Am 27. Mai 2024 beendete der zweite NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss im Landtag Mecklenburg-Vorpommern vorerst seine Arbeit zum NSU-Komplex nun geht es um das Nordkreuz-Netzwerk.
Unsere Bilanz der Arbeit der zwei Untersuchungsausschüsse in Mecklenburg-Vorpommern zum NSU-Komplex findet ihr hier.
Heike Kleffner (Geschäftsführerin des VBRG e.V.) und Prof. Barbara John (Ombudsfrau der Hinterbliebenen) waren am 27. Mai 2024 als Sachverständige geladen. Kleffner spannte einen Bogen, der die Themen des Untersuchungsausschusses verbindet: Sie zitierte Mustafa Turgut, den Bruder von Mehmet Turgut: „Wir wünschen uns umfassende Aufklärung“. Die Betroffenen der Nordkreuz-Feindeslisten hätten 15 Jahre nach dem Mord an Mehmet Turgut ähnliche Forderungen an die Behörden gestellt, so Kleffner. Es seien auch die fehlenden Informationen, die es für Betroffene schwerer machten, die Tatfolgen zu verarbeiten.
Kleffner stellte die Frage, inwiefern die Reformen in Polizei- und Justizarbeit nach der Selbstenttarnung des NSU auch Eingang in die Praxis gefunden hätten. Die Umsetzung sei teilweise mangelhaft. Gesetzesänderungen, die auf den Empfehlungen der Untersuchungsausschüsse fußen, würden teilweise kaum angewandt. Ein zentraler Kernpunkt der EU-Opferschutzrichtlinie sei, Opfer müssen Zugang zu allen Informationen und als Betroffene von Hatecrime zu spezialisierten Fachberatungsstellen haben.
Prof. Barbara John stellte ihre bis heute anhaltende Arbeit mit den Betroffenen des NSU-Komplexes dar. Diesen würden bis heute Steine in den Weg gelegt. John erinnerte daran, dass eine kostenlose Anreise der Betroffenen zum NSU-Prozess erst durch ihr Einsammeln von Spenden habe sichergestellt werden können. Als eine ihrer aktuellen Aufgaben sieht sie mögliche Gesetzesänderungen für mehr juristisches Mitspracherecht der Betroffenen. Denn, so betonte sie, die NSU-Haupttäterin Beate Zschäpe arbeite an einer vorzeitigen Entlassung. John strebt an, dass die Betroffenen – wie es in anderen Ländern üblich ist – über eine bevorstehende Haftentlassung informiert und dazu angehört werden. John kritisierte die Rolle des 2. Bayerischen Untersuchungsausschusses bei ihrem „strategischen Einstieg in die Große Verwandlung vom Hass in die Empfindsamkeit“. Diese Verwandlung könne man Zschäpe nicht abkaufen.
In seiner Sitzung am 3. Juni 2024 wandte sich der Ausschuss dann wieder dem Nordkreuz-Komplex zu. Geladen waren zwei für die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zuständige Staatsanwälte, Lo. und Gl. Diese stellten zunächst dar, dass ihnen der Zeuge Sch. aus dem Verfahren gegen Franco Albrecht übergeben wurde. Dieser hatte laute Gl. „kalte Füße“ wegen der Ermittlungen bekommen und war deswegen aussagebereit. Sch. erzählte unter anderem von Chatgruppen in Mecklenburg-Vorpommern. Sch. war dort im „inneren Kreis“ und belastete den Polizisten Haik Jä. und den Rechtsanwalt Jan-Hendrik Ha. so stark, dass der Generalbundesanwalt (GBA) Ermittlungen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat einleitete. Man fürchtete, sie würden ihre legalen Waffen „subjektiv umwidmen“ und für einen Tag X verwenden, an dem sie unter anderem politische Feinde töten wollten.
Bei den folgenden Durchsuchungen wurden bei Jä. und Ha. unter anderem Feindeslisten gefunden. Bei Marko Gr., dem Elitepolizisten und Initiator und Administrator der Chatgruppen wurden Waffen, Munition, ein Kassenbuch und ein Collegeblock mit Aufzeichnungen zu den Aktivitäten von Nordkreuz gefunden. Bei Gr. wurde zwar im Verfahren des GBA durchsucht, er galt dabei jedoch nur als Zeuge.
Bis heute ist ungeklärt, warum der GBA ein Verfahren gegen Gr. lediglich wegen illegalen Waffenbesitzes an die Staatsanwaltschaft Schwerin übergab und kein eigenes 129er-Verfahren gegen Ha., Jä, Gr. und weitere Personen eröffnete. Und warum er das Verfahren gegen Gr. auch nach eindringlichem Bitten der Staatsanwaltschaft Schwerin nicht wieder übernahm. Offen bleibt auch, warum der GBA die Verfahren gegen Ha. und Jä. schließlich einstellte.
Zu diesen Fragen hatten sich die Zeugen vom 3. Juni noch nicht einmal überzeugende Narrative zurecht gelegt. Gegen Gr. habe man nicht ermittelt, weil der Zeuge Sch. ihn nicht in gleicher Art und Weise benannt habe wie Jä. und Ha. Und gegen letztere seien die Verfahren eingestellt worden, weil man, so die Zeugen vor dem Ausschuss, eine subjektive feste Entschlossenheit hätte feststellen müssen und man alle Nachrichten und Aktivitäten im Rahmen von Nordkreuz auch in Richtung einer Überlebenssicherung im Krisenfall hätte interpretieren können. Hier wird der Ausschuss in den kommenden Sitzungen weiter nachhaken müssen.
Dieser Kurzbericht erschien zuerst in unserem monatlichen Newsletter „Aufklären und Einmischen“. Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Hier den Newsletter abonnieren!
(Text: ck / Redaktion: scs)