Augenschein des Terrors: Ein Besuch der NSU-Tatorte

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zuerst erschienen in: Hinterland-Magazin

Nach bald 200 Verhandlungstagen am Oberlandesgericht München ist der NSU-Prozess zu einer Art Alltagsgeschäft geworden. Als Beobachter und Dauergast auf der Zuschauertribüne wird es zunehmend schwieriger, dem zu entgehen, was man als einen „Terror der Intimität“ beschreiben könnte. Ähnlich negativ berühren die NSU-Tatorte und die Formen des Gedenkens.

Eine Bildserie des Prozessbeobachters Friedrich C. Burschel.

Wenn man über Monate und Jahre auf eine enge, schwül-warme Tuchfühlung mit Schaulustigen, Interessierten, „Medienschaffenden“ und Aufsichtspersonal im Justizbunker gehen muss, verklebt bisweilen die Wahrnehmung für das, was wesentlich sein könnte. Hinterland-Bildserie 2

Stattdessen bleiben Erinnerungen an die endlosen und über weite Strecken fruchtlosen Befragungen von dreist und bockig auftretenden Zeugen und Zeuginnen aus der Neonazi-Szene oder verstockten Geheimdienstlern. Polizisten und Polizistinnen, die Aussagen von Zeugen bezeugten, die sich wiederum auf ein Aussageverweigerungsrecht berufen konnten. Aber die Opfer und die Betroffenen des NSU-Terrors geraten im Prozessalltag immer weiter in den Hintergrund. Angehörige von Ermordeten oder Geschädigte lassen sich im Gerichtssaal in München kaum noch sehen. Es ist eine Zumutung für sie, dieses Verfahren zu verfolgen, das seinen Blick starr auf die Täter richtet. Die beständig durchgehaltene Ungerührtheit, ja Heiterkeit der Angeklagten Zschäpe ist für sie kaum auszuhalten.

Erinnerung an den Gegenstand

Man hätte glatt vergessen können, worum es bei dem Jahrhundert-Prozess eigentlich geht, wäre nicht im Frühjahr 2014 die Überlebende des perfiden Sprengstoffanschlages auf ein Lebensmittelgeschäft in der Hinterland-Bildserie KeupstraßeKölner Probsteigasse als Zeugin aufgetreten. Eine eindrucksvolle Erinnerung daran erhielt auch, wer – fast zwei Jahre nach Prozessbeginn – die Zeugen aus der Kölner Keupstraße im Gerichtssaal hörte, die von den Folgen des Nagelbombenanschlags am 9. Juni 2004 berichteten.

Es geht um neun rassistische Morde des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), den Mordanschlag in Heilbronn auf eine Polizistin und ihren Kollegen, der schwer verletzt einen Kopfdurchschuss überlebte, um mindestens drei Sprengstoff bzw. Nagelbombenanschläge und zahlreiche Bank und Raubüberfälle.

Weit ab vom Gerichtssaal

Es sind bisweilen trostlose und geradezu banale Orte, an welchen die Menschen, um die es in diesem Prozess geht, brutal ermordet oder durch Bomben verletzt wurden. Eine meiner „NSU-freien“ Wochen vor Gericht habe ich darauf verwendet, die crime scenes des NSU aufzusuchen. Dabei ging es nicht um Tatort-Hopping, sondern um den Versuch, sich den Ermordeten auf eine andere Art und Weise zu nähern. Und es ging um die Frage des Erinnerns.

In Hamburg ist der Text des Gedenksteins nicht mehr zu lesen, in Dortmund hat sich längst der winterliche Grauschleier der Autoabgase auf derHinterland-Bildserie Probsteigasse hässlichen Gedenkplatte neben der Fahrbahn der Mallingrothstraße abgesetzt. Und in Nürnberg erklärt der Spruch auf einer der Gedenktafeln für Enver Şimşek ihn zum „Fremdling“. Man fragt sich, wie ein angemessenes Erinnern an die Getöteten und die Hintergründe ihrer Ermordung aussehen könnte. Wie kann der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem und institutionellem Rassismus herstellt werden? Wie kann man auf die staatlichen Verstrickungen hinweisen?

Weder an diesen Orten noch im Gerichtssaal ist etwas davon zu spüren, dass der NSU-Prozess als Anstoß für eine gesellschaftliche, juristische oder politische Aufarbeitung gesehen wird.

 

Fotos aller Tatorte sind auf der Seite des Hinterland-Magazins zu sehen.