Anfang September wurde bekannt, dass der Dresdner Thomas S. von 2001 bis 2011 vom Berliner Landeskriminalamt als sogenannte V-Person geführt wurde. In dieser Zeit hatte er den Ermittlern offenbar wenig spektakuläre Informationen mitzuteilen. Das wäre in den 1990er-Jahren anders gewesen, denn damals war S. mittendrin in der bundesdeutschen Neonazi-Szene: als führender Kader der sächsischen Sektion von Blood & Honour (B&H). Ein Blick zurück auf sein damaliges Netzwerk, zu dem neben sächsischen und Thüringer Neonazis auch Brandenburger und Berliner Aktivist_innen gehörten.
Es gehört zu den bisher ungeklärten Fragen, warum das Berliner LKA den sächsischen Neonazi Thomas S. ausgerechnet in dem Moment als Vertrauensperson in Dienst stellte, als er eigentlich nicht mehr in der Szene mitmachen durfte. Im Jahr 2001 war S. nach seinen eigenen Aussagen aus der Szene raus. Ein nachvollziehbarer Schritt, denn er hatte bei Vernehmungen im Vorjahr seine bisherigen Kameraden deutlich belastet. Die ihm daraufhin zwei mal auf die Pelle rückten, um ihn – erfolgreich – zu einer Rücknahme seiner Aussagen zu bewegen.
Frühe Jahre
Wie wir heute aus verschiedenen Presseartikeln wissen, darunter ein Interview, das S. selber vor kurzem gab, hatte der 1967 in Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt/DDR) geborene bereits in den 1980er-Jahren erste Kontakte mit der dortigen Kriminalpolizei. S. war in einer Hooligan-Truppe namens „Satan Angels“ aktiv und beteiligte sich an Schlägereien und Randale. Die für den Staatsschutz zuständige Abteilung K1 führte ihn als Spitzel.
Nach der Wiedervereinigung wird S. rechter Skinhead und tauchte bei „Chemnitz 88“ auf. Bei einem Konzert der Nazi-Skinheadband „Oithanasie“, 1991 oder 1992, lernte er bei einem seiner vielen Konzertbesuche auch die spätere NSU-Zelle kennen. Eine politische Freundschaft, die das gesamte Jahrzehnt überdauert. S., in der Szene auch als „Tom“ oder „Tomy“ bekannt, reiste viel und gerne zu den Szeneevents der frühen 90er-Jahre. Er berichtete darüber in den Blättchen der ostdeutschen Szene, so in dem Brandenburger Skinzine „United Skins“ von Carsten S., der später als V-Mann „Piato“ bekannt werden sollte und ein wesentlicher Fürsprecher von Combat 18 war.
Die 1994 verbotene Nationalistischen Front (NF) führte ihn in einer Adressdatei mit Chemnitzer Anschrift als Interessent für Propagandamaterial der damals größten bundesdeutschen Nazi-Organisation. Zu diesem Zeitpunkt war S. bereits das erste Mal straffällig geworden. 1993 folgt das erste Urteil beim Landgericht Chemnitz – auf Bewährung. Waffenbesitz, Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung, Überfall auf einen Jugendclub reihen sich aneinander. Nachdem er 1994 zusammen mit anderen eine Veranstaltung der Bundeswehr überfällt, musste er erstmals für 14 Monate hinter Gittern.
Knastarbeit von drinnen und draußen
Während seiner Haftzeit in der JVA Waldheim betreuten ihn die Kameraden fürsorglich. Er erhielt Besuch von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Die HNG führte ihn auf ihren Gefangenenlisten, S. bedankte sich („Heil dir, liebe Ursel!“) mit einem „Brief aus der Gesinnungshaft“. In einem trotzig-kämpferischen Ton beschwerte sich der Gefangene über die Behandlung durch die Anstaltsleitung, aus einem Brief sei ein Blatt mit Rudolf-Heß-Zitat entnommen worden. In der JVA hatte er Kontakt mit mehreren Gesinnungsfreunden, darunter auch Bekannte aus Chemnitz wie Torsten S.
Aus der sogenannten „Knastarbeit“ der Nazi-Kameradschaften war 1994 auch der Rundbrief „Der Weiße Wolf“ entstanden. Er sollte inhaftierten Kameradinnen und Kameraden als Mitteilungsblatt dienen. Ursprünglich für die JVA Brandenburg gedacht, erhielt das Blättchen bald überregionale Bedeutung. Auch für den „Weißen Wolf“, deren spätere Macher 2002 einen Gruß an den NSU abdruckten, schrieb S. unter voller Namensnennung einen mitleidigen Bericht über die Zustände im offenen Vollzug in Chemnitz. S. durfte die letzten sechs Wochen seiner Haftzeit hier absitzen, nachdem seine Strafe auf zwei Drittel reduziert worden war. An einer Distanzierung gegenüber der Szene, in der er tätig war und aus deren Gesinnung er straffällig geworden war, kann die Haftverkürzung nicht gelegen haben. Er wird durch Mitglieder der Redaktion, darunter damals auch Sylvia F., gegrüsst.
Blood & Honour übernimmt das Geschäft
Als S. im Juli 1996 aus dem Knast kommt, hat sich die Szene gewandelt. Blood & Honour etablierte sich als straff organisiertes bundesweites Netzwerk einer selbst ernannten Nazi-Skinhead-Elite. Sie übernahmen das lukrative Geschäft mit den Konzertveranstaltungen und dem Vertrieb der CDs einschlägiger Bands. Jan W. aus Chemnitz wurde eine führende Person in diesem Business mit seinem Label Movement Records und er wurde Chef der sächsischen Sektion von B&H. Zu seinem Vize wuchs S. heran, der für die Anmietung der Säle in der Region zuständig wurde. Es ist naheliegend, dass S. dadurch ein Knotenpunkt im Netzwerk wurde und dass er für seine „Arbeit“ seine alten und neuen Kontakte nutzte.
Bereits im Jahr 1997 ist S. auf einem überregionalen Treffen von B&H anwesend. Unter den vier Dutzend Personen, davon drei Frauen, befindet sich ein Großteil der damaligen Führungskader aus den Sektionen sowie die Führungsspitze der „Division Deutschland“. Ein damals aufgenommenes „Familienfoto“, siehe unten, zeigt auch S., ohne offizielles B&H-T-Shirt, das ihn als Vollmitglied ausweisen würde, neben seinem Sektionschef Jan W. Daneben auch Mitglieder aus Berlin, darunter der Chef von B&H Deutschland Stephan L., genannt Pinocchio oder Pin. Und auch ein späteres Mitglied der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band Landser, der Schlagzeuger Christian W.
Thomas S. macht weiter wie vor dem Knastbesuch, diesmal in einem gut organisierten Netzwerk entschlossener Kamerad_innen. Er besucht nicht nur Konzerte sondern bereitet diese mit vor, ausländische B&H-Vorzeigebands touren durch Ostdeutschland. Als im April 1998 die australische Band „Fortress“ nach Europa kommt, begleitet der häufige Vielschreiber des White Supremacy „Tom“ sie durch Deutschland, Ungarn und in die Schweiz. Über diese Tour berichtet er anschließend in dem neuen Hochglanz-Magazin der Szene „White Supremacy“. In dem selben Heft, in dem ein Beitrag von Uwe Mundlos abgedruckt worden sein soll. Das Magazin kam vollständig aus dem Haus der sächsischen Sektion von B&H, das Postfach in Wilsdruff teilte man mit dem Label Movement Records.
So ging es bis 2001 weiter: mal ein Konzert in Brandenburg, viele in Sachsen, mal ein Fußballturnier in Chemnitz oder in Königs Wusterhausen. Der Kreis der Personen überschneidet sich auffällig: die Chemnitzer, die Brandenburger aus Königs Wusterhausen und Potsdam, die Berliner B&H-Fraktion. Dazu mal die „Kameraden“ aus Johanngeorgenstadt, wo es mit der Weißen Bruderschaft Erzgebirge eine lokale Untergruppe gab, die später eine weitere Rolle im NSU-Geflecht darstellte, mal die von „Penig 88“ oder aus Limbach sowie wenige aus anderen Bundesländern. Dies alles läßt sich alleine aus den Nazizines der damaligen Jahre rekonstruieren.
Der Kontakt zu dem Jenaer Trio
In diese Zeit fällt auch das Untertauchen der drei flüchtigen Nazis aus Jena. Nach der Haftentlassung war man in Kontakt geblieben. Es habe eine „kleine Liaison“ zwischen Zschäpe und S. gegeben. Und vor allem hatte Thomas S. den Dreien Sprengstoff besorgt. Er war in Chemnitz die erste Kontaktperson auf der Flucht. Obwohl er sie an andere weiter reichte, war er auch danach noch gut über ihre Verhältnisse informiert. Dem B&H-Sektionsführer Thüringen, Marcel D., ebenfalls V-Mann, wusste er zu berichten, dass die Flüchtigen kein Geld bräuchten, sie seien versorgt, weil sie „jobbten“. Eine Wortwahl, die als Umschreibung für die damals bereits durchgeführten bewaffneten Raubüberfälle interpretiert werden kann.
In seiner Zeit als V-Person des Berliner LKA gibt er zu dem untergetauchten Trio nur wenige und vage Angaben. „Als Thomas S. im Februar 2002 seinem V-Mann-Führer doch von dem Trio erzählte, sprach er nur von drei Thüringern, die wegen Sprengstoff gesuchten würden und deren Aufenthaltsort ein befreundeter Neonazi, Jan W., kenne. Die Namen der Untergetauchten wisse er nicht. Ein ziemlich unwahrscheinlicher Gedächtnisverlust, hielt doch Thomas S. auch nach dem Untertauchen Kontakt.“, so schreibt Konrad Litschko in der taz.
Bleiben etliche Ungereimtheiten, welchen Sinn die Anwerbung dieser offenbar mickrigen Quelle, die noch als wenig „nachrichtenehrlich“ erscheint, gehabt haben soll. Vielleicht wollte man im Berliner LKA nach dem Landser-Prozess an den ganz großen Dingen dran bleiben, Warnungen aus den sächsischen Behörden zum Trotz. Vielleicht hatte man aber auch die Hoffnung, aus diesem wichtigen Kader der späten 1990er-Jahre würde woanders nochmal was werden. Aber am Ende könnte es, wie so häufig in den NSU-Geschichten der letzten Monate, doch noch ganz anders kommen. Und Thomas S. war viel zentraler daran beteiligt als bisher erscheint, dass drei Thüringer Neonazis nicht nur vor der Polizei fliehen konnten sondern sich ein Leben im Untergrund einrichten konnten. Eben mittendrin und nicht nur dabei.
Ulli Jentsch
Verwendete Zeitungsartikel
Foerster, Andreas: Der Fluchthelfer. In: freitag v. 1.10.2012. Online unter http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-fluchthelfer
N.N.: Profis, Geld und Subkultur. Online unter http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/61/6.php
N.N.: „Blood & Honour“: NSU-Helfer in Sachsen. Online unter http://venceremos.sytes.net/artdd/artikel/cog/blood-honour-nsu-helfer-in-sachsen.html
STERN-investigativ: Die Akte des NSU-Helfers. Online unter http://www.stern.de/investigativ/projekte/terrorismus/zschaepe-liebhaber-und-lka-spitzel-thomas-s-die-akte-des-nsu-helfers-1900563.html
Heinzle / Goetz: Thomas S. und das Terror-Trio. Online unter http://www.tagesschau.de/inland/nsu274.html
Konrad Litschko: Kein Grund zum Vertrauen. In: taz v. 21.10.2012. Online unter http://taz.de/Spitzel/!104008/.
Alle im Text erwähnten Publikationen der neonazistischen Szene liegen dem apabiz vor.