München: Neonazi-Aktion vor dem NSU-Prozessgebäude

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Die Flugblätter des neonazistischen FNS. Foto: a.i.d.a.

Die Flugblätter des neonazistischen FNS. Foto: a.i.d.a.

Ein Beitrag von Robert Andreasch, zuerst erschienen bei a.i.d.a. München.

Am Dienstag, 16. April 2013, verteilten Neonazis des „Freien Netz Süd“ rund um das Justizgebäude in der Nymphenburger Straße Flyer zum ersten -Prozess. Mit ihrer Aktion forderten sie unter anderem die Freilassung des angeklagten Neonazis . Von den Morden und Anschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ distanzierten sie sich nicht.

Das erste Verfahren gegen Mitglieder und mutmaßliche Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU)  vor dem Oberlandesgericht München (OLG) wird erst am 6. Mai 2013 beginnen. Doch Neonazis aus dem „„-Kameradschaftsnetzwerk (FNS) starteten in der letzten Woche eine erste Aktion in der Umgebung des Verhandlungsortes:

Am frühen Abend gegen 18.00 Uhr tauchten mindestens zwei männliche Neonazis in der Gegend um das bewachte Gerichtsgebäude auf und verteilten – von den Behörden unbemerkt und ungehindert – an Passant_innen und in die Briefkästen von Wohnhäusern die Flugblätter des FNS. Über eineinhalb Stunden lang waren sie u. a. in der Nymphenburgerstraße, Erzgießereistraße, in der Linprunstraße und der Sandstraße unterwegs.

„Paulchen’s neue Streiche“

Auf dem Titel des verteilten Hochglanzblatts ist über ein Foto des Münchner Justizgebäudes ein Ausschnitt aus einer der Bekenner-DVDs abgebildet: Zwischen den Aufschriften „Nationalsozialistischer Untergrund“ und „Paul 2000 – Paulchen’s neue Streiche“ prangt eine Pistole, dahinter sind kleinere Bilder unterlegt, die Polizeibeamt_innen zeigen: bei der Spurensicherung beispielsweise oder bei der Trauerfeier für die vom NSU erschossene Polizistin Michèle Kiesewetter.

Obwohl am 16. April 2013 verteilt, heißt es darunter bereits im ersten Satz: „Seit dem 17. April 2013 findet nun der lang erwartete Schauprozess gegen das so genannte NSU-Phantom vor dem Oberlandesgericht in München statt“ – nicht die einzige Ungenauigkeit in dem vierseitigen, an Rechtschreib- und Interpunktionsfehlern ebenfalls nicht armen Text.

Das Verfahren vor der sechsten Strafkammer sei also ein „Schauprozess“ und weil die bayerischen Neonazis dazu übergegangen sind, den „Nationalsozialistischen Untergrund“ als ein erfundenes „Konstrukt“ zu bezeichnen,  das rechtsterroristische Netzwerk  nur ein „sogenanntes NSU-Phantom“. Schon in der Überschrift heißt es: „NSU-Phantom Verfahren in München ist eine Farce!“ (Schreibweise im Original). Statt die Quellen namentlich zu benennen, erfinden die Neonazis des FNS flugs „viele Beobachter“, die sich „einig“ seien: „Das Urteil steht in seinen Grundzügen schon fest“.

„Systemrichter“ und „Schweinejournalisten“

Der Text ist in weiten Teilen aus Meldungen zusammengefügt, die in der letzten Zeit auf der Internetpräsenz des „Freien Netz Süd“ veröffentlicht wurden, vor allem aus dem am 7. Februar 2013 publizierten Beitrag „NSU-Phantom: Zschäpe-Mutter klagt über Polizei und Justiz“. Wie die Veröffentlichungen auf der Homepage des Kameradschaftsdachverbands ist auch der Text des Flugblatts eine Aneinanderreihung von Übertreibungen einerseits sowie Schmähungen und Diffamierungen andererseits: Die Richter um Manfred Götzl seien „bundesrepublikanische Systemrichter“, die Medien wahlweise „Systempresse“ oder „Lizenzmedien“ und die Berichterstatter_innen „Schweinejournalisten“ und „Stunkfabrikanten“.

Der von (Nürnberg), einem der führenden Neonazis im „Freien Netz Süd“, presserechtlich verantwortete Text des Flugblatts ist am Schluß mit dem vom FNS genutzten Logo der „Nationalen Sozialisten Deutschland“ illustriert. Auch wenn es abschließend heißt „Treten Sie mit uns in Kontakt“, enthält das verteilte Pamphlet nur wenig, was als Bürger_innennähe auslegbar wäre.

„Freiheit für Wolle“

Die zentrale Forderung im FNS-Flugblatt ist „Freiheit für Wolle!“. Gemeint ist die Entlassung des Angeklagten Ralf Wohlleben aus der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Ralf Wohlleben, der frühere stellvertretende Thüringer -Landesvorsitzende, ist im ersten NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Er soll, so die Bundesanwaltschaft, mitbeteiligt gewesen sein bei Beschaffung und Bezahlung der Ceska-Pistole, die in der Mordserie des NSU als Mordwaffe zum Einsatz kam. Verharmlosend wird nun im „Freies Netz Süd“-Flyer die angeklagte Beihilfe zum Mord zu einer lediglich „vermeintlichen Tat“: „Er [Wohlleben, R. A.] sitzt seit über einem Jahr unter verschärften Bedingungen in Untersuchungshaft, obwohl diese vermeintliche Tat, selbst bei einer Bestätigung des Vorwurfes, längst verjährt wäre.“

FNS & NSU

Die Solidarität des „Freien Netz Süd“ (FNS) mit dem militanten Thüringer Neonazi Wohhleben ist nicht zufällig. Schon in den 1990er Jahren bestanden zwischen bayerischen Neonazis (die heute u. a. im FNS organisiert sind) und der Thüringer Szene um den „Thüringer Heimatschutz“ enge Beziehungen. Das Gelände im thüringischen Kahla, auf dem Neonazis um Uwe Böhnhardt das Schießen lernten, gehörte beispielsweise seit 1996 dem Coburger Rechtsaußenpublizisten . Als Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 sich während einer Polizeirazzia absetzen konnten, hinterließ Mundlos mehrere Telefonlisten, auf denen er für den Fall einer Flucht – nach Orten sortiert – zuverlässige Neonazis und Anlaufstellen mit ihren Rufnummern aufgeschrieben hatte, u. a. (Fürth), der heute als Führungskader des FNS wirkt, außerdem Ilona K. (Fürth), (heute Nürnberg), damals V-Mann des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz sowie weitere Neonazis aus Niederbayern und dem Allgäu.

Am Mittwoch, 26. April 2000, veranstaltete der NPD-Kreisverband Coburg ab 18.00 Uhr ein Konzert mit dem neonazistischen Liedermacher Frank Rennicke (heute: Feilitzsch-Unterhartmannsreuth) und dem Jenaer Duo „Eichenlaub“ in Neustadt bei Coburg. Vor weit über einhundert Zuhörenden trat damals somit diejenige Kapelle auf, die den abgetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gerade das Lied „5. Februar“ gewidmet hatte. Die Mitglieder der Band bekundeten im Jahr vor dem oberfränkischen Konzert auch im deutschen „Blood & Honour“-Magazin ihre Solidarität mit den Rechtsterrorist_innen: Man stehe „zu dem, was unsere drei Kameraden da getan haben. Wir, die sie wohl mit am Besten kannten, können uns mittlerweile ganz gut vorstellen, warum sie diesen sehr zweifelhaften Weg gegangen sind.“ Matthias Fischer veröffentlichte einen Konzertbericht in seinem „Landser“-Magazin, auf dessen Titelseite vermummte Neonazis in drohender Pose abgebildet waren, unter der Überschrift „Kultur in Oberfranken“.

Bayerische Neonazis zeigten sich auch in den Jahren des „Abtauchens“ der Jenaer Neonazis solidarisch und überließen den Rechtsterrorist_innen in mehreren Fällen Geld und Identitäten. Und nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ im November 2011 kokettierten Neonazis aus den Kreisen des „Freien Netz Süd“ mehrfach mit der Mordserie. Rainer Biller (Nürnberg), der bei kaum einem FNS-Auflauf fehlt, postete auf seinem facebook-Account einen Screenshot aus der NSU-Bekenner-DVD. Unter den menschenverachtenden Comic „Deutschlandtour – 9. Türke erschossen“ klickten fünf von Billers „Freunden“ auf den „Gefällt mir“-Button. Zum anderen veröffentlichte Biller ein Foto des Imbissstands in der Nürnberger Scharrerstraße, dessen Besitzer im Rahmen der neonazistischen Mordserie ermordet wurde. Biller kommentierte das Foto mit dem Satz „Tod dem Döner, es lebe die Nürnberger Bratwurst“ und unter das Bild schrieb er: „Wenn wir Glück haben verschwinden erst die Dönerbuden und dann der Rest der Mischpoke“. Neben anderen klickte auch der „Freies Netz Süd“-Kader und damalige stellvertretende NPD-Bezirksvorsitzende Robin Siener (Regensburg) darunter auf „gefällt mir“.

Beim Neonaziaufmarsch des „Freies Netz Süd“ am 21. Januar 2012 in München spielten der langjährige „Kameradschaft München“-Aktivist (Ottobrunn) und Anti-Antifa-Fotograf Philipp G. (Ebersberg) die „Pink Panther“-Melodie über die Lautsprecheranlage ab. Die Musik stammt aus dem bekannten Trickfilm, den die Neonazis aus dem NSU-Netzwerk zur Grundlage einer ihrer Bekenner-DVD-Versionen gemacht hatten. Nur wenige Wochen später, am 26. April 2012, stellten Neonazis der ans FNS angebundenen „Freien Nationalisten Weißenburg“ in den Kommunen Ellingen, Pleinfeld, Weißenburg, Holzingen, Alesheim und Treuchtlingen insgesamt elf ca. 1,50 m große „Paulchen-Panther“-Figuren mit der Aufschrift „Wir sind keine Terroristen“ auf.

„Kälte- und Lichtfolter gegen Beate Zschäpe“

Die Haltung des „Freien Netz Süd“ gegenüber der mitangeklagten Beate Zschäpe ist nicht so eindeutig wie die Position gegenüber Ralf Wohlleben. Im verteilten Flugblatt wird über mehrere Absätze gejammert, dass „von den sonst so hochgehaltenen Persönlichkeitsrechten der Besuchuldigten“ im „NSU-Phantom-Fall keine Spur mehr sichtbar“ sei. Was die Neonazis dann jedoch nicht davon abgehalten hat, direkt daneben ein unverpixeltes Bild Zschäpes einzufügen, das aus einem Polizeivideo aus der U-Haft Zschäpes in Köln stammt.

Im Dezember 2011 hatte das FNS einen deutlichen Artikel zugunsten von Beate Zschäpe auf der FNS-Homepage veröffentlicht: Über eine angebliche „Kälte- und Lichtfolter gegen Beate Zschäpe“ klagten die bayerischen Neonazis damals und hetzten gegen „Systemjustiz“ und „Redaktionssynagogen“. Ab Januar 2012 tauchte dann in den FNS-Artikeln zunehmend häufiger die Sprachregelung „NSU-Phantom“ bzw. „NSU-Phantom-Komplex“ auf und im Laufe des Jahres stellten bayerische Neonazis bei FNS-Aktionen Zschäpe und Co immer mehr in den Verdacht, selbst Agent_innen oder zumindest an einer geheimdienstlichen Verschwörung zu Lasten des „Nationalen Widerstands“ beteiligt gewesen zu sein.

„Die NSU, die hat es nie gegeben“

Am 11. Januar 2013 beispielsweise, als sich rund 25 Neonazis aus den Kreisen des „Freien Netz Süd“ am Abend kurzfristig zu einer „Eilkundgebung“ in Solidarität mit dem militanten Wiener Neonazi Gottfried Küssel gegenüber dem österreichischen Konsulat in München versammelten. Vor dem FNS-Führungskader Norman Kempken und vielen bekannten FNS-Aktivist_innen sprach damals (Mering) über den in München anstehenden NSU-Prozess. Die dort Angeklagten erklärte Wuttke in seiner Rede zu Geheimdienstmitarbeiter_innen:

„Es ist klar, dass diese Beate Zschäpe, gegen die ein Prozess, ein Schauprozess geführt werden wird und die anderen Mitangeklagten, aber zumindest die Beate Zschäpe, eine Informantin des Inlandsgeheimsdienstes war oder möglicherweise mehrerer Inlandsgeheimdienste, das ist bekannt (…) die NSU, die hat es nie gegeben, das ist ein Märchen, eine Lüge, genauso wie das Märchen von der Demokratie in der Bundesrepublik oder von der Demokratie in Österreich“.

Keine Distanzierung von den NSU-Morden

Dafür gab es damals viel Applaus von den Umstehenden. Beim FNS mag es Verwirrung darüber geben, ob die Angeklagten im ersten NSU-Prozess die Solidarität der Bewegung benötigen bzw. verdienen oder nicht. Eindeutiger scheint die Haltung des „Freien Netz Süd“ zu den rechtsterroristischen Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu sein: Eine Distanzierung von der Mordserie (die im Flugblatt weiter nur mit dem rassistischen Begriff „Döner-Morde“ bezeichnet wird), den Sprengstoffanschlägen und den bewaffneten Banküberfällen gibt es im verteilten Flugblatt an keiner Stelle.