Der 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern wendet sich in dieser Sitzung der Observation von Rechtsanwalt Eisenecker zu, der sich 1999 mit den NSU-Unterstützern Wohlleben und Schultze traf. Im Februar 1999 fuhren Ralf Wohlleben und Carsten Schultze nach Goldenbow, weil Eisenecker die Vertretung von Beate Zschäpe übernehmen sollte. Da dies im Vorfeld den Behörden bekannt wurde, bat das LfV Thüringen das LfV Mecklenburg-Vorpommern um Observation. Vor dem Untersuchungsausschuss sind zwei Mitglieder des Observationsteams geladen. Für die Öffentlichkeit werden die Aussagen nur akustisch übertragen, große Teile der Befragungen werden in nicht-öffentliche Sitzungen verlegt. Keiner der Zeugen leitete die Observation. Beide Zeugen bekamen erst am Tag der Observation das Zielobjekt, RA Eisenecker, samt Auto und Adresse etc. offen gelegt. Diese wurden zuvor von einem anderen Team recherchiert. Beide Zeugen hatten sich anhand des als „VS nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften damaligen Observationsberichtes vorbereitet, eigene Erinnerungen haben sie kaum, daher wurden auch die Befragungen als nicht-öffentlich eingestuft. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern behindert hier die öffentliche Aufklärung des NSU-Komplexes, indem wichtige Dokumente nicht weit genug herabgestuft werden.
Die heutige Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschusses wird für die Öffentlichkeit per Ton in einen anderen Raum übertragen. Der erste Zeuge des Tages ist „VS 9″. Er war am 5. Februar 1999 Mitglied eines Observationsteams in Goldenbow, das beobachtete, wie sich NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Carsten Schultze mit Rechtsanwalt Dr. Hans Günter Eisenecker trafen. „VS 9″ ist heute 54 Jahre alt und Regierungsbeamter. Zu seiner Vorbereitung sagt der Zeuge, er habe Akteneinsicht genommen, um den Vorgang aufzufrischen, außerdem habe er am Freitag ein kurzes mit Gespräch mit dem Vertreter des Innenministeriums im Untersuchungsausschuss, Dr. Czwalinna, geführt. In seinem Eingangs-Statement sagt „VS 9″, die Observation sei 23 Jahre her und wenn er keine Akteneinsicht gehabt hätte, wäre ihm der Vorgang nicht mehr bekannt gewesen. Er sei vom 23. Februar 1998 bis zum 7. September 1999 beim LfV Mecklenburg-Vorpommern bei der Observationsgruppe gewesen.
Auf Fragen der Vorsitzenden Martina Tegtmeier (SPD) sagt der Zeuge, seine Erinnerung sei aufgefrischt worden, als er die Fotos wieder gesehen habe. Aber an den Tag oder bestimmte Sachen könne er sich nicht erinnern. An den Leiter der Observation könne er sich aber erinnern. Vor der Observation hätten sie eine Einweisung zur Zielperson und dem Ort bekommen, das sei in der Regel im Haus beim Landesamt erfolgt. Der Auftrag sei gewesen, zu schauen, was die Zielperson mache und mit sie Kontakt habe. Die Observation habe nicht so lange gedauert, das Objekt sei schlecht zu beobachten gewesen, weil es keine Deckung gegeben habe. Der Einsatz sei am Ende vom Einsatzleiter beendet worden. Zu seiner Funktion sagt der Zeuge, er sei Observationsbeamter gewesen. Auf die Fragen von Bernd Lange (SPD) sagt der Zeuge, das Fahrzeug der beiden Angereisten und die Personen, die Eisenecker besucht hätten, seien aufgenommen worden. Generell sei es so, dass bei einer Observation immer eine Person an der Zielperson dran sei, der Rest halte sich im Hintergrund. Ralf Mucha von der SPD fragt weiter und der Zeuge antwortet, die Zielperson sei der Anwalt gewesen. Eine Observationsgruppe bestehe aus sieben bis zehn Personen, je nachdem, wo die Observation stattfinde.
Auf Fragen sagt der Zeuge, im Vorfeld werde zu der Zielperson recherchiert, beispielsweise, was für ein Auto diese fahre oder ob es mehrere Wohnungen gebe. Das mache die Observationsgruppe aber nicht selbst, sondern andere Leute im Verfassungsschutz. Jeder wisse nur von seinem Bereich. „VS 9″ sagt, er gehe davon aus, dass Observationen immer nur anlassbezogen stattfänden. Die Person werde für einen Zeitraum observiert, da würden dann Beobachtungen auch festgehalten: Welche Personen würden getroffen, wie sieht der Tagesablauf aus. „Wir sind die Augen, die dem Kopf sagen, was passiert.“ Alle wüssten immer, wo die Zielperson sei, die Observationsgruppe informiere sich gegenseitig über Funk, so bekämen alle alles mit. Wenn einer schon dreimal mit abgebogen sei, dann sei die nächste Person dran. Wenn es eine Observationslücke gebe, dann werde etwas gebastelt, beispielsweise an einer Landstraße ein Vogelhaus mit Kamera. Der Vertreter des Innenministeriums meldet sich zu Wort. Man sei die ganze Zeit schon an der Schwelle gewesen, aber wenn es jetzt darum gehe, wie man Observationen durchführe, sei man zu nah an Feinheiten. Es folgt eine Diskussion, ob man solche Frage nicht-öffentlich oder gar in eingestufter Sitzung im Geheimschutzraum stellen solle. Czwalinna bejaht, je genauer, je feiner gefragt oder geantwortet werde, desto mehr komme es in diesen Bereich. Man einigt sich darauf, dass der Vertreter des Innenministeriums die Hand hebt, wenn die Themen nicht mehr öffentlich ansprechbar sind. Auf weitere Frage sagt der Zeuge, es sei noch nie passiert, dass sie bei einer Observation gesehen wurden.
Auf die Fragen von Ann Christin von Allwörden (CDU) sagt der Zeuge, man habe Personen fotografiert, die bei Eisenecker waren und habe das auch im Bericht festgehalten. Er wisse aber nicht, wer diese seien. Er wisse auch nicht, ob danach weitere Maßnahmen ergriffen worden seien. Auf Fragen von Michael Noetzel (Linksfraktion) sagt der Zeuge, er habe in den 18 Monaten beim Verfassungsschutz nur Observationen gemacht. Er habe Eisenecker nicht noch einmal observiert. Er habe keine Hintergründe zur Observation gehabt, so „VS 9″, nur dass Eisenecker Rechtsanwalt und im „rechten Bereich“ tätig sei. Zu den Personen, die ihn besuchen wollten, sei ihnen nichts gesagt worden. Noetzel sagt, laut des Berichts des 1. NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses seien Wohlleben und Schultze auf Bitte des LfV Thüringen observiert worden. Während der Observation sei neben den zwei Personen in Wohllebens Auto ein älteres Pärchen festgestellt worden. Er fragt, ob der Zeuge von der Bitte des LfV Thüringen gewusst habe. „VS 9″: „Ich denke ja.“ Auf weitere Fragen sagt der Zeuge, für ihn sei nicht ersichtlich gewesen, dass jemand aus Thüringen vor Ort gewesen sei, um das Team einzuweisen. Er wisse nicht, welche Rolle das ältere Pärchen gespielt habe.
René Domke (FDP) fragt, welche Kenntnisse der Zeuge zur rechtsextremen Szene habe. Dieser sagt, er wisse, dass es die unterschiedlichen Bereiche rechts, links, „Ausländer“ und Scientology gebe. Domke fragt weiter, ob das Personal der Observation anhand von Vorwissen ausgewählt worden sei. Das verneint „VS 9″, „wir waren nicht voreingenommen, wir sind so reingegangen“. Der Zeuge bejaht, dass es öfter vorgekommen sei, dass ein anderes Bundesland per Amtshilfe eine Observation anfrage. Domke fragt, ob „VS 9″ von einem rechtsextremen Trio gewusst habe. Das verneint der Zeuge.
Constanze Oehrlich (Die Grünen) fragt, was Norbert Wießner vom LfV Thüringen über das Trio berichtet habe. „VS 9″ sagt, er habe die Person nicht kennengelernt, sie hätten gewusst, das sei über ein anderes Land gekommen. „Aber uns wurde die Person nicht vorgestellt, wir wurden nicht durch ihn unterrichtet. Das stellen Sie sich zu umfangreich vor.“ Oehlrich fragt, welche Nachbereitungen es zur Observation gegeben habe. Der Zeuge sagt, von der Seite des Observationsteams habe man sich nicht nochmal ausgetauscht. Sie hätten ihren Bericht geschrieben und die Fotos entwickelt, „das war‘s“. Der Zeuge bestätigt, der Bericht sei dann von der Beschaffung zu Auswertung gegangen.
Auf weitere Frage sagt der Zeuge, er sei nur einmal bei einer Observation von RA Eisenecker dabei gewesen. Auf die Frage, wie aufschlussreich das Briefing gewesen sei, ob sie auch erfahren hätten, was V-Leute gemeldet hätten, sagt der Zeuge, sie hätten nur das Notwendigste erfahren. Auf die Frage, ob die Informationen aus der Observation erst gesammelt, dann verschriftlicht und dann weitergegeben worden oder ob sie dies auch während der Observation schon per Telefon weitergegeben hätten sagt „VS 9″, durch die Leitung der Observation hätte Kontakt zur Leitung bestanden, er hätte seinen Chef nicht angerufen, dass sei alles in der Gruppe geregelt gewesen. Auf die Frage, was sie getan hätten, wenn Leute aufgetaucht wären, die per Haftbefehl gesucht werden, antwortet der Zeuge, „ob das dem VS wichtiger ist, weiß ich nicht“. Wie damit umgegangen werde, entscheide nicht das Observationsteam. Wenn etwas wichtig sei, würden sie es weiter geben, „das muss dann von anderen entschieden werden“.
Domke fragt, ob es weitergemeldet worden wäre, oder ob es nur ins Protokoll aufgenommen worden wäre, wenn ein weiteres Fahrzeug aus Jena festgestellt worden wäre. „VS 9″ sagt, im speziellen Fall hätte er dafür keine Antwort, aber wenn es Kontakt zu Eisenecker gegeben hätte, hätten sie das gleich weitergegeben. Der Zeuge verneint, ob er zu der Maßnahme schon einmal gefragt worden sei und auch, ob er zu dem Trio oder zum NSU noch einmal eingebunden gewesen sei.
Noetzel fragt, ob ihm zur Vorbereitung mehr als der Observationsbericht vorgelegt worden sei. Das verneint der Zeuge. Noetzel sagt, es habe ein Dankesschreiben aus Thüringen für die Observation gegeben, ob er davon wisse. „VS 9″: „Bei mir hat sich keiner bedankt.“ Noetzel fragt, ob sich immer mal bedankt worden sei, der Zeuge sagt, sie hätten ihre Arbeit gemacht.
Domke fragt, ob sie Lichtbilder des rechsextremen Trio vorgelegt bekommen hätten. „VS 9″ sagt, er sei darüber nicht informiert worden, denke aber, dass der Gruppenleiter informiert worden sei. Domke hakt nach, wenn sie einzeln observierten, müssten sie das ja wissen. Der Zeuge widerspricht, wenn es Kontakt zur Zielperson gebe, dann werde die Person beschrieben, dann kriege der Gruppenleiter das mit.
Der Ausschuss wechselt in eine nicht-öffentliche Sitzung.
Der zweite Zeuge des Tages ist „VS 8″, auch er war an der Observation des Treffens bei Hans Günter Eisenecker beteiligt. Er kommt mit Zeugenbeistand Butz Peters und einer Aussageberechtigung der Polizei Hamburg. Er ist heute Polizeibeamter. Zu seiner Vorbereitung sagt der Zeuge, er sei verwundert gewesen, als er die Ladung erhalten habe. Er habe null Erinnerung gehabt, außerdem habe es zum Zeitpunkt des Observation den NSU noch nicht gegeben. Er habe daher mit Butz Peters Akteneinsicht genommen. Dr. Czwalinna sei reingekommen und habe mit ihm gesprochen. Er müsse gestehen, das sei alles 23 Jahre her, er habe keine Erinnerung und könne daher nur aus dem Bericht erzählen, als was er nach Akteneinsicht im Kopf habe. Er habe sich den Ort angeguckt, er habe sich wieder daran erinnern können wie die Bilder in der Akte entstanden seien. Er könne sich aber nur an den Akt des Fotografierens erinnern, nicht an die Person auf dem Foto. Vor der Akteneinsicht habe er gar keine Erinnerung gehabt, diese sei erst damit wieder gekommen.
Die Vorsitzende fordert den Zeugen auf, zu schildern, Butz Peters meldet Bedenken an, denn die Akten sei ja eingestuft: „wir haben das vorbesprochen – der Zeuge kann jetzt nichts mehr sagen, was in öffentlicher Sitzung beantwortet werden könnte“. Die Vorsitzende widerspricht, sie glaube nicht, dass all das, was Zeuge berichten könne, nur nicht-öffentlicher Form ginge. Peters antwortet, das was der Zeuge sagen könne, beruhe nur auf Akteneinsicht, und die Akte sei „VS vertraulich“. Die Vorsitzende fragt nach, ob es nur um den Observationsbericht gehe, was dieser bestätigt. Czwallinna sagt, dieser sei mittlerweile als „nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft, dadurch müsse man dazu in eine nicht-öffentliche Sitzung wechseln, jetzt könne man nur allgemeinere Angaben besprechen. Es folgt eine Diskussion, ob man überhaupt in die Fragerunde einsteigen solle, was man letztlich tut, da ja der Zeuge „VS 9″ auf der gleichen Grundlage befragt werden konnte. Die Vorsitzende fragt, in welchem Zeitraum der Zeuge beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gewesen sei. „VS 8″ sagt, das sei vom Oktober 1992 bis November 2001 gewesen. Auf die Frage, an wie vielen Observationen der Zeuge mitgewirkt habe, sagt er, er könne das nicht durchrechnen, wie viele Observationen er im Jahr gemacht habe. Eine Observation könne ja auch mal Wochen dauern. Er fügt hinzu: „Ist das jetzt schon eingestuft, das macht mich echt nervös, diese Trennung, muss ich gestehen.“ Das sei Routine gewesen, wenn nichts besonderes in die Observation reingeplatzt sei, dann gebe es keine Erinnerung. Die Vorsitzende fragt konkreter zur Observation von Eisenecker, wie diese zustande gekommen sei, wann und durch wen veranlasst. Der Zeuge sagt, er habe habe daran nur durch die Akteneinsicht eine Erinnerung und habe dann Fotos im Netz gesehen.
Auf Frage aus der SPD-Fraktion sagt der Zeuge, er habe Stellvertretung des Einsatzes gemacht. Auf weitere Frage sagt er, Wohlleben und Eisenecker seien ihm vorher nicht geläufig gewesen. Zum Wohnort von Eisenecker und zu ihm als Zielperson möchte der Zeuge nur nicht-öffentlich aussagen. Peters sagt, der Zeuge habe wirklich nichts mehr gewusst, alles was er vorbereitet hat war „VS Nur für den Dienstgebrauch“.
„VS 8″ bestätigt auf Frage Noetzels, er sei seine gesamte Zeit beim Verfassungsschutz im Bereich Observation gewesen. Er könne sich nicht erinnern, ob er Eisenecker öfter observiert habe. Noetzel hält aus der Aussage von Antonia von der Behrens vor dem 1. NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern vor, dass dies eine Amtshilfe für Thüringen gewesen sei und dass Norbert Wießner nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen sei. Butz Peters sagt, genau das sei eingestuft. Der Zeuge sagt, er könne den Text bestätigen, eine Sache würde er gern korrigieren, das aber nicht in öffentlicher Sitzung.
Domke fragt, welche Kenntnisse er vor dem Einsatz zur rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern habe. „VS 8″ sagt, er wisse viele Sachen aus der Presse und das habe er natürlich auch gemacht, Dinge wie Combat 18, „wie heißen die Dinger noch“, hätten sie auch „auf dem Schirm“ gehabt. Mehr wolle er dazu nicht sagen, wie er das eingeschätzt habe und wie er damit als Observant umgegangen sei, das wolle er nicht-öffentlich sagen. Domke fragt nach der Vorbereitung der Maßnahme und der Zeuge sichert sich ab, dass er zur Arbeitsweise des Verfassungsschutzes vor 20 Jahren antworten dürfe. Als das bejaht wird, setzt der Zeuge an, „wir haben einen Auftrag bekommen“, unterbricht sich und sagt, „nein das geht nicht. In Hamburg würde man mir den Kopf abreißen, wenn ich das sage.“ Dann sagt der Zeuge, er wolle, dass der Ausschuss das verstehe, „die Trupps möchten in der Öffentlichkeit nicht, dass man das weiß“, sonst könne man sich gegen die Observation wehren.
Auf Fragen des Abgeordneten Noetzel sagt der Zeuge, er könne später gern erzählen, in welchem Bereich er da gewesen sei, was er da gesehen habe. Die Frage, wie lange er vor Ort gewesen sei, sei interessant, die solle bitte noch einmal nicht-öffentlich gefragt werden. Noetzel fragt, ob er die Personen wieder aus dem Haus habe gehen sehen. „VS 8″: „Das ist genau das, was ich mich nach Akteneinsicht auch gefragt habe“, darüber wolle er gern nicht-öffentlich sprechen.
Der Ausschuss wechselt in die nicht-öffentliche Sitzung.