Der erste Zeuge des Tages, Jürgen Lambrecht, war zwischen 2002 und 2009 Chef des LfV Mecklenburg-Vorpommern. In seine Amtszeit fielen der NSU-Mord an Mehmet Turgut und die Banküberfälle des NSU in Stralsund. Sein Anwalt stellt es als „Überforderung“ dar, ihn nach den VS-Berichten aus seiner Zeit zu fragen. Lambrecht war bereits im November 2020 geladen, erschien damals unvorbereitet, antwortete einsilbig und berief sich auf mangelnde Erinnerung. Heute gibt er sich etwas auskunftswilliger, trägt aber dennoch nichts zur Aufklärung bei. Der zweite Zeuge, „VS 17″ war Quellenführer beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Seine Quelle erzählte ihm 2002 von einer Spende an das Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“. Im „Weissen Wolf“ erschien in der nächsten Ausgabe ein „Gruß an den NSU„. Alle Zeug*innen zum Thema haben bisher ausgesagt, dass die Spende an den „Weissen Wolf“ 2002 ungewöhnlich hoch war. „VS 17″ gibt an, dass er die Meldung weiter gab und danach nicht nochmal damit befasst war. In der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses hatte der Zeuge „VS 12″ ausgesagt, er wertete 2002 die Meldung zur Spende an den „Weissen Wolf“ aus. Er gab an, dass er danach Arbeitsaufträge verteilt habe, um herauszufinden woher die Spende stammte. Der heutige Zeuge, „VS 17″, hätte seine Quelle erneut nach der Spende befragen können, verneint aber, einen Auftrag bekommen zu haben. An wen gingen die Arbeitsaufträge von „VS 12″ und warum gab es keine Ergebnisse? Dazu müsste der VS-Mitarbeiter erneut vom Untersuchungsausschuss befragt werden.
Der erste Zeuge des Tages ist der ehemalige Leiter der Abteilung für Verfassungsschutz im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern von 2002 bis 2009, Jürgen Lambrecht. Er muss bereits zum zweiten mal als Zeuge anreisen, da er bei der Sitzung am 20. November 2020 von den Abgeordneten wegen mangelnder Vorbereitung und Nicht-Beantwortung von Fragen nach Hause geschickt wurde. [siehe der Bericht vom 20. November 2020]. Die Ausschussvorsitzende Ann Christin von Allwörden fragt ihn, wie er sich für die heutige Sitzung vorbereitet habe. Lambrecht antwortet, er habe Akteneinsicht genommen, mit Mitarbeitern des LfV und mit seinem Rechtsanwalt gesprochen. Der Zeuge sagt, dass während seiner Amtszeit der NSU kein Thema im Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gewesen sei. Nach 2009 habe er mit dem Verfassungsschutz nichts mehr zu tun gehabt, er habe außerdem keinerlei Erinnerung mehr an seine Zeit beim Verfassungsschutz.
Von Allwörden fragt, warum Lambrecht zum Verfassungsschutz gegangen sei. Der Zeuge sagt, das sei die Entscheidung des Ministers gewesen. Auf weitere Fragen antwortet er, seine Aufgabe sei gewesen, das Landesverfassungsgesetz in den Bereichen Rechts- und Linksextremismus und Islamismus durchzusetzen. Er verneint, dass es weitere Rotationen vom Innenministerium in den Verfassungsschutz gegeben habe. Der Themenschwerpunkt sei eindeutig Islamismus gewesen. Die Vorsitzende hakt nach, welche Rolle Blood & Honour gespielt habe. Lambrecht antwortet, das habe in den „Bereich Musikveranstaltungen“ mit rein gespielt, das sei ein normales Geschäft gewesen.
Der Abgeordnete Friedriszik (SPD) fragt nach dem Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“. Der Zeuge sagt, das sei eine neonazistische Publikation gewesen, die erst in Brandenburg erschien und dann unter der Postleitzahl von Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern aufgetaucht sei. Herausgeber sei David Petereit gewesen. Friedriszik: „War der Schwerpunkt Islamismus vorher schon gesetzt oder haben sie den aufgebaut?“ Lambrecht sagt, er sei schon da gewesen, er habe ihn weiter ausgebaut. Die Abgeordnete Wippermann, ebenfalls SPD, fragt nach „Highlights“ aus der Amtszeit des Zeugen. Dieser nennt G8 in Heiligendamm und die Verhinderung des Attentats auf den irakischen Ministerpräsidenten in Berlin. In Bezug auf Petereit erinnere er sich an nichts, so der Zeuge auf weitere Nachfrage.
Der Abgeordnete Ritter (Linksfraktion) kommentiert, die Auswahl der Highlights sei spärlich. „Der NSU gehörte nicht dazu?“ Lambrecht entgegnet, der NSU sei in seiner Amtszeit kein Thema gewesen, das gelte auch für die Aktivitäten der Mitglieder. Ritter fragt zur Vorbereitung des Zeugen: „Welche Akten? Welche Mitarbeiter? Was war Inhalt der Gespräche?“ Lambrecht sagt, er habe sich Akten angesehen, die im Zusammenhang mit dem Beweisbeschluss stünden. Die Mitarbeiter hätten ihn bei Fragen unterstützt. Ritter hält dem Zeugen ein Zitat aus der letzten Befragung vor: „Ich habe mit meinem Mitarbeiter öfter zusammengesessen und über den Mord an Mehmet Turgut gesprochen. Wir hatten das Gefühl, da steckt mehr dahinter. Wir hatten irgendeinen Verdacht, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, in welche Richtung der ging. Aber wenn mich nicht alles täuscht, nicht in Richtung Rechtsextremismus.“ Er fragt, wann und wie er erfahren habe, dass es einen Quellenhinweis zu dem Mord gab und warum es die Verbindung zum Rechtsextremismus nicht gegeben habe. Lambrecht antwortet, dass die Quellenmeldung nicht den geringsten Hinweis zum NSU ergeben haben, sondern in Richtung organisierte Kriminalität gegangen sei. Es sei nicht um Rechtsextremismus gegangen. Auf die Frage, welcher Verdacht bzw. welche Vermutung dies gewesen sei, verweist der Zeuge auf einen Quellenhinweis von 2004. Sie seien dem nachgegangen, aber es habe keine Belege gegeben, die den Verdacht bestätigten „und da haben wir uns entschlossen, das Thema der Polizei zu übergeben“. Ritter fragt, ob die Banküberfälle mal Thema gewesen seien. Lambrecht antwortet, die Banküberfälle hätten überhaupt keine Rolle gespielt. Es gebe keine Aktenlage. Der Abgeordnete hakt nach, ob dem Zeugen bekannt sei, dass Raubvorfälle zum Handlungsspektrum von rechtsterroristischen Gruppen gehören. Lambrecht antwortet, Raubüberfälle seien kein Thema gewesen, diese würden in den Zuständigkeitsbereich der Polizei gehören.
Der Abgeordnete Barlen (SPD) fragt, wie die Übergabe der Information an die Polizei verlaufen sei. Der Zeuge antwortet, daran erinnere er sich nicht. Der V-Mann-Führer habe Kontakt mit der Polizei hergestellt. Auf eine allgemeinere Frage von Barlen, wann der Verfassungsschutz die Polizei benachrichtige, sagt der Zeuge, das sei gesetzlich vorgeschrieben, in welchen Fällen sie die Polizei benachrichtigen müssen und wann nicht. Barlen: „Wenn also eine extremistische Gruppe zur Tat schreitet, passiert was?“ Lambrecht: „Wir unterrichten die Polizei, wenn wir der Meinung sind, dass es notwendig ist.“ Barlen fragt, ob er mit der Meldung zur Spende an das Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“ konfrontiert worden sei, weil er ja kurz danach der Leiter geworden sei. Das verneint der Zeuge, er habe am 15. November 2002 seinen Dienst aufgenommen. Seine Mitarbeiter hätten ihn da nicht auf die Meldung hingewiesen.
Die Vorsitzende fragt, ob er Kenntnis darüber habe, wie die rechte Szene Geld akquiriert. Das bejaht Lambrecht, z.B. durch Musikveranstaltungen. Ritter zitiert aus dem Verfassungsschutzbericht von 1995 über die Radikalisierung der rechtsextremen Szene und fragt wieso diese Erkenntnis keine Auswirkung auf die Arbeit gehabt habe. Lambrecht: „Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet.“ Der Zeuge verneint, eine Erinnerung an die Kameradschaft Süd zu haben. Ritter bricht die Befragung ab, diese sei „nicht zielführend.“ Sein Anwalt Butz Peters Rechtsanwalt erwidert, der Zeuge habe sich bestmöglich vorbereitet. Es wäre besser die Themenkomplexe vorher zu benennen, damit er sich besser vorbereiten könnte. Es folgt eine Auseinandersetzung zwischen Ritter, der Vorsitzenden und Butz Peters. Von Allwörden äußert auch Unverständnis für das schwache Erinnerungsvermögen des Zeugen, mit anderen Zeugen habe man nicht solche Probleme gehabt.
Ritter betont noch einmal, dass alle Themen im Untersuchungsauftrag benannt seien. Der Abgeordnete sagt, er halte dem Zeugen zudem fast nur aus den Verfassungsschutzberichten vor und da erwarte er, dass der Zeuge auch was dazu sagen könne.
Friedriszik fragt nach der zeitlichen Einordnung des Quellenhinweises nach dem Mord an Mehmet Turgut. Der Zeuge sagt, die Quellenmeldung sei im April 2004 eingegangen, die Polizei hätten sie im September 2004 benachrichtigt. Auf Frage fügt er hinzu, er habe den Auftrag, den Quellenhinweis an die Polizei weiterzugeben nicht gegeben, das habe der Beschaffungsleiter gemacht.
Die Befragung des zweiten Zeugen des Tages ist für die Öffentlichkeit nur akustisch im Café Niklot zu verfolgen. Der Zeuge wird als „VS 17“ benannt. Er war der V-Mann-Führer der Quelle, die den Hinweis bezüglich der Spende an den „Weissen Wolf“ gegeben hat. Zu seiner Vorbereitung gibt er an, dass er an zwei Terminen Akteneinsicht genommen habe. In seinem Statement sagt er, er sei 1991-2011 Mitarbeiter beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gewesen, er sei im Bereich der Beschaffung eingesetzt gewesen. Er habe nie den Begriff NSU gesehen, gelesen oder gehört. Er sei seit 2011 im Ruhestand und habe seitdem nichts mehr damit zu tun. Er habe bei der Akteneinsicht den Bericht zum „Weissen Wolf“, den er geschrieben habe, gelesen. Er habe den Hinweis am 4. April 2002 aufgenommen habe aber kaum Erinnerung, den Bericht geschrieben zu haben. Es sei ein dreieinhalb-seitiger Bericht. Darin stünde, dass bei der Zeitschrift „Der Weisse Wolf“ eine Spende in Höhe von 2500 Euro mit Brief eingetroffen sein soll. In diesem stünde „macht weiter so“. Der Zeuge sagt, er habe dies an die Abteilung Auswertung weitergeleitet.
Von Allwörden fragt, was er zum „Weissen Wolf“ und zu David Petereit sagen könne. „VS 17“ sagt, er kenne den Namen, er habe das betreffende Heft nicht gelesen, Neustrelitz sei nicht sein Bereich gewesen. Von Allwörden fragt, ob er die Quelle aufgefordert habe, das Heft Nr. 18 mit der Danksagung zu beschaffen. Der Zeuge verneint, das Heft gekannt zu haben. Die Quelle habe ihm ein Heft übergeben, aber er wisse nicht, welche Nummer genau. Die Quelle habe gesagt, da sei eine Spende eingegangen in größerer Nummer. Auf die Frage, ob er wisse, woher die Quelle die Information habe, sagt der Zeuge, „vermutlich vom Hörensagen“. Die Vorsitzende fragt, ob es eine eine verhältnismäßig hohe Summe gewesen sei. „VS 17“ sagt, Spendensammlungen gehören zur gängigen Praxis in der Szene bei Konzerten. Er habe das gar nicht so groß einschätzen können. Von Allwörden fragt weiter, ob er sich von Quellen Hefte habe beschaffen lassen. Der Zeuge bejaht, das habe er manchmal, aber solche Quellen seien nicht immer zuverlässig, „das war auch manchmal Zufall, was man da bekommen hat“. Die Vorsitzende fragt nach Spenden in der Szene. „VS 17“ antwortet, diese seien auf „irgendwelchen Konzerten“ gesammelt worden, da habe es geheißen, „wir sammeln für Kameraden“. Auf eine weitere Fragen sagt der Zeuge, sie hätten versucht rauszubekommen, woher Gelder kommen. Es habe mal eine Begebenheit gegeben, da habe es ein Lesertreffen außerhalb des Bundeslandes gegeben. Da seien auch Leute aus Belgien und den Niederlanden mit teuren Autos gewesen. Die Quelle sei beeindruckt gewesen und dort sei auch gespendet worden, „sicherlich mehr als 2500 Euro“. Von Allwörden fragt, warum der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern nicht alle Ausgaben des „Weissen Wolfes“ vorliegen hatte. „VS 17“ antwortet, er sei nur in der Beschaffung gewesen, das sei eine Frage an die Auswertung. Auf Frage sagt er, er denke schon, dass er mal eine Ausgabe des „Weissen Wolfs“ gesehen habe, er wisse es aber nicht ganz genau.
Der Zeuge verneint die Frage des Abgeordneten Barlen, ob er regelmäßig Informationen zum „Weissen Wolf“ bekommen habe. Er habe erst in seinem Ruhestand vom NSU gehört und die Spende sei ungewöhnlich hoch gewesen, so „VS 17“ auf weitere Fragen. Allerdings schätze er das nicht selbst ein, sondern die Auswertung. Barlen fragt, ob die Quelle mal erzählt habe, dass sie von anderer Stelle danach gefragt worden sei. „VS 17“: „Nein, da wäre ich schon hellhörig geworden.“ Von Allwörden sagt, es habe einen Beschaffungsauftrag von der Auswertung bezüglich dieses Heftes 18 gegeben und fragt, ob der bei ihm gelandet sei. Der Zeuge antwortet, ihm sei der nicht bekannt. Auf die Frage, wie dies zugeordnet werde, sagt „VS 17“, das wisse er nicht. Von Allwörden fragt, wieso der Beschaffungsauftrag nicht bei ihm gelandet sei. „VS 17“: „Es gibt im BfV einen Spruch der heißt ‚Kenntnis nur wenn nötig‘, das wird bundesweit so gehandhabt.“
Der Abgeordnete Ritter fragt, ob die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses die ersten seien, die ihn zu der Sache befragen. Dies bejaht der Zeuge. Ritter merkt an, das sei im Hinblick auf die Aussage des Innenministeriums, man habe alles unternommen um aufzuklären, bemerkenswert. Er fragt, welche Mechanismen denn in Gang gesetzt würden, wenn ein neues Kürzel wie „NSU“ irgendwo auftauche. Der Zeuge sagt, er denke schon, dass die Auswertung dann irgendwelche Schlüsse daraus ziehe. Er wisse nicht, welche Schritte dann eingeleitet würden, fügt er auf Nachfrage hinzu. Der Abgeordnete fragt, für welche Phänomenbereiche der Zeuge zuständig gewesen sei. Dieser antwortet, rechts und „eine kurze Teilgeschichte mit Links“. Er habe unter zehn Quellen geführt. Er habe mit diesen nicht über die Spende gesprochen oder die Frage gestellt, was mit den Spenden gemacht werden könnte, so der Zeuge auf weitere Fragen. Die Vorsitzende legt dem Zeugen die Ausgabe 18 des „Weissen Wolfs“ vor. Ritter sagt, „VS 12“ habe im Juli 2001 vom „Weissen Wolf“ gehört, er hätte dann einen Generalauftrag zur Beschaffung gemacht [siehe unser Bericht zur Sitzung am 26. Februar 2021]. Er fragt, ob dieser dem Zeugen bekannt sei. Das verneint er.
Die Abgeordnete Wippermann fragt, ob es sein könne, dass mal ein Vertreter für den Zeugen gearbeitet habe. Das bejaht dieser, für Urlaub oder Krankheit habe es im Verfassungsschutz eine Vertretungsregelung gegeben. Obwohl es manchmal so sensible Leute gäbe, da sei es mit einer Vertretung schwer. Barlen fragt, woher die Quelle über die Spende wusste. „VS 17“ sagt, der habe das irgendwo gehört und habe das auch nur vage formuliert. Barlen: „Wie doll insistieren Sie dann da?“ „VS 17“: „Meine Aufgabe ist es ja nur, die Informationen an die Auswertung weiterzuleiten.“ Barlen hakt nach, ob er dies dann aufschreibe und sich mit Kollegen austausche. Der Zeuge antwortet, manchmal in der Dienstberatung, selten auch mit der Auswertung.
Die Vorsitzende legt dem Zeugen den Auftrag für die Beschaffung vor und fragt, ob er die Handschrift als seine oder die von einem seiner Vertreter erkenne. Dieser verneint. Wippermann sagt, Beschaffung hieße ja auch, das man mal in anderen Bundesländern nachfragt, ob es da Material gebe und fragt, ob das üblich gewesen sei. „VS 17“: „Das kenne ich so nicht“, das sei eher unüblich. Barlen fragt, ob ihm grundsätzlich klar gewesen sei, wer dafür zuständig war, dieses Heft zu beschaffen. „VS 17“: „Sie bemessen dem so eine große Bedeutung bei. Bei mir war es ein Zufallsfund.“ Es habe viele Zeitschriften gegeben. Die geplante dritte Zeugenbefragung des Tages entfällt und damit endet die Sitzung des Untersuchungsausschusses.