, dass dieses Messer erst Ende Januar gekauft wurde. Hoffmann kündigte eine Gegendarstellung an.

Als nächstes wurde auf Antrag der Nebenklage Lübcke der Schmauchspurensachverständige des BKA befragt. Es ging um die Frage, ob der Standort des Schützen näher bestimmt werden kann und ob sich Hinweise auf einen zweiten Täter am Tatort finden ließen. Die Nebenklage ist davon überzeugt, dass Markus Hartmann mit am Tatort gewesen ist, und dass die Erkenntnisse aus Schmauchspuren und des Winkels des Schusskanals darauf hindeuten, dass Walter Lübcke in Richtung von Markus Hartmann geschaut hat, als er erschossen wurde. Der Sachverständige berichtete vom Hergang der Untersuchungen und machte darauf aufmerksam, dass das Sichern von Schmauchspuren an einer groben Putzwand sehr schwierig ist, da sich nur die Erhebungen des Putzes mit einer Folie abziehen lassen und das Abtupfen mit einem Schwamm zu großen Verunreinigungen der Spur führt. Es haben sich in der Probe Bleibestandteile gefunden, die aber auch aus anderen Quellen stammen können. Weiterhin sei unklar, wie viel Schmauch überhaupt seitlich aus dem Revolver ausgetreten sei und gegebenenfalls vom Wind verweht wurde. Nebenklageanwalt Matt präsentierte drei mögliche Positionen des Schützen und wo sich folglich Schmauch habe niederlegen müssen. Er beantragte, sowohl Testschüsse durchzuführen als auch einen asservierten Stuhl von der Terrasse untersuchen zu lassen. Die Verteidigung von Stephan Ernst schloss sich den Anträgen an; beide Anträge wurden vom Senat abgelehnt. Richter Sagebiel machte darauf aufmerksam, dass Walter Lübcke auch nach vorn vom Täter weggeschaut haben könnte, wenn er vom Schuss überrascht wurde. Das würde der Schilderung von Stephan Ernst widersprechen, der angibt, Markus Hartmann sei beim Schuss zugegen gewesen.

In Bezug auf die Aussage von Christoph Lübcke, er habe mit seinem Vater zusammen einen ‚großen dünnen‘ und einen ‚kleineren dicken‘ Mann in Flecktarnjacke gesehen, stand noch die Frage des Größenunterschiedes von Ernst und Hartmann aus. Dafür wurden die Daten der erkennungsdienstlichen Behandlung beider Angeklagten verlesen, nach denen Ernst fünf Zentimeter größer ist als Hartmann.

Im Anschluss wurde der Kassierer der Tankstelle vernommen, in der Erst Bier gekauft haben will. Dieser konnte allerdings keine Angaben machen, da der Vorgang derart alltäglich sei, dass er keine Erinnerung mehr daran hatte.

Nach der Vernehmung des Zeugen ließ sich Markus Hartmann zu dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Waffenrecht ein. Er gab an, die Dekowaffe „Madsen“, die der Sachverständige mit wenig Mühe wieder schießbereit machen konnte, auf einer Messe von einem renommierten Hersteller gekauft zu haben und daher von der ordnungsgemäßen Unbrauchbarmachung ausgegangen sei. Seine anderen Waffen seien sogar in geringerem Maß verändert, so dass für ihn kein Zweifel bestand, die Waffe so besitzen zu dürfen. Der Senat stellte noch einige Nachfragen zu Hartmanns Kenntnissen rund um Schusswaffen und das Waffenrecht sowie zu seinen anderen Dekowaffen.

Anschließend schloss der Senat die Beweisaufnahme für den Prozess.