Kurz-Protokoll 322. Verhandlungstag – 17. November 2016

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Am heutigen Prozesstag verkündet der vorsitzende Richter Götzl zunächst, dass ein Ablehnungsgesuch des Angeklagten Wohlleben vorläufig zurückgestellt und weiter verhandelt werden soll. Daraufhin stellt die Verteidigung von Wohlleben einen weiteren Befangenheitsantrag. Die Verhandlung geht dennoch weiter. Geladen ist der Zeuge Björn W., er ist Betroffener des durch Carsten Schultze geschilderten Neonazi-Überfall an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla.

Zeuge:

  • Björn W. (Erkenntnisse zu einem durch Carsten Schultze geschilderten Neonazi-Überfall an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Dann wird die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Angeklagten Wohlleben vom 16.11.2016 im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen vorläufig zurückgestellt. Die Entscheidung würde die Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern.“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke bittet um eine Unterbrechung von 15 Minuten. Es folgt eine Pause bis 10:11 Uhr.
Danach wird Klemke das Wort erteilt. Klemke: „Ja, Herr Vorsitzender, die Verteidigung des Herrn Wohlleben beanstandet Ihre Anordnung nach § 29, 2, vor der Entscheidung über das gestern angebrachte Ablehnungsgesuch weiterzuverhandeln.“
Nach einer weiteren Pause verkündet Götzl den Beschluss, dass seine Verfügung, mit der die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vorläufig zurückgestellt wurde, bestätigt wird.
Klemke: „Wir beantragen eine Abschrift und bitten um eine Unterbrechung von 30 Minuten, um die Sache mit dem Mandanten erörtern zu können.“ Götzl: „Dann wird unterbrochen und wir setzen fort um 12:15 Uhr.“
Um 12:18 Uhr geht es weiter. Klemke: „Wir beantragen eine Unterbrechung bis 13:50 Uhr, um ein Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Richter des Senats zu formulieren.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir und setzen um 13:50 Uhr fort.“ Um 13:53 Uhr geht es weiter. Klemke verliest den Befangenheitsantrag.
Um 15:02 Uhr geht es weiter. Götzl verfügt, dass die Hauptverhandlung trotz des erneuten Ablehnungsgesuchs fortgesetzt wird. Klemke beanstandet. Götzl: „Dann werden wir unterbrechen bis 15:35 Uhr.“ Um 15:58 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass seine Verfügung bestätigt wird. Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Die Verteidigung Wohlleben beantragt eine Abschrift und eine halbe Stunde Unterbrechung zur Beratung.“
Um 16:37 Uhr geht es weiter. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders gibt eine Erklärung zum eben verkündeten Senatsbeschluss ab. Grundsätzlich habe Wohlleben hinreichenden Anlass, die Befangenheit der Senatsmitglieder zu besorgen. Mit dem eben verkündeten Beschluss hätten diese die heute geltend gemachten Ablehnungsgründe vertieft. Gleichwohl verzichte Wohlleben in diesem Fall auf eine erneute Ablehnung der Senatsmitglieder.

Es folgt die Vernehmung des Zeugen Björn W. aus Jena. Götzl: „Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten.“ Nach der Belehrung sagt Götzl: „Es geht uns um einen Vorfall, soll sich im Juli 1998 zugetragen haben, im Bereich der Wendeschleife der Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla. Was können Sie uns dazu sagen?“ W.: „Also ich und ein Freund und jemand, der ein Auto hatte, wir sind aus der Stadt wieder nach Hause. Ich habe damals zwei Minuten von der Endhaltestelle gewohnt. Ich und mein Kumpel, Herr K. sind ausgestiegen, haben noch eine geraucht und wollten danach heim. Uhrzeit irgendwie zwischen 12 und 2. Kann ich nicht mehr bestimmen, wir haben geraucht und dann kamen aus der Richtung des Hugo-Jugendclubs, der damals dort war, vier, fünf Leute um die Ecke und auf uns zu. War komisch, denn sie waren komplett still, hat niemand was gesagt. Auf unserer Höhe haben Sie gesagt, ob wir was gesagt hätten? Wir haben das verneint und dann ging die Schlägerei los. Sie haben meinen Kumpel erwischt. Ich bin nach Hause gelaufen und habe die Polizei gerufen. Ich bin dann wieder runter und habe meinen Freund gesucht. Der kam mir blutend entgegen.“ Götzl: „Haben Sie den Kumpel wiedergetroffen?“ W.: „Ja, er kam mir auf den Gleisen entgegen, war sichtlich desorientiert, hat stark geblutet. Ich habe ihn mitgenommen nach Hause. Dort haben wir einen Krankenwagen gerufen oder kam der durch die Polizei? [phon.] Es hat lange gedauert, bis die Polizei kam, Krankenwagen war schneller.“
Götzl: „Welche Verletzungen hatte er?“ W.: „Seine Nase war krumm [phon.], Gesichtsverletzungen, hat stark aus der Nase geblutet. Auge war leicht geschwollen, am nächsten Tag stark. Da habe ich ihn im Krankenhaus besucht. Ein Nasenbeinbruch war mit dabei, ja.“ Götzl: „Sie sagten, es seien Ihnen vier bis fünf Leute entgegengekommen und hätten Sie angesprochen, ob Sie was gesagt hätten.“ W.: „Genau.“ Götzl: „Wer war das, der das gefragt hat?“ W.: „Weiß ich nicht. Der, der das gefragt hat, war ein etwas bulliger Typ, mittelgroß. Die anderen, kann ich nichts sagen, weiß ich nicht.“ Götzl: „Wenn Sie die beschreiben sollten, ist das möglich?“ W.: „Die normale Standarduniform, die damals getragen wurde als Nazi oder als rechtsgerichteter Hooligan. Bomberjacke. Zur Statur kann ich nichts sagen. Kurze Haare hatten sie alle.“
Götzl: „Dann sagten Sie: ‚Die Schlägerei ging los.‘ Was bedeutet das?“ W.: „Ging relativ schnell. Einer hat mich geschubst, ich habe einen Schlag abgekriegt. Daraufhin bin ich los. Dann weiß ich nicht, was bei Herrn K. war. Er ist leider in die falsche Richtung gelaufen. Hinter mir ist einer oder zwei hinterher. Als ich gehört habe, dass die Schritte langsamer wurden, habe ich mich umgedreht und gesehen, dass es nur einer noch war. Der ist dann zu seinen Kumpels und hat mich laufen lassen. [phon.]“
Götzl: „Haben Sie mit ihm drüber gesprochen im Anschluss an diesen Tag, was sich zugetragen hat?“ W.: „An dem gleichen Tag glaube ich nicht. Ich habe ihn aber am nächsten oder übernächsten Tag im Krankenhaus besucht. Er hat gesagt, da war so ein Edeka oder so eine Kette, da ist er eine Böschung hochgerannt, da war ein niedriger Zaun, den hat er nicht gesehen, da ist er hängengeblieben und gestürzt und dann kamen die Täter und haben ihn wohl mit Schlägen und Tritten, ja, belegt.“ Götzl: „Sonst noch irgendwelche Umstände, die er berichtet hätte?“ W.: „Sie haben ihn wohl an Körper und Gesicht getreten, geschlagen, mehr weiß ich da nicht.“ Götzl: „War damals von einem Holzhäuschen oder Häuschen die Rede?“ W.: „Auf dem Gelände der Wendeschleife in der Mitte war so ein Unterstand für die Bahnfahrer, denke ich. Ich weiß, dass es dort eines gibt, aber der Zusammenhang ist mit jetzt nicht klar.“ Götzl: „Meine Frage war, ob Ihr Kumpel Ihnen damals am selben Tag irgendwas von einem Holzhäuschen berichtet hätte?“ W.: „Nee, nicht dass es mir bewusst wäre.“
Götzl: „Sind Sie in diesem Jahr von der Polizei, vom BKA vernommen worden?“ W.: „Ja, in Zusammenhang mit dieser Geschichte hier. Vor drei, vier Wochen.“ Götzl: „Sind Ihnen damals auch Lichtbilder gezeigt worden?“ W.: „Ja.“ Götzl: „Haben Sie jemanden erkannt?“ W.: „Ich habe einen erkannt. Mir wurde gesagt, das sei der Herr Wohlleben. Ich habe aber gesagt, dass das nicht von der Schlägerei ist, sondern könnte auch aus der Presse sein. [phon.]“ Götzl: „Kannten Sie ihn aus der damaligen Zeit?“ W.: „Nicht persönlich, nur so ‚mit den Jungs spielt man nicht‘. Nein, nicht persönlich.“ [phon.] Götzl: „Was meinen Sie damit?“ W.: „Es sind so Gerüchte, dass man sagt: Vorsichtig sein, weil er zu der Szene gehört hat halt.“
Götzl: „Bezog sich das auch auf Herrn Wohlleben?“ W.: „Das bezog sich allgemein auf eine Gruppe, die in Jena-Winzerla unterwegs war. Das ist nicht so groß. Wohlleben – man kannte den Namen, aber ich hatte keine Details oder so was.“ Götzl: „Auf welche weiteren Personen beziehen Sie sich?“ W.: „Ich kann Ihnen keinen Namen nennen. Aber es sind halt so Leute, wenn man die in Winzerla gesehen hat, ist man halt weitergelaufen unauffällig.“
Götzl: „Kennen Sie denn einen der Angeklagten?“ W.: „Nein.“ Götzl: „Kannten Sie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos?“ W.: „Nicht persönlich.“ Götzl: „Frau Zschäpe?“ W.: „Auch nicht.“ Götzl: „Haben Sie sie mal in Jena gesehen?“ W.: „Ähm, bestimmt, wahrscheinlich ist man sich in Jena übern Weg gelaufen. Jena ist ja nicht so groß.“ Vorhalt aus W.s BKA-Vernehmung vom 19.10.2016: Frage: Kannten Sie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt? – Antwort: Nein, nicht persönlich. Ich habe die drei schon das ein oder andere Mal in Winzerla herumlaufen gesehen. W.: „Das meine ich damit, aber wir haben keinen Kontakt gehabt.“
Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Mich würde interessieren, ob Sie Herrn Wohlleben damals kannten. Ich würde es konkreter fragen: Kannten Sie Herrn Wohlleben damals vom Sehen?“ W.: „Nur vom Sehen, ja.“ Schneiders: „Das Gesicht war Ihnen damals bekannt?“ W.: „Ja, Winzerla ist nicht groß, man ist sich schon übern Weg gelaufen, aber nicht, dass wir uns unterhalten hätten. Aber wir haben uns gesehen, Winzerla ist nicht groß.“ Schneiders: „Wie waren Sie damals gekleidet, welchen Look hatten sie?“ W.: „Ich war zu erkennen als linksorientiert, ohne extrem links zu sein, also keinen Iro oder so.“
Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Sie sagten vorhin, dass Sie den Herrn K. mit nach Hause genommen hätten.“ W.: „Ja, er ist mir entgegengekommen. Ich habe ihn mit zu uns nach Hause hoch geholt, erstmal ins Bad. Wir haben den Krankenwagen gerufen und vorher die Polizei.“ Klemke: „War Herr K. ansprechbar, bei Bewusstsein?“ W.: „Ja, aber offensichtlich …“ W. macht eine kurze Pause und sagt dann: „Als ich ihn ansprach, ob ihm was wehtut, sagte er nein. Und die Nase sah nicht so aus.“ Klemke: „Er hat auf Ihre Frage reagiert?“ W.: „Er hat gesagt, einen Krankenwagen brauche er nicht. Ich habe trotzdem einen gerufen, weil das nicht so aussah, als ob es ohne Krankenwagen geht.“ Klemke: „Hat Herr K. mal das Bewusstsein verloren?“ W.: „Nein.“
Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Herr W., hat Herr K. berichtet, wie er seinen Peinigern entkommen ist?“ W.: „Soweit er berichtet hat, haben die irgendwann von ihm abgelassen. Also das weiß ich nicht genau, kann ich nicht sagen.“
Dann spricht der Angeklagte Schultze: „Guten Tag. Ich war damals auch dabei, mit bei den Tätern, bei den Angreifern und wollte mich dafür bei Ihnen entschuldigen. Es tut mir leid.“ W.: „Okay.“ Um 18 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Danach sagt der Angeklagte Wohlleben, dass er gern eine Erklärung abgeben würde. Er habe bereits in seiner Einlassung zur Aussage Schultze, dass er jemandem auf dem Kopf herumgesprungen sei, gesagt, dass er nicht bei der Schlägerei dabei gewesen sei. Er sei wenige Monate nach dem Abtauchen vielmehr darauf bedacht gewesen, dass er nicht polizeilich auffalle. Verhandlungstag endet um 18:02 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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