Die Geheimdienste hatten um die Zwickauer Zelle ein dichtes Netz geknüpft. Auf die Spur des Mörder-Trios kamen sie jedoch nicht.
Gastbeitrag von Andreas Förster, zuerst veröffentlicht in der Berliner Zeitung.
Fast 14 Jahre lang waren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf der Flucht. Sie lebten mit Hilfe von rechten Gesinnungsgenossen ein unauffälliges Leben im Untergrund. Um sie herum platziert waren vor allem in den Anfangsjahren mindestens zwei Dutzend V-Leute – sie spitzelten für das Bundesamt (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Berliner Landeskriminalamt (LKA). Vor dem Beginn des Prozesses gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer in München stellt sich daher einmal mehr die Frage, warum Geheimdienste und Polizei dennoch nie auf die Spur des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ kamen. War es nur Versagen, nur Inkompetenz?
Überprüfung nicht erlaubt
Der Verfassungsschutz hat nach eigenen Aussagen nur vergleichsweise wenige Informationen über das Nazi-Trio in den Archiven der Bundes- und Landesämter gefunden. Sollten die V-Leute aber wirklich nichts gewusst haben? Sollten sie in der alles andere als verschwiegenen Nazi-Szene nicht mehr Informationen aufgeschnappt haben? Schwer zu glauben, aber ein Gegenbeweis scheitert auch daran, dass viele Quellen- und Personenakten vernichtet worden sind, auch noch nach dem Auffliegen des NSU. Ob diese Akten aber tatsächlich weg sind oder einfach nur weiter unter Verschluss liegen, darf keine unabhängige Institution überprüfen. Der Verfassungsschutz besitzt nach wie vor die Hoheit über seine Akten und entscheidet letztlich selbst darüber, welche Berichte und Dokumente er Ermittlern und Untersuchungsausschüssen übergibt.
Die obenstehende Karte macht deutlich, wie eng das Netz der V-Leute war, das rund um das Trio nach dessen Untertauchen im Januar 1998 geknüpft wurde. In den Ermittlungsunterlagen tauchen insgesamt 24 V-Leute auf, die im näheren und weiteren Umfeld von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt platziert waren:
Die „Rennsteig“-Spitzel. Ihre Decknamen fangen alle mit dem Buchstaben T an: „Treppe“, „Tobago“, „Tonfall“, „Tonfarbe“, „Tusche“, „Tinte“, „Terrier“, „Trapid“ und „Tarif“. Angeworben wurden sie vom BfV zwischen 1999 und 2003 im Zuge der Operation „Rennsteig“. Sie gehörten dem „Thüringer Heimatschutz“ (THS) an, aus dem das Trio und seine Unterstützer stammten.
„X-1“ und „X-2“. Die zwei Thüringer Neonazis, deren Klar- und Decknamen nicht bekannt sind, warb das BfV in der „Rennsteig“-Nachfolgeoperation „Saphira“ zwischen 2003 und 2005 an.
„Otto/Oskar“. Hinter diesen beiden Decknamen verbarg sich Tino Brandt, Chef des THS und zwischen 1994 und Anfang 2001 der bestbezahlte Spitzel des LfV Thüringen. Brandt hatte 1998/1999 Kontakt zum Trio und ließ ihm Geld zukommen, das er für diesen Zweck vom Verfassungsschutz erhalten hatte.
„Hagel“. Marcel D. war der Geraer Sektionschef von Blood&Honour, der Organisation, die dem Trio wichtige Fluchthilfe leistete. „Hagel“ wies bereits im September 1998 und im November 1999 auf einen wichtigen Verbindungsmann des Trios hin.
„Tristan“. Auch dieser Spitzel gab frühzeitig einen wichtigen Tipp und wies auf Chemnitz als möglichen Fluchtort hin.
„Küche“. Thomas Dienel war einer der gefährlichsten und zeitweise einflussreichsten Neonazis in Thüringen und wurde 1995 als V-Mann angeworben. 2000 flog er auf.
„Corelli“. Thomas R. war eine Topquelle des BfV. Zwischen 1994 und 2012 lieferte er brisante Interna aus der rechten Szene und erhielt dafür insgesamt 150 000 Euro. R. kannte das Trio aus Thüringen
„Ares“. Dahinter verbirgt sich der Erfurter Ex-NPD-Chef Kai-Uwe Trinkaus. Er arbeitete 2006/2007 für das LfV und war bei Gesprächen anwesend, in denen es um das Trio ging.
„X-3“. Kai D., dessen Deckname nicht bekannt ist, war rund 15 Jahre lang V-Mann erst des Berliner und später des bayerischen LfV. In den 1990er-Jahren hatte er enge Beziehungen nach Thüringen und zum THS. Im Jahr 2000 wurde er abgeschaltet.
„X-4“. Von Mai 1999 bis Mai 2003 führte der MAD eine eigene Quelle im THS. Die Identität dieses V-Manns ist ungeklärt.
Hilfe bei Wohnungssuche
„Primus“. Ralf M. ist ein Zwickauer Neonazi, der ab Ende der 1990er-Jahre bis etwa 2002 für das BfV gespitzelt haben soll. M. kannte Zwickauer Kontaktleute des Trios. Seine Baufirma soll außerdem im Zeitraum zweier Morde, die dem NSU zugeschrieben werden, Fahrzeuge angemietet haben. Die Ermittler gehen allerdings bislang nicht davon aus, dass „Primus“ an den Taten des NSU beteiligt war.
„Piato“. Carsten S., ein V-Mann des Brandenburger LfV, verkehrte in der Chemnitzer Helfer-Szene des Trios. Das LfV hatte ihn beauftragt, dort Informationen über die drei Untergetauchten zu beschaffen. Er meldete unter anderem, dass den Untergetauchten Waffen besorgt werden sollten.
„VP 562“. Dahinter verbirgt sich Thomas S., der zwischen 2000 und 2011 für das Berliner Landeskriminalamt spitzelte. S. war ein enger Vertrauter des Trios. Er hatte ihnen 1997 Sprengstoff beschafft und nach ihrem Abtauchen die erste Wohnung in Chemnitz besorgt.
„X-5“. („Strontium“) Mirko H. war bis zum Jahr 2002 V-Mann des BfV. Der Neonazi hatte engen Kontakt in die Chemnitzer Helfer-Szene des Trios.
„X-6“. Das gleiche trifft auch auf Toni S. zu, der von 2000 bis 2002 für das LfV Brandenburg spitzelte.