Lieber Ismail Yozgat!

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Kolumne von Mely Kıyak

Seine Rede wurde auf der Gedenkveranstaltung durch falsche Übersetzung entstellt. Das muss korrigiert werden.

So lautet die Rede, gehalten am Donnerstag auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU, in wörtlicher Übersetzung:

„Bismillahi r-rahmani r-ahimi. Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen: Guten Tag an alle. Lieber Präsident, liebe Bundeskanzlerin, liebe Gäste, ich grüße Sie alle in Respekt. Ich bin der, der am 6. April 2006 im Internetcafé den mit einer Kugel im Kopf sterbenden 21-jährigen Halit Yozgat in seinen Armen hielt – ich bin sein Vater, Ismail Yozgat.

Zuallererst möchte ich mit meinem ganzen Herzen, das bislang viel getragen hat und noch tragen muss, von hier aus Bundespräsident Wulff unsere Grüße und Verehrung übermitteln. Voller Bewunderung erinnern wir uns an seine Gastfreundschaft. Ich danke ihm. Dank auch an diejenigen, die die heutige Zeremonie gestaltet haben. Ich möchte all jenen Menschen aus Kassel-Baunatal und Umgebung für ihre Mühe danken, die darin bestand, dass sie mir bis heute ein Weiterleben ermöglicht haben.

Drei Briefe mit Absender Frau Professor Barbara John erreichten mich. Es ging um die Begräbniskosten und ob wir 10.000 Euro bekommen möchten. Wir als Familie Yozgat möchten das alles nicht haben. Jedoch bitten wir um drei Dinge: Dass die Mörder und ihre Helfer gefangen werden. Mein Vertrauen in die deutsche Justiz war immer vorhanden, von nun an, so hoffe ich, wird es vollkommen sein, Insallah, so Gott will.

Zweitens: Mein Sohn Halit Yozgat ist in der Holländer Straße 82 zur Welt gekommen und in der Holländer Straße unten im Ladenlokal erschossen worden und gestorben. Wir als Familie möchten die Holländer Straße gerne in Halit-Straße benennen lassen. Wir bitten um Mithilfe.

Drittens: Wir möchten, dass im Namen der zehn Verstorbenen eine Stiftung für Krebskranke gegründet wird und alle Preise und Hilfen dorthin geleitet werden.

Nochmals: Allen Organisatoren dieses Tages danke ich herzlich.“

Es war eine einfache, klare Rede. Leider war die Übersetzung miserabel und zum Teil falsch. Falls, wie es in den Nachrichten hieß, dieser Tag in die Geschichte eingehen wird, sollte man den Wortlaut kennen. So steht nun überall, dass Familie Yozgat „um seelischen Beistand“ bittet. Herr Yozgat hat so etwas weder erwähnt noch verlangt. Beistand erfuhren sie in Kassel-Baunatal. Kassel-Baunatal und nicht, wie auch überall zu lesen ist, „meiner Heimatstadt Kassel-Baunatal“; die Dolmetscherin meinte unbedingt hier und da hinzudichten zu müssen. Vielleicht hielt sie Herr Yozgats Worte nicht für gehaltvoll genug. Er begrüßte auch keine „Excellenzen“ und schon gar nicht „vor allem unsere Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel“.

Noch etwas geriet beim Übersetzen durcheinander. Die Yozgats empfanden sich im Konzerthaus während der Gedenkveranstaltung nicht als Gäste Christian Wulffs. Sie waren vergangenen November zu Gast in Bellevue, d a s meinte Herr Yozgat, und es bedeutete ihm offenbar so viel, dass er es erinnernd erwähnte.

Wulff hatte zügig nach Bekanntwerden der NSU ein Treffen im Schloss organisiert, bei dem Opferangehörige und Mitglieder von Bundestagsparteien ohne Öffentlichkeit zusammenkamen. Auf diese Gastfreundlichkeit bezog sich seine Anerkennung.

Ihre Mely Kiyak

Die Kolumne erschien am 25. Februar 2012 in der Frankfurter Rundschau.