Am dritten Tag des Plädoyers der BAW übernimmt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Er befasst sich dabei zunächst mit den Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten Schultze. Er führt aus, warum sich Anklagevorwurf gegen beide – nämlich Beihilfe zu neun Fällen des Mordes – sich durch die Beweisaufnahme in vollem Umfang bestätigt habe. Er führt dazu u.a. aus: „Die Angeklagten Wohlleben und Schultze haben die Ceska in dem Bewusstsein an den NSU geliefert, dass Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von rechtsextremistischen und dem historischen Nationalsozialismus entlehnten ideologischen Überzeugungen und einem abgrundtiefen Hass gegen Staat und Gesellschaft im Allgemeinen und gegen Juden, Linke und im Deutschland lebende Migranten im Besonderen durchdrungen waren. Beide erkannten die Möglichkeit, dass die Waffe genutzt werden würde, um Menschen zu erschießen, um auf diese Weise für etwas zu kämpfen, was Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe unter einer rassisch-völkischen Reinerhaltung des deutschen Volkes verstanden.“
Tageszusammenfassung des 378. Hauptverhandlungstages im NSU-Prozess am 31.07.2017
Vierter Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft
Heute plädierte Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Jochen Weingarten, für die Bundesanwaltschaft. Sein erstes und umfangreiches Thema war „der Weg der Ceska“, der Tatwaffe bei den neun rassistischen Morden des NSU. Die Ausführlichkeit und Detailversessenheit der ersten vier von fünf Dreiviertelstunden-Blöcken am heutigen Tag war einer, wie Weingarten es nannte, „zwingenden Indizienlage“ geschuldet, die zweifelsfrei zu entwickeln war. Und das schon deshalb, weil die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben bis heute steif und fest behauptet, der Weg der Waffe vom tschechischen Hersteller der Waffe über die Waffenhändler „Schläfli & Zbinden“ in der Schweiz und fünf Zwischenstationen zu den Angeklagten Carsten Schultze und Ralf Wohlleben sei keineswegs indiziell nachweisbar oder gar bewiesen. Diese Frage ist also von kardinaler Bedeutung für Anklage und Verurteilung der beiden wegen der Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagten Schultze und Wohlleben.
Entsprechend ausführlich und penibel gestaltete Weingarten die Erörterung des Indizienbeweises gegen die beiden. Die Waffe „Ceska 83“ stamme von der tschechischen Firma Luxik und sei mit dem dazugehörigen Schalldämpfer in einer bestimmten Charge an das Schweizer Waffengeschäft verkauft worden. Diese hätten die Ceska gegen Vorlage eines in der Schweiz notwendigen Waffenerwerbsscheins an den zeitweise Beschuldigten Anton Ge. versandt, der jedoch nur Strohmann eines weiteren Zwischenhändlers, Hans-Ulrich Mü. gewesen sei, der die Waffe nach Deutschland verkaufen wollte, weil es dort für „gewisse Kreise“ schwer sei, an Waffen heranzukommen, wie Mü. sich laut Ge. eingelassen habe. Mü. habe die Waffe an seinen Freund Enrico Theile weitergereicht, der in der Hauptverhandlung als Zeuge gehört worden ist. Der wiederum habe die Waffe dem Jenaer Jürgen Länger übergeben, der ebenfalls als Zeuge im Prozess gehört wurde. Auf Länger kam der Angestellte Andreas Schultz des Jenaer Szeneladens „Madley“ zu, bei dem der Angeklagte Carsten Schultze eine Waffe mit Schalldämpfer bestellt habe, was Carsten Schultze in seinen Einlassungen eingestanden habe. Schultze habe die Bestellung auf Anregung und Kosten des Angeklagten Wohlleben aufgegeben, die Anforderung sei von den Untergetauchten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen. Weingarten deduzierte aus den Vernehmungen und Einlassungen aller genannten Beteiligten an dem Geschäft, warum die Indizienlage zum „Weg der Ceska“ tatsächlich „zwingend“ und stimmig sei. Es gebe, so Weingarten, keine Zweifel, dass die Waffe im Waffenbuch der Schweizer Händler mit der im Bauschutt der Frühlingsstraße aufgefundenen Tatwaffe identisch sei; dass etwas mit dem Eintrag im Waffenbuch nicht stimmen könnte, worauf die Verteidigung Wohlleben insistiere, habe sich in der Beweisaufnahme nicht ergeben, weshalb die BAW keine Zweifel an der Identität mit der Tatwaffe habe, so Weingarten.
Der Angestellte des Szeneladens, Andreas Schultz, sei, betonte Weingarten, ein ganz zentraler Zeuge dieses Strafverfahrens mit Blick auf Schultze und Wohlleben; er gehöre zu den drei Auskunftspersonen, die den lückenlosen Weg der Ceska bezeugten, ohne die die Anklage wegen Beihilfe zum 9-fachen Mord „hinwegfallen müsste“. Andreas Schultz habe nach einigen Notlügen zugegeben, die Waffe von Jürgen Länger für 2.000 Euro gekauft zu haben und sie dann für 2.500 Euro an Schultze weiterveräußert zu haben – und zwar mit dem Schalldämpfer, der als „geradezu klischeehaftes Instrument eines Profikillers“ gelten könne. Das Geld habe Wohlleben aus dem Depot von 10.000 DM entnommen, das ihm der NSU anvertraut habe. Auf ihrem Blog machen die Nebenklageanwälte Hoffmann und Elberling darauf aufmerksam, dass die BAW an dieser Stelle „den untauglichen Versuch, die Ermittlungsbehörden der damals noch sog. Döner-Morde in Schutz zu nehmen: eine Pistole mit Schalldämpfer sei ja ein geradezu klischeehaftes Anzeichen für organisierte Allgemeinkriminalität, deswegen seien die Ermittlungen eben in diese Richtung gelaufen.“ Einmal mehr versuche die BAW den Aspekt des institutionellen Rassismus zu kaschieren, so die beiden Nebenklagevertreter.
Sodann widmete sich Weingarten ausführlich und geradezu überschwänglich dem Angeklagten Carsten Schultze, seiner Aussagebereitschaft und seiner Glaubwürdigkeit: „Die BAW nimmt Schultze ohne jeden Zweifel ab, an rückhaltloser Aufklärung der Verbrechen des NSU, seiner Beteiligung und der Beteiligung anderer interessiert zu sein, ausschließlich aus einem Motivbündel einer tief empfunden Reue heraus, das Teilnahmeunrecht wiedergutzumachen.“ Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Schultze dabei interessegeleitet vorgegangen sei oder überschießender Belastungseifer festzustellen sei: Schultze sei allein vom Ringen um die Wahrheit getrieben, so Weingarten. Von Anfang an habe er zwanglos weit mehr eingeräumt als ihm laut Haftbefehl vorgeworfen worden sei und habe alle Anwesenden und an den Vernehmungen Beteiligten mit dem Detail des Schalldämpfers geradezu überrascht und vor Gericht noch den so genannten Taschenlampenanschlag in Nürnberg 1999 erinnert.
Auch der Abgleich der Aussagen Schultzes mit denen Wohllebens, des Zwischenhändlers Andreas Schultz und auch Zschäpes ergebe einen übereinstimmenden Ablauf des Waffenkaufs, so Weingarten. Und – entgegen den Einlassungen des Angeklagten Schultze – sei die BAW davon überzeugt, dass Böhnhardt und Mundlos von vornherein und ausdrücklich eine Schalldämpferwaffe bestellt hätten und diesen Wunsch Schultze auch telefonisch so übermittelt hätten. Schließlich entspreche der Schalldämpfer der Zwecksetzung des NSU, nämlich die Ermordung von in Deutschland lebenden Ausländern ohne Bekennung, aber als Mordserie erkennbar. Auf diese Weise sollte der Verdacht auf andere umgeleitet und Verängstigung und Vertreibung von in Deutschland lebenden Ausländern erreicht werden.
Am letzten Prozesstag vor der Sommerpause wird sich Weingarten mit den Aussagen Schultzes und Wohllebens beschäftigen, um nach der Sommerpause Anfang September zu den beiden Angeklagten André Eminger und Holger Gerlach zu kommen.
Die Einschätzung des Blogs NSU-Nebenklage.
Vollständige Version des Protokolls, hier.