NSU-Watch: „Rechte Netzwerke in der Polizei zerschlagen!“ Statement vom 16. Februar 2022 zum Beginn der Prozesse zum „NSU 2.0“-Komplex und gegen den Polizisten Stefan K. aus Neukölln

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Bei zwei Prozessen müsste ab heute über rechte Netzwerke und Umtriebe bei der Polizei gesprochen werden – auf der Anklagebank nehmen aber wieder nur vermeintliche Einzeltäter Platz. In Frankfurt beginnt am Landgericht der Prozess wegen der „NSU 2.0“-Drohschreiben. Zeitgleich muss in Berlin der Polizist Stefan K. vor dem Amtsgericht Tiergarten erscheinen.

Seit August 2018 waren bundesweit rassistische, antisemitische und sexistische Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens verschickt worden. Neben Seda Başay-Yıldız, ehemalige Nebenklageanwältin im NSU-Prozess, erhielten u.a. auch die Kabarettistin İdil Baydar, die LINKEN-Politikerinnen Janine Wissler und Martina Renner und Autor*in Hengameh Yaghoobifarah mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohungen. Die Staatsanwaltschaft formuliert nun in ihrer Anklageschrift eine Einzeltäterthese und geht davon aus, dass der Beschuldigte A. M. aus Berlin die Drohschreiben alleine verfasst haben soll. Die Betroffenen äußerten sich bereits am Montag in einem Statement und schrieben: „Solange Strafverfolgungsbehörden und Justiz ihre Ermittlungen nur auf Einzeltäter konzentrieren, werden diese Netzwerke nicht bekämpft und die Betroffenen nicht geschützt werden.“

NSU-Watch: „Justiz und Polizei sowie der hessische Innenminister zeichnen – wie so oft bei rechtem Terror, rechter Gewalt und Bedrohungen – das Bild eines isolierten Einzeltäters. Sie wollen den ‚NSU 2.0‘-Komplex schnell als aufgeklärt ad acta legen, um die möglicherweise beteiligten Polizist*innen zu schützen. Daher müssen wir als Antifaschist*innen potentielle Verbindungen in rechte Polizeikreise umso vehementer thematisieren.“ Im Zentrum muss die Frage stehen, wie der mutmaßliche Täter an Daten aus Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg und Berlin gelangen konnte und dabei auch Zugang zu einer beim Einwohnermelderegister gesperrten Adresse erhielt. Die These, dass sich der Beschuldigte als Polizist ausgab und die Polizist*innen die Daten unwissend weitergaben, ist wenig plausibel.

Dem Polizisten Stefan K. und den beiden als Neonazis bekannten Mitangeklagten Dennis Y. und Philipp G. wird in Berlin vorgeworfen, am 5. April 2017 im Nachgang eines Fußballspiels des FC Union am S-Bahnhof Karlshorst aus einer Gruppe heraus einen aus Afghanistan geflüchteten Mann erst rassistisch beschimpft und dann brutal angegriffen zu haben. Dabei wurde dem Betroffenen die Nase gebrochen und Verletzungen an der Schulter zugefügt. Der Polizist Stefan K. gehörte spätestens ab 2008 der Neuköllner Ermittlungsgruppe „Rex“ der Berliner Polizei an, die im Bezirk Rudow eingesetzt wurde und zu deren Aufgabe es gehörte, die lokale rechte Szene zu beobachten. 2016 wurde die Einheit aufgelöst.

NSU-Watch: „Zentrale Fragen zum rassistischen Angriff vom 5. April 2017 sind weiterhin offen. So zum Beispiel, ob Stefan K. die Mitangeklagten bereits im Vorfeld des Angriffs kannte, womöglich durch seine Arbeit in der Ermittlungsgruppe ‚Rex‘. Offen ist auch, wie es sein konnte, dass ein Rassist so lange Teil der Berliner Polizei und einer Ermittlungsgruppe für die Aufklärung der örtlichen Neonazi-Szene sein konnte. Auch sind etwaige Verbindungen zur rechten Terrorserie in Berlin-Neukölln nicht aufgeklärt.“

Die beiden Prozesse zeigen, wie groß die Gefahr ist, die von rechten Netzwerken und Personen innerhalb der Sicherheitsbehörden ausgeht und wie vielfach die Verbindungen zwischen rechter Szene und Behörden sind. Die zahlreichen in den letzten Jahren bekannt gewordenen rechten Chatgruppen bei der Polizei und anderen staatlichen Organen sind ein Ausdruck der rassistischen, antisemitischen und sexistischen Kultur und dem Korpsgeist, der in Teilen der Sicherheitsbehörden herrscht. Sie sind auch ein Zeichen zunehmender Vernetzung und offenbar völliger Angstfreiheit vor möglicher Strafverfolgung. Die kürzlich eingestellten Ermittlungen gegen zwei Mitglieder des rechten Netzwerks „Nordkreuz“ zeigen, dass diese Straflosigkeit wohl auch 2022 fortgesetzt wird.

NSU-Watch: „Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr müssen zerschlagen werden. Von ihnen geht eine ständige Gefahr rechten Terrors aus. Unsere Erfahrung zeigt, dass Gerichte die Augen allzu oft vor rechten Netzwerken und Strukturen verschließen. Ohne diese sind solche Taten, wie sie ab heute angeklagt sind, aber nicht möglich. Auf die Ermittlungen ist ebenfalls kein Verlass. Wir werden daher beide Prozesse kritisch im Blick behalten, rufen zu Solidarität mit den Betroffenen und antifaschistischer Aufklärungsarbeit auf und werden diese vorantreiben.“