Protokoll 232. Verhandlungstag – 29. September 2015

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An diesem Prozesstag geht es zunächst darum, die Mandantschaft von „Meral Keskin“ im NSU-Prozess weiter zu klären. Es sagt ein Arzt aus, der sie angeblich behandelte. Neben einer Sachverständigen-Befragung zum Überfall auf den Edeka-Markt nutzt Götzl den Prozesstag, um Entscheidungen zu verschiedenen Anträgen von Nebekläger_innen mitzuteilen. Diese fallen größtenteils negativ aus.
Zeuge und Sachverständige:

  • Dr. Arnt K. (Arzt, der angeblich „Meral Keskin“ behandelt hat, Anschlag in der Kölner Keupstraße)
  • Dr. Oliver Peschel (Rechtsmedizinischer SV, Gefährdung des Zeugen F.K., Überfall auf einen Edeka am 18.12.1998)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Anwesend sind die SV Saß, Peschel und Mölle. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Gestern hatten wir einen Anruf des Fundbüros Köln-Ehrenfeld- Welcher der Anwälte vermisst eine Nachlieferung von Akten? Auf der Straße wurde eine Nachlieferungs-DVD gefunden. Wer diese vermisst, möge sich beim Fundamt Köln-Ehrenfeld melden.“ Götzl: „Dann ist [I] [176. Verhandlungstag] erkrankt und in stationärer Behandlung. Daran hängt auch die Anhörung der Sachverständigen im Hinblick auf Angaben, die durch ihn erfolgen würden.“ Dann spricht Götzl den NK-Vertreter RA Willms an: „Zu Ihrer Mandantin, Frau Keskin: Wann hatten Sie denn zuletzt Kontakt?“ Willms: „Kurz vor der letzten Ladung, im Juni.“ Götzl: „Wann hatten Sie zuletzt versucht, Kontakt aufzunehmen?“ Willms: „Eigentlich immer, die ganze Zeit.“ Er habe Kontakt zu [I] gehabt, so Willms, der ihm Angaben habe machen können, dass sie im Krankenhaus liegt. Götzl: „Wann hatten Sie zuletzt Kontakt, konkret? Sie vertreten doch die Nebenklage Keskin und Ihre Mandantin ist mehrfach hier als Zeugin geladen worden. Und wir haben auch ein Attest angefordert.“ Willms: „Ich habe das auch angefordert.“

Götzl: „Sie müssen doch das Verfahren für Ihre Mandantschaft betreiben!“ Willms: „Ich habe mit [I] in dieser Frage kommuniziert.“ Götzl: „Aber das ist der Mandant von Rechtsanwalt Schön. Und ich höre Protest von Rechtsanwalt Schön. Habe ich das richtig verstanden?“ Schön: „Nach meinem Informationsstand ist es so, dass Herr Willms gar keinen Kontakt zur Frau Keskin hat, sondern nur zur Tochter. Denn die hält sich in der Türkei auf.“ Götzl zu Willms: „Können Sie mir das erklären?“ Willms: „Stimmt nicht, ich habe mit Frau Keskin zusammengesessen vor der letzten Ladung in der Wohnung von [I].“ Und er habe die Information bekommen, dass er das über [I] versuchen solle und er habe erfahren, dass Frau Keskin im Krankenhaus liege und dann jetzt irgendwann Ende des Jahres nach Deutschland kommen solle. Götzl:“ Sie müssen doch Kontakt mit Ihrer Mandantschaft haben!“ Willms: „Mir wurde gesagt, Sie liegt schwer krank im Krankenhaus.“ Götzl: „Herr Schön schüttelt den Kopf.“ Willms: „Aber es ist definitiv so.“ Götzl: „Aber Sie müssen doch Kontakt mit Frau Keskin aufnehmen.“

Götzl sagt, dass entweder Willms hier in Kürze für Klarheit sorge oder der Senat müsse dem nachgehen und das ermitteln. Götzl: „Es geht um die Abklärung des Sachverhaltes inhaltlich. Sie sind der Vertreter der Nebenklägerin und ich möchte, dass Sie mir die entsprechenden Informationen geben. Und Sie müssen mir definitiv sagen, ob das der Fall ist oder nicht.“ Willms: „Werde ich machen.“ Götzl: „Oder Sie geben mir die Telefonnummer, dann rufen wir Sie direkt an mit Dolmetscher, um Sie zu fragen, ob Sie bereit ist, als Zeugin zu kommen. Sie hatten zugesagt, ein Attest zu den Akten zu reichen, haben es aber nicht gemacht. Unter welchen Umständen fand das Treffen im Juni statt?“ Willms: „Wir hatten uns zusammen getroffen mit dem [I].“ Götzl: „Naja. Ich würde solche Fragen normalerweise nicht stellen, aber das sind die Besonderheiten dieses Ablaufs. Nachdem Sie sich an die Zusagen nicht halten, die Sie gemacht haben. Und hier taucht noch der Widerspruch zu den Angaben von Rechtsanwalt Schön auf. Das wirft einfach Fragen auf. Also ich bitte um eine ausführliche Darstellung dieses Sachverhalts bis morgen. Und ich bitte mitzuteilen die Adressen und Telefonnummer der Tochter, gegebenenfalls werden wir auf sie zurückgreifen als Zeugin.“

Danach folgt die Einvernahme des sachverständigen Zeugen Dr. Arnt K. K. ist Orthopäde. Götzl sagt, es gehe um die Patientin „Meral Keskin“ nach dem Anschlag in der Keupstraße am 09.06.2004, inwiefern Dr. K. sie behandelt habe und welche Verletzungen vorlagen, ob sie sich später noch bei K. vorgestellt habe und was sie K. zur Entstehung der Verletzungen berichtet habe. K.: „Meine Erinnerung ist lückenhaft, ich hatte an diesem Tag einen Nachtdienst, Bereitschaftsdienst, bei dem ich unfallchirurgische Erstversorgung gemacht habe.“ Relativ am Anfang des Dienstes hätten sie, so K., die Nachricht erhalten, dass eine Explosion stattgefunden habe und sie sich drauf einstellen sollten, evtl. eine größere Anzahl von Patienten zu bekommen. K.: „Es kam aber nur ein einziger Patient mit dem Rettungswagen, soweit ich weiß, weiblich. Zum Alter kann ich kaum noch was sagen. Die Patientin wurde nur ambulant versorgt, ich habe sie kein weiteres Mal betreut.“

Im Folgenden beschreibt K. kurz die Verletzungen von „Meral Keskin“. [Da es sich hierbei offenbar um Verletzungen handelt, die im ärztlichen Attest eines anderen Betroffenen des Anschlags in der Kölner Keupstraße beschrieben sind, geben wir diese hier nicht wieder.] Unter der Maßgabe, dass sie ihren Tetanusschutz kontrollieren lassen soll, habe er die Patientin am gleichen Tag entlassen, so K. K. sagt, er meine, dass Angehörige anwesend waren, habe aber keine konkrete Erinnerung. Götzl sagt, dass dem Gericht ein Attest vorliege und fragt, ob sich K. erinnere, was „Meral Keskin“ erzählt habe, wie sie sich verletzt habe. K.: „Was lange in Erinnerung war, dass sie mir sagte, dass sie in einem Barbierladen war und sie erzählte, dass eine Explosion aufgetreten war. Sie schilderte eine zweimalige Explosion.“ Außerdem habe K. geschildert, dass sie anfangs eine Hörstörung gehabt habe, die habe aber im Krankenhaus bereits nicht mehr vorgelegen. Dann nimmt K. am Richtertisch den handschriftlichen Attest in Augenschein. Götzl verliest Angaben zur Ausdehnung von Wunden aus dem Attest. Dann fragt der rechtsmedizinische SV Peschel, ob Fremdkörper in den Wunden gewesen seien. Das verneint K. Er verneint auch, dass eine der Wunden stärker geblutet habe. Der sachverständige Zeuge wird entlassen.

[Zum Fall Ralph Willms und zur nicht existenten Nebenklägerin „Meral Keskin“ siehe unsere Stellungnahme http://www.nsu-watch.info/2015/10/es-ist-nicht-nur-ein-strafprozess/ und die Stellungnahme der Initiative Keupstraße ist überall http://keupstrasse-ist-ueberall.de/medienwirbel-um-die-nebenklage-stellungnahme-der-initiative-keupstrasse-ist-ueberall/]

Dann sagt Götzl in Richtung Peschel, dass man diesen heute zur Frage der Gefährdung des Zeugen F. K. [212. Verhandlungstag] hören könne. Dazu wolle er Peschel noch mitteilen, dass der SV Dahl [208. Verhandlungstag] mitgeteilt habe, dass es sich bei den gefundenen Hülsen um das Kaliber 6,35 mm Browning handele. Es folgt die Anhörung des SV Dr. Oliver Peschel. Götzl sagt, es gehe um das Gutachten zum Überfall am 18.12.1998 auf einen Edeka-Markt in der Irkutsker Straße in Chemnitz: „Was können Sie aus rechtsmedizinischer Sicht zur Gefährdung des Herrn K. sagen?“ Peschel: „Ich fasse zusammen, was Herr K. hier gesagt hat. Er berichtete, es sei dreimal geschossen worden, ein Schuss sei am Kopf vorbei, er habe ein Zischen gehört, ein weiterer an der Brust vorbei. Man habe einen Einschuss in etwa Brusthöhe hinter ihm an der Wand gesehen. Die Waffe beschrieb er als Handfeuerwaffe, 15 bis 20 cm, aber ’nichts Großes‘. 15-20 cm wäre aus meinem Verständnis für das Kaliber schon relativ groß. Aber das kann man vielleicht als Schätzungenauigkeit sehen. Die Entfernung sei 20 m gewesen, der Knall sei lauter gewesen als der Knall eines Luftgewehrs. Er hat die Waffe als Pistole beschrieben. Er erwähnte auch, dass zwei oder drei Hülsen gefunden worden seien, keine Projektile, tschechische Munition, das habe er von der Polizei erfahren.

Heute bekamen wir die Information Kaliber 6,35 mm Browning. Das ist ein relativ kleines Kaliber, das im Wesentlichen in kleinen, filigranen Pistolen verarbeitet wird, die sehr handlich, leicht zu tragen und leicht zu verbergen sind. Es sei nachvollziehbar, dass der Knall lauter als beim Luftgewehr ist. Peschel führt aus, das Kaliber reiche aber durchaus aus, um ganz gravierende Verletzungen zu erzeugen. „Bei Vollmantelgeschossen, die nahezu ausschließlich beladen werden, können Sie einen 20 cm langen Gelatineblock vollständig durchschießen. Das ist ballistische Gelatine, keine Gelatine, wie wir sie oben auf dem Kuchen haben. Die ist relativ fest und kann als Vergleichsmaterial für solche Beschüsse herangezogen werden kann, orientiert sich am Körperwassergehalt und lässt einen Rückschluss zu, dass eine tiefergehende Penetration ins Gewebe bei Körpertreffern zu erwarten ist. Bei Suiziden sehen wir tödliche Verletzungen mit solchen Waffen. Es sind zumindest tiefgreifende Penetrationen bis nahezu Durchschlagungen des Schädels und Gehirns möglich.“ Wenn man das auf verletzungsintensive Bereiche des Körpers anwende – der Hals, mit großen Arterien und Venen und der stark durchbluteten Schilddrüse und den Atemwegen, aber auch Herz und Lunge – seien Durchschüsse [phon.] bzw. tief penetrierende Schussverletzungen zu erwarten.

Peschel: „Normale Bekleidung wird darauf keinen so gravierenden Einfluss ausüben, dass man sagen könnte, eine dickere Lederjacke würde das verhindern. Es würde es vielleicht reduzieren, aber es gäbe sicher noch tiefgreifende Verletzungsmöglichkeiten. Und große Gefäße im Bereich Schulter oder Hüftregion, Oberschenkel, die liegen alle in einer Entfernung von der Körperoberfläche, wo sie alle für so ein Projektil erreichbar sind. Bei einer Entfernung von 20 m gibt es eine gewisse Reduktion, aber nicht so gravierend. Aus meiner Sicht und aus rechtsmedizinischer Sicht ist damit zu rechnen, dass bei einem Treffer an einer entsprechenden Körperlokalisation ohne Weiteres mit tödlichen Verletzungen gerechnet werden kann.“ Götzl sagt, die Anhörung werde unterbrochen und Peschel neu geladen.

Götzl: „Dann werden wir die Zeit nutzen, um Beschlüsse verkünden.“ Als erstes verkündet Götzl den Beschluss, dass die folgenden Anträge der Verteidigung Zschäpe abgelehnt sind: Lichtbilder in Augenschein zu nehmen, die die „völlig unzureichende Sicht“ von der Besucherempore verdeutlichen sollten; das Bild der Saalkamera in der Totalen in Augenschein zu nehmen; ein Lichtbild in Augenschein zu nehmen, das belegen solle, dass zumindest die beiden ersten der Verteidigung Zschäpe zugewiesenen Arbeitstische von der Richterbank vollständig einsehbar seien, und Maßnahmen zu ergreifen, eine Einsehbarkeit zu verhindern; den GBA Harald Range und seine Vertreter Diemer, Greger und Killmer als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass der GBA bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens entschieden habe, die Klage beim OLG München zu erheben; von allen Mitgliedern des Senats und vom Präsidenten des OLG dienstliche Stellungnahmen einzuholen, ob mit dem GBA im Laufe des Ermittlungsverfahrens Gespräche geführt wurden, dass die Anklage beim OLG München erhoben werde. Zur Begründung führt er aus, dass es sich nicht um Beweisanträge im Sinne der StPO handele, weil sie keine Beweiserhebung über eine die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung verlangen würde. Daher komme hier das Freibeweisverfahren zur Anwendung.

Zu den einzelnen Punkten sagt Götzl, dass die Inaugenscheinnahme der Fotos und der Kameratotalen nicht geboten sei, weil den Prozessbeteiligten und dem Senat die baulichen Gegebenheiten und Sichtverhältnisse im Saal bekannt seien. Was die angebliche Einsehbarkeit angeht, sagt Götzl, die beiden Richterinnen Odersky und Feistkorn seien die einzigen Personen am Richtertisch, die rein theoretisch die Möglichkeit hätten, in die Unterlagen der Verteidigung zu sehen. Beide hätten aber erklärt, sie könnten weder den Inhalt von Schriftstücken noch Informationen am Laptop-Bildschirm erkennen und lesen. Daher sei Beweiserhebung nicht erforderlich. Zu den beantragten Einvernahmen des GBA und der anderen Staatsanwält_innen sowie zur Einholung der dienstlichen Erklärungen vom Senat sagt Götzl, es sei nicht ersichtlich, wie sich die Aufklärung der Frage, wann sich der GBA dazu entschieden hat, die Anklage beim OLG München zu erheben, auswirken sollte.

Dann verkündet Götzl die Verfügung, dass folgende Anträge der Verteidigung Zschäpe abgelehnt sind: ins Protokoll aufzunehmen, dass in den Sitzungssaal nicht mehr als 51 Zuschauer und 50 Vertreter von Presseorganen eingelassen worden seien; ins Protokoll aufzunehmen, dass die Projektoren, die das von der zentralen Kamera aufgenommene Bild an die Wände projizieren, am ersten Hauptverhandlungstag um 10:33 Uhr, also 8 Minuten nach Sitzungsbeginn, eingeschaltet worden seien und seitdem eine Totale der unteren Ebene des Saals aus Sicht der Richterbank abbilden würden, der jeweilige Sprecher nicht erfasst werde und ein Teil des Bildes unten rechts ausgeschnitten sei; ins Protokoll aufzunehmen, dass das Bild von der Empore aus, einzelne Gesichter so klein abbilde, dass eine Individualisierung nicht möglich sei. Zur Begründung führt er aus, dass die bezeichneten Umstände nach StPO nicht zwingend ins Protokoll aufzunehmen seien. Es handele sich nicht um Vorgänge, auf die es ankommen würde. Der Öffentlichkeitsgrundsatz sei durch die Vorgänge nicht berührt. Es sei außerdem darauf hinzuweisen, dass die Kameras am ersten Sitzungstag erst dann eingeschaltet worden seien, nachdem deren Zweck den Verfahrensbeteiligten erläutert worden sei. Außerdem würden NK-Vertreter, denen das Wort erteilt wird, mit deren Einverständnis im Großformat abgebildet. RA Heer sagt, er beantrage darüber einen Gerichtsbeschluss. Bundesanwalt Diemer: „Aus den Gründen der verlesenen Verfügung beantrage ich, so zu beschließen, wie Sie es gerade begründet haben.“ Götzl:“Wir werden das beraten.“

Dann verkündet Götzl, dass die Anträge der NK vom 24.06.2013 und 06.11.2014, den Zeugen zu laden und zu vernehmen [siehe hierzu Protokolle vom 14. und 156. Verhandlungstag]abgelehnt sind, weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Zudem verkündet Götzl, dass folgende Anträge der NK abgelehnt sind: Dokumente des PP Dortmund zu Seemann und sämtliche nach 04.11.2011 erfolgten Ermittlungen und Vernehmungen des PP Dortmund, des LKA NRW und des BKA zu B&H, zu -Strukturen in Dortmund und Umgebung, zur Band „“ und der „Oidoxie Streetfighting Crew“ und deren Verbindung in die Szene in Kassel sowie zum Waffenhandel zwischen der belgischen und der deutschen Naziszene, zu den Personen Seemann, , und beizuziehen. Die Anträge seien „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“.

Den folgenden Anträgen werde, so Götzl, nicht nachgekommen: Bilder bzw. Originalasservate der umgebauten Schreckschusspistole Bruni und der Pistole TOZ-TT33 dem Zeugen vorzulegen und zu fragen, ob ihm bekannt ist, woher diese Waffen stammen; den Zeugen zu fragen, ob er Personen aus dem NSU-Unterstützerumfeld kennt, welchen Anteil er am Aufbau der C18-Zelle hatte, ob Szeneangehörige aus Kassel Mitglieder in der Zelle waren, ob sich die Zelle sich in zeitlicher Nähe zum Mord an Mehmet Kubaşık aufgelöst hat, ob er oder andere Mitglieder der Zelle vor dem 04.04.2006 den Kiosk in der Mallinckrodtstraße in Dortmund oder Kubaşık persönlich kannten und Informationen über den Kiosk als mgl. Tatort an Dritte weitergegeben haben.

Außerdem werde, fährt Götzl fort, den folgenden Anträgen nicht nachgekommen: das bei der StA Dortmund gegen Robin Schmiemann wegen räuberischer Erpressung geführte Verfahren und die zu Seemann beim VS NRW geführten Akten beizuziehen. Götzl führt zur Begründung aus, dass eine unter Beweis gestellte „Indiz- oder Hilfstatsache“ für die Entscheidung u.a. dann bedeutungslos sei, wenn sie selbst im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung hätte, weil sie keinen zwingenden, sondern nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht, und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss bei Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Dann sagt Götzl, dass der Senat „die unter Beweis gestellten Tatsachen so, als seien sie erwiesen, in das bisherige Beweisergebnis eingestellt“ habe und „prognostisch geprüft“ habe, ob hierdurch seine „bisherige Überzeugung zu der von der Beweisbehauptung potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert eines anderen Beweismittels in einer für den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde“.

Die Beweistatsachen zu Seemann und dazu, dass Mitglieder der „Oidoxie Streetfighting Crew“ am 18.03.2006 bei einem Konzert der Band in Kassel gewesen seien, hätten weder unmittelbar noch mittelbar einen Zusammenhang mit Schuld und Rechtsfolgen bei Zschäpe, sondern beträfen lediglich Seemann und Mitglieder der „Oidoxie Streetfighting Crew“. Insbesondere dem Schluss, dass die beteiligten VS-Ämter durch ihre V-Leute Seemann und Gärtner über Informationen aus dem Umfeld des NSU verfügten, folge der Senat nicht. Er ziehe daher auch nicht den Schluss, dass die VS-Ämter in einer Weise tätig geworden seien, die für die Strafzumessung von Bedeutung sein könnte. Hierfür hätten sich in der gesamten bisherigen Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben. Die Beweistatsache zum Konzert in Kassel führe nur zum Nachweis, dass sich die „Oidoxie Streetfighting Crew“ etwa zwei Wochen vor den Taten in Dortmund und Kassel auf einem Konzert in Kassel befanden.

Es könne dahin stehen, ob die beteiligten VS-Ämter hieraus die Information gewinnen konnten, dass die regionalen Szenen Dortmund und Kassel zueinander in Kontakt standen. Der bloße Kontakt der Szenen habe keinen indiziellen Wert bzgl. der Taten und der Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten. Aus einem schlichten Treffen der Personen Seemann, Schmiemann, Mundlos und Böhnhardt am 18.03.2006 würden sich noch keine Umstände ergeben, die sich auf Schuld- und Straffrage hinsichtlich der Angeklagten auswirken könnten. Weitere Details bzgl. des Treffens hätten sich auch in der sonstigen Beweisaufnahme nicht ergeben. Die Beweistatsachen zu Gottschalk würden sich, als zutreffend unterstellt, nur auf Marko Gottschalk und Seemann oder auf die Gruppe um Gottschalk bzw. auf die rechte Szene beziehen. Eine Relevanz dieser Umstände bzgl. Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten oder zumindest im Zusammenhang mit Mundlos und Böhnhardt sei nicht ersichtlich. Es handele sich um Umstände, die für Mitglieder einer Zelle, wie sie im Beweisantrag dargestellt sei, nachvollziehbar und plausibel seien.

Das lasse aber keinen Schluss zu, der bezüglich der Angeklagten in einer für die Schuld- und Straffrage relevanten Frage bedeutsam sei. Auch Schlüsse im Hinblick auf Mundlos und Böhnhardt ziehe der Senat daraus nicht. Insbesondere könne dem Antrag nicht gefolgt werden in der Bewertung, dass der Aufbau einer C18-Zelle in Dortmund mit Zugang zu Waffen im Jahr 2006 Indiz dafür sei, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Neonazizellen in Dortmund gegeben habe. Auch der Umstand, dass das Zellenkonzept oder die „Turner Tagebücher“ in der rechten Szene diskutiert wurden, sage indiziell nichts in Bezug auf die Angeklagten und/oder Mundlos, Böhnhardt aus. Aus diesen unter Beweis gestellten Tatsachen schließe der Senat nicht, dass auch die Angeklagten bzw. Mundlos und Böhnhardt bei solchen Diskussionen anwesend gewesen seien. Der Umstand, dass für Kenner der „Turner Tagebücher“ die bezeichneten Anschläge die Handschrift einer Neonazizelle tragen würden, führe nicht dazu, dass Außenstehende oder die Angeklagten aus dieser Kenntnis heraus, einen oder mehrere Angeklagte bzw. Mundlos und Böhnhardt als Täter erkennen konnten.

Der Senat habe dann noch einmal eine Gesamtbetrachtung vorgenommen und auch bei dieser Gesamtbetrachtung würden sich keine Umstände ergeben, die die Qualifizierung der Beweistatsachen als für die Entscheidung ohne Bedeutung in Frage stellen. Die beantragte Beiziehung der Dokumente alleine entspreche nicht der Interessenlage der Antragsteller, so Götzl weiter, daher habe der Senat den Antrag so ausgelegt, dass die Dokumente auch verlesen bzw. deren Ersteller vernommen werden sollen. Bei den beantragten Ermittlungen nach dem 04.11.2011 handele es sich lediglich um Urkundensammlungen. Durch Urkundensammlungen werde nichts bewiesen, sondern es würden nur Ermittlungen dazu ermöglicht, welches die Urkunden sind, deren Verlesung oder Inaugenscheinnahme der Antragsteller beantragen will. Es handele sich also um Beweisermittlungsanträge. Diese könnten abgelehnt werden. Die unter Beweis gestellten Tatsachen seien identisch mit den Beweistatsachen, die in das Wissen Seemanns gestellt worden seien, und seien daher „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“.

Bei den Anträgen, die Waffen Bruni und TOZ-TT33 vorzulegen sowie ihn zum NSU-Unterstützerumfeld, zur C18-Zelle und zum Kiosk von Mehmet Kubaşık zu befragen, sagt Götzl, dass es sich um Beweisermittlungsanträge handele. Ob einem Beweisermittlungsantrag nachzugehen ist, beurteile sich nach der Amtsaufklärungspflicht. Diese erstrecke sich nicht auf Punkte, die nicht entscheidungsrelevant werden könnten: „Zu einer derartigen überschießenden Sachaufklärung ist das Gericht nicht verpflichtet.“ Ob der Zeuge die Waffen kennt und weiß, woher diese stammen, könne für Schuld- und Rechtsfolgenfrage nicht von Bedeutung werden. Dies sei bei der Frage, ob der Zeuge diese Waffen kennt, offensichtlich, da dessen bloße Kenntnis keine Auswirkungen auf die in diesem Verfahren angeklagten Taten bzw. möglichen Rechtsfolgen habe. Die Frage, ob dem Zeugen bekannt ist, woher diese Waffen stammen, ziele darauf ab, den Lieferweg der Waffen abzuklären. Die Feststellung eines Lieferanten habe aber keine Relevanz für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage.

Für die mögliche Strafbarkeit der angeklagten Taten sei es ohne Bedeutung, von wem eine mögliche Tatwaffe erworben wurde. Es komme auch bei der Beurteilung möglicher Rechtsfolgen nicht darauf an, wer Waffen lieferte, die nach Anklage bei den angeklagten Taten zum Einsatz kamen. Dass auf Seiten des oder der Täter Kontakte zu einem oder mehreren Waffenlieferanten bestanden haben müssen, ergebe sich schon aus dem Umstand, dass die Waffen sichergestellt worden seien. Ein Schluss auf ein größeres Unterstützerumfeld lasse sich auch dann nicht ziehen, wenn festgestellt werden könnte, dass die Waffen von einem Szeneangehörigen geliefert wurden. Die bloße Lieferung einer Waffe stelle für sich genommen keine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung dar. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Zeuge ggü. einem Polizeibeamten lediglich angegeben habe, er könne „möglicherweise“ Angaben zur Herkunft der TT 33 und der Bruni machen.

Aufgrund der dargestellten Bedeutungslosigkeit der zu ermittelnden Umstände und der dargestellten vagen Vermutungen des Zeugen zur Waffenherkunft sehe sich der Senat nicht gedrängt, den Zeugen dazu zu befragen. Ohne Bedeutung seien die Fragen, ob der Zeuge Personen aus dem NSU-Umfeld kennt, nach dem Anteil des Zeugen am Aufbau der Zelle, auf Mitgliedschaft von Personen aus Kassel in der Zelle und die Auflösung der Zelle in zeitlicher Nähe zur Tat gegen Mehmet Kubaşık. Ein Zusammenhang dieser Fragen mit der Schuld- und Straffrage bei den im vorliegenden Verfahren angeklagten Personen sei nicht erkennbar. Der Fragenkomplex beziehe sich auf den Zeugen, nicht auf die Angeklagten. Der Umstand, ob der Zeuge oder andere Mitglieder der C18-Zelle den Kiosk von Kubaşık oder diesen persönlich kannten, sei ebenfalls „ohne Bedeutung für die Entscheidung“. Für die Beurteilung der Schuld- und Rechtsfolgenfrage bei den Angeklagten komme der Kenntnis des Zeugen oder anderer C18-Zellenmitglieder keine Bedeutung zu, denn dies habe keinerlei Auswirkungen auf die hier angeklagten Personen.

Dies sei auch so bei der Frage, ob Informationen über den Kiosk des Opfers als mgl. Tatort an Dritte weitergegeben wurden: „Dieser Fragenkomplex zielt darauf ab, Personen zu ermitteln, die die Täter, so die Vermutung der Antragsteller, bei der Auswahl eines Opfers bzw. eines Tatorts unterstützt haben. Selbst eine Bestätigung der Informationsweitergabe hätte jedoch keine Auswirkung auf die Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten, weil diese Fragen weder im Zusammenhang mit dem angeklagten Tatbestand stehen noch für die Rechtsfolgen relevante Umstände darstellen.“ Die Anträge zum Verfahren gegen Schmiemann und zu den VS-Akten zu Seemann seien Beweisermittlungsanträge. Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, diese Akten beizuziehen. Sie sollten dazu dienen, die Glaubhaftigkeit der Angaben Seemanns zu überprüfen. Weil die Anträge auf Ladung von Seemann abgelehnt seien, sei auch die genannte Aktenbeiziehung nicht erforderlich. Zudem sei die Vermutung, dass sich aus den Akten weitere Hinweise auf Kontakte von Seemann zum Unterstützerumfeld des Trios ergäben, nicht durch Tatsachen belegt.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Antrag [siehe 73. Verhandlungstag]Akten der StA Hannover zu einem Verfahren gegen Alexander Sch. [72. Verhandlungstag] beizuziehen, abgelehnt ist. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Der Senat sehe keinen Anlass aufzuklären, ob der Zeuge in der Hauptverhandlung die Wahrheit gesagt habe, als er behauptet habe, er
sei im Verfahren der StA Hannover zu Unrecht verurteilt worden. Nach dem Ablauf von etwa 15 Jahren sei es möglich, dass die Erinnerung des Zeugen unzutreffend geworden ist, so dass er subjektiv nicht falsch ausgesagt hätte. Auch ein Nachweis der objektiven und subjektiven Falschaussage des Zeugen sei ohne Bedeutung. Wieder sagt Götzl, dass der Senat „die unter Beweis gestellten Tatsachen so, als seien sie erwiesen in das bisherige Beweisergebnis eingestellt und prognostisch geprüft“ habe. Eine Erschütterung seiner bisherigen Überzeugungen habe der Senat verneint. Wenn Sch. so Götzl weiter, hinsichtlich der Verurteilung 1999 die Unwahrheit gesagt habe, ändere dies an der Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Angaben zur AOK-Karte von Ro. [Silvia Sch., zuletzt 72. Verhandlungstag] nichts. Dieser Sachverhalt sei „im Kern übereinstimmend“ von Holger Gerlach, der Zeugin Sch. und dem Zeugen Sch. angegeben worden.

Dann verkündet Götzl, dass der Antrag Nachermittlungen zu den dienstlichen Einsätzen von Michèle Kiesewetter bei „Großlagen“ im rechten Spektrum [siehe 79. Verhandlungstag]abgelehnt wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Die Aufklärungspflicht dränge bei der gegebenen Prozesslage nicht zur Durchführung der Nachermittlungen. Der Antrag knüpfe an die „bloße Vermutung“ der Antragsteller an, Kiesewetter sei als Mordopfer persönlich ausgewählt worden und nicht lediglich ein zufälliges Opfer geworden. Tatsachen, die dies stützen würden, seien nicht vorhanden und hätten auch nicht durch die durchgeführte Beweisaufnahme gewonnen werden können. Auch die Strafakten und dabei v. a. der vom Senat beigezogene Abschlussbericht der „EG Umfeld“ würden keine Hinweise auf diesbezügliche Tatsachen enthalten. Die Zeugin Ri. [152. Verhandlungstag] sei vernommen worden, sie sei in der „Soko Parkplatz“, in der „BAO Trio“ und in der „EG Umfeld“ tätig gewesen und mit den Gesamtermittlungen vertraut. Auch ihre Befragung habe keinerlei Hinweise gegeben in die Richtung, die von den Antragstellern angedacht worden sei. Um 11:20 Uhr sagt Götzl: „Wir werden die Mittagspause einlegen und setzen um 12:20 Uhr fort.“

Um 12:25 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet, dass die eben verkündete Verfügung zum Antrag der Verteidigung Zschäpe durch Gerichtsbeschluss bestätigt ist. Götzl sagt, es sei beabsichtigt aus den Akten Teile eines Vermerks zu Antje Bö. [Probst, zuletzt 169. Verhandlungstag] zu verlesen. Es gehe letztlich nur um das Geburtsdatum von [zuletzt 171. Verhandlungstag]. Götzl: „Sollen dazu Erklärungen abgegeben werden?“ Keiner der Verfahrensbeteiligten meldet sich. Dann verliest Richter Lang die Überschrift des Vermerks, dann die Angaben zum Familienstand und früheren Partnern von Antje Probst bis zum Geburtsdatum von Michael Probst.

Dann geht es mit der Verlesung weiterer Beschlüsse. Zunächst verkündet er, dass der Antrag, Personalakten und Akten mit Deckblattmeldungen und Treffberichten des TLfV zu , die
dem UA des Thüringer Landtages vorliegen, und die Akten des TLfV zum THS beizuziehen, abgelehnt ist. Außerdem abgelehnt ist der Antrag, die Vorsitzende des UA Thüringen aufzufordern mitzuteilen, wie viele Personalakten mit welcher Bezeichnung zu Brandt vorliegen, ob die Akten, die dem UA vorliegen, identisch sind mit denen, die der „Schäfer-Kommission“ vorlagen
und ob daraus hervorgeht, dass die Quellenehrlichkeit Brandts überprüft wurde. Zur Begründung sagt er, es handele sich um Beweisermittlungsanträge. Es gehe den Antragstellern bei dem Antrag um die Glaubhaftigkeit der Angaben Brandts. Der Senat habe dazu eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Wießner, Bode und Zweigert durchgeführt.

Die Zeugen hätten übereinstimmend bestätigt, dass sie die Zuverlässigkeit Brandts überprüft hätten, die von ihm mitgeteilten Wahrnehmungen seien anhand anderer Quellen und nachrichtendienstlicher Mittel und Methoden verifiziert. Die Mitteilungen Brandts an das TLfV seien, soweit den Zeugen ersichtlich, zutreffend gewesen. Wießner habe ausgeführt, etwa 80 Prozent der Angaben von Brandt habe man anderweitig überprüfen können, und dass diese Angaben ausnahmslos zutreffend gewesen seien. Anhand der durch diese Aussagen gewonnenen Erkenntnisse und der mehrtägigen Vernehmung von Brandt selbst sei der Senat in der Lage, die Beweiswürdigung durchzuführen. Es erübrige sich damit auch, die Vorsitzende des Thüringer UA um die beantragten Mitteilungen zu bitten.

Dann ergeht der Beschluss, dass dem Antrag die Teile der Hauptakte, die sich unter der Bezeichnung „Spuren 39 und 260“ des „Komplexes Keupstraße“ beim BKA Meckenheim befinden,
anzufordern und Akteneinsicht zu gewähren [vgl. 104. Verhandlungstag], nicht nachgekommen wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Die Aufklärungspflicht erfordere nicht, dass alle im Zusammenhang mit Ermittlungen entstandenen Schriftstücke überprüft und damit beigezogen werden müssen, solange es an konkreten Anhaltspunkten fehle, dass dort relevante Informationen enthalten sind. Der Antrag sei damit begründet worden, dass es sich bei den Spurenakten tatsächlich um Teile der Hauptakten handele; „39“ werde nicht gegen eine konkrete Person geführt, sie befasse sich allgemein mit einem Zusammenhang zwischen der Tat Keupstraße und der Tat Probsteigasse, der allerdings von Seiten der Polizei damals verneint worden sei; „260“ enthalte einen Hinweis des „New Scotland Yard“ auf [britischer Rechtsterrorist], der im April 1999 drei Nagelbombenanschläge verübt habe und sich im Umkreis rechtsextremistischer Gruppen bewegt habe.

Die Ermittlungen hätten ergeben, so Götzl, dass sich Copeland im Juni 2004 in Haft befunden habe und somit dessen Täterschaft nicht in Betracht komme. Die Aufklärungspflicht gebiete die Beiziehung der Akten nicht. Die Spurenakten 39 und 260 gehörten nicht zu den Hauptakten, weil sie außerhalb der Ermittlungen gegen die Angeklagten entstanden sind. Spur „260“ befasse sich mit dem als Täter ausgeschlossenen David Copeland und stehe daher nicht im Zusammenhang mit den Angeklagten. Spur „39“ befasse sich weder mit den Angeklagten noch einer anderen Person. Sie analysiere Zusammenhänge zwischen den Taten Keupstraße und Probsteigasse und seien vom GBA, was dem GBA zustehe, als Spurenakte eingeordnet worden, weil kein Nutzen der Akte für die Beurteilung der anhängigen Sache zu erkennen sei. Deshalb sei auch die Spur „39“ als außerhalb der Ermittlungen gegen die Angeklagten stehend zu qualifizieren. Es sei nicht ersichtlich, wie sich die damalige Einschätzung der Polizei, zwischen der Keupstraße und der Probsteigasse bestünden keine Zusammenhänge, auf die Beurteilung der Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten auswirken sollte. Gleiches gelte für die Ermittlungen zu Copeland.

Dann verkündet Götzl, dass dem Antrag, die beim bayerischen LKA geführte Akte und sämtliche sich bei der Polizei Köln und der Polizei Nürnberg oder dem bayerischen LKA befindlichen Unterlagen, die die Zusammenarbeit dieser Behörden im Zusammenhang mit Hinweisen zur Täteridentität im Mordfall Yaşar und im Sprengstoffanschlag Keupstraße betreffen, v.a. Aufzeichnungen über die gemeinsamen Besprechungen zwischen der „BAO Bosporus“ und der „EG Sprengstoff“ im August 2005 und im September 2006, beizuziehen [vgl. 104. Verhandlungstag], nicht nachgekommen wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Wieder macht Götzl Ausführungen zur gerichtlichen Aufklärungspflicht. Dann sagt er, die Antragsteller würden ihren Antrag damit begründen, dass es sich bei den Schriftstücken um Teile der Hauptakten handele. Die Aufklärungspflicht gebiete die Beiziehung der Akten nicht, so Götzl. Der Inhalt sei für die Feststellung der den Angeklagten vorgeworfenen Taten und die ggf. zu verhängenden Rechtsfolgen nicht von Bedeutung.

Es werde bspw. die Beiziehung der Akten beantragt, weil aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich sei, wie ein „Video Keupstraße“ aus Köln an die Nürnberger Polizei gelangt sei, die das Video dort einer Zeugin aus dem Verfahren Yaşar gezeigt habe, und weil aus den vorliegenden Akten nicht erkennbar sei, dass ein Redakteur des „Kölner Stadtanzeigers“ Ähnlichkeiten zwischen den Phantombildern Keupstraße und denen aus dem Verfahren Yaşar erkannte und dies der Polizei mitteilte. Zudem werde der Inhalt der Besprechungen zwischen der „BAO Bosporus“ und der „EG Sprengstoff“ in der Akte nicht dokumentiert. Das bayerische LKA habe einen Vorgang angelegt, in dem daktyloskopische Tatortspuren aus der bundesweiten Mordserie mit denen verglichen worden seien, die im Verfahren Keupstraße gesichert worden seien. Die von den Antragstellern dargestellten Inhalte, so Götzl, würden die praktische Durchführung der polizeilichen Zusammenarbeit oder die Bewertung eines Journalisten und die polizeiliche Reaktion darauf betreffen. Die Schriftstücke würden sich nicht mit Umständen befassen, welche die Täterschaft, die Begleitumstände der Tat bzw. Taten betreffen, oder mit Fakten, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen wären.

Dann wird der Beschluss verkündet, dass der Antrag, den Zeugen Tibor Re. aus Jena zu vernehmen [vgl. 116. Verhandlungstag] abgelehnt ist. Die Tatsachen, die bewiesen werden sollten, seien „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“. Götzl macht wieder Ausführungen zur prognostischen Prüfung. Eine Erschütterung seiner bisherigen Überzeugung in einer für den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise habe der Senat verneint. Der Umstand, dass Mundlos zusammen mit Re. ein Asylbewerberwohnheim ausspionierte, Fotos machte und geplant war, die Wachabläufe auszuspionieren, belege nicht, dass Mundlos bereits zwei Jahre vor der Flucht eine rechtsterroristische Straftat vorbereitete. Gegen diese Schlussfolgerung spreche schon die „Unschärfe“ des Begriffs „Ausspionieren“. Hieraus könne keine eindeutige Folgerung auf eine rechtsterroristische Straftat gezogen werden. Es spreche auch dagegen, dass das Ausspionieren der Wachabläufe geplant war, aber dann doch unterblieben ist.

Dies wäre, so Götzl, im Zusammenhang mit einer geplanten rechtsterroristischen Straftat aber eine naheliegende Vorbereitungshandlung gewesen. Mundlos habe hier gerade nicht mit Böhnhardt und/ oder Zschäpe gehandelt. Aus einer Tätigkeit mit Re. könne aber nicht auf eine Einbindung von Böhnhardt und/oder Zschäpe geschlossen werden. Dafür habe die Beweisaufnahme bisher keine Grundlage ergeben. Da auf ein Mitwissen oder Mitwirken von Zschäpe und der anderen Angeklagten nicht geschlossen werden könne, seien die Beweistatsachen für Schuld- oder Straffrage ohne Bedeutung.

Abgelehnt ist auch der Antrag, den Ministerialdirigent Richard Reinfeld und den Kriminaloberrat Christoph Schäfer zu laden, zum Beweis der Tatsache, dass diese im behördlichen Auftrag des Bundesinnenministeriums die erste gerichtliche Vernehmung von beobachteten [vgl. 132. Verhandlungstag]. Die Tatsachen, die bewiesen werden sollten, seien für die Entscheidung „tatsächlich ohne Bedeutung“, so Götzl. Eine bloße Prozessbeobachtung durch die Zeugen an sich sei für eine mögliche Schuld- und Straffrage im vorliegenden Verfahren ohne jeglichen Einfluss. Gleiches gelte für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Temme. Auswirkungen seien dann zu befürchten, wenn durch die Prozessbeobachter Informationen, die sie während ihrer Anwesenheit im Sitzungssaal gewonnen haben, an Zeugen, deren Vernehmung noch bevorstand, weitergegeben würden.

Dass eine derartige Weitergabe zu befürchten sei, würden die Antragsteller nur vermuten. Dies werde von den Antragstellern u.a. daraus geschlossen, dass die VS-Ämter ein großes Interesse an der Begleitung des Prozesses hätten, dass die Zeugen die Geheimschutzinteressen des Bundesinnenministeriums vertreten würden, dass Reinfeld einen konkreten Bezug zum BfV habe, dass eine Zusammenarbeit und Hilfeleistung im Bereich der VS-Ämter gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sei, und dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit im Jahr 2006 nach Ansicht der Antragsteller massiv erschwert bzw. behindert worden sei. All dies und die sonst in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Umstände sowie der Akteninhalt ließen diesen Schluss nach Ansicht des Senats jedoch nicht zu. Es seien keine konkreten Umstände vorhanden, die in Richtung eines unzulässigen Informationstransfers deuteten. Aufgrund der in den Medien stattfindenden Dokumentation des Prozessablaufs wäre, so Götzl, ein von den Antragstellern vermuteter Informationstransfer auch überhaupt nicht erforderlich.

Schließlich verkündet Götzl, dass dem Antrag, ein Gutachten des BKA einzuholen, ob sich unter den in der Frühlingsstraße 26 bzw. im Wohnmobil sichergestellten Gegenständen modellgleiche Gegenständen zu den von der Firma „Frankonia“ an die Cranachstraße 8 gelieferten Waren befinden [vgl. 140. Verhandlungstag], nicht nachgekommen wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Wieder macht Götzl Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Dann führt er zur inhaltlichen Begründung aus, dass laut den Antragstellern von der Firma „Frankonia“ am 23.03.1999 an Ralph Hofmann [164. Verhandlungstag] u.a. ein „Buck Tool“, zwei Abwehrsprays „TW 1000“ und ein Nachtsichtgerät „Retron“ geliefert worden seien; in der Frühlingsstraße 26 seien ein „Buck Tool“, Reste einer Abwehrspray-Dose und ein Nachtsichtgerät gefunden worden. Sofern ein Gutachten zum Ergebnis käme, dass es sich um modellgleiche Gegenstände zur Lieferung an Hofmann im Jahr 1999 handele, lasse dies laut den Antragstellern nur den Schluss zu, dass es sich um eine gezielte Aktion zur Finanzierung und Ausrüstung des Trios gehandelt habe und der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung nicht die Wahrheit gesagt habe.

Dieser als zwingend dargestellte Schluss könne, so Götzl, nach Ansicht des Senats nichts gezogen werden. Eine Lieferung 1999 und ein Auffinden von modellgleichen Gegenständen 2011 würden nicht „nur“ den Schluss zulassen, dass die Gegenstände in der Frühlingsstraße aus der Lieferung von 1999 stammen. Bei den gelieferten und aufgefundenen Gegenständen handele es sich um Gattungsprodukte, die in großer Zahl hergestellt worden und auf den Markt gekommen seien. Angesichts des Ablaufs von mehr als 12 Jahren liege es nicht nahe, dass es sich, auch wenn Modellgleichheit vorliegen würde, bei den in der Frühlingsstraße 2011 aufgefundenen Gegenständen um die in die Cranachstraße gelieferte Ware handele. Der Verhandlungstag endet um 12:52 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage“:
„Diese Beschlüsse zeigen, dass das Gericht eine weitere Aufklärung von Unterstützernetzwerken über Blood and Honour Sachsen hinaus nicht vornehmen will und auch die ideologische Prägung der Angeklagten und ihres Umfeldes für ausreichend belegt hält. Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht diese Linie – die sich bei der Beanstandung von Fragen bereits angekündigt hatte . nunmehr straff durchziehen wird. Bislang ist es oftmals nicht der Schlussstrichpolitik der Generalbundesanwaltschaft gefolgt. Es wird sich zeigen, ob die heutigen Entscheidungen nun, in der Hoffnung damit schneller zu einer Beendigung des Verfahrens zu kommen, eine Trendwende darstellen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/09/29/29-09-2015/

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