Besser spät als nie: NSU-Untersuchungsausschuss in BaWü

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Am 23. Januar 2015 fand nach drei nicht­öf­fent­li­chen die erste öffent­li­chen Sit­zung des baden-württembergischen Lan­des­un­ter­su­chungs­aus­schuss (LUA) mit der exak­ten Bezeich­nung „Die Auf­ar­bei­tung der Kon­takte und Akti­vi­tä­ten des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermor­dung der Poli­zei­be­am­tin M. K.“ statt.

Artikel zuerst erschienen auf dem Blog antifra* – Debatte, Bildung, Vernetzung zu Migration und gegen Rassismus und Neonazismus

Bei der Sit­zung am 23. Januar wurde als ein­zige Per­son Heino Vahl­dieck, Ham­bur­ger Innen­se­na­tor a. D. und ehe­ma­li­ger dor­ti­ger Verfassungsschutz-Chef (2001−2009), als Sach­ver­stän­di­ger ange­hört. Vahl­dieck war in sei­ner Funk­tion als Mit­glied der vier­köp­fi­gen „Bund-Länder-Kommission Rechts­ter­ro­ris­mus“ gela­den. Diese 2012 ein­ge­rich­tete Kom­mis­sion diente weni­ger der Unter­su­chung von Rechts­ter­ro­ris­mus in der Bun­des­re­pu­blik als mehr der Unter­su­chung mög­li­chen Behör­den­ver­sa­gens in die­sem Bereich. Als ehe­ma­li­ger Innen­se­na­tor und Verfassungsschutz-Chef der Insti­tu­tion der Inlands­ge­heim­dienste mit dem irre­füh­ren­den Namen „Ver­fas­sungs­schutz“ (VS) stand Vahl­dieck dem VS nicht son­der­lich kri­tisch gegen­über. Die Abschaf­fung des „Ver­fas­sungs­schut­zes“ sei keine Option und von einem „gene­rel­len Sys­tem­ver­sa­gen“ könne „keine Rede“ sein. Es hätte ledig­lich „kom­mu­ni­ka­tive Pro­bleme“ gege­ben, es gäbe aber „kei­nen Hin­weis“ das die Behör­den „gene­rell auf dem rech­ten Auge blind“ gewe­sen seien. Ebenso ver­tei­digte er grund­sätz­lich den Ein­satz von V-Leuten und ver­deck­ten Ermitt­lern. Immer­hin gab er zu, dass die V-Mann-Praxis eine „füh­rende Figur des THS [Gemeint sind Tino Brandt und der „Thü­rin­ger Hei­mat­schutz“, Anm. L.T.] zum V-Mann zu machen“ „schon schräg“ sei. Selbst­kri­tisch gab er auch zu, dass man bis auf den Mord­fall Kie­se­wet­ter bei der ras­sis­tisch moti­vier­ten Mord­se­rie „auf den Gedan­ken“ hätte kom­men kön­nen, dass das Mord­mo­tiv Ras­sis­mus sei. Gene­rell beschei­nigte Vahl­dieck dem VS, dass die­ser sein Hand­werk „auch in der Regel beherrscht“. Zur Infor­ma­ti­ons­quelle des V-Manns, so Vahl­dieck, gäbe es „keine Alter­na­tive“. Die meis­ten Abge­ord­ne­ten schwie­gen im öffent­li­chen Teil der LUA-Sitzung, grund­sätz­lich kri­ti­sche Stim­men gegen­über dem VS oder auch nur zur V-Leute–Pra­xis wur­den nicht laut.

Auch die zweite öffent­li­che Sit­zung am 26. Januar mit der Befra­gung Cle­mens Bin­nin­gers (CDU), Eva Högls (SPD) vom zurück­lie­gen­den Bundestags-NSU-Untersuchungsausschuss und Doro­thea Marx (SPD), der Vor­sit­zen­den des im August 2014 abge­schlos­se­nen NSU-Ausschusses des Thü­rin­ger Land­ta­ges, brachte keine genuin neuen Erkennt­nisse. Es hätte grund­sätz­lich auch gereicht, den jewei­li­gen Abschluss­be­richt zu lesen. Irri­tie­rend war, dass einige LUA-Abgeordnete Zeit damit ver­schwen­de­ten die Poli­zei gegen Kri­tik in Schutz zu neh­men oder den Befrag­ten Vor­hal­tun­gen zu machen. Ähnlich ver­hielt es sich bei der drit­ten öffent­li­chen Sit­zung am 16. Februar 2015 bei der der SWR-Journalist und „Terrorismus-Experte“ Hol­ger Schmidt und der Jour­na­list Thu­mi­lan Sel­va­ku­ma­ran, der zum Ku-Klux-Klan in Schwä­bisch Hall recher­chiert hat, sowie die Auto­ren des NSU-Buches Hei­mat­schutz, Ste­fan Aust und Dirk Laabs, befragt wur­den. Alle ihre Erkennt­nisse hat­ten diese Jour­na­lis­ten bereits publi­ziert. Nach­dem in der Sit­zung am 20. Februar die Exper­tin Andrea Röpke ange­hört wurde, ging es bei den Sit­zun­gen am 2., 9., 13. und 16. März um den Fall Flo­rian Heilig.

Der Kom­plex Flo­rian Heilig

Am 16. Sep­tem­ber 2013 ver­brannte mor­gens der 21-jährige Flo­rian Hei­lig in der Nähe des Cann­stat­ter Wasen bei Stutt­gart in sei­nem Auto. Am Nach­mit­tag sollte er erneut Aus­sa­gen machen, die seine Anga­ben in Bezug auf den Mord an der Poli­zis­tin Michèle Kie­se­wet­ter betref­fen. Flo­rian hatte bei einer frü­he­ren Aus­sage ange­ge­ben, dass er als ehe­ma­li­ges Mit­glied der Neonazi-Szene in Heil­bronn erfah­ren habe, dass Rechte behaup­tet hät­ten, in die Tat invol­viert gewe­sen zu sein. Außer­dem erwähnte Hei­lig eine „Neo­schutz­staf­fel“ (NSS), die sich mit dem NSU in Öhrin­gen getrof­fen haben solle. Wurde die Exis­tenz die­ser NSS lange als unwahr­schein­lich ver­wor­fen, so stellte sich jetzt her­aus, dass es tat­säch­lich eine Gruppe die­sen Namens gab. Ihr kann inzwi­schen auch ein Mat­thias K., Spitz­name „Matze“, zuge­ord­net wer­den. Unklar ist, wie Flo­rian Hei­lig zu Tode kam. War es Mord oder Selbst­mord? Und wenn es Selbst­mord war, wor­auf eini­ges hin­deu­tet, was waren die Motive? Ein Mord kann auch des­we­gen nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, weil die Ermitt­lun­gen im Todes­fall Hei­lig sehr ober­fläch­lich und has­tig ablie­fen. Bereits am 16. Sep­tem­ber 2013, also am Tag des Todes, wurde ein Fremd­ver­schul­den aus­ge­schlos­sen. Dabei war noch nicht ein­mal das Auto kom­plett durch­sucht wor­den. Die Fami­lie fand in dem ver­brann­ten Auto eine Pis­tole, eine Machete, ein Feu­er­zeug, zwei Mobil­te­le­fone, den Deckel eines Tank­ka­nis­ters und Tablet­ten­hül­len des Schmerz­mit­tels Busco­pan. Diese Fund­stü­cke hän­digte sie dem NSU-LUA aus, des­sen Vor­sit­zen­der, Dr. Wolf­gang Drex­ler (SPD), sie in einer eige­nen Pres­se­kon­fe­renz den Medien präsentierte. Verblüfft zeig­ten sich die Abge­ord­ne­ten schon bei der Befra­gung im LUA, dass die Ermitt­ler bei der Durch­su­chung des Autos von Flo­rian Hei­lig zwar einen beschä­dig­ten Lap­top, eine Kamera und einen weit­ge­hend unzer­stör­ten College-Block fan­den, sich aber nicht wei­ter für deren Inhalt inter­es­sier­ten. Auch das genaue Motiv für einen angeb­li­chen Selbst­mord scheint rela­tiv wenig inter­es­siert zu haben. Obwohl es nie rele­vant war, wur­den schlechte Schul­no­ten und Lie­bes­kum­mer als Teil­mo­tiv ein­ge­stuft. Die Angst vor der Befra­gung und mög­li­che Fol­gen dadurch bei ehe­ma­li­gen Gesin­nungs­ge­nos­sen führ­ten zu kei­ner­lei Ermitt­lun­gen. Ebenso wenig, wie die Angabe der Fami­lie, an ihren Wagen sei herum mani­pu­liert wor­den. Die vom LUA befrag­ten Fami­li­en­mit­glie­der berich­te­ten dage­gen, dass Flo­rian Anrufe erhielt, die ihn ver­stört hät­ten, und zum Selbst­schutz habe er seine SIM-Karten mehr­fach wech­selte. Auch im Falle eines Selbst­mords könnte Nöti­gung eine mög­li­che Straf­tat dar­stel­len. Trotz diver­ser Hin­weise auf eine sol­che, hielt es der ver­ant­wort­li­che Staats­an­walt nicht für nötig in diese Rich­tung ermit­teln zu las­sen und z.B. her­aus­zu­fin­den, wer mit Flo­rian Hei­lig in den Tagen vor sei­nem Tod tele­fo­niert hat. Über diese Zurück­hal­tung zeig­ten sich auch die LUA-Mitglieder erstaunt bis empört.

Die nächs­ten öffent­li­chen Sit­zungs­ter­mine sind für 13.4., sowie ggf. für den 17., und dann für den 20. und 27. April angesetzt. Mittlerweile dürf­ten die Akten für den Fall Kie­se­wet­ter ein­ge­trof­fen und stu­diert wor­den sein. Jetzt soll es vor allem um den Mord an Kies­wet­ter gehen. Ob die ursprüng­lich ange­setz­ten 20 Sit­zun­gen dafür noch rei­chen wer­den, ist frag­lich. Die ers­ten Sit­zun­gen wur­den unver­ständ­li­cher­weise dar­auf ver­wen­det, sich Wis­sen anzu­eig­nen, was auch aus ande­ren Quel­len zu bezie­hen gewe­sen wäre.

Lucius Tei­del­baum ist Teil von NSU-Watch Baden-Württemberg, das den NSU-LUA in Baden-Württemberg als Teil des bun­des­wei­ten NSU-Watch-Netzwerkes beobachtet.