von Dennis Firmansyah, erschienen am 12. Januar 2015 in der Zwischenzeit
Der hessische Landtag berief im Mai diesen Jahres einen Untersuchungsausschuss ein, der die Morde der neonazistischen „NSU“ aufklären soll. Im Mittelpunkt steht dabei die Ermordung von Halit Yozgat, der 2006 in seinem Internetcafé in Kassel erschossen wurde – während ein V-Mann im Nebenzimmer saß. Andreas T. soll kurz vor dem Mord noch mit einem Nazi-Spitzel telefoniert haben. Die Gruppe NSU-Watch Hessen hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeit des Ausschusses kritisch zu begleiten. Doch obwohl der Untersuchungsausschuss schon mehr als einem halben Jahr einberufen wurde, ist bisher noch keine einzige Akte auf den Tisch gekommen. Nachdem im September der Ausschuss getagt hat, soll nun eine Expertenkommission eingrenzen, welche Akten vorgelegt werden sollen.
Zwischenzeit: Wann werden dem Ausschuss die Akten vorliegen?
NSU-Watch Hessen: Das wissen wir nicht. Soweit uns bekannt, ist das aber auch dem hessischen Untersuchungsausschuss selbst bisher nicht klar. Es ist relativ kompliziert, da es sich um Akten aus verschiedenen Behörden und verschiedenen Bundesländern handelt, die angefordert werden müssen. Zum Teil werden diese nicht freigegeben. Das wird damit begründet, dass es unterschiedliche Geheimhaltungsstufen gibt. Die Verfassungsschutzämter haben im Zusammenhang mit dem NSU schon mehrfach von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Vorlage von Akten zu verweigern, weil es dem „Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes“ Nachteile bringen würde. Viele Akten wurden bereits im Untersuchungsausschuss des Bundestages gesichtet – und sollen jetzt hinsichtlich ihrer Geheimhaltungsstufe neu überprüft werden. Das kostet unnötige Arbeit und Zeit, weil sich ja an den Inhalten der Akten nichts geändert hat.
Die hessischen Grünen verlautbaren in einer Presseerklärung, dass durch vier Untersuchungsausschüsse und dem NSU-Prozess in München schon viel bekannt sei. Ist der Ausschuss in Hessen überflüssig?
Aus unserer Sicht natürlich nicht. Jede kritische Auseinandersetzung mit dem NSU, seiner Verbindung zum Verfassungsschutz und der hessischen Neonaziszene, ist erstmal zu begrüßen. Es gibt auch noch immer unzählige Fragen und Sachverhalte im Zusammenhang mit dem NSU, die nicht geklärt sind. Wenn Parteien, die am Ausschuss beteiligt sind, sagen, er wäre überflüssig, stimmt das natürlich nicht besonders hoffnungsvoll auf eine konstruktive Zusammenarbeit, die der Aufklärung dienen soll. Besagte Aussagen von Herrn Frömmrich, dem Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, spiegeln aber sicher nicht die Meinung aller Grünen in Hessen wider. Wir hoffen, dass es innerparteiliche Auseinandersetzungen dazu geben wird, die eine konstruktive, inhaltliche Arbeit im Ausschuss ermöglichen. Bisher ist etwa völlig ungeklärt, warum Halit Yozgat als Opfer ausgewählt wurde und ob die Täter vor Ort unterstützt wurden.
Der hessische Verfassungsschutz soll mit Andreas T. konspirative Gespräche an Raststätten geführt haben.
Diese Gespräche zwischen einer Vorgesetzten und T. sind inzwischen belegt. Es gibt aber noch unzählige Unklarheiten in Bezug auf T. Er hat im NSU-Prozess in München und im Untersuchungsausschuss des Bundestags ausgesagt – und sich selbst mehrfach widersprochen. Es ist schwer abzuschätzen, ob sich an seinem Aussageverhalten etwas ändert. Im öffentlichen Interesse und im Interesse der Angehörigen wäre es.
Die Fragen um T. sind aber nicht die einzigen, die uns interessieren. Es werden viele andere Zeug_innen und Expert_innen geladen werden, die Aufschluss über die Neonaziszene in Hessen geben können, und damit auch ein besseres Verständnis über die Netzwerke, in denen sich das Kerntrio bewegt hat. Ohne eine breite Unterstützung, gar einer Beteiligung Anderer hätte es keine Mordserie gegeben. Ohne den gesellschaftlich weit verbreiteten Rassismus und den institutionalisierten Rassismus der Behörden wäre es früher klar gewesen, dass es sich um eine rassistische Mordserie handelt. Darauf haben migrantische Communities ja schon weit vor der Enttarnung des NSU 2011 hingewiesen.
Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident, muss sich im Rahmen des Untersuchungsausschusses erklären. Welche Erkentnisse erhofft ihr euch von seiner Aussage und wie seht ihr seine Weisung an die Polizei, laut der sie den V-Mann und zwischenzeitlich tatverdächtigen Andreas T. nicht verhören durfte?
Als damaliger Innenminister des Landes Hessen untersagte Bouffier die Vernehmung der V-Leute, die T. geleitet hat. Dafür führte er „Quellenschutzgründe“ an, wonach selbst Bayern damaliger Innenminister Beckstein erfolglos intervenierte. Wir sind skeptisch, ob Bouffier diese Aussage revidieren wird. Schon allein weil er sich damit höchstwahrscheinlich selbst schaden würde. Vielleicht werden Mitglieder des Untersuchungsausschuss aber hartnäckige Fragen stellen, die neue Informationen ans Licht bringen.
NSU-Watch Hessen unterstützen:
Die Gruppe wird an öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses teilnehmen, Protokolle und Berichte verfassen, die auf deutsch und türkisch erscheinen werden. NSU-Watch Hessen will die öffentliche Berichterstattung kritisch begleiten und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung anstoßen. Gespräche mit Vertreter_innen von Parteien, Interviews mit Expert_innen und die Pflege der Homepage haben sie sich vorgenommen. Das alles braucht Zeit und Ressourcen. Die Gruppe ruft dazu auf, von ihrer Arbeit zu erzählen und die Ausschusssitzungen zu besuchen. Wer die Arbeit finanziell unterstützen will, kann hier spenden