Protokoll 304. Verhandlungstag – 1. August 2016

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An diesem Verhandlungstag beantragt die Verteidigung von Beate Zschäpe zunächst, Fragen der Nebenklagevertreter_innen an ihre Mandantin als unzulässig zurückzuweisen. Dem wird von den Anwält_innen der Nebenklage widersprochen. Dann werden weitere Anträge von den Prozessbeteiligten gestellt.

Heute ist Fototermin. Um 09:44 Uhr kommen die Angeklagten Wohlleben, Zschäpe und Schultze durch die Seitentür in den Saal. Kurz drauf müssen die Kameraleute und Fotograf_innen den Saal verlassen. Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Anwesend ist heute Wohllebens Ehefrau Jacqueline. Außerdem ist Zschäpe-Verteidiger RA Borchert anwesend. Für Wohlleben-Verteidiger Nahrath ist RA Held da. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, dass für heute der Zeuge Wu. geladen sei: „Wir haben keine telefonische Erreichbarkeit, müssen wir überprüfen, wo er verblieben ist. Die Ladung hat er jedenfalls erhalten.“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Ich beantrage, den Zeugen vorführen zu lassen und ihm die Kosten seines Ausbleibens aufzuerlegen, im Übrigen Ordnungsgeld zu verhängen, ersatzweise Ordnungshaft.“

Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Ich bitte um das Wort für eine andere prozessuale Aktivität [phon.], hat nichts mit dieser Sache zu tun. Wir, Frau Sturm, Kollege Stahl und ich, beanstanden folgende, am 295. Hauptverhandlungstag durch Vertreter der Nebenkläger an unsere Mandantin gerichtete Fragen und beantragen, diese als ungeeignet bzw. nicht zur Sache gehörend zurückzuweisen.“ Heer beginnt damit, Fragen von NK-Vertreter RA Scharmer zu beanstanden. Er kommt bis zu einer Frage, in der es um Äußerungen Grasels in einem „taz“-Artikel geht, dann wird er von RA Borchert unterbrochen. Borchert: „Ich möchte mit der Mandantin besprechen, ob es in ihrem Sinne ist, dass diese Rügen hier vorgetragen werden, unter anderem auch da heute eine eigene Stellungnahme von Ihr zu erwarten ist. Ich bitte um 10 Minuten Unterbrechung.“ Götzl: „Dann setzen wir fort um 10:05 Uhr.“

Um 10:23 Uhr geht es weiter. Borchert hat offenbar nichts zu erklären. RA Heer: „Da ich nicht sehr weit gekommen bin, würde ich nochmal von vorne anfangen.“ Heer beginnt wieder mit den Fragen von RA Scharmer: Die Frage, seit wann Zschäpe Robin Schmiemann kenne etc. sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob ihr bekannt sei, dass Sebastian Seemann V-Mann war etc. sei nicht zur Sache gehörend. Zu den Fragen zu Zitaten von RA Grasel in der „taz“ vom 10.03.2016 etc. sagt Heer: Der Vorhalt bezieht sich auf eine Äußerung des Verteidigers gegenüber einem Printmedium, in der er eine eigene Bewertung der Beweislage abgibt und nicht etwa eine diesbezügliche Einschätzung der Mandantin vermittelt, so dass bereits die Zulässigkeit des Vorhalts jedenfalls zweifelhaft ist. Die erste Frage ist ungeeignet, da sie das Vorhandensein solcher Unterstützer voraussetzt und zudem nicht zur Sache gehörend. Die zweite Frage ist ebenfalls ungeeignet, da die Mandantin keine Auskunft über die subjektiven Vorstellungen des Verteidigers abgeben kann und zu Spekulationen verleitet werden soll.

Dann geht es um Fragen von RAin von der Behrens: Die Frage, welche Internetcafés Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz und Zwickau und/oder anderen Orten zum Surfen im Internet aufgesucht hätten, sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage zu den 10.000 DM, die an Holger Gerlach gegeben worden seien, sei ungeeignet, da eine Kenntnis der Mandantin von der Motivation von Böhnhardt unterstellt werde. Es folgen Fragen von RAin Başay: Die Frage zur „Hetendorfer Tagungswoche“ sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage zu Konzerten in sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob Zschäpe oder eine Person, die Sie gekannt habe, an dem Aufhängen bzw. Anzünden einer Puppe in Jena am 15.11.1995 bzw. am Ablegen einer im Jahr 1994 in einem Hochhaus in Jena-Lobeda, in das Flüchtlinge einziehen sollten, beteiligt gewesen sei, sei nicht zur Sache gehörend, soweit nach möglicherweise strafbaren Handlungen anderer, nicht in diesem Verfahren angeklagter Personen gefragt werde.

Die Frage, welche Personen aus der rechten Szene in Thüringen und Sachsen wussten, wer für die Bombenattrappen, auf die Zschäpe in ihrer Einlassung Bezug nehme, verantwortlich gewesen ist, sei ungeeignet und nicht zur Sache gehörend. Die Frage nach der Teilnahme an einem Vortrag von Ignatz Bubis etc. sei nicht zur Sache gehörend. Die Fragen nach Kontakten zu Angehörigen der rechten Szene aus den westlichen Bundesländern sowie zu „Altnazis“ seien ungeeignet und nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob die KSJ bzw. deren Mitglieder auch zu denen gehörten, die unterstützt worden seien, sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage: „Hatten Sie, Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt persönlichen Kontakt zu Personen aus der rechten Szene in Zwickau? “ sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage „Wer ist die Frau, die – wohl – mit Ihnen zusammen die Fahne auf einer Demonstration am 24.01.1998 in Dresden hält?“ sei nicht zur Sache gehörend.

Es folgen dann Fragen von RA Stolle: Die Frage nach dem Lied „5. Februar“ von „Eichenlaub“ sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage danach, ob Zschäpe Kenntnis davon hatte, dass Jan Werner und Thomas Starke im Landser-Verfahren ausgesagt haben, sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage: „Erkennen Sie die Person auf dem Foto, das bei einer Observation des sächsischen LfV am 06.05.2000 in Chemnitz gemacht worden ist?“ sei nicht zur Sache gehörend. Dann geht es um eine Frage von RA Hoffmann: Die Frage zu Marcel Ch. sei nicht zur Sache gehörend. Es folgt eine Frage von RA Behnke: Die Frage nach der Mitgliedschaft in einer DDR-Jugendorganisation etc. sei nicht zur Sache gehörend. Dann geht es um Fragen von RAin Luczak: Die Fragen nach einen Kameradschaftstreffen an Silvester 1998/1999 oder Anfang 1999 auf einem Campingplatz in der Nähe von Görlitz etc. seien nicht zur Sache gehörend. Die Frage: „Waren Sie am 07.05.2000 in Berlin? Wenn ja, mit wem waren Sie zusammen dort und was war der Zweck des Besuchs?“ sei nicht zur Sache gehörend. Die Fragen zu einem Besuch aus Dänemark und Schweden etc. seien nicht zur Sache gehörend bzw. ungeeignet und nicht zur Sache gehörend. Es folgen dann Fragen von RA Narin: Die Frage, ob Zschäpe bereit wäre, vor einem Untersuchungsausschuss auszusagen, sei ungeeignet und nicht zur Sache gehörend. RA Narin sagt etwas ohne Mikrofonverstärkung. [Vermutlich weist er darauf hin, dass diese Frage bereits durch Götzl beanstandet wurde, und sagt, dass er die Frage bereits zurückgezogen habe.] Heer: „Wir haben sorgfältig mitgeschrieben, das halten wir aufrecht.“

Heer setzt dann mit den Beanstandungen zu Fragen von RA Narin fort: Die Frage nach Kontakt zu Rockern oder anderen kriminellen Gruppierungen sei nicht zur Sache gehörend. Die Fragen zu Thorsten Po. seien nicht zur Sache gehörend bzw. „ungeeignet, da die Mandantin über Kenntnisse von Herrn Po. keine Auskunft erteilen kann“. Die Frage nach Jens Gü. sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob Gü. gewusst habe, dass Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt konspirativ im so genannten Untergrund leben, sei „ungeeignet, da nach dem Kenntnisstand einer anderen Person gefragt wird, zudem nicht zur Sache gehörend“. Die Frage, wen Mundlos in Briefen als V-Mann („Schwachstelle“) vermutet habe, sei „ungeeignet, da die Mandantin über Vermutungen einer anderen Person keine Auskunft geben kann, zudem nicht zur Sache gehörend“. Die Frage, ob Zschäpe, Mundlos und/oder Böhnhardt bei Personen aus Chemnitz, Zwickau und Umgebung, mit denen sie Kontakt hatten, vermuteten, dass diese Informationen an einen Nachrichtendienst oder den polizeilichen Staatsschutz weitergeben etc. sei „ungeeignet, soweit nach Vermutungen von Herrn Mundlos und Herrn Böhnhardt gefragt wird, insgesamt nicht zur Sache gehörend“. Die Frage, ob Zschäpes Verteidiger von einem Nachrichtendienst kontaktiert wurden etc. sei ungeeignet. Die Frage nach den Rechten für eine Autobiografie etc. sei ungeeignet und nicht zur Sache gehörend.

Dann geht es um Fragen von RA Langer: Die Frage nach Marcus Ho., der auf der Telefonliste Garage Jena vermerkt sei, sei nicht zur Sache gehörend. Auch die weiteren Fragen Langers zu diesem Themenkomplex bezeichnet Heer als nicht zur Sache gehörend. Es geht dann weiter mit Fragen von RAin Busmann: Die Frage: „Was war der Grund, den Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für Fahrten nach Hamburg angegeben haben?“ sei ungeeignet. Die Frage: „Wurden Sie von Personen aus Norddeutschland in Fehmarn besucht?“ sei nicht zur Sache gehörend. Die Fragen zu Kontakten aus Hamburg, ob man bei Heß-Gedenkmärschen bzw. über Gefangenenhilfsorganisationen in Kontakt gekommen sei etc. seien nicht zur Sache gehörend. Die Frage nach der Teilnahme an Rechtsschulungen etc. sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob Zschäpe die Personen Gisa Pahl, Christian Worch etc. kennt, sei nicht zur Sache gehörend. Die Frage, ob Mundlos oder Böhnhardt diese Personen kannten, sei ungeeignet und nicht zur Sache gehörend.

Dann macht Heer allgemeine Ausführungen: Es ist geboten, durch prozessleitende Verfügung des Vorsitzenden die Beschränkung des Fragerechts der oben genannten Nebenklägervertreter in dem bezeichneten Umfang anzuordnen. Aus Anlass der beanstandeten Fragen, die sich nicht mehr im Rahmen des Prozessstoffes bewegen, sei noch einmal daran erinnert, dass das Ziel des Strafverfahrens darin besteht, die Wahrheit über das Vorliegen einer behaupteten oder für möglich gehaltenen Straftat zu ermitteln und den Täter einer gesetzlichen Rechtsfolge zuzuführen. Gemäß § 155 Abs. 1 StPO erstreckt sich die gerichtliche Untersuchung und Entscheidung nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen. § 264 StPO beschränkt den Gegenstand der Urteilsfindung auf den in der Anklage bezeichneten Lebenssachverhalt, wie er sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

Der Bereich, innerhalb dessen das Strafgericht seiner Untersuchungspflicht zu genügen hat, ist mithin – in Anerkennung des Untersuchungsgrundsatzes – im Tatsächlichen nach Maßgabe der Anklage begrenzt. Dadurch soll der Beschuldigte davor geschützt werden, dass die Untersuchung willkürlich ausgedehnt wird. Das Gericht ist gehalten, die Anklage erschöpfend zu behandeln, über sie aber auch nicht hinauszugehen. Die Aufklärungspflicht hat sich auf alle Tatsachen zu erstrecken, die für die Beurteilung der angeklagten Tat – wenn auch nur mittelbar – von Bedeutung sind. Eine überschießende Aufklärung überschreitet aber grundsätzlich den Zweck des Strafverfahrens und wäre mit der u. a. aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Subjektstellung einer Angeklagten unvereinbar. Zu beachten ist ferner der dem Rechtsstaatsprinzip sowie ebenso Art. 6 Abs. 1 EMRK entspringende Grundsatz der Beschleunigung, der in besonderem Maße für Haftsachen gilt, als Ausdruck einer allgemeinen Fürsorgepflicht der Strafjustiz gegenüber dem von ihr Betroffenen im Sinne einer Stringenz des Verfahrensganges und einer Vermeidung von sachlich nicht bedingten Verzögerungen.

In Ausgestaltung dieser Grundsätze kann der Vorsitzende gemäß § 241 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 240 Abs. 2 StPO ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückweisen. Die Vorschrift dient unter anderem dem Schutz des Angeklagten vor unzulässigen Fragen. Es ist Aufgabe des Gerichts, nicht nur allgemein für einen ordnungsgemäßen und schleunigen Ablauf der Hauptverhandlung, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte der Auskunftspersonen im Zuge ihre Befragung durch die Verfahrensbeteiligten nicht verletzt werden. Ungeeignet im Sinne des § 241 Abs. 2 StPO sind Fragen, die aus tatsächlichen oder aber aus rechtlichen Gründen nichts zur Wahrheitsfindung beitragen können. Ungeeignet aus tatsächlichen Gründen sind auch Fragen nach einer Einschätzung der Auskunftsperson, über die diese keine Auskunft geben kann, sowie Suggestivfragen, die in der Intention gestellt werden, einer Auskunftsperson eine bestimmte Antwort in den Mund zu legen.

Nicht zur Sache gehörig sind solche Fragen, die keinerlei Bezug zum Prozessgegenstand, also zu der dem Angeklagten angelasteten Tat oder zu den im Raume stehenden Rechtsfolgen aufweisen. Davon ist auszugehen, wenn eine Frage offensichtlich gänzlich neben der Sache liegt oder aber wenn sie erkennbar ausschließlich verfahrensfremden Zwecken dient. Maßgebliche Kriterien für Beanstandungen nach § 241 Abs. 2 StPO sind demnach die Prozessordnungswidrigkeit einer Frage sowie deren fehlende Eignung, einen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten. Unter Berücksichtigung dessen sind die beanstandeten Fragen zur Wahrheitsfindung nicht geeignet oder es besteht nicht einmal mittelbar ein Bezug zu dem Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung. Unzulässig sind daher insbesondere Fragen nach etwaigen Kennverhältnissen, wenn sich der Fragegegenstand darin erschöpft, sowie allgemeine Fragen nach Strukturen, Ausbildungswesen, Veranstaltungen und Liedgut der sogenannten rechten Szene und ihrer Mitglieder, deren Kontakte und Unterstützungsleistungen untereinander. Unzulässig sind ferner Fragen nach etwaigen, eine strafrechtliche Relevanz aufweisende Handlungen hier nicht angeklagter Personen, nach deren etwaiger Kenntnis möglicher Straftaten der Angeklagten, aber auch nach allgemeinen und nicht tatbezogenen Kontakten unserer Mandantin zu anderen Personen, selbst wenn diese der sogenannten rechten Szene angehört haben mögen, und nach Aktivitäten unserer Mandantin, die weit vor dem anklagegegenständlichen Zeitraum liegen und keinen erkennbaren Bezug zu dem Verfahrensgegenstand haben.

Götzl: „Wir werden den Antrag kopieren, ein Pause einlegen und dann können Sie Stellung nehmen, wobei ich zunächst den Nebenklägervertretern Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen will.“ RA Hoffmann: „Ich kann bereits jetzt sagen, dass ich zur Vorbereitung einer umfassenden Stellungnahme sicherlich längere Zeit bräuchte. Ich möchte aber sofort etwas erwidern. Diese Beanstandungen, insbesondere unter Verweis auf das Beschleunigungsgebot, empfinde ich als anmaßend und ungeheuerlich.“ Hoffmann sagt, es sei das – zwar zulässige – Verhalten der Angeklagten und ihrer Verteidigung, dass Fragen nur schriftlich beantwortet werden, das dazu geführt habe, dass Fragen der NK erst jetzt gestellt werden könnten: „Wir hätten alle Fragen schon im Dezember erledigen können. Die zeitliche Verzögerung, die sich ergibt durch dieses ewige ‚mal schauen‘, ‚wir brauchen Zeit‘, ist eine solche Verzögerung, dass es beinahe unanständig ist, solche Fragen zu beanstanden unter Verweis auf das Beschleunigungsgebot. Diese Fragen wurden am 6. Juli gestellt. Es ist sicher zulässig zu beanstanden, so lange sie noch nicht beantwortet sind, aber es wäre angemessen gewesen, als diese Fragen gestellt worden sind, Beanstandungen vorzunehmen, in dem kommunikativen Akt, den wir sonst auch haben, und dann ggf. mit Erläuterungen vorzugehen und auch zu einer schnellen Lösung zu kommen. [phon.] Wenn ich jetzt sehe, dass mit einem bloßen Verweis auf ’nicht zur Sache gehörend‘, ohne weitere Begründung, nur mit einer zusammenfassenden Begründung am Ende, Fragen beanstandet werden, dann muss ich dazu sagen, das ist falsch rum: Die Beanstandung muss begründet werden, nicht die Frage. Deswegen werde ich auch sehr genau prüfen müssen, welche Beanstandung ich hier beantworte.“

RA Scharmer: „Die Stellungnahme kann nicht in den nächsten 15 Minuten erfolgen. Aber ich würde grundsätzlich etwas dazu sagen wollen: Wir haben ein etwas ungewöhnliches Prozedere, was die Einlassung von Frau Zschäpe betrifft.“ Das sei im Grunde nicht so, wie es die StPO vorsieht, sondern im Grunde zivilprozessual, so Scharmer, man reiche Fragen ein und dann reiche Zschäpe Antworten ein. [phon.] Das mache es, so Scharmer weiter, schwierig Aufbaufragen zu stellen. Scharmer: „Wenn ich frage: Seit wann kennen Sie Herrn Schmiemann, dann mag das für Herrn Heer so sein, dass sich das für ihn auf ein Kennverhältnis bezieht. Aber wenn die Antwort wäre, ich kenne ihn seit 1998, dann würde ich natürlich weiter fragen. Es ist ja so: Frau Zschäpe bestreitet ja bestimmte Taten und Wissen. [phon.] Deswegen sind Zeugen bedeutend, die mit ihr in Kontakt standen, insbesondere so genannte Szenezeugen. Es wird bei vielen Fragen so sein. Wenn die Antwort sein wird, ich kenne Schmiemann seit 2013, erübrigen sich weitere Fragen. Natürlich stellt man Eingangsfragen. Nur, das kann ich dann im Einzelfall begründen. [phon.] Sinn macht es nach dieser Zeit nicht mehr, das jetzt zu beanstanden. Jetzt muss man natürlich schauen und sich Gedanken machen, ob das noch zulässig ist, ob hier die Beanstandung noch rechtzeitig ist. Ich bin anderer Ansicht als Herr Hoffmann, denn ich gehe davon aus: Ich habe Fragen gestellt und die sind durch Frau Zschäpe nicht beantwortet worden. [phon.] Für mich ist es formal nicht beantwortet. [phon.]“

RA Langer: „Ich bin insofern privilegiert, dass nur Punkt 3.3 [phon.] beanstandet wurde. Es geht hier um Aufklärung zur Tatortauswahl Rostock bzgl. des Opfers Mehmet Turgut und eigene Erkenntnisse und Beziehungen von Frau Zschäpe [phon.] zum Tatort und der näheren Umgebung. Deswegen halte ich die Fragen im vollen Umfang aufrecht.“ RA Behnke: „Meine wenigen Fragen möchte ich auch aufrechthalten. Es ist Aufgabe des Gerichts, die Sozialisationsbedingungen für ein Urteil zu ermitteln. Deshalb sind meine Fragen auch in jedem Fall zulässig.“ RAin Başay: „Ich würde dazu gern ausführlicher Stellung nehmen. Ich habe inhaltlich nichts gehört, warum meine Fragen nicht zulässig sein sollen.“ Soweit Fragen beanstandet worden seien, die Konzertbesuche betreffen, knüpfe dies, so Başay an die Einlassung von Zschäpe vom 09.12.2015 an, wo sie selbst eingeräumt habe, an Veranstaltungen und Konzerten teilgenommen zu haben. Soweit sie nach Dortmund gefragt habe, sei das zulässig im Hinblick auf die Combat 18-Zelle, die in Dortmund aktiv gewesen sei und Zugang zu Waffen gehabt habe, bzgl. des Mordfalls Kubaşık seien auch Fragen zu Dortmund zulässig. [phon.] Auch die Fragen zu Bombenattrappen seien zulässig, so Başay weiter. Man habe hier Zeugen gehört, die von damaligen abgesprochenen Falschaussagen berichtet haben, in die auch Zschäpe verwickelt gewesen sei; es seien auch Akten beigezogen worden. Başay: „Alles weitere behalte ich mir vor.“

Heer: „Kurz zu Herrn Kollegen Hoffmann: Die Fragen wurden am 295. Hauptverhandlungstag gestellt und heute haben wir den 304. Hauptverhandlungstag. Sie alle können davon ausgehen, dass wir alle Fragen sehr sorgfältig zu dritt geprüft haben. Wir haben auch einige Fragen, die wir zunächst für unzulässig gehalten haben, wieder raus genommen. [phon.] Wir neigen insgesamt nicht zu Schnellschüssen und deshalb haben wir das heute angebracht. Ich sehe mich bei der Masse der Fragen nicht in der Lage, mitzuschreiben, zu denken, mich abzustimmen und dann gleich eine vernünftige Beanstandung auszusprechen. Die Begründung ist natürlich ausreichend erfolgt. Ich gehe davon aus, dass von Ihrer Seite und von Ihren Kollegen Erläuterungen erfolgen, mglw. Nachbesserungen, und man dann erneut zur Zulässigkeit diskutieren kann. Wir haben uns entschieden, das in der Form zu machen. Wir sind grundsätzlich bereit auch einzelne Beanstandungen zurückzunehmen. Und zu Frau Kollegin Başay: Es ist nicht so, dass nur weil ein Angeklagter irgendwas erwähnt, dass es dadurch automatisch und per se zum Prozessstoff wird.“

Narin: „Ich möchte mir auch eine ausführliche Stellungnahme vorbehalten. Aber zu der einen vom Kollegen Heer beanstandeten Frage möchte ich sagen, dass sie vom Vorsitzenden sofort beanstandet wurde und ich sie zurückgenommen habe. Das geht also doch.“ Scharmer: „Die Fragen wurden äußerst langsam und bedacht vorgetragen. Nach jeder Frage wurde extra eine Pause gemacht. Das ist ja bei jeder Zeugenvernehmung so, dass es ja schneller geht, dass man gleich reagieren muss. Und der Kollege Narin hat Recht, Herr Vorsitzender, Sie haben ja beanstandet in dieser Situation und die Frage ist zurückgenommen worden. Da frage ich mich schon, wie das funktioniert.“ RA Stahl: „Ich halte die Kritik an uns, was die Art und Weise, wie die Beanstandungen vorgebracht worden sind, für deplatziert. Es ist das gewählte Prozedere des Senats gewesen, dass man der Nebenklage die Gelegenheit zu Fragen gibt und Sie haben sich dazu entschieden, ganze Kataloge vorzutragen. Also die Art und Weise, dass zunächst diese Fragen vernommen [phon.] werden und mitnotiert werden, das ist genau das Prozedere, was gewählt wurde, und das haben wir so aufgegriffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Senat zugestimmt hätte, dass wir bei jeder Frage unterbrechen und beanstanden.“ Hoffmann: „Ich muss schon sagen! Sie haben vielleicht so wenig Kontakt mit Ihrer Mandantin, aber sie können doch nicht auf den Senat schieben, dass hier Fragenkataloge abgegeben werden müssen. Es ist doch das Vorgehen von Frau Zschäpe, die sich weigert, auf Fragen gleich zu antworten. Das jetzt auf den Senat zu schieben, das geht überhaupt nicht!“ Götzl: „Wir setzen um 11:20 Uhr fort.“

Um 11:26 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann zunächst die Frage an die Verfahrensbeteiligten: Soll zu den Beanstandungen noch Stellung genommen werden?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Dann bitte ich bis morgen Stellungnahmen vorzubereiten.“ Bundesanwalt Diemer: „Nur zum Prozedere: Wir können erst Stellung nehmen, wenn wir die Stellungnahmen der Nebenklägervertreter gehört haben. Die müssten ja erläutern. Deswegen ist es jetzt schwierig, Stellungnahmen aus der hohlen Hand heraus vorzubereiten.“ Götzl: „Na gut, dann warten wir jedenfalls mal bis morgen.“ Hoffmann: „Ich würde die BAW auch im Sinne einer Beschleunigung bitten, das nochmal zu überdenken.“ Hoffmann sagt, es würden Fragen stehen und dazu sei nur gesagt worden, sie seien nicht zur Sache gehörig. Fragen müssten nicht begründet werden, so Hoffmann, sondern Beanstandungen.

Götzl fragt RA Grasel, ob er jetzt die Erklärung Zschäpes verlesen wolle. Grasel: „Das war zunächst so geplant. Wir werden jetzt zunächst abwarten müssen, wie sich das mit den Beanstandungen entwickelt und wie der Senat entscheidet. Das einzige was ich heute noch verlesen könnte, wäre die von mir vorbereitete 257er-Erklärung zu den Urlaubsfotos.“ Dann verliest Grasel die Erklärung: „Meine Mandantin hat angegeben, dass es zwischen 2005 und 2009 keine gemeinsamen Urlaube mit Holger Gerlach gab. Das entspricht nach wie vor ihrer Erinnerung. Aufgrund der Lichtbilder ist aber davon auszugehen, dass Holger Gerlach 2006 am Urlaubsort anwesend war. Es kann sich dabei nur um einen Tagesbesuch gehandelt haben, an den sich die Mandantin nicht mehr erinnert.“

Danach gibt Klemke eine Erklärung zur Vernehmung des Zeugen Kl. [301. Verhandlungstag] ab:
„Die Vernehmung des Zeugen Sven Kl. ist ein gutes Beispiel dafür, welche Gefahren aus Vorhalten für die Erforschung der Wahrheit hervorgehen können. Vorhalte haben nämlich die Tendenz, dass sie eine suggestive Wirkung im Zeugen hervorrufen können, dass Erinnerungsbilder verfälscht oder kreiert werden. Die Vernehmung des Herrn Kl. ist dazu ein Paradebeispiel. Hier hat Kl. ausgesagt, er habe von dieser Schlägerei, an der er beteiligt gewesen sein soll, erst in seiner polizeilichen Vernehmung erfahren. Trotz Vorhalts konnte Kl. sich nicht erinnern, dass er zweimal vom BKA vernommen worden ist. Weiter hat er angegeben, dass es sehr gut sein könne, dass es so eine Schlägerei gegeben habe, er habe aber keine Erinnerung. Er habe es aber bei der Vernehmung vom BKA nicht ausgeschlossen, an einer solchen Schlägerei beteiligt gewesen zu sein.

Dann kamen Äußerungen, die erstaunliche Ähnlichkeiten zu Aussageteilen des Herrn Carsten Schultze aufweisen. Er sagte aus, es seien wieder ‚Bilder hochgekommen, aber keine Einzelheiten‘, die Bilder hätten den Umstand betroffen, dass man sich im Winzerclub aufgehalten habe. Es klänge schon plausibel, was die Vernehmungsbeamten gesagt hätten, es seien Bilder von der Endhaltestelle, aber nicht von der Auseinandersetzung hochgekommen. Das alles haben wir so ähnlich ja von Carsten Schultze schon gehört, dass da irgendwas ‚hochkommt‘. Genau so war es hier bei Herrn Kl. Später bei der Befragung durch die Verteidigung hat Kl. auch dies nochmal ein bisschen relativiert. Er sei noch nicht einmal Zeuge einer Schlägerei zwischen Mitgliedern der rechten Szene und Linksextremisten gewesen. Was macht man mit einer solchen Aussage? Wichtig ist ja, meine ich, in erster Linie, dass man sich anguckt: Wie ist diese Aussage entstanden? Das schöne Fremdwort der Aussagegenese wird da immer verwendet.

Es hat ja zuerst die erste Vernehmung Kl. gegeben am 20.06.2013, nach der diesbezüglichen Einlassung des Carsten Schultze über diese angebliche Schlägerei an der Straßenbahnendhaltestelle Winzerla. Da lag die Vernehmung des Carsten Schultze durch das BKA wohl noch gar nicht vor, sondern nur eine Zusammenfassung, die den Vernehmungsbeamten von der Bundesanwaltschaft zugetragen worden ist. Im Vernehmungsprotokoll: ‚Die Schlägerei soll im März 1998 stattgefunden haben, mit Carsten Schultze, Ralf Wohlleben und ‚Schmaler‘. Erinnerungen? Anmerkung: Kurze Schilderung des Sachverhalts.‘ [phon.] Leider steht da im Protokoll nicht, was dem Herrn Kl. da konkret vorgetragen worden ist. Dann: ‚Nein, überhaupt gar nicht. – Gab es öfters Schlägereien mit der linksextremen Szene? – Die rechtsextreme Szene‘ [phon.] und eingefügt: ‚linksextreme Szene damals in Jena war sehr gewaltbereit. Ich habe mich nie an so einer Schlägerei beteiligt.‘ [phon.] Also letztendlich hat Kl. in der ersten Vernehmung gesagt, er hat nie an so einer Schlägerei zwischen Rechten und Linken, also mutmaßlich Linksextremisten, teilgenommen. Das hätte natürlich die Glaubhaftigkeit der widersprechenden Angaben des Carsten Schultze in der Hauptverhandlung und später auch vor dem BKA in seiner polizeilichen Vernehmung gefährdet. Deshalb konnte man das nicht so stehen lassen.

Dann hat es eine zweite Vernehmung des Herrn Kl. gegeben, das war dann am 28.10.2013. Da gibt es einen wörtlichen Vorhalt, etwa eine DIN A4-Seite, aus der Vernehmung des Carsten Schultze beim BKA und dann gibt es noch so einen schönen Zusatz: ‚Herr Schultze scheint sich sehr sicher zu sein bzgl. Ihrer Beteiligung an dieser Schlägerei. Erinnern Sie sich vielleicht jetzt an diese Schlägerei?‘ [phon.] Dadurch wird die Intention der Vernehmungsbeamten deutlich, dass man hier Erinnerung generieren will. Denn suggestiver kann man da eigentlich nicht mehr fragen. Dieser Vorhalt hat dann auch das gewünschte Ergebnis gezeitigt bei dem Zeugen. Denn die erste Aussage, ‚ich habe mich nie beteiligt‘, fängt an zu bröckeln: ‚Das ist echt herb. Ich kann mich natürlich nicht an Details erinnern. Kann sein. Es dämmert ein bisschen mit einer Schlägerei, ich kann mich aber nicht genau erinnern, vielleicht verdrängt oder so‘ [phon.] Nach der zweiten Vernehmung dringt dann das durch, dass er sich nicht mehr erinnern könne an den Vorfall. [phon.] Damit hat die Strategie, ich nehme an von GBA und BKA, zumindest zum Teil Früchte getragen. Denn der Zeuge ist von seiner zuvor strikten Aussage, sich nicht beteiligt zu haben, da ist er abgerückt.

Er hat zwar die Angaben des Herrn Schultze nicht bestätigt. Aber als Entlastungszeuge hat man Kl. dank der suggestiven Befragung zum Teil neutralisiert. Aber nicht ganz. ‚Nicht erinnern‘, das war ein bisschen zu wenig, um den Kronzeugen zu stützen. [phon.] Deswegen hat die Bundesanwaltschaft es vorgezogen, die erste Vernehmung nicht zu Gericht gegeben, sondern nur die zweite. Das ist eine eigenartige Art und Weise, wie die BAW verfährt. Da werden gerade Vernehmungen durchgeführt, die Bezug haben, die die Angaben des Kronzeugen Carsten Schultze verifizieren sollen, und diese Vernehmungen werden nicht in diesem Verfahren geführt, sondern die werden im Verfahren gegen Unbekannt geparkt. Und immer, wenn es dem GBA in den Kram passt, werden die Sachen beigezogen und die Protokolle hier den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gegeben. Das wirft alles in allem kein gutes Licht auf die GBA. Wie ist die Aussage Kl. zu bewerten? Es ergibt sich schon daraus, was ich vorgehalten habe: Einbruch des Zeugen aufgrund des Vorhaltes und der suggestiven Fragestellung. Das konnte man hier mit Händen greifen: Der Zeuge wollte gerne helfen, wollte sich ganz genau wie Carsten Schultze erinnern, konnte es aber nicht, denn die bei ihm hochgekommenen Bilder hatten nämlich keinen Bezug zu der angesprochenen Auseinandersetzung.

An die Schlägerei konnte sich bisher kein Zeuge erinnern, abgesehen vom Kronzeugen Carsten Schultze. [phon.] Dem Zeugen ist ein Freudscher Versprecher unterlaufen. Er hat gesagt: ‚Ich habe von der Schlägerei erst in der polizeilichen Vernehmung erfahren.‘ Nicht: ‚erinnert‘, sondern ‚erfahren‘. Das kann man nur so auslegen, dass er erstmals davon erfahren hat in der polizeilichen Vernehmung. Das hat der Zeuge damit gesagt. Damit hat er sich von den späteren Pseudoerinnerungen, die man ihm da einpflanzen wollte, sehr deutlich distanziert. Letztendlich ist diese Relativierung der ursprünglichen Aussage des Zeugen Kl. nicht ganz gelungen.“ Dann beantragt Klemke, die Vernehmungsbeamten der Vernehmung von Sven Kl. vom 20.06.2013, die Beamten Fr. und Kl., zu laden und zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass Sven Kl. bei der Vernehmung angegeben habe, er könne sich an einen derartigen Vorfall überhaupt nicht erinnern und habe sich nie an so einer Schlägerei beteiligt.

Götzl: „Soll Stellung genommen werden?“ Diemer: „Wir behalten uns eine Stellungnahme vor.“ Schultzes Verteidiger RA Hösl: „Herr Schultze hat diesen Vorgang an der Endhaltestelle Jena-Winzerla mit vageren und konkreteren Erinnerungen dargestellt und zur Beteiligung des Herrn Kl. hat Herr Schultze eine ganz konkrete Erinnerung.“ Götzl: „Herr Rechtsanwalt Hoffmann, Sie hatten sich eine Erklärung vorbehalten.“ Hoffmann: „In einem Satz: Die Zeugenvernehmung hat keinerlei Zweifel an den Angaben des Angeklagten Schultze in Bezug auf diesen Sachverhalt ergeben.“

Klemke: „Wenn es denn in die Planung passt, hätte ich gern nochmal erwidert auf die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zu unserem Antrag, sämtliche Akten, die gegen namentlich bekannte oder unbekannte Unterstützer des so genannten NSU geführt werden, beizuziehen.“ [siehe 300. Verhandlungstag]Götzl: „Dann würde ich darum bitten, dass Sie jetzt erwidern.“ Klemke: „Ich finde die Verfahrensweise des GBA sehr befremdlich. Frau Greger hat ja in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass der GBA in Zusammenhang mit dem so genannten NSU-Komplex ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt sowie mehrere Ermittlungsverfahren gegen Personen führe. Da komme ich auf die Handhabung mit den Vernehmungen des Zeugen Kl.“ Es würden da, so Klemke weiter, Sachverhalte, die zur Überprüfung der Angaben des „Kronzeugen Schultze“ dienlich seien, in einem Verfahren gegen Unbekannt vernommen [phon.] und diese Aktenbestandteile würden teilweise erst nach drei Jahren zu den Akten gereicht.

Es sei schon zu fragen, warum diese Vernehmung von Sven Kl. in einem Verfahren gegen Unbekannt geführt worden sei: „Was hätten denn Herr Kl. und Herr Sz. Sachdienliches zu diesen angeblichen Unterstützungshandlungen durch Unbekannte aussagen können? Das erschließt sich mir nicht. Da fehlt jeglicher Hinweis der Bundesanwaltschaft. Auch in ihrer Stellungnahme verhält sich Frau Greger dazu nicht, mit keinem Wort.“ Klemke zitiert aus der Stellungnahme von OStAin Greger und sagt dann: „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, hoher Senat. Da frage ich mich, was die Zeugen überhaupt zu diesem Verfahren aussagen konnten, denn schwerpunktmäßig beziehen sich die Fragen hauptsächlich oder – wie bei der ersten Vernehmung Kl. – ausschließlich auf die Aussage Carsten Schultze. Wie kommt die Bundesanwaltschaft dazu, dass die Aussagen von Sz. und Kl. keine Schlüsse auf die Straf- und Schuldfrage zulassen. [phon.] Das will mir nicht in den Kopf. Hat die Glaubhaftigkeit Schultzes nix mit der Schuldfrage zu tun, ob man seinen Angaben folgen kann oder nicht? Ich verstehe das alles nicht. Der Akteneinsicht unterliegen alle Umstände, aus denen sich schuldspruchrelevante Umstände ergeben könnten.“

Es reiche schon der potenzielle erhebliche Bezug [phon.] aus, um die Aktenbestandteile und „zwar schnellstmöglich“ dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung zu stellen, so Klemke. Klemke: „Weiter wird hier ausgeführt, das ist zu schön, muss ich nochmal vorlesen: ‚Die Zeugen vermochten sich nicht an die von Schultze geschilderte Körperverletzung zu erinnern.‘ Hier steht aber, wenn ich die erste Vernehmung Kl. lese: ‚Ich habe mich an so einer Schlägerei nicht beteiligt‘; von einer Erinnerung steht da nichts. [phon.] Das passt hier überhaupt nicht zusammen. Das ist – ‚falsche Etikettierung‘ ist noch ein sehr harmloses Wort, um das Vorgehen der Bundesanwaltschaft als das zu kennzeichnen, was es ist. Das, was Herr Kl. sagt, das ist der Ausschluss der Beteiligung und nicht bloß eine fehlende Erinnerung. So eine Vernehmung durfte auf keinen Fall von der Generalbundesanwaltschaft dem Senat und den Verfahrensbeteiligten vorenthalten werden. Dann heißt es – nee, machen wir mal anders weiter: Im Übrigen hat sich der Her Kl. auch zur Frage geäußert, ob es in Jena auch gewalttätige Auseinandersetzungen von Mitgliedern der rechten Szene mit Ausländern gegeben habe. Und da sagt Kl. eindeutig: ‚Mit Ausländern war in Jena nichts.‘ Und solche Äußerungen von Herrn Kl. sollen keinerlei Auswirkungen auf die subjektive Tatseite und damit auf die Schuldfrage haben?

Im Gegenteil: Diese Aussage stützt ja gerade die Einlassung unseres Mandanten. Spätestens nach der Einlassung von Herrn Wohlleben hätte die Bundesanwaltschaft sich bemüßigt sehen müssen, diese Vernehmung aus diesem Grund den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung zu stellen. Hat sie auch nicht getan. Wie heißt es hier so schön: ’so dass die Äußerungen nicht geeignet sind, die Aussagen von Carsten Schultze in relevanter Weise zu modifizieren.‘ [phon.] Zu ‚modifizieren‘. Kl. hat abgestritten! Das ist keine Modifizierung der Angaben Carsten Schultzes, sondern deren Erschütterung! Nach dem, was im Protokoll steht, wenn es denn so gesagt wurde von dem Herrn Kl. Von daher erachte ich diese Stellungnahme für eine Unverschämtheit, geboren aus Arroganz, gespeist aus Macht, nämlich aus Verfahrensmacht, nach Gusto ermitteln zu können und wie es gerade passt, einzelne Aktenteile zum Verfahren zu reichen, nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Sollte der Senat das zulassen, diese Verfahrensweise, die die Bundesanwaltschaft seit Jahr und Tag an den Tag legt, dass der GBA relevante Zeugen vernimmt und nach eigenem Gutdünken, wann es gerade in den Kram passt, die Protokolle an die Verfahrensbeteiligten weitergibt, dann muss er gewahr sein, dass irgendwann mal jemand sagt: Herr Wohlleben hat hier kein faires Verfahren gehabt.“

Diemer: „Wir haben zu dem Antrag Stellung genommen. Wir halten eine weitere Stellungnahme nicht für veranlasst.“ Behnke : „Ich habe das so verstanden, als ob Herr Klemke der Bundesanwaltschaft Manipulation vorgeworfen hat.“ Klemke: „An wen ist das gerichtet, an den hohen Senat oder mich?“ Behnke: „An den Kollegen Klemke.“ Klemke: „Ich habe kein Bedürfnis, mich mit Ihnen zu unterhalten. Außerdem ist es deutlich. [phon.]“ Behnke: „Die Art und Weise des Umgangs mit der BAW halte ich nicht für angemessen und auch nicht für richtig. Ich gehe mal davon aus, dass das eine einmalige Sache ist.“ [phon.] Narin: „Ich möchte mich inhaltlich zu den Erläuterungen des Kollegen Klemke verhalten und zwar zu dem Umstand, Kl. habe sich geäußert, er sei an so einer Schlägerei nicht beteiligt gewesen. Wir haben hier herausgearbeitet, dass Kl. ein sehr problematisches Erinnerungsvermögen hat. Nicht einmal an seine zweite Vernehmung beim BKA kann er sich erinnern, die zwei, drei Jahre in der Vergangenheit liegt. Auch da hat er gesagt, dass solche eine Vernehmung gar nicht stattgefunden hat. [phon.]

Wenn er sich an einen konkreten Sachverhalt nicht erinnert, sagt er halt: Der hat nicht stattgefunden. Auf Vorhalt kommt dann eine Erinnerung zurück. Auch hat der Zeuge hier später eingeräumt, dass er damals in einem Zustand war, der von Aggressionen geprägt war, und es immer wieder zu Prügeleien gekommen wäre, er sei wegen Drogenmissbrauchs in Therapie gewesen, habe sich von der Szene losgesagt und vieles verdrängt. Insoweit waren die Angaben nicht geeignet, die plausiblen und detaillierten Angaben des Herrn Schultze in irgendeiner Weise zu erschüttern.“ Eminger-Verteidiger RA Kaiser: „Ich glaube, wenn man den Nachsatz liest, der dankenswerterweise von Herrn Elberling vorgehalten wurde: ‚Haben Sie Ihrer Vernehmung noch etwas hinzufügen? – Wenn so was so stattgefunden hat, dann glaub ich schon, dass das stimmt, was Carsten Schultze erzählt hat.‘ [phon.] Mehr hat er seinen Vernehmung ja nicht relativieren können als mit diesem Nachsatz.“

Dann verliest RAin Başay den Beweisantrag, den Zeugen [zuletzt 151. Verhandlungstag]erneut zu laden und zu vernehmen: Der Zeuge wird bekunden, dass Ralf Wohlleben u. a. im März 2008 die Emailadresse derrosarotepanther [at][nennt einen E-Mail-Provider]benutzt hat. Weiter wird beantragt, sämtliche schriftlich dokumentierte Ermittlungshandlungen des BKA beizuziehen, die sich auf Ermittlungen zur der Emailadresse derrosarotepanther [at] [nennt einen E-Mail-Provider]beziehen, und Akteneinsicht in diese zu gewähren. Die Beweisaufnahme wird ergeben, dass der Angeklagte Wohlleben nach Fertigstellung des NSU-Bekennervideos und vor dem 4. November 2011 die Emailadresse derrosarotepanther [at][nennt einen E-Mail-Provider] verwandt und diese mit dem Nutzernamen „Wolle“ verbunden hat. Dies ergibt sich u.a. aus einem Medienbericht des Onlineportals „In Südthüringen“ vom 15. Oktober 2014 [https://www.insuedthueringen.de/dossiers/hcs+nsu-prozess./art424127,3653227].

Aus den Angaben des Zeugen EKHK De. in der Hauptverhandlung vom 15. März 2016 ergibt sich, dass Ende 2007 an dem NSU-Bekennerfilm mit Hochdruck gearbeitet worden war, um ihn fertigzustellen. Im März 2008, als die Benutzung der Emailadresse durch den Angeklagten Ralf Wohlleben dokumentiert worden ist, war der Film weitgehend fertig. „In Südthüringen“ berichtet in dem genannten Artikel über Hinweise, dass die Nutzung der genannten Emailadresse durch den Angeklagten Wohlleben auch dem Zeugen Thomas Gerlach bekannt war. Das liegt auch nahe, verbindet doch Gerlach und Wohlleben eine enge politische, berufliche und persönliche Verbindung und waren die beiden auch im Internet, in Foren und Emailgruppen, gemeinsam aktiv. Bei der Vernehmung des Zeugen Gerlach in der hiesigen Hauptverhandlung am 1. und 10 Juli 2014 und am 16. Oktober 2014 ist dieser nicht zu den hier unter Beweis gestellten Tatsachen befragt worden.

Der rosarote Panther bzw. Paulchen Panther war bis zur Selbstenttarnung des NSU kein in der neonazistischen Szene verwandtes Symbol. Auch gibt es keinerlei Hinweise durch Zeugenaussagen oder Asservate, dass der Angeklagte Wohlleben oder auch nur seine Kinder ein besonderes Interesses an dem Trickfilm „Der rosarote Panther“ gehabt hätten und die Namensgebung der Emailadresse sich so erklären ließe. Die Beweisaufnahme ist erheblich, da die unter Beweis gestellte Tatsache den Schluss nahelegt, dass dem Angeklagten Wohlleben die Existenz des letzten Bekennervideos bereits spätestens im Jahr 2008 bekannt war. Zur weiteren Aufklärung und zum Vorhalt an den Zeugen Gerlach sind die Ermittlungsergebnisse des BKA zu der Emailadresse beizuziehen. Es ist davon auszugehen, dass das BKA aufgrund der Medienberichterstattung aus Oktober 2014 Ermittlungen zu dem Benutzer der Emailadresse und dem Inhalt des Postfaches eingeleitet hat. Diese Ermittlungsergebnisse sind durch den GBA bisher nicht zur Verfahrensakte gereicht worden. Der Antrag ist von mehreren NK-Vertreter_innen unterschrieben.

Dann stellt RAin Von der Behrens einen Beweisantrag: In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12
wird beantragt, 1. die in dem als Anlage 1 beigefügten Zeitungsartikel aus der Deutschen Stimme Nr. 10 von 2001, S. 10, unter der Überschrift „Den Völkern die Freiheit – Den Globalisten ihr globales Vietnam!“ abgedruckte Erklärung zu verlesen zu dem Beweis der Tatsache, dass es in ihr unter anderem heißt: a) „Das Deutsche Reich befindet sich im Krieg seit 1914. Seine Feinde sind entschlossen, das Reich zu vernichten und das Deutsche Volk auszulöschen. Wir Deutsche als Angegriffene, die zum Reich stehen, haben nur das eine Kriegsziel: die Bewahrung des Deutschen Reiches und des Deutschen Volkes als selbstbeherrschter Staat.“ b) „Der Nationale Widerstand ist sich darin einig, daß die ethnische Durchmischung des Deutschen Volkes erzwungen ist, daß unser Volk in der Gefahr ist, das Opfer eines Völkermordes zu werden.“ c) „Wenn ‚Völkermord‘ dann ist da ein Mörder, ein Feind, ein planvolles Vorgehen der Feindmacht in der Absicht, den Volkstod herbeizuführen. Dieses planmäßige Vorgehen – in welcher Gestalt es auch immer in Erscheinung treten mag – ist Kriegshandlung gegen das Deutsche Volk.“

d) „Auf einer gemeinsamen Arbeitssitzung in der Parteizentrale Berlin-Köpenick von Vertretern der NPD und weiteren Organisationen und Persönlichkeiten des Nationalen Widerstandes einstimmig verabschiedet und unterzeichnet sowie auf der Demonstration in Berlin am 3. Oktober 2001 als verhinderter Redebeitrag von verlesen“. e) „Die Erstunterzeichner waren unter anderem: Udo Voigt, Horst Mahler, Friedhelm Busse, , Manfred Börm, Dieter Kern (Bündnis Rechts), und Dirk Müller (Kameradschaft Germania), Oliver Schweigert (), André Kapke (Thüringer Heimatschutz). Andere Nationalisten sind aufgefordert, sich dem Aufruf anzuschließen. Der Text kann angefordert werden in der NPD Parteizentrale, Seelenbinderstraße42, 12555 Berlin.“ Zu dem Beweis der Tatsache, dass sich unter den in der Wohnung des Angeklagten beschlagnahmten Aufklebern einer befindet, auf dem steht: „Die Zukunft unseres Volkes liegt in Deiner Hand. Für den Erhalt deutscher Tradition, ethnischer Gleichheit und völkischer Zugehörigkeit“

3. das Asservatenverzeichnis vom 30. November 2011 zu verlesen und das Asservat mit der Nummer 24.3.9 in Augenschein zu nehmen und zu verlesen. Zu dem Beweis der Tatsache, dass auf einem beim Angeklagten Wohlleben am 29. November 2011 sichergestellten Feuerzeug ein Totenschädel abgebildet ist sowie die Aufschrift steht: „Aktiv werden im außerparlamentarischen Widerstand. Volkstod stoppen! www.Freies-Netz.com.“ 4. KKin We., zu laden über das BKA, als Zeugin zu vernehmen zu dem Beweis der Tatsache, a) dass die Auswertung des Asservat Nr. 24.1.1.3 (Laptop „MacBook“) u.a. ergeben hat, dass am 3. November 2011 von der Emailadresse jacqueline [at][nennt einen E-Mail-Provider]eine Email an die Emailadresse rwohlleben[at][nennt einen E-Mail-Provider]gesandt wurde mit dem Text „Lieder :-)“, b) dass an die Email als Dateien verschiedene Liedtexte angehängt waren, u.a.
der folgende:
„Arisches Kind
[…]
Du bist ein Arisches Kind, all unsere Liebe.
Das Schicksal dieser Erde, liegt in deiner Wiege. […]
Und der braune Teddybär, sitzt tapfer auf der Wacht.
Wenn die Untermenschen kommen, durch die rabenschwarze Nacht. […]
Du weißt noch nichts davon, nicht alle Menschen die sind gut.
Gut ist immer nur, ein Mensch mit reinem Blut.
Und dein Blut ist rein, dafür hassen sie dich.
[…]“

Begründung: I. 1. Die beantragte Beweiserhebung ist hinsichtlich der als Zeitungsartikel beigefügten Erklärung „Den Völkern Freiheit – Den Globalisten ihr globales Vietnam“ erheblich, weil sie zeigen wird, dass der Thüringer Heimatschutz und damit auch der Angeklagte Wohlleben als einer der Führungsfiguren des THS im Jahr 2001 öffentlich ein Weltbild propagierte und für sich als handlungsleitend verstand, nach welchem sich Deutschland nicht nur in einem dauerhaften Kriegszustand befindet, sondern sich das „Deutsche Volk“ auch der Gefahr ausgesetzt sieht, Opfer eines Völkermordes zu werden. Diese Erklärung wurde auf einer „gemeinsamen Arbeitssitzung in Berlin-Köpenick von Vertretern der NPD und acht weiteren Organisationen und Persönlichkeiten des Nationalen Widerstandes einstimmig verabschiedet, unterzeichnet sowie auf der Demonstration in Berlin am 3. Oktober 2001 als verhinderter Redebeitrag von Horst Mahler verlesen“.

Veröffentlicht wurde die Erklärung u.a. in der Parteizeitung der NPD, der Deutschen Stimme. Aus der Erklärung wird ersichtlich werden, dass Wohlleben und seine „Kameraden“ sich als Kriegspartei verstanden, deren Ziel, das „Deutsche Reich“ und das „Deutsche Volk“ als selbstbeherrscht zu bewahren, ein aktives Vorgehen gegen die „ethnische Durchmischung“ des „Deutschen Volkes“ beinhielt, welche sie als Bestandteil eines planmäßigen Handelns zur Herbeiführung des „Volkstods“ ansahen. Die unter Beweis gestellten Tatsachen zeigen, dass die Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes sich eine kollektive Notwehrlage des „Deutschen Volkes“ herbei halluzinierten, zu deren Bewältigung der Einsatz kriegerischer Mittel gerechtfertigt und notwendig sei. 2. Soweit es in der Erklärung dem vermeintlich widersprechend heißt, „(d)as Deutsche Volk genießt nach dem in zwei Weltkriegen entrichteten Blutzoll das Privileg, mit den Waffen des Geistes den Feind unblutig bekämpfen und bezwingen zu können“, stellt dies eine rein taktisch begründete Floskel dar, die sich aus dem Bestreben der NPD, einem Parteienverbot, und der unterzeichnenden Vereinigungen, einem Vereinsverbot zu entgehen, erklärt.

Für den rein formelhaften Gewaltverzicht spricht schon die kriegerische Sprache des Textes. Dass bei der Ausgestaltung der politischen Aktivitäten und Stellungnahmen auch des THS immer auch auf die Vermeidung eines möglichen Vereinsverbots geachtet wurde, hat unter anderem der Zeuge André Kapke in der Hauptverhandlung am 21. November 2013 geschildert. Diese Ausrichtung des eigenen Handelns an dem Ziel der Vermeidung eines Parteien- bzw. Vereinsverbots seit Ende 1990er Jahre kommt auch in der verlesenen Einlassung des Angeklagten Wohlleben zum Ausdruck. Dort gibt er unter anderem an, 1999 der NPD beigetreten zu sein, weil so einem möglichen THS-Verbot entgegengewirkt werden sollte, und beschreibt, er und Kapke hätten sich 2005 gegen die Bemühungen Brehmes, den THS zu reaktivieren, ausgesprochen, weil sie vermuteten, dass dies zu einem Verbot führen könne. Auch die mutmaßlich von Wohlleben an das Trio gesandte SMS vom 15. September 2000 belegt dies, wenn es dort heißt: „Mir ist es zur Zeit nicht moeglich mit euch sprechen wegen NPD-, gestern B+H, und bald Ths Verbot! Ich gehe davon aus das ich überwacht werde! Meld mich! Ralf“. Zudem zeigt sich das planvolle Verbreiten von Unwahrheiten durch Angehörige des THS aus Angst vor einem Vereinsverbot nicht zuletzt darin, dass Brandt auf Anraten Rechtsanwalt Jauchs eine Pressemitteilung veröffentlichte, in der wahrheitswidrig behauptet wird, die bekannten Sektionsführer Brehme, Kapke und Wohlleben seien keine Mitglieder des THS .

3. Der Angeklagte Wohlleben war, wie der Zeuge André Kapke in hiesiger Hauptverhandlung ebenfalls bekundete, bereits im Jahr 2001 Führungsmitglied des Thüringer Heimatschutzes Sektion Jena, so dass der Inhalt der von seinem engen Vertrauten Kapke gezeichneten Erklärung auch seine Einstellung widerspiegelt. II. Dass diese öffentliche Kundgabe in der Erklärung tatsächlich auch der politischen Überzeugung des Angeklagten Wohlleben entspricht, ergibt sich auch aus einer Vielzahl der bei der Durchsuchung 2011 bei ihm sichergestellter Asservate. 1. Die im Jahr 2011 sichergestellten Asservate sind relevant, da sie zwar nicht direkt die fragliche Tatzeit betreffen, aber die politische Überzeugung des Angeklagten, die dieser in seiner Einlassung vom 16. Dezember 2015 auch selbst auch für die Zeit nach den angeklagten Taten thematisiert hat.

2. Der beispielhaft benannte Aufkleber und das Feuerzeug, das der Angeklagte Wohlleben bei seiner Festnahme am 29. November 2011 bei sich trug, zeigen die Identifizierung des Angeklagten mit Begriffen und politischen Zielen wie „völkischer Zugehörigkeit“ und die Überzeugung, „Widerstand“ gegen einen herbei gewähnten „Volkstod“ sei notwendig. Wesentlicher Inhalt des Liedtextes „Arisches Kind“ ist die Behauptung, so genannte „arische“ Menschen mit „reinem Blut“ stünden höher als sogenannte, die arischen Menschen bedrohende, „Untermenschen“. Gesandt wurde dem Angeklagten Wohlleben dieser Text von seiner Ehefrau, die die zutreffende politische Überzeugung des Angeklagten Wohlleben – jenseits seiner rein taktischen öffentlichen Äußerungen – kannte und deshalb davon ausging, ihm würde der Liedtext als Ausdruck seiner Einstellung ebenfalls gefallen.

III. Die Beweiserhebungen werden in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zeigen, dass die Einlassung des Angeklagten Wohlleben sich an einer seit Jahren praktizierten Linie orientiert: Mit Blick auf die Verbotsverfahren gegen den THS, gegen und gegen die NPD offene Aufrufe zur Gewalt und unter § 86a StGB fallende Äußerungen zu vermeiden. Die beantragte Beweiserhebung wird darüber hinaus weiter zeigen, dass der Angeklagte Wohlleben jenseits solcher taktischen Verlautbarungen eben nicht, wie er in seiner Einlassung behauptet, „jede Kultur und jeden Menschen“ achtet, sondern vielmehr überzeugt von der inhärenten Überlegenheit und Höherwertigkeit „arischer“ Menschen war und diese als drohende Opfer eines „Völkermordes“ wähnend, gegen den „Widerstand“ zu leisten sei. In Zusammenschau mit der Geburtstagspost für André Kapke, an deren Erstellung der Angeklagte Wohlleben nach der bisherigen Beweisaufnahme mitgewirkt hat, werden die Beweiserhebungen den Schluss notwendig machen, dass der Angeklagte, anders als in seiner Einlassung geschildert, nicht nur die Ziele des „NSU„, sondern auch dessen Mittel, nämlich den Einsatz von tödlicher Gewalt, befürwortet. Auch dieser Antrag ist von mehreren NK-Vertreter_innen unterschrieben.

Danach stellt RA Hoffmann einen Beweisantrag: In der Strafsache gegen Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird beantragt, einen instruierten Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz als Zeugen zu vernehmen, hilfsweise, die bei PC Records, Chemnitz, veröffentlichten DVD-Sets „Fest der Völker“ zu den Jahren 2005, 2007, 2008, 2009 inklusive der den DVD-Sets beigefügten Booklets vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz anzufordern und in Augenschein zu nehmen, zum Beweis der folgenden Tatsachen: 1. Das Fest der Völker wurde in den Jahren 2005 bis 2009 federführend von dem Angeklagten Ralf Wohlleben organisiert. An der Veranstaltung der NPD nahmen zahlreiche führende Vertreter rechtsextremer Organisationen aus ganz Europa und viele Bands teil, die fast ausschließlich dem internationalen Neonazi-Musiknetzwerk „Blood and Honour“ angehörten. Die Veranstaltung, der aufgrund ihres offen neonazistischen Charakters internationale Aufmerksamkeit zukam, fand in den Jahren 2005 bis 2009 statt. Das Motto des Festivals und sein gewollter internationaler Charakter verdeutlichen die Modernisierungs- und Internationalisierungsbestrebungen der NPD und der rechtsextremen Szene in Europa.

2. Beim ersten Fest der Völker am 11. Juni 2005 waren mehrere Rechtsextremisten als Redner vor Ort, die in dem internationalen Neonazi-Musiknetzwerk „Blood and Honour“ aktiv sind: Tim Mudde, niederländischer „Nationalanarchist“ und Leader der Rock Against Communism-Band „“ mit engen Kontakten zu „Blood and Honour“. Thomas Ölund, Sänger und Bandleader der auftretenden schwedischen Band „Nothung“, 2005 Chef der Sektion Stockholm von „Blood and Honour Scandinavia“ und Autor verschiedener schwedischer Neonazi-Zeitschriften wie „Info 14“ und „Nordisk Frihet“. Illes Zsolt („Elek“), 2005 führender Vertreter der ungarischen „Blood and Honour“-Sektion. Stephen „Swiny“ Swinfen, 2005 führendes Mitglieder der englischen Mutterorganisation von „Blood and Honour“. Giovanni Di Blasi, Betreiber des italienischen Versandes „Eda Propaganda“ und Herausgeber des „Blood and Honour“- und „Combat 18“-Fanzines „The Stormer“. Beim 2. Fest der Völker am 10. Juni 2006 trat als Redner unter anderen Mario Machado auf, rassistischer Führer der portugiesischen Neonazi-Organisation „Frente Nacional“ und Mitglied der „Hammerskins“. Wegen der Tötung des schwarzen Portugiesen Alcindo Monteiro am 10. Juni 1995 in Lissabon wurde er zu 4 Jahren und 3 Monaten Gefängnis verurteilt.

Beim 3. Fest der Völker am 8. September 2007 trat unter anderen der Österreicher Gottfried Küssel auf, der in der Vergangenheit mit militanten deutschen Neonazis wie Michael Kühnen zusammengearbeitet hat und in Österreich wegen NS-Wiederbetätigung zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. Beim 4. Fest der Völker am 13. September 2008 trat unter anderen Rednern der inzwischen verstorbene Neonazi Jürgen Rieger auf. In seiner Rede sagte er unter anderem: „Wir stehen für ‚Stolz auf Deutschland‘. Nehmen wir mal diesen Begriff des Tätervolkes, ja wir sind ein Tätervolk. Gucken wir uns mal an die 6 Jahre von 33 bis 39, was haben wir da für Taten begangen? Es gab 7
Millionen Arbeitslose 1933 (…) und vier Jahre später hatten wir Vollbeschäftigung. Das hat das Tätervolk vollbracht.“ Später führt er aus: „Die Neger, die Neger stehen also auch im durchschnittlichen Intelligenz-Quotienten zwischen einem deutschen Schwachsinnigen und einem deutschen Normalbegabten.“ Des Weiteren wird beantragt, die überreichte Fotografie in Augenschein zu nehmen zum Beweis der Tatsache, dass beim „Fest der Völker“ 2008 auf der Bühne ein ca. 10 m breites Transparent hing, auf dem unter dem Spruch „Europa ist angetreten – für die Freiheit“ mehrere Männer in Waffen SS-Uniform mit Schilden abgebildet sind, auf denen sich die Fahnen verschiedener europäischer Staaten befinden.

Begründung: Der Angeklagte Wohlleben hat in seiner Erklärung am 16. Dezember 2015 behauptet, er habe schon seit Mitte der 1990er Jahre „nichts gegen Ausländer“ gehabt, sondern „nur“ gegen die Politik, die solche Zustände, das heißt den „massenhaften Zuzug von Ausländern nach Deutschland“, förderte. Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele habe er immer abgelehnt, habe dies auch offen vertreten, weswegen seine Einstellung im so genannten „nationalen Lager“ bekannt gewesen sei. Die Beweisaufnahme wird ergeben, dass diese Angaben falsch sind. Der Angeklagte Ralf Wohlleben hat als Hauptverantwortlicher für das „Fest der Völker“ nicht nur extrem rassistischen und offen am historischen Nationalsozialismus ausgerichteten Politikern wie Gottfried Küssel und Jürgen Rieger Raum für Propaganda gegeben, sondern auch einer ganzen Reihe von Rednern und Bands aus dem rassistischen „Blood and Honour“-Netzwerk. Auftritte dieser Personen befördern die Akzeptanz der von „Blood and Honour“ auf Konzerten und CDs verbreiteten rassistischen Gewaltphantasien und Gewaltaufforderungen – selbst dann, wenn diese Redner und Bands bei ihrem Auftritt auf dem Fest der Völker aus taktischen Gründen selbst keine solchen Aufrufe vornahmen.

Die nach außen hin gezeigte Geschlossenheit und freundschaftliche Verbundenheit der aufgrund des Verbotsverfahrens politisch sehr vorsichtig agierenden NPD und der freien Netzwerke sowie der dem „Blood and Honour“-Netzwerk entstammenden Redner und Bands zeigt klar, dass sich die Veranstalter eben gerade nicht von der gewalttätigen Ideologie dieser Personenkreise distanzieren, diese vielmehr die Anziehungskraft des Festivals in der Szene darstellte. Bereits die Namenswahl der Veranstaltung widerlegt die Behauptung der Gewaltfreiheit, da sie einen deutlichen Bezug auf den historischen Nationalsozialismus darstellt: „Fest der Völker“ war der Name des ersten Teils des Films „Olympia“, eines Propagandastreifens von Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin. Der Untertitel des „Festes der Völker“, „Für ein Europa der Vaterländer“, und der Aufruf zeigen die Übernahme des Ethnopluralismus-Konzepts der Neuen Rechten durch die NPD, knüpfen aber gleichzeitig auch an den Europa-Gedanken der Waffen-SS an.

Die Veranstalter des „Festes der Völker“, federführend der Angeklagte Wohlleben und der Zeuge Andre Kapke, wie der Angeklagte Wohlleben dies in seiner Erklärung angab, griffen dieses SS-Thema immer wieder auf. Dies zeigt besonders eindrücklich das im Jahr 2008 auf der Bühne des Veranstaltungsortes in Altenburg aufgehängte Banner, abgebildet in der überreichten Fotografie, die bei dem Fest der Völker 2008 aufgenommen und RA Hoffmann von einem Journalisten übergeben wurde. Das Banner enthält im oberen Bereich den Leitspruch „Europa ist angetreten – für die Freiheit“. Was mit diesem Leitspruch gemeint ist, zeigt sich an der darunter befindlichen bildlichen Darstellung, einer Aufstellung von SS-Freiwilligen aus verschiedenen europäischen Ländern.

Das Bekenntnis zu den europäischen SS-Freiwilligeneinheiten steht im offensichtlichen Widerspruch zu der Behauptung Wohllebens, er lehne Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele ab. Die Beweisaufnahme wird daher sowohl das vorgeschobene Bekenntnis des Angeklagten Wohlleben widerlegen, als auch seine Behauptung, seine positive Bezugnahme auf ein friedliches Zusammenleben der europäischen Völker und seine persönliche Freundschaft zu nichtdeutschen Menschen, wie die zu dem portugiesischen Neonazi Mario Machado, würden beweisen, dass er auf keinen Fall ausländerfeindliche Straftaten in Deutschland unterstützen würde. Wenn sich die so genannte Völkerfreundschaft im Rahmen eines ethnopluralistischen Konzeptes nur auf diejenigen Angehörigen vermeintlich „weißer Rassen“ bezieht, die sich darüber hinaus als Verbündete und Kampfgenossen eines von Deutschland geführten europäischen Nationalsozialismus verstehen, so stellt dies ein Bekenntnis zu Gewalt und Terror dar. Der Antrag ist ebenfalls von mehreren NK-Vertreter_innen unterschrieben.

Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Wir möchten uns eine Stellungnahme dazu vorbehalten. Kurz vorweg gesagt: Wer alles im Jahr 2006 auf dem Fest der Völker geredet hat, ist spannend, weil das Fest der Völker 2006 gar nicht stattgefunden hat.“ [Siehe hierzu die Konkretisierung des Beweisantrages; Protokoll zum 311. Verhandlungstag.] Götzl: „Sind denn weitere Anträge geplant? Keine?“ Dann verkündet Götzl, dass zu Vermerken zu Autoanmietungen und Campingplätzen doch keine Verlesung vorgesehen sei: „Wir haben dazu schon die Zeugen gehört, es ist nicht vorgesehen, hier Verlesungen durchzuführen. Auch nicht vorgesehen ist eine Vernehmung KOKin En.“ Vorgesehen sei aber einen Verlesung einer Aufstellung EDV-Asservate und Zuordnung durch den Beamten Le., so Götzl. Der Verhandlungstag endet um 12:30 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Die Nebenklage kritisierte die Beanstandung der Fragen als unnötige Verzögerung – die Verteidigung hätte ihre Kritik an den Fragen, wie normalerweise üblich, sofort vorbringen können. Der Senat wird viel Arbeit investieren müssen, um die extrem pauschal gehaltenen Beanstandungen zu überprüfen. Eine inhaltliche Beantwortung der Fragen steht ohnehin in den Sternen, Zschäpe hatte ja zunächst erklärt, sie würde keine Fragen der Nebenklage beantworten. Im Anschluss stellte die Nebenklage mehrere Beweisanträge, mit denen nachgewiesen werden soll, dass der Angeklagte Wohlleben im gesamten Zeitraum seiner politischen Tätigkeit militante, ausländerfeindliche und nationalsozialistische Positionen vertreten hat und keineswegs, wie von ihm vorgetragen, ein gewaltfreier Anhänger des friedlichen Zusammenlebens der Völker war.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/08/01/01-08-2016/

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