In der Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 05. Juni 2023 werden zwei Zeug*innen gehört. Zunächst wird „VS 19“ vernommen. Sie ist seit 1996 Bürosachbearbeiterin beim LfV Mecklenburg-Vorpommern, sie gibt Daten in die Datenbank ein, die der*die zuständige Sachbearbeiter*in vorgibt. Darunter waren auch drei Meldungen zum Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“. Die Zeugin kann sich aber an Inhalte nicht erinnern, da ihre Aufgabe die reine Eingabe der Daten sei. Als zweiter Zeuge wird Michael Fl. befragt, der bereits im November 2022 vor dem Untersuchungsausschuss aussagte [siehe Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern vom 21. November 2022]. Fl. war von 1992 bis 2021 beim Landesamt für Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Er gibt sich erneut sehr redselig, bleibt aber dabei, dass es in Mecklenburg-Vorpommern keine Versäumnisse gegeben habe.
Die erste Zeugin des Tages, „VS 19“ ist für die Öffentlichkeit nur in Raum 360 akustisch verfolgbar. Sie erscheint mit Rechtsanwalt Dr. Butz Peters. Sie ist 50 Jahre alt und Verwaltungsbeamtin. Zu ihrer Vorbereitung sagt sie, sie habe letzte Woche Akteneinsicht genommen habe sich mit RA Peters kurzgeschlossen. Sie wolle sich erstmal vorstellen: Sie sei seit 1996 Bürosachbearbeiterin im mittleren Dienst im Bereich Auswertung Rechtsextremismus. Dort sei sie in der Informationseingabe tätig, also keine Beschafferin oder Auswerterin, sie sei dafür zuständig, die Daten in die Datenbank einzugeben, die der zuständige Sachbearbeiter ihr dafür vorgebe.
Bernd Lange von der SPD fragt nach dem Umfang der Eingaben. Die Zeugin sagt, das sei unterschiedlich, das komme darauf an, wie viele Seiten eine Meldung habe. Es seien rund 10 bis 15 Seiten [phon.] am Tag. Sie habe vor 2011 noch nichts vom NSU gehört und auch die Abkürzung NSV sage ihr nichts, sagt sie auf weitere Fragen.
Auf Frage sagt die Zeugin, sie hätte es nicht mitbekommen, wenn Neonazi-Fanzines in der Abteilung eingegangen seien. Nur wenn der Sachbearbeiter eine Information gespeichert haben wollte, dann habe sie das zur Kenntnis genommen, sonst habe sie nichts damit zu tun gehabt. Wie oft das gewesen sei, wisse sie nicht, das sei zu lange her, dass Fanzines eine Rolle gespielt hätten.
Michael Noetzel (Linksfraktion) fragt, ob die Zeugin nach der Selbstenttarnung des NSU etwas mit dem Komplex zu tun gehabt habe. Das bejaht die Zeugin, sie seien diejenigen gewesen, die die Akten durchgucken mussten, ob da etwas relevantes dabei gewesen sei. Noetzel hakt nach, wonach sie gesucht hätten. „VS 19“ sagt, sie hätten die Namen des Trios gehabt und auch nach dem Kürzel NSU geguckt. Es sei auch nach anderen Personen geguckt worden, das sei aber unter den Bürosachbearbeitern aufgeteilt worden. Die Zeugin bejaht die Frage, ob sie die Akten durchgeblättert hätten. Und auch dass sie über Digitalisieren nachgedacht hätten: „Definitiv, das soll ja auch erfolgen.“
Constanze Oehlrich (Die Grünen) fragt nach dem genauen Ablauf ihrer Aufgabe. Die Zeugin sagt, die Eingänge gingen zuerst an den Sachbearbeiter, dieser recherchiere und markiere Textteile, die sie eingeben sollen: Personen, Organisationen etc. Nachdem das gespeichert würde, gehe das wieder zum Sachbearbeiter, der dann verfüge, ob damit weiter gearbeitet oder es zur Akte hinzugefügt würde, „das kriegen wir nicht zur Kenntnis“.
René Domke (FDP) sagt, der Name von „VS 19“ tauche in den Akten häufig auf, was wohl mit ihrer Arbeit zu tun habe, aber deswegen habe man sie zur Befragung geladen. Er fragt, ob sie ein Gefühl entwickeln konnte, welche Bedeutung Fanzines gehabt hätten. Die Zeugin sagt, letztlich hätten sie nur die Ausgaben bekommen, aus denen etwas gespeichert werden sollte. Manchmal seien es ganze Ausgaben gewesen oder Kopien von Teilen der Fanzines gewesen. Diesen sei jeweils die Verfügung zur Eingabe beigefügt gewesen. An die Ausgabe 18 des Neonazi-Fanzines „Der Weisse Wolf“ könne sie sich nicht erinnern, sagt die Zeugin auf Frage. Domke fragt, ob das Thema Spenden eine größere Bedeutung gehabt habe. Die Zeugin sagt, sie habe 2002 einen Vorgang gehabt, sie habe eine Deckblattmeldung eingegeben: „Ich persönlich habe mir da jetzt keine Gedanken drüber gemacht.“ Sie habe auch nichts von Ergebnissen oder Schlussfolgerungen dazu mitbekommen, sagt die Zeugin auf Nachfrage. Domke fragt nach rechten Strukturen und Namen von Neonazis, die Zeugin kennt diese zum Teil, kann aber nichts zu Details sagen. Domke fragt nach der Aktenrecherche nach der Selbstenttarnung des NSU. „VS 19“ sagt, diese hätten sie direkt von ihrem Referatsleiter angewiesen bekommen. Sie hätten die Akten aus dem Aktensicherungsraum bekommen und hätten Fundstellen mit Fähnchen markiert. Sie hätten auch Listen mit Fundstellen geführt, so die Zeugin auf Nachfrage. Sie habe danach nie wieder etwas davon gehört, bestätigt die Zeugin auf die abschließende Nachfrage.
Der Abgeordnete Lange fragt, in welcher Form sie Daten eingebe. Die Zeugin antwortet, das sei eine Arbeitsdatei, in der sie elektronisch Daten zu Personen, Organisation usw. speicherten. Auf diese Software hätten alle anderen Verfassungsschutzämter auch Zugriff, sagt die Zeugin auf Nachfrage.
Die Arbeitsdatei sei seit 1996 elektronisch, bestätigt sie auf Nachhaken des Abgeordneten Noetzel. Dieser fragt weiter, wie lange es nach der Selbstenttarnung des NSU gedauert habe, die Akten durchzuforsten. „VS 19“ sagt, damit seien sie sicher einen Monat beschäftigt gewesen. Das habe Priorität gehabt, bestätigt sie. Noetzel fragt, welche Akten sie zur Vorbereitung auf diese Sitzung vorgelegt bekommen habe. Die Zeugin sagt, das seien drei Deckblattmeldungen zum Thema „Der Weisse Wolf“ gewesen, da sie diese abgespeichert habe. Sie sagt, sie habe sich daran erinnert, etwas abgespeichert zu haben, aber inhaltlich habe sie keine Erinnerung gehabt.
Oehlrich fragt nach den Kategorien in der Datenbank, die Zeugin habe bereits „Personen“ und „Organisiationen“ benannt. Diese sagt, es gäbe auch „Objekte“ und „Publikationen“, aber sie könne die Kategorien jetzt nicht alle so aufzählen. Oehlrich fragt, welche Zeitschriften sie in Erinnerung habe. Die Zeugin nennt den „Fahnenträger“ und den „Weissen Wolf“. Die Abgeordnete fragt nach, ob sie versucht hätten, den vollständigen Bestand bei Zeitschriften zu erfassen. „VS 19“ sagt, das sei nicht ihre Aufgabe, sondern die des Sachbearbeiters.
Domke fragt, wie filterbar die Datenbank sei und ob sie darin manchmal auch suche. Die Zeugin sagt, meistens würden sie nur erfassen, aber sie suchten auch manchmal, meistens würden aber die Sachbearbeiter selbst suchen. Domke fragt nach der Verschlagwortung, die Zeugin antwortet, diese gebe es und diese werde von den Sachbearbeitern vorgegeben. Es gebe kein Muster an Stichworten, die öfter kämen, antwortet die Zeugin auf Nachfrage.
Ralph Mucha (SPD) fragt, wie eine Deckblattmeldung aussehe. „VS 19“ zögert, sie wisse gar nicht, ob sie darauf antworten dürfe. Dann sagt sie, es gäbe eine Anlage, beispielsweise den „Weissen Wolf“, dann stünde auf der Deckblattmeldung beispielsweise Betreff: NPD und Anlage: Publikation.
Noetzel fragt auch zur Verschlagwortung. Er sagt, er stelle sich vor, es gäbe ein Bericht zu einem Konzert. Und dann gebe man den in die Datenbank ein, schreibe drei, vier Sätze. Gebe man dann die Schlagwörter selbst ein? Könne es sein, dass in dem verschriftlichten Teil Personen drin stünden die nicht verschlagwortet werden? Die Zeugin erklärt, eine Veranstaltung würde als „Ereignis“ gespeichert und damit verknüpfe man die Personen. Wenn man die Person suche, sehe man, dass die Person da teilgenommen habe. Bestimmt werde die Form der Eingabe vom Sachbearbeiter. Die Zeugin bestätigt, dass es keine Volltextsuche, sondern nur eine Suche nach Schlagworten und Verknüpfungen gebe.
Domke fragt, ob sich die Arbeitsweise geändert habe. Die Zeugin verneint, die Datei habe sich nicht groß verändert, die Arbeitsweise sei gleich geblieben. Auf Frage nach Löschungen sagt die Zeugin, das entscheide sie nicht, aber es gebe eigentlich nur Ergänzungen, Löschungen bei ihr jetzt nicht. Es sei aber sicherlich technisch möglich.
Noetzel fragt nach der Verknüpfungen und deren Funktionsweise. Die Zeugin sagt, wenn eine Person zum ersten mal erfasst werde, dann werde alles zu dieser Person, was der Sachbearbeiter vorgebe, dazugespeichert und mit Ereignissen oder Kontakten zu anderen Personen verknüpft. Die Fundstelle werde hinterlegt, bestätigt „VS 19“, das sei die Voraussetzung zum Speichern. Oehlrich fragt, ob alle Kategorien verknüpft werden könnten, das bejaht die Zeugin.
Der zweite Zeuge ist der als „VS 3“ angekündigte Michael Fl. [siehe Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern vom 21. November 2022] Wie bei seiner letzten Befragung einigt sich der Untersuchungsausschuss darauf, die Befragung auf drei Stunden zu begrenzen. Die Vorsitzende fragt nach unterschiedlichen extrem rechten Strukturen, der Artgemeinschaft, Blood&Honour, den Hammerskins und völkischen Siedler*innen. Sie fragt auch nach Verbindungen in die Rockerszene. Der Zeuge antwortet ausführlich und beschreibt die Neonazi-Organisationen aus seiner bzw. aus der Sicht des LfV Mecklenburg-Vorpommern. Er sagt, das sei eine umfangreiche Frage. Alle genannten Organisationen hätten Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Artgemeinschaft sei eine religiöse Struktur, aber auch ein Netzwerk von Rechtsextremen, sie vertrete eine rassistische Ideologie. In der Ideologie der Artgemeinschaft hänge Glaube mit Rasse zusammen. Die Artgemeinschaft in Mecklenburg-Vorpommern unterhalte überregionale Kontakte, „man kennt sich“. Die Bestrebungen der Artgemeinschaft in Mecklenburg-Vorpommern seien lange nicht wahrgenommen worden, weil sie nicht offen agieren. Das LfV hätte erst spät Hinweise dazu bekommen. Das finde „eher über den Gartenzaun“ statt. Man habe sie dann aber in der Siedlerbewegung wahrgenommen. Einzelne Personen dieser Gruppierung hätten versucht, Einfluss auf ihr Umfeld zu nehmen, beispielsweise im Kindergarten. Das sei „Ideologieverbreitung auf der untersten Ebene“, das werde auch deutlich gemacht durch die Kleidung, die man trägt. Die Artgemeinschaft komme etwas harmlos daher, weil auch sie auch religiös sei. Die Treffen der Artgemeinschaft seien aber nicht harmlos, das sei eine Plattform, auf der sich viele Rechtsextremisten bewegen.
Zu den Hammerskins sagt Fl., das sei eine relativ kleine Gruppe von 150 bis 200 Personen in Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern gebe es zwei Chapter, eins in Vorpommern und eins in Mecklenburg. Die Hammerskins seien nicht darauf aus, mehr zu werden. Sie hielten sich eher im Hintergrund und seien bei der Organisation von Konzerten aktiv, dabei ginge es auch um Geld. Man sehe sie nicht auf der Straße und es kämen nur Personen in die Organisation, die der Gruppierung bereits bekannt seien. Die Organisation stammt aus den USA und das Logo der gekreuzten Hämmer rekuriere auf die Arbeiterklasse. Zu den Hammerskins sei außerdem anzumerken, dass sie Doppelmitgliedschaften auch in Neonazistrukturen bis in Parteien wie NPD hinein hätten. Die „eigentlichen politischen Aktivitäten, die sie auch wollen“, würden in anderen Strukturen vollzogen. Es fänden auch regelmäßig regionale bis internationale Treffen statt. Auch Personen aus Mecklenburg-Vorpommern würden eine tragende Rolle spielen.
Zu Blood&Honour erklärt der Zeuge zunächst die Ursprünge der weltweit agierenden Organisation rund um die britische Band Skrewdriver und die Politisierung der Skinhead-Szene. Auch in Mecklenburg-Vorpommern habe es Blood&Honour-Strukturen geben, vor allem im Raum Rostock und auch Konzerte habe es gegeben. Blood&Honour sei zu einem einflussreichen Element in der rechtsextremen Szene geworden, das sei in Deutschland erkannt worden. Daher habe man die Organisation verboten. „Das ist allerdings nur die halbe Miete“, weil Blood & Honour nicht in allen europäischen Ländern verboten sei. Es gäbe Kontakte zu den Personen, die auch später im NSU-Kontext aufgetaucht seien. Er wolle nochmal deutlich sagen: „Kontakte oder Aktivitäten allein sind noch lange kein Hinweis auf Unterstützung“, das sei auch durch den GBA bestätigt worden, aber ausschließen könne man es nicht. Alle angesprochenen Strukturen spielten und spielen aktuell noch eine Rolle.
Zu den Verbindungen in die Rockerszene sagt Fl., dazu hätten sie wenige Hinweise gehabt. Die Rockerszene sei auf Gewinn aus, daher seien das unterschiedliche Szenen. Die Kontakte seien eher personenbezogener Art. Es sei nicht erkennbar, dass es da eine größere Tendenz gegeben habe.
Der Abgeordnete Lange fragt, ob es engere Kontakte zum LfV Thüringen gegeben habe, beispielsweise über einen Verbindungsbeamten. Das verneint der Zeuge, der Verfassungsschutz sei ein Verbundsystem, es finde jeden Tag Informationsaustausch statt, daher sei das nicht erforderlich. Es habe keine speziellen Verbindungen nach Thüringen gegeben.
Auf die Frage, ob ihm die Abkürzung „NSV“ bereits dienstlich begegnet sei, sagt der Zeuge, jeder, der sich mit dem Dritten Reich ein bisschen beschäftige, kenne diese Abkürzung. Der Polizeivorgang sei ihm durch die Medien bekannt geworden [Hintergründe beim Antifaschistischen Infoblatt]. Er habe sich aufgeregt, Mitte Dezember 2022, und habe sich gefragt, ob sie da was übersehen hätten und habe sich gefragt, was da dran sein könnte. Er habe sich das auf dem Twitteraccount angesehen und auf das Bild geklickt, da habe hinter NSU „Kindergarten“ gestanden und ihm sei sofort klar gewesen, der NSU habe keinen Kindergarten betrieben. Es „war klar, es kann nur NSV sein“, weil die 6000 Kindergärten betrieben hätten. Das sei wahrscheinlich falsch notiert worden, „dann habe ich mich auch wieder beruhigt“. Er habe den Vorgang in Salchow nicht gekannt, könne aber nicht ausschließen, dass er vorgelegen habe. Gefragt nach Pannen und Versäumnissen bei der Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz sagt Fl., er könne keine Versäumnisse erkennen, man müsse immer gucken, was zu einem Zeitpunkt an Wissen vorliege. „Aber es gab keine Versäumnisse hier im Land.“ Der Zeuge wird gefragt, wie sich die Arbeit des Verfassungsschutzes nach der Selbstenttarnung des NSU entwickelt habe. Der Zeuge sagt, es habe ein Entsetzen gegeben, es habe ein Jahr zuvor (2010) die „krasse Fehleinschätzung“ gegeben, dass es keine rechtsterroristischen Strukturen gebe. Man habe sich gefragt, warum es nicht gelungen sei, die „Mörderbande“ stoppen. Seitdem gebe es die Zusammenarbeit im gemeinsamen Abwehrzentrum in Köln, das sei für ihn sehr wertvoll. Die Zusammenarbeit habe sich gebessert. Das Bundesverfassungsgericht habe Nachrichtenübermittlung zwischen Polizei und Verfassungsschutz aber wieder eingeschränkt, sie hätten gar nicht so viel rübergeben können, wie sie wollten.
Die Abgeordnete von Allwörden fragt nach der bundesweiten Kommunikation von Neonazi-Strukturen. Fl. antwortet, sie hätten festgestellt, dass die Versuche überregionaler und bundesweiter Vernetzungen häufig gescheitert seien, „weil jeder der Führer sein will“. Im Bereich Parteien gäbe es natürlich weitreichende Kontakte, aber die Naziszene habe es nicht geschafft, sich ein Netzwerk aufzubauen. Das funktioniere eher auf lokaler Ebene. Von Allwörden fragt weiter, welche Struktur vor der Selbstenttarnung den Ton angegeben habe. Fl. sagt, nach seiner Einschätzung müsse man die Strukturen einzeln betrachten, es habe kein politisches Zentrum gegeben. Die NPD habe das sein wollen, das habe aber nicht geklappt. 2004 habe es eine Reihe an Kameradschaften mit verschiedenen Schwerpunkten gegeben, sie seien aber nicht in der Lage gewesen, Einfluss zu gewinnen. Die Abgeordnete fragt, ob die Szene in sich beständig sei, oder von Fluktuation geprägt. Der Zeuge sagt, solange er das beobachten konnte, sei da lange Stabilität drin gewesen. Bei den relevanten Akteuren habe man eine hohe Beständigkeit, das personelle Kernpotential sei immer gleich geblieben.
Der Abgeordnete Noetzel fragt nach der Artgemeinschaft. Der Zeuge sagt, die habe man vielleicht ab Mitte der 2000er Jahre auf dem Schirm gekriegt und damit recht spät. Er würde ungern in öffentlicher Sitzung Namen nennen, aber es gebe in der Artgemeinschaft Personen, die Kontakte ins NSU-Umfeld hätten. Auf Frage sagt, er, er wisse nicht, ob Anke Za. oder Thomas Düwell bei der Artgemeinschaft gewesen seien, er meine andere Personen. Gefragt nach den Hammerskins sagt Fl., er könne in öffentlicher Sitzung nur eine allgemeine Einschätzung geben, weil sein Wissen auf eingestuften Dokumenten beruhe: Das Chapter Mecklenburg sei durchaus bekannt, auch einzelne Personen seien bekannt. Noetzel sagt, die Namen seien ja eigentlich bekannt, aber das sei die Entscheidung des Zeugen, was er dazu sagen wolle. Auf Frage sagt der Zeuge, es hätten bei Rostock Konzerte stattgefunden, die von Blood&Honour Sachsen organisiert worden seien, dort seien auch Leute gewesen, gegen die Verfahren liefen. Sachsen sei in Mecklenburg-Vorpommern relativ aktiv gewesen. Es sei immer drauf angekommen, wer einen Raum für Konzerte finde, das habe in Mecklenburg-Vorpommern lange leider gut funktioniert. Das weise aber nicht auf den NSU hin. Das seien im juristischen Sinne keine Unterstützer gewesen, ideologisch schon. „Was andere Strukturen für andere Vermutungen haben, ist interessant, aber das ist juristisch nicht relevant.“
Die Abgeordnete Oehlrich fragt zur Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und der BAO Trio MV und nimmt dabei auch Bezug auf die Rolle des Verbindungsbeamten [siehe Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Mai 2023], der sich als eine Art Postbote beschrieben habe. Der Zeuge sagt, man habe versucht, Anfragen sehr schnell zu beantworten, aber das sei nicht immer gegangen, weil zeitgleich das zweite NPD-Verbotsverfahren gelaufen sei. Man habe alles immer aus den Akten raussuchen müssen, denn der elektroniche Aktenbestand sei erst 2004 eingeführt worden. Zum Verbindungsbeamten sagt Fl., Briefträger treffe es. Sie hätten aber auch eigene Leute für die Kontaktaufnahme benannt. Oehlrich spricht das Arbeitstreffen an, bei dem die dort anwesenden Polizisten der BAO Trio MV ein Schreiben nicht lesen wollten, weil sie das Dokument nicht in ihre Akten nehmen konnten. Fl. sagt, die Polizei sei über die Zuarbeit des Verfassungsschutzes unzufrieden gewesen, „weil die auch wissen, dass wir mehr wissen“. Dieses Misstrauen sei institutionalisiert. Es sei aber nicht die übliche Praxis, dass der Polizei eine Verschlusssache vorgehalten wird, sodass sie die Infos zwar wisse, aber nicht verwerten könne.
Der Abgeordnete Lange sagt, 2002 sei der Begriff NSU das erste mal in ein Fanzine gedruckt worden worden und fragt, ob es keine Bestrebungen gegeben habe herauszufinden, was dahinter stecke und wo das herkomme. „Hat das niemanden interessiert?“ Fl. sagt, das habe er schon mehrfach vorgetragen, man habe 2012 alles durchsucht, da sei das schon zehn Jahre her gewesen. Und da hätten sie feststellen müssen, dass sie die Ausgabe nicht gehabt hätten. Das wirke seltsam, aber er könne nicht sagen, warum das so gewesen sei. „Es wäre besser gewesen, wenn wir sie gehabt hätten.“ Er wisse nicht, warum sie sich 2002 nicht intensiver darum gekümmert hätten und sie beispielsweise aus Brandenburg angefordert hätten. Das sei spekulativ, aber er denke, das wäre anders gewesen, wenn man die Meldung eines V-Mannes zur Spende damit in Verbindung gebracht hätte. Man hätte theoretisch alle Quellen nach dem Kürzel fragen können, aber vermutlich hätten alle mit den Schultern gezuckt.
Auf Frage der Abgeordneten von Allwörden beschwert sich der Zeuge wortreich darüber, dass das LfV Mecklenburg-Vorpommern in seiner Amtszeit angesichts der Problemfülle im Bereich Rechts nicht ausreichend aufgestellt gewesen sei. Man habe sie immer allein gelassen, Unterstützung für die Aktenbeschaffung komme beispielsweise ja auch jetzt erst. Auf weitere Frage der Abgeordneten sagt er, die Arbeit des Verfassungsschutzes sei ohne V-Leute nicht möglich, auch wenn es immer ein „moralisches Dilemma“ sei, mit Quellen zu arbeiten.
Der Abgeordnete Noetzel hakt zu den Überschneidungen der rechten Szene mit der Rocker-Szene nach und nennt zahlreiche Beispiele im gesamten Bundesland. Mit dem Huskarlar MC gebe es sogar eine extrem rechte Rockerstruktur. Der Zeuge bleibt bei der Aussage, es gäbe Überschneidungen nur durch Einzelpersonen. Noetzel fragt, ob er bei dem Artikel und dem Begriff „NSU/NSU-Kindergarten“ sofort die Vermutung gehabt habe, dass es sich um das falsch notierte „NSV-Kindergarten“ handeln könne. Er fügt an, dass im Bericht auch nur Plakat „NSU“ vermerkt gewesen sei. Fl. sagt, er habe das nur auf Twitter gesehen. Noetzel sagt, es gäbe zu den Aufzeichnungen im Bericht keine Fotos, „das ist ja das Problem“. Der Zeuge entgegnet, da sei auf dem Foto auf Twitter „geschickt eine Hälfte verdeckt“ worden. Noetzel fragt, ob Fl. die Fotos der Durchsuchung kenne. Das verneint Fl. daran könne er sich nicht erinnern.
Oehrlich fragt, warum die Antworten des LfV Mecklenburg-Vorpommern an die BAO Trio oft so lange gedauert hätten und nennt Beispiele dafür. Fl. sagt, das könne er nicht präzise beantworten, aber sie hätten sicherlich Absprachebedarf mit anderen Landesämtern gehabt. Sie fragt, wie bei der eigenen Untersuchung im LfV vorgegangen worden sei. Der Zeuge sagt, man habe das genutzt, was zur Verfügung gestanden habe, den elektronischen Aktenbestand und den Informationsaustausch mit anderen. Er sei mit seinem Referat an der Prüfung beteiligt gewesen, im Zuge der Untersuchungsausschüsse seien viele Mitarbeiter damit beschäftigt gewesen, sie hätten lange Listen mit Namen von denen bekommen. Sie hätten Personen gesucht, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielten und hätten auch Dokumente gefunden. Sie hätten sich natürlich auf die Ermittlungen der Polizei verlassen und zusätzlich drei mal den GBA angeschrieben und um Informationen gebeten. „Wir haben keine Person gefunden, die wusste, es gibt den NSU und die morden.“ Oehlrich hakt nach: „Einfacher Kontakt reicht nicht aus?“ Das verneint der Zeuge. Eisenecker sei beispielsweise interessant gewesen, aber die Quellen aus dem Umfeld von Eisenecker hätten dazu keine Informationen gehabt.
Domke sagt, im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern von 2004 stehe, dass es eine Verurteilung gegen Neonazis gegeben habe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und wegen Brandstiftung an Dönerständen. Er fragt, ob man das mal mit dem Mord an Mehmet Turgut in Verbindung gebracht habe. Fl. sagt, das sei ihm im Nachhinein auch aufgefallen. Aber man habe keinen Zusammenhang gesehen, warum, das könnte niemand mehr sagt. Das sei eine Fehleinschätzung gewesen, man habe die Gefahr beschrieben, aber den Zusammenhang nicht gesehen, das sei ein Versagen der Sicherheitsapparate. Sie hätten keine Zuständigkeit für den Mord gesehen, Quellen im Bereich rechts wurden dazu nicht befragt, so der Zeuge auf weitere Fragen. Sie seien auch nicht eingebunden worden. Er habe sich das nach dem Auffliegen angeguckt und nach dem Auftrag des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Sie haben erst für den Auftrag des Bundestags-PUA alle Akten noch mal gesichtet, vorher nicht. „Das Aktenschreddern hatte ich schon gestoppt.“
Auf Fragen der Abgeordneten Oehlrich zur Aktenvernichtung sagt de Zeuge, der Aktenbestand sei weitestgehend erhalten, weil Personen in der Szene blieben und deswegen nicht vernichtet werde. Solange jemand bei Nadis gespeichert sei, brauche man auch einen Aktenrückhalt. Zwischen 2014 bis zur Einsetzung vom Unterausschuss des Innenausschusses seien Akten wieder gemäß der Gesetzeslage vernichtet worden. Er glaube aber nicht, „dass da was wegkam“.