Wider dem „Skandalisierungs-Wettstreit“, für das „Staatswohl“ – Bericht aus dem UA vom 18.10.2012

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greift Medien und PUA an und verteidigt seine weiße Weste

Zur Vernehmung von Klaus-Dieter Fritsche (59), heute Staatssekretär des BMI, von 1996 bis 2005 Vizepräsident des BfV vor dem des Bundestages

Und wieder taucht es auf, das Wort „Eklat“. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU beziehen es auf das gestrige Verhalten eines der höchsten Beamten in der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur. Fritsche (CSU) war und ist seit Jahren einer der Einflussreichsten, er war zur aktiven Zeit des NSU ganz oben im BfV und ist es jetzt, zur Zeit der Aufarbeitung der Fehler der Behörden auch wieder, nun direkt im BMI. Offensichtlich war gestern im Untersuchungsausschuss, dass ihm die Rolle des zu befragenden Zeugen vor Vertreter_innen der Politik nicht gefallen hat. Er ist es gewohnt, Thema und Tempo selbst zu bestimmen.

Angriff als Verteidigung

Nach einer gefühlt ewiglangen Einlassung durch Fritsche voller Belehrungen und Generalkritik an Politik und Presse musste die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden: „Es gibt Grenzen dessen, was man hier hinnehmen muss“, sagte UA-Vorsitzender Edathy und unterbrach die Sitzung, weil Fritsche jegliche Kritik an der Arbeit der Sicherheitsbehörden scharf zurückgewiesen und Zwischenfragen von Abgeordneten abgelehnt hatte. Deren Arbeit und die kritische Berichterstattung der Medien bezeichnete er als „Skandalisierungswettstreit“ und verbat sich dies „aus Respekt vor den Opfern“ (!). Er verlangte, dass man ihm zuhöre – über sein angebliches Mitgefühl mit den Opfern, die angebliche „volle Unterstützung“ des UA durch die Bundesregierung und die angebliche Diffamierung eines ganzen Berufszweiges (Polizist_innen und Verfassungsschützer_innen) durch die kritische Berichterstattung, den über ihnen ausgeschütteten „Hohn und Spott“, und den drohenden Vertrauensentzug. Der Monolog gipfelte in den Belehrungen der Abgeordneten über das „Staatswohl“ anhand so pathetischer Argumentationen wie (sinngemäß): „Die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, dass der Staat seine Schutzfunktion erfüllt, auch und gerade da, wo man mit offenen Mitteln nicht weiterkommt.“ Gemeint war hier aber nicht der Schutz der von Rassismus Betroffenen, der potenziellen und realen Mordopfer vor Neonazis durch den Staat, auch nicht der Schutz der Angehörigen vor traumatisierenden Anschuldigungen und Verdächtigungen – gemeint war der angebliche Schutz des Staates bzw. seiner Bürger_innen durch den Einsatz von V-Leuten. Und damit diese Praxis exzessiv möglich ist, wiegt der Schutz der Persönlichkeitsrechte eben dieser V-Leute im Zweifelsfall für Fritsche anscheinend höher als das Recht auf parlamentarische Kontrolle („Ich hätte dem Untersuchungsausschuss nicht die Klarnamen gesagt.“) Und überhaupt: „Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer Behörde sind weder auf dem einen noch auf dem anderen Auge blind.“

Schuldabwehr

Bei der Befragung stellte die SPD-Ombudsfrau Eva Högl in den Raum, Fritsche sei als damals zuständiger VS-Vize ja wohl befangen, wenn er heute als Staatssekretär des BMI für die Aufklärung der Versäumnisse zuständig ist, zumindest sei das eine Interessenkollision. Fritsche widersprach vehement, in der siebenstündigen Befragung wurde klar: nicht einen einzigen Fehler will er oder sein Amt gemacht haben, auch andere Behörden nahm er in Schutz. Deutlich, wiederholt und geradezu penibel wies Fritsche die Bezeichnung „fatale Fehleinschätzung“ zurück. Auf diese Formulierung bestand Eva Högl zur Beschreibung des Umstandes, dass das BfV 2003 behauptete, die drei Untergetauchten hätten bis dahin keine Gewalttaten begangen und seien somit (und ja, auch wegen fehlender Bekennerschreiben) nicht mit der RAF vergleichbar, wie es damals Günther Beckstein in Bezug auf Martin Wiese gesagt hatte. Fatal: ja, Fehleinschätzung: naja, aber zusammen: nein.

Ging es um die Aktenschredderei in seinem Amt, dann wollte er nicht eingestehen, dass ein Aktenvernichtungsmoratorium [siehe dazu die Berichterstattung zum Engelke-Gutachten]schon im November 2011 angebracht gewesen wäre und nicht erst im Juli 2012. Ging es um V-Mann Tino Brandt, dann konnte er nichts dazu sagen, weil er das nur aus der Presse erfahren haben will. Ging es um die Operation Rennsteig, dann bedauerte er, dass das BfV ja nur Amtshilfe leisten durfte und nicht federführend gewesen sei, außerdem habe die Operation kurz vor seinem Amtsantritt 1996 angefangen. Ging es um das Schnappen des Trios in den ersten Jahren, dann will er sich zwar gewundert haben, dass die Polizei so „zurückhaltend“ gewesen sei in der Fahndung, aber das sei ja nicht der Bereich des BfV. Ging es um Erkenntnisse zur Südafrika-Verbindung, habe sich das BfV angeblich damit zufrieden gegeben, dass die dortige Behörde auf ihr Hilfegesuch antwortete, dass es sich bei der Person [gemeint sein dürfte Claus Nordbruch]um einen südafrikanischen Staatsangehörigen handele, so dass man keine Informationen über ihn rausgeben würde. Ging es um den V-Mann Thomas R. (Deckname „Corelli“, Szenename „hjtommy“, siehe taz vom 19.09.2012) oder um die V-Männer beim KKK, dann verweigerte er die Aussage in der öffentlichen Sitzung zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der V-Männer und zum „Schutz des Staates“ – damit die Verfassungsfeinde nicht im Detail wissen, wie der VS und die Behörden funktionieren und wer V-Mann ist.

Der hilflose Versuch der Erschütterung

Das Zeigen eines Ausschnitts aus einem neonazistischen Blood and Honour-Video „“ von 1998 durch Petra Pau (Die Linke) sowie das Zitieren aus einem B&H Zine, wirkte wie ein letzter Versuch, Fritsche aus der Reserve zu locken, seine selbstgerechte Souveränität zu erschüttern – die Materialien stammen übrigens aus dem Bestand des apabiz. „Warum war Ihnen nicht erkennbar, dass das die Blaupause sein könnte?“, fragte Pau nach dem Zeigen von Aufmarsch-Bildern, der brutalen Hinrichtung eines Schwarzen und Konzertmitschnitten, auf denen zu eben solchen Morden aufgerufen wurde. Das Video verdeutlicht all diese Zusammenhänge, in den Zitaten fallen die Schlagwörter „leaderless resistance“ und „weiße Revolution“: das Trio hat sich eben nicht im luftleeren Raum politisiert, es gab und gibt die Konzepte, die Propaganda, den Hass – doch nach kurzem Schweigen kann Fritsche wie gewohnt behaupten, keine „fatale Fehleinschätzung“ zum Rechtsterrorismus gemacht zu haben. „Wir haben keine Erkenntnisse dazu, ob solche Materialien bei dem Entschluss [der drei Untergetauchten]zu den Taten eine Rolle gespielt hat“, man könne ja nicht in ihre Köpfe gucken.