Die „NSU/NSDAP-CD“ ist eine Daten-CD mit 15.000 rechten Bilddateien aus dem Jahr 2003. Bis heute ist ungeklärt, wer sie hergestellt hat und wie das Kürzel, das der erst 2011 selbst enttarnte Nationalsozialistische Untergrund nutzte, zum Titelgeber wurde. Bekannt wurde die CD der breiteren Öffentlichkeit Anfang 2014. Die Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschusses am 11. September 2023 konnte zeigen, dass GBA und BKA nach eigenen Angaben durch einen Artikel in einer rechtslibertären Zeitschrift auf die CD aufmerksam wurden, obwohl sie seit 2005 beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorlag. Selbst durch eine oberflächliche Suche nach dem Kürzel NSU nach der Selbstenttarnung hätte man auf die CD stoßen müssen. Bislang brachte man den Neonazi Thomas Richter alias V-Mann Corelli mit der CD in Verbindung. Im Ausschuss wurde eine E-Mail öffentlich, die nahelegt, dass David Petereit, ehemaliger NPD-Abgeordneter, mehr mit der CD zu tun haben könnte, als bisher vermutet.
Am 11. September 2023 sagten beim 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern „Zeugin P“ und „Zeuge M“ vom BKA aus. Beide durften in der Sitzung nicht anders benannt werden. P war von 2011 bis 2016 mit Asservaten aus dem NSU-Komplex befasst. M arbeitete zehn Jahre zum NSU in der BAO und EG Trio. In ihrem Eingangsstatements stellten sie kleinteilig dar, wie das BKA von der „NSU/NSDAP“-CD erfahren habe und wie sie in den Besitz der vier Exemplare gekommen seien, die sie auswerten konnten.
Im März 2014 habe die Bundesanwaltschaft das BKA auf einen Zeitungsartikel der „eigentümlich frei“ aufmerksam gemacht. Dem Autoren sei die CD wohl von dem rechten Blogger Christian Reißer alias „Fatalist“ zugespielt worden. Beide hätten sich nicht befragen lassen.
„Eigentümlich frei“ ist eine rechtslibertäre Zeitschrift. Diese veröffentlichte am 19. November 2013 einen Artikel, in dem von einer „Propaganda-CD aus dem Jahr 2003“ die Rede ist, auf deren Cover „NSU / NSDAP“ stehe. Im Artikel wird aus dem „Eingangstext“ der CD zitiert.
Die Zeugin P berichtete, es habe dann eine Besprechung mit den Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg gegeben und dabei habe das LfV Hamburg mitgeteilt, dass es in Besitz einer CD sei, die mit der Beschreibung aus dem Artikel übereinstimme. Darauf seien zwei Dateien vorhanden, in denen das Kürzel NSU vorkomme, jeweils in Verbindung mit dem Zusatz „NSDAP“. Die CD wurde dem BKA übergeben. Dort wurde sie ausgewertet, um zu schauen, ob es Bezüge zum rechtsterroristischen NSU gebe. Die Dateien in denen das Kürzel vorkomme, sei die Datei index.html, ein Begleitschreiben, unterschrieben mit „Nationalsozialistischer Untergrund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ und eine Druckvorlage für ein CD-Cover, die Datei einlage.jpg.
P berichtete, die CD sei in ihrer Grundstruktur 2003 erstellt worden. Auf der CD seien 15 Ordner mit Bildern gewesen, „alles mögliche aus dem Bereich Rechtsextremismus“, insgesamt 15.000 Stück. Im Begleitschreiben stehe, man solle die CD für rechte Propaganda nutzen. Wenn man beispielsweise ein Flugblatt mache, könne man Bilder von der CD verwenden. Die CD solle ergänzt und verbreitet werden.
Das BKA habe dann am 16. April 2014 die deutschen Behörden abgefragt, ob ihnen auch eine solche CD vorliegt. Daraufhin habe sich Mecklenburg-Vorpommern gemeldet, dort sei die CD ein Zufallsfund bei einer Durchsuchung bei Steve Mi. am 15. April 2014 wegen eines Drogendelikts gewesen. Das BKA habe diese VD dann „überbeschlagnahmt“. Das BfV habe seine Version der CD auch an das BKA weitergegeben. Das BfV habe sie 2005 von einer Quelle erhalten. Außerdem habe es im März 2014 eine Durchsuchung bei Maik Arnold gegeben, der mit den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ in Verbindung stehe, dort wurde ebenfalls eine solche CD gefunden. Das sei aber erst im Oktober 2014 gemeldet worden. Auch diese CD wurde übergeben.
P sagte aus, dass es im ursprünglichen Zeitungsartikel einen Hinweis auf eine Quelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegeben habe. Auch im Gespräch mit dem LfV Hamburg habe es einen entsprechenden Hinweis gegeben.
Die Rede ist von Thomas Richter, alias V-Mann Corelli. Die Aussagegenehmigung des BKA untersagt den Zeug*innen Angaben zu Quellen, auch wenn diese, wie in diesem Fall, längst bekannt sind. Der Hamburger V-Mann hatte angegeben, die CD von Thomas Richter erhalten zu haben. Er habe sie Anfang 2014 beim Aufräumen auf dem Dachboden gefunden und dem Landesamt übergeben. Auch das BfV hat die CD 2005 von ihm erhalten
P berichtete, ihre Aufgabe sei gewesen, auszuwerten, wie die CDs miteinander in Verbindung stehen und ob es Anhaltspunkte gebe, dass diese durch den NSU oder andere Beschuldigte erstellt wurden. Es habe einzelne Überschneidungen mit Dateien auf deren Festplatten gegeben, aber es seien dort keine identischen Ordner festgestellt worden. Einige Bilder stammten auch von einer Internetseite, die die Quelle des BfV betrieben habe. Die CD, die die Quelle aus Hamburg von der Quelle des BfV erhalten habe, sei eine DVD gewesen, auf der außerdem noch ein Spiel, ein Film, Videos von Demonstrationen und eine Textesammlung „Textwerkstatt 88“ als Vorlagen für Flugblätter gewesen seien. Der Pfad zur hier wichtigen CD sei mit „NS-CD“ bezeichnet gewesen. Die CD aus Sachsen habe 16 Ordner statt 15 enthalten, hier sie zusätzlich ein Bilderordner „ACAB“ zu finden gewesen.
Steve Mi. habe abgestritten, die CD zu kennen, er habe lange in Norwegen gearbeitet und habe dort mit zwei weiteren Deutschen gewohnt. Er vermutete, das er bei seinem hektischen Umzug nach Krakow am See die CD aus Versehen eingepackt habe. Diesem Ablauf widersprachen seine Mitbewohner in Norwegen. Aber: „Mi. konnte oder wollte sich nicht erinnern, insofern war es das.“ Mi. sei zuvor nicht mit Staatsschutzdelikten aufgefallen. Auf der CD selbst und auf der Hülle habe das Kürzel M und „Bilder NSU“ gestanden. Für ein graphologisches Gutachten sei die Menge an Geschriebenen zu gering gewesen.
Hintergründe zur NSU/NSDAP-CD in Krakow hat das Antifaschistische Infoblatt in Ausgabe 4/22 zusammengefasst: „Die NSU / NSDAP-CD aus Krakow am See“.
Zur Herkunft der CD sagte die Zeugin, dass das BKA die These habe, dass diese aus dem Kreis der NSDAP/AO [Auslandsorganisation] stammen könne. Das Eingangszitat des CD-Begleitschreibens stamme angeblich von Goebbels. Das sei falsch, es stamme vom Autoren Charles Bukowski. Dieses Zitat sei auch in einer Artikelreihe in der Zeitschrift der NSDAP/AO, „NS-Kampfruf“, verwendet worden. Die Namensschöpfung „Nationalsozialistischer Untergrund“ sei nichts Neues, auch bei der NSDAP/AO lese man von „Nationalsozialistische Untergrundorganisation“ oder ähnlichem. Die NSDAP/AO habe aber auf Aktionen ohne Gewalt gesetzt, sie wollte die NSDAP wieder legalisieren. Die Bezeichnung NSDAP sei auch eine starke Parallele. Der Quellenführer der Quelle des BfV sowie David Petereit hätten ausgesagt, es könne theoretisch aus dieser Richtung kommen. Als weitere Argumente nannten die Zeug*innen, dem NSU sei es nicht um Propaganda gegangen, dort habe es geheißen: „Taten statt Worte“. Der NSU habe außerdem ab 2002 sein Logo verwendet, das sich auf der CD nicht finde. Im NSU-Brief hätten sie geschrieben, dass sie keiner Partei angehören.
Da man keinen Bezug zum NSU festgestellt habe, habe man auch nicht weiter geforscht, beispielsweise in Norwegen.
Abgeordnete sprachen in der Befragung das Neonazi-Fanzine „Der Weisse Wolf“ an, in dem 2002 ein Gruß an den NSU veröffentlicht wurde.
Dieser Gruß an den NSU wurde im März 2012 vom apabiz entdeckt.
Hintergründe im Artikel: „Vielen Dank an den NSU“ – Was wusste der „Weisse Wolf“?.
Im Mai 2012 teilten die Behörden mit, dass ein Brief des NSU bei David Petereit gefunden wurde, der 2002 für das Fanzine verantwortlich war. Hintergründe im Artikel: NSU-Brief bei Petereit gefunden.
Dieser Brief wurde 2002 mit einer Spende verschickt, für die sich Petereit im Editorial des „Weissen Wolf“ Ausgabe 18 bedankte.
Abgeordnete machten die Zeug*innen auf die Parallele zwischen Ausgabe 18 des Fanzines und der NSU/NSDAP-CD aufmerksam: Beide Titelbilder stammen aus dem gleichen Buch, in dem seltene Bilder von Adolf Hitler gesammelt sind. Außerdem sprachen sie eine E-Mail von David Petereit an Thomas Richter von Ende 2000 an. Darin schreibt Petereit, er habe ein Anliegen, Richter habe „doch damals bunker.com gemacht, da waren doch massenweise Bilder, könntest Du mir Deine Bilder auf CD-ROM packen und mir zuschicken, ich würde diese gerne für eine Art Propaganda CD benutzen“. Auch Bücher, Programme und andere Sachen in HTML-Format seien dafür erwünscht. [Mehr dazu im Bericht zur Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 13. März 2023.]
Petereit sei dazu vernommen worden. M berichtete, dieser habe bei seiner Belehrung zu verstehen gegeben, dass er sehr polizeierfahren sei und die Abläufe kenne. Er sei nicht nervös gewesen und habe seine Position geschickt vertreten. Petereit habe das eingeräumt, was er einräumen musste und sich sonst auf Erinnerungslücken zurückgezogen oder Dinge im Vagen gelassen. Man habe den Eindruck gehabt, dass er mehr wisse, aber das könne man nicht belegen.
Einschätzung des Abgeordneten Michael Noetzel (Linksfraktion) zur Rolle David Petereits nach der Sitzung des Untersuchungsausschusses: „Die Spur der NSU/NSDAP-CD nach Mecklenburg-Vorpommern“.
Insgesamt sei es doch ein guter Erfolg, dass man belegen konnte, dass die NSU/NSDAP-CD nicht mit dem NSU zusammenhängt, so Zeuge M während der Befragung durch Abgeordnete.
Eine lange Version des Berichts zur Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungungsausschusses am 11. September 2023 ist hier zu finden.